Bildethik im Krieg

Das Leiden in der Ukraine betrachten

Ein Journalist lugt aus dem Loch in der Wand eines Wohnhauses, das durch einen Raketenangriff der russischen Truppen beschädigt wurde, in Zaporizhzhia im Südosten der Ukraine. Die Folgen des morgendlichen Raketenangriffs der russischen Truppen in Saporischschja
Zaporizhzhia, Ukraine, am 21. Oktober 2022: Ein Journalist lugt aus dem Loch in der Wand eines Wohnhauses, das durch einen Raketenangriff der russischen Truppen beschädigt wurde. Foto: IMAGO / Ukrinform

Sich ein Bild vom Krieg zu machen, ist oft schwieriger als es zunächst aussieht. Wer von Deutschland aus in die Ukraine schaut, ist auf die Darstellungen der Medien angewiesen und muss aufpassen, nicht der Propaganda russischer Kriegstreiber aufzusitzen. Zugleich ist zu beachten, dass auch die Ukraine ein Interesse daran hat, bestimmte Informationen und Bilder zu verbreiten und andere nicht. Wie in jedem Krieg kommen weitere Herausforderungen hinzu: Wie kann der Journalismus den Opfern gerecht werden, wie ihre Würde schützen? Welche Bilder können oder sollen dem Publikum zugemutet werden?

Zu Recht sprechen ukrainische Politiker nicht nur von Krieg, sondern von Terror, den die russische Armee verbreite. Die Angreifer versuchen, Angst und Schrecken in die Bevölkerung zu tragen – in der Ukraine, aber auch in Staaten wie Deutschland, in denen die Menschen ihren Kindern beim Frühstück mit möglichst fester Stimme versichern, dass heute kein Atomkrieg die Welt verheeren werde. Und morgen auch nicht.

Bilder können zu Waffen werden. So hat es die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk an Beispielen terroristischer Anschläge gezeigt. Die Bilder dienen zunächst immer den Angreifern. Sie lassen das Publikum erschauern und den Staat ohnmächtig wirken. So erzeugen nun auch die russischen Angreifer Bilder, die den Menschen in die Glieder fahren sollen: das große „Z“ auf Militärfahrzeugen und an den Wänden zerschossener Häuser. Die Drohnen, die scheinbar aus dem Nichts im Wohngebiet auftauchen und jeden dort treffen können. Oder die Bilder der Atomkraftwerke, um deren Sicherheit nicht zuletzt die Deutschen, deren Tschernobyl-Trauma tief sitzt, so besorgt sind.

Medien können und dürfen dem Publikum die Gräuel des Krieges nicht ersparen

Was kann der Journalismus tun, um die Gewalt der Bilder zu brechen? Hat er Mittel dafür und ist er überhaupt berechtigt, sie zu nutzen? Schließlich sollte es bei der Berichterstattung auch darum gehen, die Gräuel des Krieges zu dokumentieren. Die Medien können und dürfen dem Publikum Bilder und Emotionen, die schwer zu ertragen sind, nicht grundsätzlich ersparen. Im Krieg tragen sie zudem eine Verantwortung dafür, Beweise für Kriegsverbrechen zu sichern. Journalistinnen und Journalisten sind kein Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft. Aber jeder und jede ist dazu aufgerufen, den Menschenrechten Geltung zu verschaffen und daran mitzuwirken, dass Kriegsverbrecher in einem rechtsstaatlichen Verfahren bestraft werden können.

Es ist gut, wenn Reporterinnen und Reporter in der Ukraine sehr viel Material sammeln, Zeugenaussagen, Fotos und Filmaufnahmen. Nicht alles muss (sofort) an die allgemeine Öffentlichkeit weitergegeben werden. Im Wissen um die terroristische Dimension, die visuelle Darstellungen haben können, sollten Redaktionen genau überlegen und abwägen, wie sie ihre Beiträge aufbauen und was sie in welcher Form und Rahmung veröffentlichen. Bildergalerien beispielsweise können, wenn die Fotos sorgsam ausgewählt, erklärt und kontextualisiert sind, durchaus eine vertretbare Form sein, Situationen aus dem Krieg zu zeigen. Solche Galerien werden jedoch höchst fragwürdig, wenn sie mit reißerischen Teasern und den drastischsten Fotos arbeiten und sie das Leiden der Menschen für den schnellen Klick instrumentalisieren.

