Investigativ-Journalismus

„Grundsätzlich arbeite ich nicht mit der Polizei zusammen“

Daniel Moßbrucker und Isabell Beer
Fotos: privat / Anke-Madlen Jaeckel; Montage: Übermedien


Es sind diese Momente, die in aller Deutlichkeit die Wichtigkeit von investigativem Journalismus aufzeigen: Tim R. steht endlich vor Gericht. Er hat Frauen heimlich auf der Toilette gefilmt und die Videos auf einer Pornoseite hochgeladen, so das Ergebnis einer Investigativrecherche. Aber nicht immer reagieren Behörden so direkt oder überhaupt auf journalistische Arbeiten. Und Journalist*innen wiederum verrichten zuallererst einen Dienst für die Öffentlichkeit, nicht für die Strafverfolgung. Die Investigativjournalist*innen Isabell Beer und Daniel Moßbrucker sprechen über ihre Arbeit zwischen journalistischer Intergrität, ethischer Abwägung bei Kriminalfällen und Informationspflichten gegenüber Behörden.


Frau Beer und Herr Moßbrucker, Sie beide haben jeweils einige Erfahrung mit investigativen Recherchen. Ob es um Online-Drogenhandel, Pädokriminalität oder die frauenhassende Incel-Szene geht, das schreit förmlich danach, juristische Grauzonen betreten zu müssen. War Ihnen das von vornherein klar?

Isabell Beer: Ja. Darum kläre ich bei sensiblen Themen, noch bevor ich eine Recherche starte, mit dem Justiziariat rechtliche Grenzen ab: Was darf ich? Und was nicht? Das ist wichtig, um mich selbst nicht strafbar zu machen. Als ich undercover zu Incels recherchiert habe, war eine Regel für die Recherche zum Beispiel, keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in deren Netzwerk zu teilen. Konkrete Anschlagsdrohungen hätte ich zudem direkt melden müssen. Da ich oft nachts recherchiert habe, war wichtig, rund um die Uhr einen Ansprechpartner für den Ernstfall aus der Redaktion zu haben.

Daniel Moßbrucker: Bei meiner Recherche zu Pädokriminalität im Darknet waren meine Vorbereitungen so groß wie noch nie zuvor. Wir haben da juristisches Neuland betreten. Wir brauchten ja aber irgendeine Form der Rechtsgrundlage. Ich musste den Rechtsberatern viele Informationen vorab zuliefern, um mögliche Szenarien durchzuspielen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Moßbrucker: Im Prinzip war das ein Henne-Ei-Problem. Wir mussten den Jurist*innen genau darstellen, was wir sehen werden, ohne genau zu wissen, was wir sehen werden. Erst dann konnten die sagen: ‚Ja, das dürfen Sie, aber an jenem Punkt wäre Schluss.‘ Letztlich haben wir im Ping-Pong-Verfahren Informationen und Einschätzungen ausgetauscht, bis wir die roten Linien identifiziert hatten, die wir rechtlich bei der Recherche nicht übertreten dürfen.

Haben Sie keine Bedenken, dass Sie wegen rechtlicher Restriktionen eine Recherche komplett abbrechen müssen?

Moßbrucker: Theoretisch ja, aber in der Praxis erübrigen sie sich oft. Natürlich könnte es passieren, dass ich Informationen erhalte über Betroffene, die gerade einen Missbrauch erleben. Das müsste und würde ich unabhängig von der Rechtslage direkt melden, um das Kind zu retten. Praktisch kommen solche Situationen aber nie vor. Die Täter*innen sind ja nicht blöd und machen es extrem schwer, sie oder die Betroffenen zu identifizieren. Die Ermittlungsbehörden sind in diesen Darknet-Foren ebenfalls unterwegs und haben das dezidierte Ziel, Betroffene und Täter*innen zu identifizieren, sie wären also besser und schneller als ich darin. Wir recherchieren dort wegen der Strukturen der pädokriminellen Szene, nicht aber wegen irgendwelcher Einzelfälle. Das ist Job der Polizei.

Behörden und journalistische Arbeit, wie geht das überhaupt zusammen?

Beer: Grundsätzlich arbeite ich nicht mit der Polizei zusammen. Andernfalls vergrault man sich Menschen, die sonst aus gutem Grund nicht mehr mit mir reden würden – etwa beim Thema Drogenhandel. Dass ich im Team Informationen weitergeben muss, weil jemand in akuter Gefahr schwebt, ist selten.

