Antisemitische Vorfälle auf Berliner Demo

Wenn aus Journalisten „Störer“ gemacht werden

Ein Veranstalter der Demonstration droht Journalisten im Beisein von Polizist:innen.
Ein Veranstalter der Demonstration droht Journalisten im Beisein von Polizist:innen. Screenshot: Twitter/democ_de

Wieder einmal ist es am Wochenende in Berlin bei propalästinensischen Demonstrationen zu antisemitischen Vorfällen und Angriffen auf Journalisten gekommen. Zu den bundesweiten Demonstrationen aufgerufen hatte das Bündnis „Palästina spricht“, das sich selbst eher zur politischen (Exil-)Linken Palästinas zählt.

Wie meistens in den vergangenen Jahren begleiteten zahlreiche Berichterstatter:innen die Demo. Doch nicht alle sind den Veranstalter:innen willkommen: So musste der „Bild/BZ“-Reporter Peter Wilke von der Polizei aus der Demonstration eskortiert werden, nachdem er offenbar erkannt wurde. Auf einem Video ist zu sehen, wie ihm hasserfüllte Demonstranten „Scheißjude“ und „dreckiger Jude“ hinterher brüllen.

Unter denjenigen, die derlei Demonstrationen dokumentarisch begleiten, sind auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie das „Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“ (JFDA) oder democ – ein Verein, der demokratiefeindliche Bewegungen beobachtet, dokumentiert und analysiert. Sie sind den Veranstalter:innen ein besonderer Dorn im Auge, da sie explizit anwesend sind, um Hass und Antisemitismus zu dokumentieren.

Die Anwesenheit von democ und anderen fordert das Selbstverständnis der Anmelder:innen heraus, die an linke, antirassistische Diskurse anknüpfen wollen, wohlwissend, dass offen zur Schau getragener Antisemitismus dazu im Widerspruch steht. Doch immer wieder kommt es im Umfeld pro-palästinensischer Demonstrationen zu entsprechenden Äußerungen.

Vor rund einem Jahr brüllten Demonstranten in Gelsenkirchen vor einer Synagoge „Scheiß Juden!“ und andere Parolen, bevor die Polizei den Aufzug stoppte. Auch in Berlin war es im Mai 2021 bei Protesten gegen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen zu antisemitischen Äußerungen und Ausschreitungen gekommen.

Als politische Gegner betrachtet

Genau das ist der Grund, warum Organisationen wie democ oder JFDA diese Demos beobachten. Die Veranstalter:innen fühlen sich von den genannten Organisation dagegen zum einen auf ihrem eigenen Spielfeld herausgefordert, zum anderen diffamiert. Daher werden deren Vertreter:innen auch nicht als Berichterstatter akzeptiert, sondern als politische Gegner betrachtet, die man entweder als „Antideutsche“ (ein recht schwammiger politischer Kampfbegriff) oder gleich als „Rechte“ verunglimpft und bekämpft.

Die Konfliktlinien sind seit langem bekannt, von daher verwundert es, dass die Polizei in Berlin (aber auch an anderen Orten) es immer wieder nicht schafft, sich auf die Pressefeindlichkeit der Szene einzustelllen.

Für besondere Aufregung sorgte in Berlin nun ein Ausschnitt, bei dem einer der Veranstalter einem Vertreter des JFDA nicht nur im Beisein von Polizist:innen droht, sondern die Polizei den Berichterstatter dann auch auf Wunsch des Veranstalters von der Demonstration ausschließt. Unter anderem bekundet er, es sei ihm „scheißegal“, ob sein Gegenüber einen Presseausweis habe und dokumentieren dürfe. Dieser sei „Rassist“ und habe den Aufzug zu verlassen. „Ihr Rassismus disqualifiziert Sie als Journalisten“, heißt es wortwörtlich.

Bemerkenswert ist auch, dass nebenbei in Anwesenheit eines Einsatzleiters die Männlichkeitsfantasien des Veranstalters ausgebreitet werden und er den inkriminierten Beobachter mehrfach auffordert: „Hab mindestens die Eier und sei ein Mann. Sag, wofür Du stehst“. Was immer das heißen soll.

Der Einsatzleiter setzt dann die Aufforderung des Veranstalters um, wonach der Journalist „hinter dem Aufzug“ zu gehen habe, und fragt im typischen Ton polizeilicher Autorität: „Haben Sie das verstanden?“ Worauf man ja zumeist schlecht Nein sagen kann.

Mit freier Berichterstattung ist es spätestens an dieser Stelle vorbei, doch es kommt noch besser: Denn anschließend droht der Veranstalter auch noch mehreren Berichterstatter:innen, man werde bei kommenden Demonstrationen Bilder von ihnen dabei haben und „dann werden da Leute sein, die Sie dazu zwingen werden“, die Demonstration zu verlassen. Auch hier steht die Polizei daneben und unternimmt: nichts.

