Die Autorin
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd.
Die Aktivistin und Autorin Huschke Mau war in der jungen NDR-Talkshow „deep und deutlich“ zu Gast und sprach dort über ihre Vergangenheit als Prostituierte. Es ging um ihre Gewalterfahrungen, ihren Ausstieg und ihr Engagement heute.
Nun ja, eigentlich hätte es darum gehen sollen. Aber so viel konnte Mau in den knappen 40 Minuten ihres Auftritts dann gar nicht von ihrer eigenen Geschichte und ihrem politischen Handeln, das daraus folgte, erzählen. Denn anstatt den Raum zu bekommen, wurde sie in eine Debatte verwickelt, in der ihre Erfahrungen und ihr Wissen weder wirklich gehört noch verstanden wurden. Sie geriet in eine Situation, in der sie sich und ihre Position gegen das Halbwissen anderer verteidigen musste. Bis sie schließlich sagte: „Ich bin so viel gewohnt in Diskussionen, aber hier neben so privilegierten Menschen zu sitzen und mir so ne Scheiße anzuhören …“ – und das Studio verließ.
Moderiert wurde die Runde von Aminata Belli und Michel Abdollahi. Zu Gast war auch die Youtuberin Alicia Joe. Das Paar Sascha und Jule Lobo war in die Sendung eingeladen worden, um unter anderem über einen neuen Podcast zu sprechen. Bei „deep und deutlich“ sollen laut Eigenbeschreibung „Stars und inspirierende Menschen ihre Geschichten erzählen“. Was die Sendung (eigentlich) nicht ist: eine Diskussion zu einem bestimmten politischen Thema à la „Maybrit Illner“ & Co. – sonst hätten da ja außer Huschke Mau auch noch andere Expertinnen und Experten zum Thema Prostitution gesessen. Doch leider entwickelte sich die Sendung auf eine Art und Weise unfreiwillig dazu. Nur, dass es eben keine Expertinnen und Experten waren, die da mitdiskutierten.
Die ersten 15 Minuten verlaufen weitgehend normal. Huschke Mau, die mehr als zehn Jahre in der Prostitution war und in einem aktuellen Buch („Entmenschlicht: Warum wir Prostitution abschaffen müssen“) deren Abschaffung fordert, erklärt strukturiert und persönlich, wie sie da reingeriet: Sie hatte Gewalt in der Familie erlebt und die Abwertung als Frau; finanzielle Nöte, ein Zuhälter, der ihr beim Einstieg „half“. Sie beschreibt das, was sich Außenstehende oft nicht vorstellen können: Sie hat selbst lange nicht bemerkt, dass sie Opfer von Gewalt ist.
Huschke Maus Kern-Kritik an der politischen Situation in Deutschland: dass „wir so tun, als wäre Prostitution ein normaler Beruf“. Sie fordert eine Diskussion darüber, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der man Sex kaufen kann, in der Frauen „Ware“ sind. Ja oder Nein? Huschke Mau sagt: Sex gegen Geld könne nie einvernehmlich sein und sei deshalb immer eine Form von Gewalt, geduldeter Missbrauch. Auch die Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ vertritt diese Haltung und hat sieben Mythen über Prostitution zusammengefasst.
Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte Huschke Mau 2016:
„Eine Prostituierte steckt in einem kriminellen System aus Druck, Sucht und finanzieller Abhängigkeit. Saubere Prostitution gibt es nicht. Ich bin kein Menschenhandelsopfer und niemand hat mich mit gezogener Waffe dazu gezwungen, meinen Körper zu verkaufen. Man würde mich wohl als ‚freiwillige‘ Prostituierte bezeichnen, womit ich zu einer privilegierten Minderheit unter den Huren gehörte. Dennoch bin ich der Meinung, dass bei meiner Geschichte von Freiwilligkeit keine Rede sein kann.“
Huschke Mau ist Verfechterin des sogenannten nordischen Modells, das Sexkauf verbietet. Kriminalisiert werden hier nicht die Prostituierten, sondern die Freier. Heißt: In Schweden, Island und anderen Ländern ist es politischer Wille, dass Männer, die mit Geld Sex kaufen, nicht geduldet werden. So wie man eben andere Taten wie Einbruch oder Körperverletzung nicht duldet. Einen Vergleich, den man – in Deutschland, wo der Umgang mit dem Thema Prostitution ja sehr liberal ist – zunächst vielleicht nicht versteht oder nachvollziehen kann. Aber genau deshalb wäre es ja wichtig, eine Perspektive wie die von Huschke Mau zu hören.