Viele Redaktionen in Deutschland geben sich, soweit sich das vom Ergebnis her erkennen lässt, durchaus Mühe, Bilder verantwortungsvoll auszuwählen. In den ersten Wochen des Krieges wurde das „Z“ der russischen Angreifer auffällig häufig gezeigt, mittlerweile ist es seltener zu sehen, und das könnte auch daran liegen, dass im Journalismus über die terroristische Qualität solcher Zeichen und Bilder reflektiert worden ist.

Besonders anfällig für unsensible oder unzureichend geprüfte Aufnahmen ist die Live-Berichterstattung. Eine Redaktion will belegen, dass sie mittendrin ist. Nicht nur in der Live-Schalte, auch in Social-Media-Posts zeigen Reporterinnen und Reporter, wie nah sie dem Geschehen sind. Dass Unseriöse und Ungefestigte dabei auch mal nachhelfen und etwas inszenieren, wissen wir aus der Geschichte des Journalismus. Da tun Schlechtwetter-Reporter so, als würde ein Sturm sie fast umpusten, obwohl die Böen gerade gar nicht so heftig sind, oder eine Reporterin schmiert sich vor einer Sendung aus einem Hochwassergebiet schnell noch etwas Schlamm ins Gesicht. Solche Formen journalistischer Trickserei und Täuschung sind im Ukraine-Krieg bisher für deutsche Medien nicht erkannt worden , dafür haben Redaktionen viel Arbeit damit, Informationen zu überprüfen und sich und ihr Publikum vor Desinformation zu bewahren.

Einschränkung der Pressefreiheit durch das Kriegsrecht

Direkt von der Front erfahren die Menschen aus den Medien nicht viel im Vergleich zu den oft einfühlsamen Berichten und Bildern, die zivile Opfer und die Zerstörung in den Dörfern und Städten der Ukraine zeigen. Es ist für die Unabhängigkeit des Journalismus kein Nachteil, wenn die Reporter nicht, wie anfangs aus dem Vietnam-Krieg, militärische Seifenopern aus einzelnen Armee-Einheiten liefern. Überhaupt keinen Zugang zu diesen zu bekommen, ist allerdings auch problematisch. Der dominierende Blick auf die zivilen Opfer hat seine Berechtigung. Als Zuschauer können wir hingegen nur ahnen, wie erbittert die Kämpfe der Soldaten sein müssen, wie groß die Verluste und Verletzungen.

Der Weg ins Kampfgebiet und zu militärischen Anlagen ist oft versperrt. Unter dem ukrainischen Kriegsrecht riskieren Medien, dass sie ihre Akkreditierung verlieren, wenn sie sich nicht an die Vorgaben des Militärs halten. Das kann auch bedeuten, vorsichtig mit dem Verbreiten bestimmter Aufnahmen zu sein. Teilt eine Reporterin beispielsweise ein Video , auf dem ein russischer Drohnenangriff zu sehen ist, kann das zu Nachfragen führen: Verletzt die Veröffentlichung die peniblen Regeln, die von der Ukraine für die Medien erlassen worden sind? Russland soll keine Hinweise auf Stellungen der Ukraine bekommen, auch andere Daten sind zurückzuhalten.

Für die Pressefreiheit bedeutet das Kriegsrecht eine Einschränkung, die aus Sicht des angegriffenen Landes gute Gründe haben mag – aus journalistischer Sicht ist sie nicht oder jedenfalls nicht so leicht zu akzeptieren. Das gilt selbst dann, wenn eine Redaktion aufgrund eigener professioneller und ethischer Abwägungen in vielen Fällen zum selben Ergebnis käme und sie sensible Informationen, wie solche über Drohnen, (zunächst) für sich behält.

