Unbesprochen – die TV-Kritik
In dieser Reihe rezensieren wir Fernsehsendungen, die sonst kaum von Journalisten beachtet werden. Wenn Sie gerne eine Sendung besprochen sähen – schreiben Sie uns.
Es gibt Erfindungen, die sind eigentlich für Kinder gedacht und ergötzen dennoch die Eltern. Die Modelleisenbahn ist so eine Nummer, aber auch viele Fensterbild-Malvorlagen werden von „total kreativen“, bastelaffinen Müttern gekauft, die dann ihre Jungen zum Jagen tragen und sie danach wiederum rhetorisch brillant davon überzeugen, dass die Oma sich aber sehr freuen wird, wenn sie so ein hübsches Bild …
Die Produktpalette dieser Für-Kinder-und-vor-allem-für-Eltern-Ideen ist reich. Die Überraschungsei-Börsen gibt es für Erwachsene, nicht für Kinder. Bärchentagesdecken, Schnullerketten, Bebe-Gesichtsmilk. Nutella wirbt damit, dass der Vater die Nuss-Nougat-Creme mindestens genauso liebt wie seine Kinder.
Bei der Nachrichten-Sendung „logo“ des ZDF im KiKa ist es vom Prinzip her nicht viel anders. Eigentlich ist das Format, das seit 1989 fester Bestandteil pädagogisch und moralisch einwandfreier Medienerziehung ist, für Kinder konzipiert. Es funktioniert, weil es deren Eltern (oder Lehrer, Trainer, Babysitter) goutieren.
In dieser Reihe rezensieren wir Fernsehsendungen, die sonst kaum von Journalisten beachtet werden. Wenn Sie gerne eine Sendung besprochen sähen – schreiben Sie uns.
Das liegt zum einen an den extrem aufbereiteten Erklärstücken, die ganz ohne Händeschüttel-Bilder oder Dienstwagen-fährt-vor-Szenen auskommt. „Logo“ erklärt so, wie Kinder denken. Und setzt keinerlei Vorwissen voraus. Opposition heißt nicht Opposition, sondern: Parteien, die aufpassen, dass die Regierung keinen Mist baut. Wer so radikal voraussetzungslos erklärt, nimmt jeden mit.
Das liegt, zum zweiten, aber auch an der großen Anzahl von Tierfilmen, die Kinder abholen und Erwachsenen vermitteln: „harmlos“, „lehrreich“, „süß“. Zucker und Kindererziehung gehören heute untrennbar zusammen.
Vor allem aber liegt es an der Sprache: einfache Sätze, die erklären, ohne zu verstopfen. Ehrlicherweise waren nicht die Redakteure der Redaktion „Logo“ die Erfinder dieser Sprache, sondern Christoph Biemann und Armin Maiwald von der „Sendung mit der Maus“ („Als ich morgens beim Frühstück saß und mir eine Scheibe Käse nahm, habe ich mich sicherlich zum Hundertsten Mal gefragt: Wie kommen eigentlich die Löcher in den Käse?“).
Ein typischer Beitrag von „Logo“ sieht so aus: Eine geheime Schule in Afghanistan wird besucht, Mädchen, die eigentlich nicht unterrichtet werden dürfen, werden von einer 17-jährigen Lehrerin unterrichtet. Das sperrige Wort Taliban bekommt eine Identifikationsnähe.
Wenn man als Zuschauer dann genauer wissen möchte, wer oder was die Taliban ist, erfährt man in knapp anderthalb Minuten:
Besser könnte das auch ein Politikprofi auf einer Sommerparty nicht erklären. Jedenfalls nicht in 1:16 Minuten.
Apropos Vollpolitiker: Es gibt kaum einen, der nicht nach „Logo“ befragt, ins Schwärmen gerät: Selbst die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat in einem Artikel, der eigentlich die Öffentlich-Rechtlichen kritisiert, „Logo“ ausdrücklich gelobt. Die Sendung stelle die wichtigsten unterschiedlichen Positionen bei wichtigen Themen „einfach, aber klar“ und „fair“ dar.
Schröder rückte sich selbst gleich ins richtige Licht. Sie sei „Zuschauerin der ersten Stunde“ und schaue als abendliches Ritual mit allen drei Kindern tagtäglich „Logo“.
Katrin Wilkens, Jahrgang 1971, hat Rhetorik studiert und beim Heidelberger „kress report“ volontiert. Dort hat sie noch vom Gründer des Branchenmagazin, Günther Kress, gelernt, dass man in Reportagen niemals „Bereich“ schreiben darf („Bettnässer-Rhetorik“) und dass „rasant“ das Gegenteil dessen meint, was man gemeinhin denkt. Seit 2000 schreibt sie als freiberufliche Journalistin u.a. für den „Spiegel“ und die „Zeit“.
Das klingt geradezu vorbildlich. Ich backe Dinkelkekse und bringe meinen Kindern politische Bildung bei, aber gerade bevor ich als Nerd verschrien werden könnte, nehme ich „Logo“ als Blaupause für anspruchsvoll und unterhaltsam. Wenn man „Logo“ also lobt, dann lobt man sich selbst auch immer ein bisschen. Würde Frau Schröder auch öffentlich bekennen, dass zum wöchentlichen Entspannungsritual das Durchblättern der „Gala“ einfach dazugehöre, gern mit einer eisgekühlten Cola und einer Milchschnitte?