Große Empörung

Verständlicherweise war die Empörung unter Journalist:innen groß: Marcus Engert empörte sich über die seiner Auffassung nach „gelinde gesagt abenteuerliche“ Rechtsauffassung der Berliner Polizei, Felix Huesmann beklagte einen „unglaublichen Vorgang“ und der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten Verbands (DJV), Frank Überall, schrieb der Polizei auf Twitter: „Journalist/innen sind KEINE Versammlungsteilnehmende, können ergo gar nicht ausgeschlossen werden. Was ist das für eine seltsame Rechtsauffassung, die Sie hier amtlich vertreten?!“

Doch ganz so einfach ist es nicht: Die Polizei beruft sich in ihrer Pressemitteilung nämlich auf eine Besonderheit des Berliner Versammlungsrechts:

Gemäß § 7 Absatz 4 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin „darf die Versammlungsleitung Personen, die die Ordnung der Versammlung erheblich stören, aus der Versammlung ausschließen. Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sich unverzüglich zu entfernen.“

Darauf machte auch der „Tagesspiegel“-Redakteur Alexander Fröhlich aufmerksam, der zumindest eine Teilschuld beim Rot-Rot-Grünen Berliner Senat sieht:

Denn dieser habe Anfang 2021 das Versammlungsfreiheitsgesetz geändert. Seitdem entscheide nicht mehr die Polizei alleine darüber, wer „Störer“ einer Demonstration sei, sondern eben auch der Versammlungsleiter. Der Senat habe dabei auf „die eigene Klientel geschielt – damit eher linke Demos gegen Rechte vorgehen können, die mitlaufen“, so Fröhlich.

Einige Mitglieder der Berliner Regierungsparteien konterten umgehend. Der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselberg verwies darauf, dass sich die Norm direkt aus dem Selbstbestimmungsrecht von Veranstaltungen herleite und auch in anderen Bundesländern vorhanden sei:

Dem hielt Fröhlich allerdings entgegen, dass der Ausschluss von Journalist:innen als „erhebliche Störer“ explizit in der Begründung genannt werde. Dann dürfe man sich auch nicht wundern, wenn Veranstaltungsleiter sich darauf beriefen und Polizist:innen dem nachkämen.

Wird die Demonstration zum Präzedenzfall?

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert das Gesetz: „Man hat am Wochenende leider sehr deutlich gesehen, warum wir vorher auf die eklatanten Lücken im Versammlungsfreiheitsgesetz hingewiesen haben“, sagte ihr Berliner Landesvize Stephan Kelm in der „Welt“. Das nährt wiederum den Verdacht, dass die Polizei hier auch politisch gegen ein aus ihrer Sicht untaugliches Gesetz agiert. Für den Berliner Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Nico Härting ist die Begründung der Polizei eine „üble Ausrede“, die ihr „bei keiner Corona-Demo“ eingefallen sei. Journalisten seien keine Versammlungsteilnehmer, so Härting.

Tatsächlich hätte die Polizei vor Ort das Grundrecht auf Pressefreiheit im Konflikt mit dem Willen eines Veranstalters, der mit abenteuerlichen Sprüchen und Begründungen letztlich willkürlich Journalist:innen ausschließen will, höher bewerten können und – nicht nur nach Härtings Meinung – auch müssen. Andere Juristen, wie etwa der Fachanwalt für Medienrecht Jasper Prigge, äußerten sich auf Twitter ähnlich. Doch da das Gesetz relativ neu ist, gibt es dazu noch keine Rechtsprechung. Der Vorfall in Berlin könnte also zum Präzedenzfall werden, sofern gegen die Entscheidung der Einsatzleitung vor Ort geklagt werden kann bzw. wird.

Denn die juristische Güterabwägung ist viel verlangt von einer polizeilichen Einsatzleitung, die zudem auch noch darauf bedacht ist, eine Eskalation der Lage zum Schutz von Leib und Leben aller Beteiligten zu verhindern. Mindestens aber gibt eine derartige Norm Veranstaltern die Möglichkeit, die „Störung“ der Veranstaltung selbst mit herbeizuführen (zum Beispiel indem man Steckbriefe unerwünschter Berichterstatter verteilt) – um sich dann gegenüber der Polizei auf das Versammlungsrecht zu berufen und von ihr den Vollzug des Ausschlusses der „Störer“ zu verlangen. Die Polizei muss dann in aufgeheizter Stimmung die Pressefreiheit höher bewerten und gegebenenfalls gegen den Veranstalter mit Gewalt durchsetzen.

