„Hella“, ruft Tanja Schumann in die Tiefe des Raums. Es klingt unsicher, tastend, ein bisschen wie eine Frage. Schumann, Schauspielerin („RTL Samstag Nacht“) und Autorin („6 Jahre Taschengeld: (M)ein biografischer Insolvenzratgeber“), steht vor einer mit allerlei Sponsorenlogos bedruckten Fotowand und zieht eine Schnute. Ein Weile hat sie schon für die Fotografen posiert, doch deren Interesse an ihr hält sich in Grenzen. Gemeinsam mit der prominenteren Kollegin wäre das was anderes, doch Hella kommt einfach nicht.
Ihr erster Weg von der Bühne hat Hella von Sinnen nicht, wie eigentlich vorgesehen, zur Fotowand geführt, sondern schnurstracks in die „VIP-Lounge“ innerhalb der Lobby des GOP-Varieté-Theaters in Essen. „Darf ich mich erst mal hinsetzen?“, sagt sie. Formal ist das eine Frage, die aber überhaupt nicht so klingt. Denn für Hella von Sinnen ist klar: Darf sie. Macht sie. Wie sie im Verlauf des Abends auch am offenen Fenster raucht.
Die Fotografen werden unruhig. „Ja Freunde, ich bin doch hier“, schnarrt es aus der VIP-Lounge. Und: „Ich hab sofort wieder schlechte Laune.“ Warum, wird nicht ganz klar, könnte mit den Fotografen zu tun haben, die ihren Job machen wollen – jetzt halt drüben an der VIP-Lounge mit einer sitzenden Hella von Sinnen als Motiv. „Warum willst du ein Interview mit mir machen“, pflaumt von Sinnen einen Journalisten an. „Jetzt sprich!“ Ja, warum eigentlich? Sie stellt die richtige Frage – aber im falschen Ton.
„40 Jahre Privatfernsehen“ – nach 38 Jahren
Es ist Samstagabend, und im GOP-Varieté-Theater wird die „Goldene Sonne“ verliehen, veranstaltet vom auf Urlaubsreisen spezialisierten Verkaufssender Sonnenklar-TV. Die Moderatoren Mary Amiri und Kai Pätzmann führen durch die Gala, und „Deluxe – the Radioband“ spielt im Sitzen, was immer ein untrüglicher Hinweis auf einen langen Abend ist.
In diesem Jahr ist es eine Spezialausgabe, die „Goldene Sonne“ feiert 40 Jahre Privatfernsehen und ist damit ein bisschen früh dran. Das Kabelpilotprojekt Ludwigshafen, das als Start des dualen Rundfunksystems in Deutschland gilt, begann erst Anfang 1984. Aber, halt, stopp – das ist jetzt auf eine Art kleinlich, die nicht zu dieser Veranstaltung passt, die überaus großzügig ist.
Der Autor
David Denk, geboren 1981 in Düsseldorf, war Volontär, Redakteur und Ressortleiter bei der „taz“ und Redakteur im Medienressort der „Süddeutschen Zeitung“. Nach einem Intermezzo in der Produktionsbranche arbeitet er nun als freier Journalist, unter anderem für radioeins vom rbb.
Es ist ein merkwürdig offenherziger Titel, denn bei „Goldene Sonne“ schwingt ja nicht nur Urlaub mit, sondern immer auch eine Vorahnung von deren Untergang, gute Nacht, Licht aus. Überhaupt darf man nicht den Fehler machen, diese Veranstaltung mit einer Preisverleihung zu verwechseln, bei der Exzellenz ausgezeichnet wird. Es ist vielmehr ein Instrument zur Kundenbindung, und die Sonnenklar-TV-Kundschaft erlebt an diesem Abend Hella von Sinnen und Tanja Schumann und Werner Schulze-Erdel und Jörg Wontorra und Maren Gilzer und Peter Illmann und und und, live und in Farbe. Wenn es gut läuft, ist sogar eine Zigarette mit Jörg Draeger drin. Oder zwei. Vielleicht muss man ihm auch eine abgeben.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die geschätzt 150 anwesenden Zuschauer auch eine Gala zu 38 Jahren Privatfernsehen gebucht hätten. 229 Euro kostet der Spaß – inklusive zwei Hotelübernachtungen, Gala-Abend mit Dinner und Aftershowparty, einem Barbecueabend am Vortag, einem Kinobesuch und einer topmodernen VR-Stadtführung durch die Essener Innenstadt, in der Henning Baum mitspielt.
Die Quote: 35 von 100 Promis haben zugesagt
Die Ein-Mann-Jury der „Goldenen Sonne“ heißt Holm Dressler. Der Autor, Regisseur, Produzent und Gottschalk-Weggefährte fungiert seit einigen Jahren als „Künstlerischer Leiter“ der „Goldenen Sonne“, die normalerweise im Wunderland Kalkar verliehen wird, einem zum Vergnügungspark mutierten, nie ans Netz gegangenen Kernkraftwerk am Niederrhein. „Eine Goldene Sonne wird grundsätzlich für herausragende Lebensleistungen vergeben und nicht für kurzfristige Erfolge“, heißt es im Programmheft, doch die eigentliche Grundlage der Juryarbeit ist Dresslers offenbar umfangreiches Adressbuch. Rund 100 Promis aus der Branche habe er angerufen, erzählt Dressler, 35 hätten zugesagt – keine schlechte Quote, findet er.