Meine Tochter Lulu, 12 Jahre, erklärt mir grinsend: „Ja, genau, das machen unsere Lehrer auch so. Wenn Vertretungsstunde ist, ist es bestimmt uncool vor anderen Lehrern zu sagen: Ich habe einen Film gezeigt. Bei ‚logo‘ ist das nicht so schlimm. Es sind ja Nachrichten.“ Genau seit sieben Jahren ist die Kinder-Nachrichtensendung ein fester Bestandteil ihres Lehrplanes.
Würde sie das auch zu Hause gucken, auf dem Fernseher, ihrem Handy? „Nein, wieso das denn? Ich habe das nur einmal mit Großmutter geguckt, weil ich nicht wusste, ob sie ‚Toggo‘ mag“, erklärt sie schamlos und nennt damit auch den wichtigsten Grund, warum die Sendung seit über 30 Jahren funktioniert: Ablass. „Logo“ ist wie Comics lesen, aber wenn, dann schon bitte Asterix und mit Niveau. Wenn schon Vertretungsstunde und Film, dann wenigstens „Nachrichten für Kinder“. Dass die kleinen Zuschauer das genauso schnell durchschauen wie Lehrer, wenn ein Schüler vor ihnen treuherzig beteuert: „Mein Hund hat die Schulaufgaben gegessen“, tut dem Erfolg keinen Abbruch.
Und dass sich nur der (erwachsene) Zuschauer an die Kinder anbiedert, aber nie die Redaktion an die Politiker, kann man an den unschlagbaren Kinder-Interviews erkennen, die durch die Sendung und das Netz wabern. Wenn ein Kinderreporter im „Logo“-Sommerinterview Olaf Scholz fragt: „Ist Ihnen schon mal etwas richtig Peinliches passiert, wo Sie rot wurden?“ Und er „Ja“ antwortet – und mehr nicht, dann kann man mit keiner Frage Scholz in seiner strategischen Verschlossenheit kürzer portraitieren.
Christian Lindner, FDP, wurde einst aufgefordert, auf seinen Namen einen Reim zu machen, und schlug „Mein Name ist Christian Lindner und nicht minder“ vor. Fortschritt durch Leistung. FDP.
Und der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, der im Interview mit „Logo“-Kinderreportern zwar „mehr deutsche Gedichte und deutsches Liedgut“ fordert, aber auf Nachfrage kein einziges nennen konnte, ist inzwischen zu einem Meme geworden.
Verdichteter kann man deutsche Politiker kaum vorführen. Kinderzuschauer lachen darüber nur nicht, weil ihnen das Vorwissen zu diesen Politikern fehlt. „Aber du kriegst immer gute Laune, wenn du sowas siehst“, sagt Lulu und ich ahne, dass sie das gleich in Eiskugelverhandlungen strategisch nutzen wird. Ein Vorteil zweiter Ordnung. Auch das ist „Logo“.
Vor allem aber hat das Konzept, das dieses Jahr den Hanns-Joachim-Friedrichs Preis für seine vorbildliche Berichterstattung über den Ukraine-Krieg bekommt, längst Ableger in den erwachsenen News-Formaten. Selbst die „Tagesschau“ hat inzwischen minimal anmutende, comic-ähnliche Erklärstücke in ihren Hauptnachrichten, nur das die tonliche Unterlegung eines Plopp-Geräusches oder die gemalten Männchen als Verstärkung fehlen.
Damit gewinnt die „Tagesschau“ nicht unbedingt an Seriosität, aber an Zuschauern, die goutieren, dass sie vorwiegend vorwissensfrei abgeholt werden. Das nimmt Druck aus der Rezeption. Andererseits hat es auch eine subtile Infantilisierung zu Folge. Die Notwendigkeit von bunten Rausschmeißer-Themen nimmt zu. Als der Eisbär Knut im Berliner Zoo verstarb, war das der „Tagesschau“ einen langen, rührseligen Beitrag wert.
Infantilisiert „Logo“ die herkömmlichen Nachrichtensendungen oder profitieren die von manchem jungen Zuschauer, der die „Tagesschau“ um 20 Uhr nicht mehr als Abendritual anerkennen mag? Anstelle einer Antwort soll dieser Artikel hier mit einem Zitat aus der typischen Zielgruppe enden: „Ich finde, ‚Logo‘ ist wie Zuckerschoten, die du manchmal kochst. Nicht voll eklig, aber man würde sie sich auch nicht freiwillig nehmen“, sagt Lulu. „Aber: Man kommt schneller zu seinem Nachtisch, wenn man die isst, und hinterher denkt man irgendwie: war doch nicht so eklig, wie man erst dachte.“
Ich glaube, Roald Dahl hat mal gesagt, dass Kinder das anspruchsvollere Publikum sind, denn sie langweilen sich schneller als Erwachsene.