Freie Journalisten beim rbb

Stell Dir vor, es ist Protest und keiner kriegt’s mit

liegendes Mikrofon mit rbb-Schriftzug
Foto: MAGO / Fotostand

„Wir entschuldigen uns für die zeitweilige Sendestörung“ stand auf einem Photo mit pastellfarbenem Berliner Himmel, das die rbb-Abendschau am Montagabend bei Twitter veröffentlichte. Das Berliner Publikum hatte zuvor überraschend die Brandenburger Version der Nachrichtensendung gesehen. „Wir bedauern“, hieß es später, die Sendung könne nachgeschaut werden.

Zwei Tage zuvor hatten sich 359 von insgesamt 1500 Freien des gesamten Senders unter dem Slogan „Wir sind nicht da“ geschlossen für eine Woche in den Urlaub verabschiedet, Option auf Verlängerung bis Monatsende. Bei rbb-Kultur liefen am ersten Protestmontag gefühlt überlange klassische Suiten, im TV gab’s nachmittags eine deutsche Schmonzette von 2004, bei der Live-Sendung „Studio 3“ war für die folgenden zwei Wochen längst ein „Best of“ vorbereitet: feinstes Sommerferienkonservenprogramm eben. Oder doch Lücken-Stopfen wegen der Freien-Aktion?

Die Sache mit der Abendschau war jedenfalls nur ein „Schaltfehler“, erklärte der Sender auf dem Haupt-Account. Ein Technikproblem, keine Protestfolge.

Form, Zeitpunkt, Sender – eine merkwürdige Gemengelage

Dass viele Freie protestieren, ist erst einmal wenig überraschend. Die Tarifverhandlungen rund um bessere Honorare und Bestandsschutz laufen und laufen und laufen. Es ist daher auch nicht das erste Mal, dass ein Teil der 1500 rbb-Freien aus Empörung zeitgleich eine Woche Urlaub nehmen: Anfang Mai 2021, im September 2021 kurz vor der Landtagswahl, dann zu Ostern 2022 und nun wieder: Jedes Mal beteiligten sich rund 350 der festen Freien – Urlaub zu nehmen, können sich im rbb eben nicht alle leisten. Dazwischen gab’s obendrein drei Mal gewerkschaftlich organisierten Warnstreik, im April fiel deshalb sogar das ARD-Mittagsmagazin aus.

Doch diese Form des Urlaubs-Protests zu diesem Zeitpunkt ausgerechnet beim rbb: eine Gemengelage, die immer merkwürdiger wirkt, je länger man draufschaut. Ein Akt der Verzweiflung.

Zum einen: Die vorigen „Wir sind nicht da“-Wochen haben schon nichts Wesentliches bewirkt. Die Forderungen der rbb-Freien sind unverändert: langfristige Beschäftigungsverträge, im Vergleich zu den Festangestellten gleichwertige Bezahlung, fairere Honorar-Verteilung unter den Freien. Sogar Freien-Vertreter Christoph Reinhardt sagt schon: „Wir wollen uns nicht daran gewöhnen, dass unsere Sorgen nicht gehört werden.“

Das einzige, was sich seit dem letzten Urlaubsprotest verändert hat, ist die Lage drum herum – und damit ist nicht nur die allgemein spürbare Inflation gemeint. Die Situation des Senders ist seit einem Jahr weithin sichtbar, nun ja: angespannt. Seither arbeitet das Haus die Altlasten auf, die unter dem Stichwort „Schlesinger-Skandal“ bekannt geworden sind: geheime Bonus-Zahlungen, teure Chefbürorenovierungen, intransparente Vergabeprozesse, ein Neubau, der nun doch nicht gebaut wird, dazu besteht die fristlos entlassene Ex-Intendantin Patricia Schlesinger auf ihrem Ruhegehalt, die Anwaltskosten des rbb haben sich schon in die Millionen summiert.

Geld gab und gibt die Leitungsebene für alles mögliche aus, aktuell für die Folgekosten, so der Eindruck – nur nicht dafür, die prekäre Situation der Freien zu lindern. Auch die Personalratschefin Sabine Jauer sagt: „Ich kann die Absichten der Freien sehr gut verstehen, sie haben allen Grund zu der Protestaktion“; überhaupt arbeite man vertrauensvoll mit der Freien-Vertretung zusammen. Dennoch sei unübersehbar, dass die Zukunftssorgen längst alle im Haus beträfen: „Seit einigen Monaten bekomme ich im Personalrat mit, dass sich die Fronten zwischen Festen und Freien verhärten.“ Wie überall gilt auch hier: Wenn in einer unsicheren Großwetterlage samt Millionen-Sparprogramm jede Seite der anderen vorwirft, nur die eigenen Sorgen zu sehen, ist das gerade in gemischten Teams eher schlecht für die Stimmung.