Moßbrucker: Ja, natürlich kann es Kommunikation geben, aber eine Kooperation mit der Polizei schließe ich auch aus.

Trotzdem gibt es Situationen, in denen Sie mit Informationen an Behörden herantreten.

Beer: Bei der Recherche zu einem Ex-Direktkanditaten von „Die Partei“, in der es unter anderem um bezahlte sexuelle Handlungen mit Minderjährigen ging, haben wir die Konfrontation hinausgezögert, um mögliche Ermittlungen nicht zu gefährden. Eine Expertin hat uns das geraten, da ihrer Einschätzung nach eine Konfrontation zu einem früheren Zeitpunkt zur Vernichtung von Beweismaterial hätte führen können. Darum haben wir einige Wochen gewartet. Ob die Ermittlungsbehörden dann tatsächlich zügig weitere Schritte gehen, ist wieder eine andere Sache. Es war jedenfalls auch klar, dass wir nicht unendlich warten können mit der Konfrontation. So eine Entscheidung würde ich aber nie allein treffen, sondern immer nur im Team.

Moßbrucker: Bei uns ging es weniger um konkrete Täter*innen als um die Ermittlungsbehörden selbst. Wir haben uns gefragt: Das pädokriminelle Material lässt sich löschen, wieso machen das Polizei und Staatsanwaltschaften nicht? Hätten wir die Behörden frühzeitig informiert, hätten wir unsere Recherche zerstört. Darum haben wir erst recherchiert und zum Schluss die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.

Woher wissen Sie, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist?

Beer: Das ist sehr unterschiedlich. Wenn ich erkenne, dass sich eine Person in unmittelbarer Gefahr befindet, muss ich entsprechende Behörden schnellstmöglich informieren – das kommt extrem selten vor, in den allermeisten Fällen spielen sich meine Recherchen unter dieser juristischen Schwelle ab. Da muss ich dann nichts melden – das ist eher eine ethische Abwägung im Team.

Wie sieht so eine ethische Abwägung konkret aus?

Beer: Bei einer Recherche stellte ich einmal fest, dass ein Mann Kinder über YouTube kontaktiert hat. Sie sollten sich im Schlafanzug fesseln. Ich konnte sehen, dass dieser Mann im Netz nach gebrauchten Schlafanzügen für Kinder und nach Fesselutensilien gesucht hat. Da hatte ich ein sehr ungutes Bauchgefühl, wir haben das im Team besprochen und gemeinsam entschieden, das zeitnah weiterzugegeben.

Moßbrucker: Das Problem ist, selten kann man Täter*innen so konkret benennen. Ich war 2015 in der damals größten, deutschsprachigen Darknet-Community auf Recherche. Da haben Leute schwadroniert, Molotow-Cocktails auf Flüchtlingsheime zu werfen. Es ging aber nie um konkrete Absprachen von Rechtsradikalen. Wir haben das damals im Team besprochen und nichts angezeigt. Wenn ich jedes Mal eine Anzeige erstatten würde, wenn Menschen Mist im Darknet schreiben, müsste ich pro Tag an die 500 Meldungen gegen Unbekannt machen. Letztlich ist es für mich so: Es ist nicht mein Job, als Journalist für Recht und Ordnung zu sorgen, sondern strukturelle Missstände zu recherchieren.

Und trotzdem will man ja möglichst integer handeln. Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Beer: Meistens geht es anders. In einem anderen Fall ging es um Frauen, zu denen intime Bilder im Netz kursierten – denen habe ich die Inhalte auf einem verschlüsselten Stick zur Verfügung gestellt und es ihnen selbst überlassen, ob sie damit zur Polizei gehen oder einfach löschen. Ich finde es wichtig, den Betroffenen da so viel Kontrolle wie möglich zu überlassen.

Eigene Moralvorstellungen und die anderer stimmen nicht immer überein. Was, wenn die Meinungen im Team darüber, was ratsam wäre, auseinandergehen?

Beer: Wenn man lange an einer Recherche arbeitet, ist eine Meinung von außen, von anderen Kollegen und manchmal auch Experten, bei solchen Entscheidungen essentiell. Denn man verliert womöglich selbst den Blick dafür, wenn man lange mit viel Leid und Ungerechtigkeit konfrontiert ist. Ich hatte es auch schon, dass Kollegen gesagt haben: Nein, das geben wir nicht weiter und ich zuerst anderer Meinung war. Rückblickend und mit Abstand zur Recherche muss ich sagen: Sie hatten Recht und ich bin froh, dass wir am Ende so entschieden haben.