Wer nicht in eine Situation geraten will, in der mediale Beiträge von den Angreifern ausgenutzt werden oder in der eine Live-Sendung abrupt in schlimmsten Bildern endet, muss innehalten. So verständlich der Wunsch ist, möglichst rasch Eindrücke weiterzugeben – es braucht retardierende Momente. Auch und gerade im Krieg müssen sich Redaktionen als Prüf- und Reflexionsinstanzen bewähren. Reporterinnen und Reporter verdienen die größtmögliche Unterstützung – dazu gehört die Sicherheit, dass sie nicht alles sofort und auf eigene Verantwortung, beispielsweise auf Social-Media-Plattformen, senden müssen.

Oft kann es sich lohnen, noch etwas länger zu recherchieren und Informationen besser zu kontextualisieren. Sonst kann es schnell passieren, dass ein Reporter nur ratlos und atemlos ein Durcheinander wiedergibt, das dem Publikum nichts erklärt – dafür aber den Reporter und womöglich andere Menschen in eine gefährliche Lage bringt. Die Geiselnahme von Gladbeck (1988) ist dafür das klassische Beispiel im deutschen Journalismus, aber auch in Kriegen und Terrorlagen der jüngeren Zeit ließ sich das Problem studieren. Ein im Netz weiterhin abrufbares, abschreckendes Beispiel ist der Periscope-Livebericht eines „Stern“-Reporters aus Saint-Denis nach den Terroranschlägen in Paris (2015).

Auf die Souveränität, eine spektakuläre Szene nicht sofort oder gar nicht zu veröffentlichen, müssen sich auch seriöse Medien immer wieder neu besinnen. Die schwierigsten und manchmal besten Entscheidungen im Journalismus betreffen Material, das verworfen wird. Es müsste Journalistenpreise für Bilder und Beiträge geben, die zum Glück nicht erschienen sind. Das geht natürlich nicht, aber oft lässt sich an dem, was erschienen ist, ganz gut erkennen, wie es hätte besser laufen können.

Recht früh in diesem Krieg löste die „New York Times“ eine medienethische Kontroverse aus, indem sie ein Foto aus Irpin auf ihre Homepage und auf die Titelseite der Printausgabe stellte: Es zeigt vier Leichen, eine Frau, einen Mann und zwei Kinder. Auf der Flucht nach Kyiv sind sie von russischen Granaten getötet worden, die „Times“-Fotografin Lynsey Addario und ihr Team waren am Tatort und mussten selbst um ihr Leben fürchten. Erst waren sie in Deckung gegangen, als sie dann die gefährliche Zone verlassen wollte, sah die Reporterin die Leichen. Sie wollte die Szene der Toten, ihrer Koffer und Rucksäcke unbedingt festhalten und machte ein paar Fotos, darunter eines, das die Gesichter zeigt:

„And I thought to myself, we never show faces of the dead. And so, I’m just shooting this as a document of war. I have to do this. I have to take this photo. And I felt guilty as I was taking it because I thought, it feels intrusive, of course. I’m documenting the moment of someone’s death.“

So hat es Addario in „The Daily“ erzählt, dem Podcast der „Times“. Demnach schickte sie die Bilddateien, sobald sie in größerer Sicherheit war, rasch an die Redaktion – und war schließlich selbst überrascht, dass diese entschied, das heikle Foto prominent zu veröffentlichen.

In anderen Medien wurde Kritik an dieser Entscheidung laut, auch in Deutschland. In medienethischen Fachkreisen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Opfer von Straftaten, auch die Opfer von Kriegsverbrechen, durch die mediale Berichterstattung in der Regel nicht identifizierbar gemacht werden dürfen – es sei denn sie selbst oder ihre Hinterbliebenen sind damit einverstanden (siehe Richtlinie 8.2 des Pressekodex). Angehörige agieren nicht immer im Sinne der Opfer, auch dies gilt es zu bedenken.

Die Grundregel kann in einen Konflikt geraten mit anderen ethischen Ansprüchen: Die Opfer sollen nicht vergessen werden. Say their names. Statt den Fokus auf die Täter zu richten, sollen die Betroffenen Bild und Stimme bekommen. Ihr Leben und ihr Leiden sollen sichtbar werden, das Publikum sich einfühlen und identifizieren können.