Vier Nominierungen gibt es pro Kategorie. Wer kommt, wird mit einem Preis belohnt und mit der Zuneigung der Zielgruppe – das ist der Deal. Deswegen werden in der Kategorie „Comedy“ neben Schumann und von Sinnen auch noch Lisa Fitz und Tom Gerhardt ausgezeichnet. Und weil man mit Preisen nicht geizig ist bei Sonnenklar-TV, gibt es am Ende des Abends auch noch einen Überraschungspreis für Zeremonienmeister Dressler. Den hat der als Herz und Hirn dieses Preises auch mehr als verdient, denn er verleiht der Veranstaltung einen Anstrich von Ernsthaftigkeit, ohne den sie umgehend implodieren würde. Übrig bliebe teurer Quatsch. „Ich nehme diese Aufgabe genauso ernst wie damals ‚Wetten, dass..?'“, sagt er. Man glaubt es ihm sogar.
Der einzige, der einen Preis bekommt, ohne dafür nach Essen reisen zu müssen, ist Prof. Dr. Helmut Thoma, der RTL-Gründer und Godfather des Privatfernsehens in Deutschland. Sogar Legenden können sich bei der „Goldenen Sonne“ noch verbessern: 2016 musste Thoma seine Trophäe noch persönlich abholen. Es gibt offenbar herausragende Lebensleistungen, die so herausragend sind, dass sie für mehr als eine Auszeichnung gut sind. Aber das ist ja schon wieder so kleinlich.
Vielleicht nicht die Zukunft, aber doch ziemlich sicher die Gegenwart des Privatfernsehens liegt in seiner Vergangenheit. Das ZDF öffnet sein Archiv, war kürzlich in den Mediendiensten zu lesen. Darüber kann man bei RTL, Sat.1 & Co. nur müde lächeln. Dort geht man einen entscheidenden Schritt weiter – und sendet sein Archiv bzw. die jeweiligen Neuauflagen alter Sendungen. Entsprechend gelöst ist die Stimmung auch bei den Preisträgern in der Kategorie „Game“, denn zumindest Jörg Draeger und Harry Wijnvoord sind wieder gut im Geschäft, seit ihre Spielshowformate „Geh aufs Ganze“ und „Der Preis ist heiß“ jüngst wiederbelebt wurden.
Mit dem Treppenlift die Showtreppe runter
Wijnvoord wirkt fest entschlossen, diesen Triumph – auch über den Jugendwahn – auszukosten. „Nach 25 Jahren komme ich wieder“, sagt der 73-Jährige, „und die Quote stellt alles in den Schatten, was RTL heute zu bieten hat.“ Aber wäre es ihm nicht lieber, mit einem neuen Format noch einmal so erfolgreich zu sein? Wijnvoord winkt ab: „Ich will das Fernsehen nicht neu erfinden, sondern die Herzen der Leute erreichen, und das tue ich.“ Wenn es nach ihm geht, noch sehr lange: „Ich möchte der erste Fernsehmoderator in Deutschland sein, der mit dem Treppenlift die Showtreppe runterkommt.“ Nach dem Applaus zu urteilen, klappt das tatsächlich noch ziemlich gut mit den Herzen der Leute.
1.876 Mal hat Wijnvoord „Der Preis ist heiß“ moderiert, das weiß er selbstverständlich auswendig. Sein Kollege Werner Schulze-Erdel kann auf stolze 2.700 Sendungen „Familienduell“ zurückblicken und immerhin noch 1034 Mal „Ruck Zuck“. Und noch eine Zahl beschäftigt den 74-jährigen Schulze-Erdel auf der Bühne: 5,7 Prozent Rentenerhöhung zum 1. Juli. Worüber Veteranen halt so reden, wenn man sie lässt.
Der Eindruck ist: Mit den Männern hat es das Privatfernsehen in 40 Jahren ungleich besser gemeint als mit den Frauen (der Zahn der Zeit nicht unbedingt). Zumindest geraten die Auftritte von Marijke Amado, Maren Gilzer und Lisa Fitz trotzig bis bitter. Amado erzählt von einem Schrank, den sie 1978 gekauft habe, für ihre deutschen Preise. „Der war immer leer, und das ist der erste.“ Und was ist mit dem „Goldenen Blogger“ 2022 in der Kategorie „Bester Social-Media-Auftritt einer Celebrity auf Instagram“? Aber wir wollten ja nicht kleinlich sein.
