Neues ZDF-Format „Sag’s mir“

Ich sehe kein Thema, ich sehe nur Menschen und Marken

Mit 13 Fragen soll man sich politisch näher kommen können, das zeigt das gleichnamige ZDF-Format „13 Fragen“; mit 36 Fragen soll man sich verlieben können, das zeigte ein amerikanischer Psychologe in den 90er-Jahren.

Irgendwas dazwischen ist das Konzept der neuen Sendung „Sag’s Mir“, die vom ZDF als „Experiment“ beworben wird. Der Sender will damit versuchen, das gesellschaftliche Auseinanderdriften zu schlichten, das sich in den polemisierten und polarisierten Debatten zeigt. „Sag’s mir“ soll sich mittwochs im neuen ZDF-Youtube-Kanal „unbubble“ mit dem vielfach (auch bei Übermedien) gelobten Format „13 Fragen“ abwechseln.

Die „besondere Ausgangslage“ von „Sag’s mir“ sei, dass sich die zwei Protagonist:innen „zunächst gegenseitig eine Reihe vorgegebener, sehr persönlicher Fragen stellen, über die in kurzer Zeit zwischenmenschliche Nähe aufgebaut“ werden soll. Das Motto:

„Raus aus der eigenen Blase, rein in den Austausch! ‚unbubble‘ geht der Frage nach, wie sich die Menschen in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft wieder miteinander ins Gespräch bringen lassen.“

In der Sendung selbst wird zu Beginn das Konzept so präsentiert: „Was passiert, wenn sich zwei fremde Menschen, die unterschiedliche Meinungen haben, sich emotional annähern sollen? Wir haben es getestet!“ Dabei greift „Sag’s mir“ auch auf ein 25 Jahre altes Konzept des US-amerikanischen Psychologie-Professors Arthur Aron zurück.

Screenshot der Sendung "Sag's mir" mit Einbledung zu Arthur Arons Studie
Fragen fragen: ZDF-Sendung „Sag’s mir“ Screenshot: youtube/unbubble

Arons Idee war es 1997, das Ineinander-Verlieben zweier Menschen zu beschleunigen. Von den damals in einem Experiment eingesetzten 36 Fragen nutzt nun auch das neue ZDF-Format einige, um das Eis zwischen den Protagonist:innen von „Sag’s mir“ zu brechen.

Über dieses Kennenlernen mit Hilfe von Fragen soll es zwei Teilnehmer:innen ermöglicht werden, sich anschließend respektvoll zu streiten. In der ersten Folge geht es so um die Heilung von Traumata, hundertprozentige Ich-Findung – und um das heiße Eisen, das die Nation spaltet, genau: Kiffen aka Bubatz rauchen. Bevor es aber (Spoiler: nicht wirklich) dazu kommt, müssen die zwei Fremden sich erstmal ihre Traumata erzählen, logisch.

Die Frage, die sich da gleich stellt: Begegnen sich im Alltag nicht ständig Fremde mit verschiedenen Meinungen, die sich emotional annähern?

Eine Woche in Berlin mit den Öffis fahren (9-Euro-Ticket!) und man erlebt etwa, wie ein Bus- und ein Taxifahrer sich sehr emotional annähern, weil sie unterschiedlicher Meinung über ihren Verkehrsunfall sind. Oder man bekommt mit, wie ein U-Bahn-Fahrgast sich aufgrund der Handymusik seiner Sitznachbarin äußerst emotional mitteilt. Nur politisch-argumentativ wird es im ÖPNV selten. „Sag’s mir“ geht es jedoch genau darum: Inwiefern können sich Personen mit konträren Meinung zu einem Thema annähern, wenn sie sich zuvor persönlich kennenlernen?

Overalls und Adjektive

„Das Gespräch findet anonymisiert statt“, erklärt uns die Sendung:

„Alle erkennbaren Merkmale, die auf Klasse, sozialen Status oder persönlichen Geschmack hinweisen, werden in diesem Experiment eliminiert.“

Und zwar über ein Umstyling: Beide Kandidat:innen müssen ihren Schmuck und ihre Kleidung ablegen. Doch sie bekommen – wir sind hier ja nicht bei „Adam sucht Eva“ auf RTL – farblich zur Kulisse passende Overalls. Und siehe da: Klasse, Status, all die feinen Unterschiede des persönlichen Geschmacks sind wie weggezaubert.

Screenshot: "Sag's mir"

Wie aber jeder weiß, geht es bei Zauberei um die Illusion – und alles Verschwundene muss wieder hervorgezaubert werden. Beim richtigen Timing unterscheiden sich die Houdinis dieser Welt dann allerdings von den Hobby-Zauberer:innen aus der Nachbarschaft. Bei „Sag’s mir“ ist der Habitus so schnell wieder offensichtlich, dass einem seine Abwesenheit kaum auffiel. Gleich in der ersten Frage, die sich die Kandidat:innen stellen sollen, werden sie aufgefordert, sich mit drei Adjektiven zu beschreiben.