Kollegiale Geste, aber wenig Effekt

Gründe für Protest gibt’s also genug. Nur verpufft er aktuell geradezu. Das Timing ist auch wirklich vertrackt: Ausgerechnet zum Auftakt der Sommerferien in Berlin und Brandenburg, wenn die einen verreist sind, die anderen im Hitzedämmer auf einer Wiese liegen. Typische Programmwiederholungszeit. Außerdem hatte das Organisationsteam der Protestaktion den Termin schon im März angekündigt. Abteilungen und Redaktionsteams hatten ausreichend Zeit, Dienstpläne vorzubereiten, für Stehsatz zu sorgen, „Best of“-Programm, ARD-Übernahmen und Wiederholungen einzuplanen.

Der Protest sei daher nicht mit Streik zu vergleichen, betont Freien-Vertreter Reinhardt, man wollte „kollegial mit den Festen umgehen“. Schließlich arbeiten viele täglich im Team, von morgens bis abends, nur eben die einen für weniger Geld. Aber: „Wir wollen Abteilungs- und Redaktionsleitungen signalisieren, dass unsere Verlässlichkeit nicht selbstverständlich ist – und sie motivieren, mehr für uns zu tun.“

Ankündigung plus Sommerferien, mit der kollegialen Geste scheint auch die Wirkung zu verpuffen. Personalrats-Chefin Sabine Jauer hat sich umgehört: Zwar fehle es im Team von Inforadio an allen Ecken und Enden, eine Potsdamer Hörfunk-Kollegin habe dagegen gemeldet, sie hätten den Protest gar nicht mitbekommen; und auch bei jenen, die in Ressorts mit hohem Freien-Anteil arbeiten, etwa der TV-Grafik, hätten nicht einmal Abteilungsleitungen einspringen müssen – anders als bei früheren Protesten.

Zwischen allen Intendanzen

Und dann fällt die Aktion auch noch in eine Interimszeit im Haus: Die amtierende Zwischen-Intendantin Katrin Vernau, eingesprungen nach Schlesingers Rauswurf, ist quasi vorbei – die gewählte Neue, Ulrike Demmer, tritt erst zum 1. September an, die Freien schrieben ihr daher gezielt einen Offenen Brief. Dass Vernau verpennen würde, bis April die eigene Kandidatur einzureichen, konnte im März ja niemand ahnen.

Ebenfalls ungeplant: die Neuigkeiten, die Vernau auf der Belegschaftsversammlung am 14. Juli verkündete – zufällig zum Start der Protesttage. Weitere finanzielle Verpflichtungen hätten sich ergeben, so die Info, daraus folgten zwei Jahre Nullrunden für Freie wie Feste. Eine „Eskalation in unerwartete Richtung“, so Reinhardt.

Auch Personalratschefin Jauer meldet, seither sei „die Stimmung gedrückt, viele sind besorgt“. Vor allem aber habe die Belegschaftsversammlung am Freitag „allen gezeigt: Wir sitzen in einem Boot“, sagt sie. Jauer erzählt, wie sich im Anschluss ein langer Austausch entsponn, mehr Verständnis für die Lage der anderen entstanden sei, von Technik über Grafik bis Redaktion, Feste wie Freie. „Es ist für alle eine fragile Situation. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn Programm ausfällt – wir gelten nach außen seit einem Jahr sowieso schon als Chaos-Sender.“

Die Lage des rbb hat alle 3500 Mitarbeitenden seit einem Jahr in immer neue Unvorhersehbarkeiten gestürzt, auf Pest folgte Cholera. Wenn Feste und Freie nun in einen Leid-und-Sorgen-Wettbewerb treten, ist niemandem geholfen. „Wir kommen nicht umhin, zusammenzuhalten, egal ob fest oder frei“, sagt auch Jauer. „Alle sollen im Sender eine Zukunftsperspektive und gute Arbeitsbedingungen haben.“

Der Protest, der rosa Elefant

Nur der Sender selbst hat das offenbar noch nicht verstanden. Die aktuelle Aktion der Freien taucht mit keiner Silbe auf, nicht auf den Unternehmenskanälen der Social-Media-Portale, auch nicht auf der eigenen Presseseite. Es ist wie der rosa Elefant im Raum: Alle sehen ihn, aber niemand erwähnt ihn. Nicht einmal als lösungsorientierte Formel, nach dem Motto: „Aktuell läuft eine Urlaubs-Protest-Aktion der Freien, dauert eine Woche, war lange angekündigt, alle haben vorgeplant, wird sich im Programm nicht bemerkbar machen.“ Die rbb-Pressestelle erklärt: Eben weil die aktuelle Auszeit der Freien keine sichtbaren Programmfolgen habe – Sommerpause und so – sehe man keinen Grund, die Sache öffentlich zu thematisieren.