„Ich habe soooo viel Kohle verdient“
Auch mit Maren Gilzer möchte man eher nicht tauschen. Gerade erst wurde sie beim „Glücksrad“-Revival von Sonya Kraus ausgebootet, und auch für die „Goldene Sonne“ war eigentlich nicht sie nominiert, sondern ihr früherer „Glücksrad“-Kollege Frederic Meisner, der kurzfristig abgesagt hat. Auf der Bühne in Essen nutzt sie die Gelegenheit, daran zu erinnern, wie sie als „Buchstabenfee“ (allein dieses Wort!) von der Presse „ganz schön niedergemacht und mega angeprangert“ wurde, von wegen stumm und dumm – aber auch daran, was sie über diesen Liebesentzug hinweggetröstet hat: „Ich habe soooo viel Kohle verdient – zehn Jahre, auf Lohnsteuerkarte!“
Und Lisa Fitz? Ach, Lisa Fitz.
Vorsicht Verallgemeinerung, aber vielleicht sind Frauen tendenziell zu bescheiden für das Platzhirsch-optimierte Medium Fernsehen. Der Ausspruch „Wo ich bin, ist die Kamera! Und bitte nicht schneiden“ stammt jedenfalls nicht von einer Frau, sondern von Jörg Draeger.
Zwischendurch wird noch ein bisschen Werbung gemacht für das Musical „Zeppelin“ von Ralph Siegel, Ehrenpreisträger der „Goldenen Sonne“ 2021 und auch 2022 wieder am Start; „10 Prozent Kartenrabatt unter www.sonnenklar.tv/zeppelin“, informiert eine Bauchbinde die Fernsehzuschauer. Und falls sich jemand gefragt haben sollte, was Markus („Ich will Spaß“) und Limahl („Too Shy“) heute so machen: Sie vergolden ihre vergangenen Erfolge mit einem Auftritt bei der „Goldenen Sonne“.
Auf der Aftershowparty bietet sich dann noch die seltene Gelegenheit, einen Preisträger bei der Arbeit zu beobachten: Peer Kusmagk, ausgezeichnet in der Kategorie Serie, weil er lange vor dem „Dschungelcamp“ eine Hauptrolle bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ spielte, von 2001 bis 2003, führt Interviews für seinen neuen Heimatsender Mallorca E1NS – wohlgemerkt: führt, nicht gibt.
Im Arbeitsmodus befindet sich auch Christian Oberfuchshuber. Aber das ist wahrscheinlich genetisch, denn Oberfuchshuber gehört zur working class der TV-Unterhaltung. Der blonde Mann im sehr roten Smoking ist Warmupper, vielleicht der beste Deutschlands. Seit 25 Jahren macht er das und bekommt dafür an diesem Abend eine „Goldene Sonne“. Und siehe da: „Goldene Sonne“ kann nicht nur nach Untergang klingen, sondern auch einen Gesichtsausdruck beschreiben, den von Oberfuchshuber. Er strahlt übers ganze Gesicht und hält seinen Preis in jede Kamera.
Der einzige Wermutstropfen: Er bekommt ihn schon vor der Gala, was einerseits einer gewissen Logik folgt, andererseits wünscht sich Oberfuchshuber erklärtermaßen mehr Wertschätzung für seine Zunft. Da sei „noch Luft nach oben“, sagt er. „Meine Kollegen und ich unterstützen sehr viele Formate, die ohne uns recht blass aussehen würden.“ Und ein schönes Zeichen der Wertschätzung wäre es gewesen, im „Hauptprogramm“ geehrt zu werden.
Oberfuchshuber erzählt, dass er sich bewusst für die damals noch junge Disziplin Warm-Up entschieden hat, „um in der Branche Fuß zu fassen“, tut aber auch nicht so, als wäre damit das Ziel seiner Träume erreicht: „Ich glaube, jeder Warm-Upper hätte lieber selbst einen Warm-Upper.“ Allerdings sei er auch dankbar für seine Karriere, habe er doch so viele Moderatorinnen und Moderatoren kommen und gehen sehen – „und ich bin immer noch da“.
Das gilt auch für Tanja Schumann, um die sich kurz vor Mitternacht in der VIP-Lounge ein kleiner Kreis bildet: Ein Zirkel von Gratulanten, denn Schumann hat am Sonntag Geburtstag. Sie wird 60 Jahre alt – auch schon, möchte man anfügen. Ein runder Geburtstag, und Schumann feiert auf der Aftershowparty der „Goldenen Sonne 2022“ rein. Wer da nicht kurz durchschnaufen muss, hat kein Herz. Gut, der Sekt ist gratis, aber nicht wenige Promi-Nominierte haben an diesem Abend deutlich schlechtere Gründe, der Veranstaltung fernzubleiben als ihren eigenen Geburtstag.
3 Kommentare
Der Zonk war nicht da? Ich bin tief enttäuscht :-/
Zeig mir den Platz
an der Sonne…
Ach nee, das war ARD.
Zielgruppengerecht… 🤐
Aber ja: Wo mir der Name nix sagte kam mir doch zumindest das Gesicht meist irgendwie bekannt vor.
Der Zonk war nicht da? Ich bin tief enttäuscht :-/
Zeig mir den Platz
an der Sonne…
Ach nee, das war ARD.
Zielgruppengerecht… 🤐
Aber ja: Wo mir der Name nix sagte kam mir doch zumindest das Gesicht meist irgendwie bekannt vor.