(Denken Sie jetzt bei den genannten Adjektiven nicht ans liberale Start-Up Milieu, ok?)

Los geht’s! Antwort 1: „Ich bin unabhängig, frei – ist ja das gleiche ungefähr, ähm – ich bin selbstbewusst und trotzdem bescheiden. Ich glaube, drei Wörter reichen nicht, um mich zu beschreiben, hihihi.“

Antwort 2: „Ich bin zielstrebig, echt und gefühlvoll.“

(Haben Sie es durchgehalten?)

Wissensvorsprung durch Einspieler

Anders als die Kandidat:innen erfahren wir als Zuschauer:innen zu Beginn der Sendung etwas über beide Teilnehmer:innen. So wissen wir zu dank eines kleinen Einspielers, dass Nanjing Deng CBD-Produkte verkauft und dass Mathias Wald als Ex-Dealer und -Junkie in der Suchtprävention als Lifecoach arbeitet. Auf die „Kontroverse“ gemünzt heißt das: Sie ist pro, er ist kontra Kiffen.

Eine Anonymisierung des Backgrounds mag, je kontroverser das Thema ist, einen „zivilisierten“ Austausch der Argumente befördern. Wobei gerade die Frage, wer bestimmt, was als zivilisiert gilt, Angriffspunkt feministischer und antikolonialer Kritik ist. Nach Habermas jedenfalls hat sich im 18. Jahrhundert eine (vorbildliche) bürgerliche (Salon-)Öffentlichkeit gebildet, in der ausschließlich die Qualität – und dadurch der zwanglose Zwang – des besseren Arguments ausschlaggebend gewesen sein soll. Das Argument brauchte zwar einen Sprecher, doch keine Personalisierung.

Ob man als Gewaltbetroffene:r oder Gewalttäter:in über Strafrecht debattierte – was zählte, war das schlüssige Argument. Für gelingende Kommunikation sei in erster Linie wichtig, dass die Gesprächspartner:innen gegenseitig davon ausgehen, dass das Gegenüber schon mehr oder weniger die gleichen Werte teilt, die gleichen Tatsachen anerkennt und einen nicht täuschen will. Sofern das gegeben ist, bzw. die Beteiligten glauben, dass es so ist, genügt es, die eigenen Argumente anonym vorzubringen. Ein schlüssiges Argument ist ein schlüssiges Argument und die Affekte bleiben erstmal Zuhause, da wartet schließlich das Essen zubereitend die … – Sie sehen das feministische Kritikpotenzial?

Ein unambitionierter Clinch

Weit entfernt davon, sich um diese Form des Argumentierens zu bemühen, ist jedoch die Umsetzung von „Sag’s mir“. Hier steht Habermas Kopf!

Wir sehen stattdessen einen Intimitätsporno, bei dem Sexualität, Kindheit und psychische Erkrankungen in kaltem Licht ausgeleuchtet werden. Ebenso wie bei Pornografie eine Entfremdungsgefahr zur eigenen Sexualität besteht, fördert dieser Nicht-Smalltalk-Nicht-Deeptalk eine Entfremdung von der eigenen Gefühlswelt. Zum Kennenlernen werden hier nämlich (in zehn Minuten) die „größten Hürden im Leben“ ausgepackt, es geht um China, Schwul-Sein, Scham, Schuld, Ich-Sein, Befreiung, das Universum, das Empfinden von Leere, Sinn-Suche, Heilung, Vorahnungen vom eigenen Tod … uff. Und dabei sollte es eigentlich ums Kiffen gehen. Dafür bleiben nach dem gegenseitigen psychotherapeutischen Anamnese-Gespräch im Schnelldurchlauf dann aber nur noch die letzten zwei Minuten der Sendung.

Das passiert zu einem Zeitpunkt, an dem sich die beiden tatsächlich bereits „total fühlen“ (Deng), sich offenbar sympathisch finden, und sich nun (endlich!) nah genug sind, um in den argumentativen Schlagabtausch zu gehen. Dafür wird beiden der 10- bis 20-sekündige Einspieler des anderen gezeigt, die wahre Identität des gegenüber komprimiert offenbart. Wald stellt fest: „Ja, krass, jetzt verstehe ich alles.“

Es wirkt wie bei einem Boxkampf nach der zehnten Runde. Die beiden liegen an dieser Stelle so nah beieinander, sie liegen sich gewissermaßen in den Armen. Es ist ein unambitionierter Clinch zwischen dem nun alles verstehenden Wald und der CBD-Verkäuferin und -Influencerin, die mit ihrem Laden „gegen die Kriminalisierung dieser Heilpflanze“ arbeitet und dank der sogar manche Kund:innen von THC- auf CBD-Gras umgestiegen sein sollen. Ohne großen Fight lenkt der Lifecoach ein: „Ahh, das finde ich cool.“

Aufklärung oder Werbung?