Am schlimmsten aber, auch wenn die prekäre Situation des Senders alle betrifft: Indem das Unternehmen den Protest ignoriert, ist es, als existierten die Sorgen der Freien für das Haus nicht. Und die stellen immerhin über 40 Prozent des Teams. Bemerkenswert unsozial für eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit gesamtgesellschaftlichem Auftrag.

9 Kommentare

  1. Abgesehen davon, dass es spätestens mit der Intendantenwahl und den 1,6 Kanzlei- Millionen (what??) eigentlich nur konsequent wäre, den Laden sofort zu schliessen, ist es natürlich eine Frechheit, auch 2023 so mit den Interessen der Freien so umzugehen, während man intern (fest) schon Schwierigkeiten beim Schalten hat.
    Wenn es nicht so absurd wäre, würde man sich gerne die nächste angekündigte Programmoffensive (angesichts des aktuellen Programms wäre die bei allen anderen Problemen eigentlich DAS Dringlichste, was hier ehrlicherweise gebraucht wird) einmal als Experiment nur mit Festangestellten ansehen. Ob diese dann über die 23. Wdh „der hässlichsten Zoo-Tiere Berlins“ oder „die 50 abgelegensten Ampeln“ hinausgeht? Das Ganze gerne als Jury-Format, selbige ist nur von Freien besetzt, die uneingeschränkt die Verhandlungssätze der RBB-Produktion („soviel zahlen wir hier aber nicht, da gehen Sie bitte noch mal in sich“) in Ironie und ehrlicher Bewertung benutzen dürfen.:) – Vielleicht ist ja dieses Experiment dann die eigentliche, übernächste, fair bezahlte Programmoffensive.

  2. Zuerst mal zur Wortwahl: Der Artikel bemüht nur ein einziges Mal das Oxymoron der „festen Freien“. Danke dafür.

    Zum Inhalt: Es ist zutiefst bedauerlich, dass es so viele Verzweifelte gibt, die sich für ein paar Almosen dem rbb als Scheinselbstständige zur Verfügung stellen. Dabei fehlen in anderen Branchen so viele wichtige Fachkräfte.

  3. @Bernhard Daß Sie „feste Freie“ als Oxymoron bezeichnen, deutet für mich darauf hin, daß Sie sich mit den Gegebenheiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht auskennen. Das macht aber nichts, denn eine Meinung zu haben und zu äußern ist immer gut.

  4. @#4 Sicher nicht (weder ich „aufklären“ noch Sie „lernen wollen“). Da Sie schrieben so klug schrieben, es sei ein Oxymoron, möchte ich Sie nicht um die Gelegenheit bringen, dieses schöne Fremdworts auch in Zukunft in Ihre Kommentare zu schrauben.

  5. @#5: Ich finde es immer erstaunlich, wenn jemand in minutenschnelle analysieren kann, was „random dude, der im internet irgendwas kommentiert“ will und was nicht. Gibts da irgendwo einen Kurs, wo ich das auch lernen kann?

    Naja, schade drum. Dann werde ich wohl in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten beim ÖRR im Allgemeinen und beim RBB im Speziellen sterben. Wird nicht das einzige bleiben, was ich nie erfahren werde. :-D

  6. Logisch eigentlich, wegen des Streiks muss RBB an der Berichterstattung sparen, und entschließt sich dazu, genau an der Berichterstattung über den Streik zu sparen.
    Die ganzen Transparenzhinweise: „Offenlegung: ich muss deshalb jetzt Überstunden schieben und bin HART angefressen deswegen.“ wären aber auch echt zuviel.

  7. Man merkt es schon deutlich an der Homepage, gerade bei den neuesten Artikeln. Da gibts morgens eine Welle, mittags und dann frühend Abend nochmal.

    Muss das mal nach dem Streik genauer beobachten.

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