Die kommt aber zunächst gar nicht dazu, über das nordische Modell zu sprechen. Weil? Sascha Lobo. Der versucht zu erklären, warum er bei Maus Forderungen „Dissonanzen“ hat und sagt, dass er ein Verbot kritisch sehe. Das sei wie bei Drogen. „Nur, weil es verboten wird, heißt das nicht, dass es nicht mehr passiert.“ Drogen und Sexkauf zu vergleichen ist dann doch einigermaßen schräg. Der Internet-Experte wird zum Prostitutions-Experten. Sascha Lobo erklärt Huschke Mau und der Runde, dass „relativ viele sachkundige Menschen sagen“, dass durch ein Sexkaufverbot „die ganze Sphäre in die Illegalität rutschen“ würde, spricht vom „Untergrund“ und vom „Druck auf die Frauen“, der da „noch größer“ werden würde. Er bezieht sich auf Organisationen wie Diakonie Deutschland, Deutsche Aidshilfe und den Deutschen Juristinnenbund, die sich dazu entsprechend positioniert haben. Auch Beratungsstellen und Berufsverbände von Prostituierten kritisieren das Modell, das aus ihrer Sicht alle Freier „dämonisiert“ und verheerende Bedingungen für die Branche fürchtet.
Doch was Lobo genau sagen will, wird weder dem Zuschauer klar, noch Huschke Mau. Sie fragt nach, was der mit „Untergrund“ meine, aber bekommt darauf keine konkrete Antwort. Lobo holt in seiner Rede zum Rundumschlag aus und erklärt, dass wir im Patriarchat leben und dass Frauenhäuser völlig unterfinanziert sind – man hat den Eindruck, als wolle er zeigen, wie feministisch er ist. Aber was Lobo da macht, bezeichnen Feministen wie er sonst als „Mansplaining“: Er erklärt einer Expertin ihr eigenes Thema. Es ist ja legitim, im nordischen Modell nicht die Lösung zu sehen und es zu kritisieren – doch leider fällt die Kritik bei Lobo alles andere als fundiert aus.
Er erklärt außerdem der Runde, dass er es bevorzuge, von „Sexarbeitenden“ zu sprechen. Bei dem Wort handelt es sich um eine Selbstbezeichnung aus der Hurenbewegung, das die Prostitution entstigmatisieren und von der Zwangsprostitution abgrenzen sollte; also zeigen, dass es sich um Arbeit handele. Huschke Mau lehnt das Wort ab. Sie wunderte sich erst kürzlich im „Zeit“- Interview darüber, warum gerade die politische Linke den Begriff der Sexarbeit als verklärendes Synonym für Prostitution verwendet, kann auch diesen Punkt bei „deep und deutlich“ leider nicht ausführen.
Das große Problem der Sendung ist, dass das, was eigentlich Huschke Maus Thema und Anliegen ist – über Gewalt und Zwangsprostitution zu sprechen – gar nicht möglich ist. Stattdessen wird Mau im Subtext damit konfrontiert, sie würde den Frauen, die sich „freiwillig“ für den Beruf entscheiden, die Selbstbestimmung absprechen. Das geschieht zum Beispiel an der Stelle, an der Moderatorin Aminata Belli davon berichtet, dass sie mit einer Frau gedreht habe, die als Escort arbeitet und ihr gezeigt habe, wieso sie diesen Job gerne mache. Ein Gespräch über gesellschaftliche und strukturelle Fragen und Probleme wird so mit individuellen Geschichten à la „Ich kenne da aber eine, bei der ist das anders“ sehr schwer gemacht.