Das Bündnis „Palästina spricht“ machte in seiner Stellungnahme jedenfalls schon mal deutlich, dass man auch in Zukunft selbst entscheiden will, für wen die Pressefreiheit gilt. Man sei „der rechten, rassistischen Medienlandschaft ein Dorn im Auge“. Und weiter:

Deswegen lagen Springer und Co. ausschließlich auf der Lauer nach Einzelpersonen unter Hunderten, die sie ablichten konnten, um die gesamte Demo in den Schmutz zu ziehen. Ihr gefundenes Fressen war eine Hand voll unorganisierter Jugendlicher, von denen einer einen Springer-Journalisten antijüdisch beleidigte. Pressefreiheit bedeutet für diese rassistischen sogenannten ‚Journalisten‘ nur ihre Freiheit, uns Palästinenser*innen zu unterdrücken und zu verleumden. Dieses widerwärtige Verhalten, das einen Verrat an journalistischer Integrität darstellt, ist die propagandistische Ablenkung vom israelischen Apartheidsystem und dessen Verbrechen gegen uns Palästinenser*innen.

Der strategische Einsatz von Versammlungsgesetzen durch Demonstrations-Veranstalter, deren Interesse an Öffentlichkeit begrenzt ist und die einige Berichterstatter:innen zum politischen Gegner zählen, dürfte also weitergehen. Nicht nur der Berliner Senat wird in Zeiten vermehrter Angriffe auf Pressevertreter:innen darüber nachdenken müssen, wie er damit umgehen will.

3 Kommentare

  1. Dann scheint mir die Vorschrift das Hauptproblem zu sein.
    Sicher kann es auch journalistische „Störer“ geben, aber „Störer“ sollten etwas anders definiert sein als per Order by Veranstalter.
    Also durch etwas, was die Personen konkret tun.

  2. Würde Journalist:innen der (Axel-) Springer Presse rauszuwerfen zum Volksport werden, würde ich mich nicht über fehlende Pressefreiheit beklagen. Kurzum: ein persönlicher Einwurf, der – ich räume es ein – nichts mit die hier geschilderten Thematik zu tun hat.
    Vielen Dank an Andrej Reisin für die Aufschlüsselung der Hintergründe. Ich bin schon überrascht, dass es so einfach ist, Reporter von der Berichterstattung auszuschließen.

  3. Der Versuch der Polizei, das Verhalten des Beamten unter Hinweis auf die gesetzliche Regelung über den Ausschluss von Personen aus einer Versammlung zu rechtfertigen, kann – wie Prof. Härting völlig zu Recht ausgeführt hat – keinen Erfolg haben, die Rechtslage ist zudem völlig eindeutig:

    1. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 VersFG Bln hat die Polizei – im Gegenteil – gerade die Aufgabe, „die freie Berichterstattung der Medien bei Versammlungen zu gewährleisten“. Das ist zugleich eine Verpflichtung aus der grundgesetzlich gewährleisteten Pressefreiheit. (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG).

    2. Zugleich sind Pressevertreter*innen vor dem Hintergrund dieser Regelungen nicht als Teilnehmende an einer Veranstaltung anzusprechen, die nach § 7 Abs. 4 VersFG vom Veranstalter ausgeschlossen werden könnten. Eine Versammlung dient der Bildung oder Kundgabe einer gemeinsamen Position der Teilnehmenden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VersFG). An einer Versammlung nimmt daher teil, wer mit anderen zu diesen Zwecken zusammenkommt. Das trifft nicht auf Personen zu, die lediglich berichten wollen. Soweit in der – insoweit dürren – Begründung des Gesetzentwurfs zum VersFG (AGH-Drs. 18/2764, S. 31) etwas Gegenteiliges steht, ist dies vor dem Hintergrund von Wortlaut und Systematik der Regelungen des VersFG unbeachtlich.

    3. Selbst wenn man – was schwer vorstellbar ist – dies anders sehen wollte, ist der Ausschluss nach § 7 Ab. 4 VersFG davon abhängig, dass Personen, „die Ordnung der Versammlung erheblich stören“. Dieses Tatbestandsmerkmal muss objektiv vorliegen, es unterliegt nicht der Dispositionsbefugnis des Veranstalters. Die schlichte Anwesenheit eines Pressevertreters / einer Pressevertreterin reicht dafür aber natürlich nicht aus. Wer an der Anwesenheit eines Pressevertreters / einer Pressevertreterin Anstoß nimmt und darauf aggressiv reagiert, ist vielmehr selbst Urheber/in einer Störung und damit nach allgemeinen polizeirechtlichen Regeln die handlungsverantwortliche Person (sog. polizeirechtliche/r „Störer/in“), die vom Veranstalter (§ 7 Abs. 4 VersFG) oder über § 10 VerFG durch die Polizei von der Versammlung ausgeschlossen werden darf.

    Das ist – wie gesagt – von rechtlich seltener Eindeutigkeit. Es gibt bislang auch niemanden, der eine entgegenstehende Position ausdrücklich vertreten hätte. Auch die Polizei nicht. Diese sieht vielmehr nur „Unklarheiten“, die aber in Wahrheit nicht bestehen.

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