Moßbrucker: Dieses ethische Dilemma kenne ich auch. Wir hätten bei unserer Recherche noch so viel mehr pädokriminelle Inhalte offline nehmen können, mithilfe eines sehr mächtigen Tools, das wir für die Recherche entwickelt hatten. Da widersprachen mir aber die erfahreneren Kollegen: Das sei nicht unsere Rolle. Wir seien nicht die Polizei. Unsere Aufgabe war ein „proof of concept“. Wir mussten mit unserem Tool beweisen, dass es wirklich funktioniert und das BKA damit konfrontieren, warum sie es nicht tun. Als uns das gelungen war, hatte ich phasenweise natürlich den Impuls, einfach noch mehr von diesem Material aus dem Netz zu holen –  und es war für mich emotional die schwerste Entscheidung in der ganzen Recherche, es nicht zu tun. Letztlich war die Teamentscheidung aber die richtige: Ein „tabula rasa“, alle Dateien einfach offline zu nehmen, hätte nichts gebracht – es hat sich ja bei der Konfrontation mit dem BKA gezeigt, dass die Behörden gar nicht vorhaben, unsere Arbeit weiter voranzutreiben.

Investigativ an der Grenze zur Illegalität arbeiten – geht das auch als freie*r Journalist*in ohne Anschluss an eine Redaktion?

Moßbrucker: Theoretisch ja, praktisch würde ich das auf gar keinen Fall empfehlen. Man braucht die Rechtsberatung, man braucht das Team zum Austausch. Selbst wenn ich zehn Jahre Berufserfahrung mehr in diesem Bereich hätte, hielte ich es für illusorisch, dass man auf eigene Faust stets sicher und verantwortungsvoll fährt.

Beer: Das Hauptproblem bei unserer Arbeit ist nicht die Frage: Muss ich eine Information weitergeben oder nicht? Das Hauptproblem ist, dass man sich bei manchen Themen extrem schnell strafbar macht. Und wenn man da keine rechtliche Beratung einholt und nicht mal redaktionellen Rückhalt hat, wird es sehr schwierig. Nur weil man Journalistin ist, hat man keinen juristischen Freifahrtschein.

Moßbrucker: Genau. Wir sind diejenigen, die sich im Zweifel strafbar machen, nicht der Sender, nicht die Chefredaktion, nicht das Justitiariat. Ein Justitiar sagte einmal zu mir: Herr Moßbrucker, wir machen eine Analyse für Sie und das ist unsere Einschätzung. Am Ende tragen Sie als handelnde Journalisten aber das strafrechtliche Risiko.

Im Zweifel müssen Sie nicht nur juristisch den Kopf hinhalten, bei einer Reportergeschichte sind Sie nach Veröffentlichung auch mit Klarnamen und Gesicht zu sehen. Wie schützen Sie sich denn im Nachgang einer Recherche vor möglichen Reaktionen von Täter*innen?

Moßbrucker: Eine Recherche ist eine Teamarbeit, bei der Recherche für „Strg_f“ bin ich am Ende aber Daniel, der im größten Pädokriminellen-Forum hunderttausende Inhalte gelöscht hat. Natürlich war die Community sauer. In dem Fall hatte ich aber weniger Sorge, dass ein Pädokrimineller an meiner Haustür klopft und sagt: ‘Ich bin pädophil und haue Dir eine auf die Zwölf, weil Du meine Bilder gelöscht hast.’ Bei Nazis wäre ich da natürlich vorsichtiger.

Beer: In manchen kriminellen Communities ist es so, dass diese unter dem Radar bleiben wollen. Sie werden öffentlich also eher keine Journalist*innen angreifen. Wichtig ist aber, sich schon vor der Veröffentlichung abzusichern: Die Melderegisterauskunft sperren lassen, damit keiner so leicht an die Privatadresse kommt. Dafür kann man sich auch vom Auftraggeber als Freie*r eine entsprechende schriftliche Begründung für den Antrag einholen. Private Social Media-Profile würde ich nicht öffentlich stellen. Teile ich meine Lieblingsorte, Familie, Partner*in? Das würde ich keinem raten. Eine Gefahr für Journalist*innen in der heutigen Zeit sehe ich nämlich darin, dass andere Leute diese privaten Daten veröffentlichen.

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