Entscheidend dafür ist: Kontext. Es braucht mehr als ein schockierendes Bild. Wir müssen etwas über die Menschen erfahren, denen etwas angetan wurde. Wir müssen in die Lage versetzt werden, das Unrecht zu ermessen, indem wir nicht nur das grausame Ende sehen, sondern die Geschichte der Menschen verstehen, die mehr sind als Opfer. Das sind die Medien ihnen schuldig. Im Falle des Fotos aus Irpin, das die „New York Times“ veröffentlichte, meldete sich der Mann der getöteten Frau, der auch seine beiden Kinder verloren hatte. Er selbst war nicht am Tatort gewesen. Zur großen Erleichterung der Fotografin (wie sie erzählt) zeigte er sich einverstanden mit der Berichterstattung. Und nun konnte die „Times“ noch mehr erzählen: über die Flucht der Familie, über die Kinder und ihre Mutter, die trotz aller Not zuversichtlich zur Flucht aufgebrochen war.

Warum aber hat die Redaktion nicht wenigstens mit der Veröffentlichung gewartet, bis sie die Angehörigen gefunden hatte? Einmal mehr triumphierte der Wunsch, blitzaktuell zu sein und die Szene, in der die Reporterin selbst gesteckt hatte, so schnell wie möglich zu zeigen. Schnelligkeit vor Sorgfalt – diese Priorität ging hier zwar nicht zu Lasten der Faktentreue, wohl aber zu Lasten der ethisch geforderten Sensibilität. Schnelligkeit vor Sensibilität.

Kann im Nachhinein etwas richtig sein, das zunächst falsch war?

Aus der Geschichte des Journalismus kennen wir viele Bilder, die sich in die kollektive Netzhaut eingebrannt haben und deren Veröffentlichung – zunächst oder (bis) heute – umstritten war: der tote Uwe Barschel in der Badewanne; das nackte, sogenannte Napalm-Mädchen aus Vietnam; der Leichnam eines syrischen Flüchtlingsjungen am Strand in der Türkei. Jeder Fall hat seine ethischen Untiefen. Das Mädchen aus Vietnam ist zum Glück nicht namenlos geblieben. Kim Phúc hat immer wieder als erwachsene Frau über sich und ihre Geschichte gesprochen . Den Namen des toten Jungen kennen wir ebenfalls: Alan Kurdi. Der Vater äußerte in Interviews sein Einverständnis mit der Veröffentlichung . Das Foto steht nun für das Sterben Tausender Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, und wirkt wie ein stummer Schrei: Schaut nicht weg! Die Rettungsorganisation „Sea-Eye“ benannte eines ihrer Schiffe nach Alan Kurdi.

Kann eine solche Wirkungsgeschichte eine zunächst umstrittene oder schlicht verantwortungslose Entscheidung ausgleichen? Kann im Nachhinein etwas richtig sein, das zunächst falsch war? Das ist nicht leicht zu beantworten, unterschiedliche philosophische Schulen können hier zu unterschiedlichen Urteilen kommen. Wer es – in einer konsequentialistischen Ethik – gewohnt ist, die Dinge vom Ende her zu betrachten, mag eher dazu bereit sein, Verständnis für heikle Veröffentlichungen zu zeigen als die Vertreterinnen und Vertreter einer deontologischen Ethik, für die der Zweck nicht die Mittel heiligen kann.

Selbst dann, wenn die „Times“ mit dem Abdruck des Fotos gewartet hätte, bis sie das Einverständnis der Angehörigen einholen konnte und mehr über die Hintergründe wusste, hätte es mit Sicherheit Einwände gegeben: Ist das Foto pietätlos, verletzt es die Würde der Toten?