Zum Abschluss der nicht so hitzigen Debatte stellt die Redaktion den beiden Kandidat:innen die entscheidende Frage: „Wollt ihr euch wiedersehen?“ Äh, Moment mal? Zum Kiffen oder wie? Was hat diese Frage mit dem Thema der Sendung zu tun? Gut, bei Arthur Arons Experiment in den späten 90er Jahren sollen zwei Teilnehmende sechs Monate später sogar geheiratet haben. Aber da ging’s ja auch um das Verlieben, bei „Sag’s mir“ eher um den Diskurs, oder? Vielleicht könnte Deng ja mit Wald zusammen an Schulen gehen und für „CBD statt THC“ werben – eine Collabo sozusagen!

War diese Sendung wohlmöglich mehr Werbung für die beiden Protagonist:innen als Aufklärung über Cannabiskonsum? Und wenn ja, wofür wird da eigentlich geworben?

Folgt man Deng, der CBD-Entrepreneurin, auf Instagram, sieht man zunächst das typische Insta-Highlife: Reisen, Strände, Pools, Yoga, Beauty, Baby- und Partnerfotos, aber auch Werbung für ihre CBD-Boutique in Berlin-Mitte. Auch dort findet man Fotos von Deng, ihrem Mann und ihrem Baby, bloß stehen sie dort häufiger zwischen meterhohen Hanfpflanzen, kiffen und verpacken Gras in Einweckgläser. Und natürlich wird auch der „Sag’s mir“-Beitrag beworben.

Auch Mathias Walds Website vermittelt erstmal den Eindruck: Hier ist jemand, der es im Leben geschafft hat – zielstrebig, echt, selbstbewusst, frei. Sieht man ja, schließlich steht Wald vor vielen verschiedenen Menschen auf vielen verschiedenen Bühnen. Gleich unter einer Slideshow wird seine düstere Vorgeschichte (in der dritten Person) erzählt:

„Vor vielen Jahren kämpfte er sich erfolgreich aus einer schweren Drogensucht hinein in das Leben seiner Träume! (…) ‚Du steuerst Dein Leben selbstverantwortlich, sagt er! Mathias Wald, der ehemalige Drogenkonsument, ist heute ein erfolgreicher Unternehmer. (…) Plakativ, lebendig, eindrucksvoll und authentisch erzählt Mathias Wald über den Weg in die Sucht hinein, aber auch hinaus.“

Auch Deng erzählt ihre Lebensgeschichte nicht nur bei „Sag’s mir“ öffentlich, sondern etwa auch bei „Street Philosophy“ auf Arte. Sowohl Deng als auch Wald verweben dabei ihr erfahrenes Leid mit ihrer „Heilung“, ihrer „Ich-Findung“ bzw. ihrem (wirtschaftlichen) Erfolg zu einer Marke, an der doch – bei diesen Vorgeschichten! – die Kritik schwerfällt.

Diese Marken verkörpern durch die Authentizität ihrer Rolemodels ein Aufstiegsversprechen á la „die-Krise-als-Chance-nutzen“. CBD und Yoga (denn auch das bietet Deng an) sollen ihren Kund:innen bei ihren psychischen Krankheiten helfen, schließlich habe es auch ihr geholfen. Und wie man zum „Piloten seines Lebens“ wird, erklärt einem Wald in seinen Coachings. Auch er hat es ja augenscheinlich geschafft.

Dieses Kriterium scheint der Redaktion von „Sag’s mir“ bei der Auswahl ihrer Protagonist:innen wichtig gewesen zu sein. Wichtiger als die Leitfrage der Sendung zu beantworten, nämlich welche Gefahren der Konsum von Cannabis „mit sich bringen“ kann?

Die Fragen an Deng und Wald zielen jedenfalls nicht wie bei „13 Fragen“ darauf, einen inhaltlichen Kompromiss und Verständnis für die politisch andere Seite zu fördern. (Und auch dass Deng Anfang des Jahres eines ihrer Produkte damit bewarb, dass es gegen eine Covid-19-Infektion schütze, obwohl CBD-Lifestyle-Produkte über den Placebo-Effekt hinaus kaum signifikante therapeutische Wirkung erzielen, war anscheinend für die Redaktion kein Grund dafür, sie nicht einzuladen.)

Stattdessen stellt „Sag’s mir“ die Selbst-Unternehmer:innen auf ganz authentische und intime Weise dar, obwohl doch genau das, dieser Spirit, ihre Marke ist. Sind sie objektive Expert:innen? Eher nicht. Dass sie trotzdem gescheite Argumente zum Thema geben können, will ich gar nicht bezweifeln. Aber ich bin nicht Habermas. Ich finde, dass sie mit diesem Hintergrund für dieses Format mit Bildungsanspruch die falschen Gäste sind und das Konzept sein Ziel verfehlt.

1 Kommentare

  1. Beim ersten Lesen dachte ich: „Ok, warum sucht man sich auch ausgerechnet Leute, die mit dem Thema, zu dem sie eine Meinung haben sollten, Geld verdienen.“
    Inzwischen frage ich mich, wie man zu einem Thema sonst jemanden finden könnte, der dazu eine hinreichend starke Meinung hat, um interessant zu sein.

    Und jetzt pendele ich zwischen den beiden Positionen hin und her.

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