Auch Frauenkämpfer Lobo reiht sich in den Chor ein und sagt: „Wir haben viele Aktivistinnen, die sagen, wieso muss der Staat mir Vorschriften über meine Sexualität machen?“ Als wäre Prostitution kein Geschäft, sondern eine Form der Sexualität.
Man muss einer selbstständigen Domina, die im Berufsverband organisiert ist und vorgibt, das alles aus freien Stücken und mit Begeisterung zu machen, ihre Berufswahl nicht absprechen. Aber Mau, die selbst Gewalt erlebt hat und sich für andere Opfer einsetzt, spricht weder für diese Gruppe Frauen noch hat sie die Aufgabe, bei „deep und deutlich“ diesen Widerspruch auflösen. Das zu erkennen und zu lenken, wäre eigentlich die Aufgabe des Moderationsduos gewesen.
Mau schrieb nach der Sendung auf Instagram:
„Erschrocken war ich auch über die gezeigte Ignoranz ggü. Zwangsprostitution. Da wollte nämlich niemand drüber reden. Es ging immer nur darum, wie wir es schaffen können, dass es Prostitution weiterhin geben soll. Warum eigentlich?“
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd.
Dreist wurde es, als Sascha Lobo noch einmal versuchte, das Argument von Huschke Mau auseinanderzunehmen, Sex gegen Geld sei nie einvernehmlich (das sagt nicht nur Mau, das ist, wie gesagt, in einigen Ländern Gesetz). Lobo meint, Mau würde, indem sie Sexkauf und Vergewaltigung gleichsetzt, sexualisierte Gewalt verharmlosen. Lobo muss Maus Standpunkt nicht teilen. Aber indem er sagt, sie würde Vergewaltigung verharmlosen, zeigt er, dass er ihren Standpunkt nicht verstanden hat. Denn der ist ja das genaue Gegenteil: Huschke Mau sagt, dass sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung eben viel früher beginnen und andere Formen haben, als es den meisten von bewusst sei.
Als Jule Lobo dann nochmal nachhakt und fragt, warum Huschke Mau Prostitution verbieten wolle und warum sie stattdessen nicht für strengere Kontrollen sei, bricht sie ab, entfernt ihr Mikro und verlässt das Studio. Sie fühle sich missverstanden, sagt sie noch, und wirft den anderen Zynismus vor. „Es ist das erste Mal in acht Jahren als Aktivistin, dass ich sowas abbreche.“
Immerhin gab es eine Entschuldigung von Seiten der Redaktion. In einem kurzen Video-Statement nach der Sendung bat Moderatorin Aminata Belli im Namen des „deep und deutlich“-Teams um Entschuldigung: „Wir möchten in unserer Talkshow unseren Gästen den Raum und die Sicherheit geben, dass sie ihre Geschichten erzählen können und dass sie gehört werden. Und das ist uns nicht gelungen.“
Es ist schwer, sich nach dieser Sendung eine konkrete Meinung zum Thema zu bilden – vor allem, weil Huschke Mau nicht wirklich über ihr Thema reden konnte. Dabei wäre das wichtig. Hoffentlich hat sie in einer anderen Runde die Gelegenheit.
„Auch die Menschenrechtsorganisation vertritt diese Haltung und hat sieben Mythen über Prostitution zusammengefasst.“
Die eine, einzige Menschenrechtsorganisation? Wenn man auf den Link klickt, wird dann zwar klar, dass Terre Des Femmes gemeint ist, aber aus dem Text geht das nicht hervor. Tatsächlich wird die Organisation im Text kein einziges Mal namentlich erwähnt.
Ich nehme an in einer früheren Version, war da vorher eine Nennung auf die Bezug genommen wurde, aber in der jetzigen Version ließt es sich, als gäbe es nur die eine.
„(das sagt nicht nur Mau, das ist, wie gesagt, in einigen Ländern Gesetz)“
Herrje, das ist doch kein Argument.
Und ist es keine Verharmlosung von Vergewaltigung, wenn man jeden sexuellen Kontakt einer Sexarbeiterin als Vergewaltigung bezeichnet, wie es H.M. macht?