Das kann man so sehen – mir erscheint dies allerdings nicht unbedingt plausibel in einem Kontext, in dem die Würde der Menschen von anderen (nicht den Medien) auf so brutale Weise im Krieg angegriffen und genau dies von der Zeitung festgehalten wird. Gewiss: Die Dokumentation dieses Verbrechens und dieses Angriffs auf die Menschenwürde muss selbst würdevoll sein. Sie darf die Menschen nicht einfach zur Schau stellen. Damit dies nicht geschieht, können Redaktionen viel tun. Bei der Präsentation müssen sie den richtigen Rahmen finden und dem Publikum helfen, eine angemessene Rezeptionshaltung einzunehmen. Jeder Mensch, der schon einmal an einer Trauerfeier teilgenommen hat, kann verstehen, was damit gemeint ist. Der Verzicht auf alles Grelle und Übertriebene, Raum für Stille und Andacht – all das können und müssen auch die Medien versuchen.

So können sogar die schrecklichsten Aufnahmen dem Publikum zugemutet werden. In ihrem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ (2003) schrieb Susan Sontag, von einem gewissen Alter an habe niemand mehr ein Recht auf Unschuld oder Unwissenheit in der Konfrontation mit den Grausamkeiten des Menschen.

„Es gibt inzwischen einen umfangreichen Bestand an Bildern, die es schwieriger machen, in dieser ethischen Mangellage zu verharren. Lassen wir uns also von den grausigen Bildern heimsuchen. Auch wenn sie nur Markierungen sind und den größeren Teil der Realität, auf die sie sich beziehen, gar nicht erfassen können, kommt ihnen eine wichtige Funktion zu. Die Bilder sagen: Menschen sind imstande, dies hier anderen anzutun – vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht. Vergesst das nicht.“

Natürlich wusste Sontag, dass Menschen auf ein und dasselbe Bild unterschiedlich reagieren können. Dass sie abstumpfen oder wachgerüttelt werden. Dass sie schauen oder gaffen. Und dass sie in Bildern oft nur wiedererkennen, was sie schon kennen oder zu kennen glauben.

Vorbildfunktion des Journalismus

Als Zuschauer eines Kriegs sind Menschen gefordert, hinzuschauen und die eigene Empathiefähigkeit zu erhalten. Als Zuschauer von Leid und Tod sind Menschen unter Umständen gefordert, den Blick kurzzeitig abzuwenden, wenn es der Takt und die Pietät gebieten – beispielsweise dann, wenn Medien eben nicht den richtigen Ton und das richtige Bild treffen und sie auf dem Wege sind, das Publikum in Schaulustige zu verwandeln.

Der Deutsche Presserat hat frühzeitig an die Medien appelliert, darauf zu achten, dass Opfer durch die mediale Darstellung nicht zusätzlich herabgewürdigt werden. In früheren Fällen habe das Gremium beanstandet, wenn bestimmte Details von Verletzungen herangezoomt oder im Video als Dauerschleife gezeigt worden seien. Bisher berichten die professionellen Medien in Deutschland, so ein vorläufiger Eindruck, vergleichsweise sensibel über den Krieg in der Ukraine. Es gibt keine Garantie dafür, dass das so bleibt. Je länger der Krieg dauert, desto stärker könnte die Versuchung werden, eine ansonsten nachlassende Aufmerksamkeit durch sensationelle Bilder zurückzugewinnen. Im Netz kursieren ohnehin längst die problematischsten Nahaufnahmen. Umso wichtiger ist die Vorbildfunktion des Journalismus.

In den nächsten Wochen werden viele Redaktionen ihre Jahresrückblicke veröffentlichen. Die Bilder dafür sollten sie sorgsam auswählen und kontextualisieren. Es gibt mittlerweile sehr viele Aufnahmen aus der Ukraine und noch ist nicht klar, welche davon als Medienikonen dauerhaft im kollektiven Gedächtnis bleiben werden. Die Rauchwolken über Kyiv, Selenskyj in seiner Militärkluft, Väter, die sich am Bahnhof von ihren Kindern verabschieden, die Straßen in Butscha, das Stahlwerk von Mariupol: Es gibt schon jetzt so viele bestürzende Szenen, dass sie kaum noch zu überblicken und zu behalten sind. Das nährt die Ahnung vom ungeheuren Ausmaß des Leidens, das wir gar nicht zu sehen bekommen – und die Furcht vor den Bildern, die noch kommen könnten.

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