Hm, netter Versuch aber der Artikel hinterlässt mir zu viele Fragen. Auch die verlinkten 7 Thesen von Terre des Femmes sind leider nicht wirklich stimmig bzw. überzeugend und repetitiv
Nachtrag: Oder geht es hier nur darum zu sagen, dass einem Gast in einer Talkshow zu wenig zugehört wurde und sie dann die Sendung verlassen hat? Das hat sicherlich auch Nachrichten-wert aber rechtfertigt keinen „ganzen“ Übermedienartikel
Seltsamer Artikel. Leider hat der Text kaum etwas mit Medien zu tun. Die Sendung scheint eher als Projektionsfläche für eigene Statements herhalten zu müssen. Ich habe auch Probleme, wenn AutorInnen erklären, was andere Leute gemeint haben, statt sie zu zitieren und die Zitate für sich stehen zu lassen. Und ich finde es seltsam für Übermedien, das Entkräften / Hinterfragen / „Auseinandernehmen“ eines Arguments als „dreist“ zu bezeichnen.
@Lars: Das Argument wird im nächsten Satz doch ausgeführt. Wenn wir nur noch die schlimmsten Formen sexualisierter Gewalt so nennen dürfen, ab wann wäre das dann der Fall?
Ich bin da zwiespältig. Einerseits glaube ich, dass Menschen sich durchaus frei entscheiden können, Sexarbeitende zu sein; ich finde es problematisch und übergriffig, diesen Personen quasi per se eine traumatische Kindheit oder psychische Probleme zu unterstellen. Andererseits scheint mir die so geführte Debatte aber davon abzulenken, dass sicherlich der Großteil eben nicht freiwillig der Prostitution nachgeht. In der schlimmsten Form sprechen wir von Zwangsprostitution, aber auch Prostitution aus wirtschaftlicher Not gesellschaftlich schulterzuckend hinzunehmen ist doch falsch. Und das ist doch ein viel drängenderes gesellschaftliches Problem als dass Prostituierte, die dies freiwillig machen wollen, unter einem Stigma leiden. Zwangsprostituierte und Personen aus prekären Verhältnissen haben halt auch nicht die Möglichkeit, ihre Sicht aufs Thema auf Insta oder Twitter zu platzieren, wie es die von Lobo angeführten Aktivist*innen tun.
Ich bin im Kern bei meinen Vorredner:innen (1 bis 3 aktuell).
Worum geht es Huschke Mau denn? Ihre persönliche Geschichte zu erzählen, oder politische Forderungen zu stellen? Wer politische Forderungen stellt, muss auch mit Gegenwind rechnen.
Wenn die Sendung das nicht möchte, sondern einfach nur Gästen einen Raum geben, wäre es an der Moderation, es zu unterbinden. Andernfalls – an der Stelle stimme ich mit dem Artikel überein – wäre es wohl geschickt gewesen, auch andere Expert:innen einzuladen.
Sascha Lobo war hier sicher nicht die Optimalbesetzung. Seine inhaltlichen Punkte aber vollständig zu diskreditieren, weil sie von ihm kommen, hilft aber auch nicht gerade bei der Meinungsbildung.
Wenn hier von „Halbwissen“, „alles andere als fundiert“, und zynisch vom „Frauenkämpfer“ gesprochen wird, sind das klare Ad-Hominems. Wie der Kommentar selbst erwähnt, gibt es zahlreiche NGOs und Betroffene, die Lobos Positionen teilen. Ihm zu unterstellen, es würde wolle nur zeigen, „wie feministisch er ist“, oder hätte einen abweichenden „Standpunkt nicht verstanden hat“, finde ich nicht legitim.
Und Ja, man sollte Huschke Mau als Betroffener zuhören und ihr eine gewisse Expertise zusprechen. Ich finde aber auch, dass man von ihr in der Rolle als Aktivistin (nicht als Betroffene) ein Stück weit verlangen kann, „diesen Widerspruch auflösen“.
Wenn Sascha Lobo sich auf diverse NGOs oder die Hurenbewegung bezieht, ist das ja nicht aus der Luft gegriffen. Und Nein, „Huschke Mau sieht es anders“ ist kein gutes inhaltliches Argument dagegen.
Wenn Aminata Belli eine Geschichte erzählt, folgt das natürlich erstmal dem Schema „Ich kenne da aber eine, bei der ist das anders“. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch auf dieser Seite legitime gesellschaftliche und strukturelle Punkte gäbe.
Letztlich hat dieser Kommentar für mich auf eine Art genau das Problem, was er der Sendung vorwirft: Auf der Metaebene eine unvoreingenommene Auseinandersetzung zu fordern, und das gleichzeitig komplett mit bestimmten Standpunkten zu verschmelzen.
„Sex gegen Geld sei nie einvernehmlich (das sagt nicht nur Mau, das ist, wie gesagt, in einigen Ländern Gesetz).“ Das sagen sicher nicht nur Mau, sondern ganz viele Menschen, aber solche Gesetze besagen ja nicht, dass das _nie_ einvernehmlich ist, sondern bloß, dass die Frage nach dem Einvernehmen von der Strafverfolgung nicht gestellt werden muss, um die Illegalität festzustellen. Duelle mit tödlichen Waffen sind ja auch verboten.
Ungeachtet der Frage, wie ich selbst dazu stehe, halte ich das hier schon für eine berechtigte Kritik an der Sendung – besseres Balancing der Teilnehmer und mehr Moderation hätte dem Thema gut getan.
@F30: Ja, es gibt viele Prostituierte, die für den liberalen Umgang mit Prostitution plädieren und (zu Recht!) fordern, für ihre freie Entscheidung nicht stigmatisiert zu werden. Nur liegt es halt in der Natur der Sache, dass sich Zwangsprostituierte oder Prostituierte aus wirtschaftlicher Not eben oft nicht entsprechend öffentlich artikulieren können. Jetzt macht es mal jemand, schon lässt man sie nicht zu Wort kommen, weil man ein paar Sexarbeiter*innen auf Twitter folgt?
Hier macht jemand darauf aufmerksam, dass es viel zu viele Frauen gibt, die nicht ein romantisches, selbstbestimmtes Hurenleben führen, sondern die tägliche Gewalterfahrungen machen. Es war ein gutes Ziel damals von Rot-Grün, zu versuchen Prostitution aus der Schmuddelecke zu holen und den Prostituierten zu ermöglichen, ihre Dienstleistungen anzubieten wie jede andere Dienstleistung auch. Das hat sicher einigen geholfen. Im Windschatten dieser Liberalisierung hat aber auch Menschenhandel und Zwangsprostitution massiv zugenommen. Wem soll Feminismus denn helfen? Den Frauen, die freiwillig sexuelle Dienstleistung anbieten (und demnach auch andere Möglichkeiten hätten) oder den Frauen, die ausgebeutet werden und kaum Interessenvertretung haben?
@inga „Jetzt macht es mal jemand, schon lässt man sie nicht zu Wort kommen, weil man ein paar Sexarbeiter*innen auf Twitter folgt?“
Es ist halt auch ein Unterschied, ob man seine Geschichte erzählen möchte oder gleich darauf aufbauend gesellschaftliche Forderungen aufstellt. Letzteres wurde (wenn man nach dem Text geht, ich kenne die Sendung sonst nicht) eben von Mau gemacht und da finde ich es schon nachvollziehbar, wenn man dann wie Lobo zu letzterem die Diskussion sucht.
Nach der Darstellung in dem Artikel wirkt Lobo da reichlich taktlos, aber so arg viel besser kommt Mau für mein empfinden jetzt auch nicht weg. Mal ganz davon abgesehen, dass der Text hier sich mehrfach selbst widerspricht und sich reichlich einseitig Maus Position zu eigen macht, mit m. E. teils haarsträubenden Formulierungen. Bspw. „das sagt nicht nur Mau, das ist, wie gesagt, in einigen Ländern Gesetz“, ja schön, aber inwiefern spricht das jetzt für die Regelung? Sind Gesetze perse immer Unterstützenswert? Wohl kaum, daher hat Lobo mit seiner Analogie zu Drogen auch vollkommen recht, als Argument finde ich das für sich genommen nämlich reichlich dünn.
Als interessierter Laie würde ich mir ja wünschen, dass der Artikel bzw. die Diskussion von Übermedien zum Anlass genommen wird, sich mit dem Thema Sexarbeit bzw. Zwangsprostituion mal näher (und gerne auch differenzierter als hier) zu befassen. Auch wenn das nicht ganz dem üblichen Tätigkeitsfeld der Seite entspricht, die Diskussion ist mit dem Artikel hier ja wohl schonmal eröffnet.
Ausserdem wirkt es auf mich, als wäre es auch durchaus wichtig, zu dem Thema Zwangsprostitution in Deutschland mal eine gesellschaftliche Debatte anzustossen. Ich habe aber leider den Eindruck, dass die Forderung von einer Seite immer darauf hinauszuläuft, dass man alle Formen von Prostitution komplett verbieten solle, um Menschenhandel und Zwangsprostitution zu bekämpfen. Obwohl diese beiden Dinge nach bestehenden Gesetzten wohl jetzt schon illegal sind. Worauf da natürlich von der Gegenseite der Hinweis auf den logischen Fehler kommt, womit die Debatte dann auch dort stehenbleibt bzw. sich da inzwischen wohl auch ein Stück weit die Fronten verhärtet haben. So wirkt es zumindest auf mich.
@#5 „Sascha Lobo war zwar nicht die Optimalbesetzung …“
Wer wäre denn eine optimale besetzung dafür? Kalle Schwernsen?
Lobo mag zwar Digitalexperte auf die Stirn tätowiert haben, dennoch halte ich ihn eigentlich für einen ziemlich ausgewogenen und nachdenklichen Menschen, der, auch wenn er manchmal wie ein Panzer alles wegzuargumentieren versucht, sich durchaus in verschiedene Perspektiven hineinversetzen kann und das scheinbar auch machte. Und er hat scheinbar einige Punkte angebracht, die man diskutieren kann (Neben dem ganzen Dominakram gibt es auch noch Sexarbeiterinnen, die mit behinderten Menschen arbeiten, vergisst man ja auch mal ganz gerne). Wenn das kein Grundstein für eine anständige Diskussion ist, dann weiß ich auch nicht.
Wenn man allerdings seine persönlichen Erfahrungen (so schlimm sie auch gewesen sein mögen) als Maßstab nimmt, dabei anderen die Fähigkeit abspricht, mitdiskutieren zu können und als einzige Lösung ein „Nordisches Modell“ zulässt, sollte man sich nicht wundern, dass das Ganze dann so verläuft.
@inga: Ich habe gar nichts dagegen, den Problemen Aufmerksamkeit zu geben, ganz im Gegenteil. Soweit ich sehe, zweifelt auch niemand an, *dass* man etwas gegen die Probleme tun sollte; es geht eher um das *wie*. Und wenn das in konkrete Forderungen mündet, finde ich es richtig, alle Betroffenen zur berücksichtigen – die mit wenig Privilegien, aber auch die mit mehr.
@Inga:
„Den Frauen, die freiwillig sexuelle Dienstleistung anbieten (und demnach auch andere Möglichkeiten hätten) oder den Frauen, die ausgebeutet werden und kaum Interessenvertretung haben?“ Natürlich sollte Feminismus allen Frauen helfen. Eine Gewerkschaft hilft ja auch dann Fabrikarbeitern, wenn die alle freiwillig diesen Beruf ergriffen haben.
Von der abstrakten Argumentation her kann ich Lobo nachvollziehen: Zwangsprostitution ist erzwungener Sex, erzwungener Sex ist Vergewaltigung, also ist jede Zwangsprostitution Vergewaltigung; Lobo bezweifelt aber anscheinend, dass _jede_ Prostitution Zwangsprostitution sei.
Was man allerdings anders bestreiten sollte als mit anekdotischer Evidenz wie „Kenne eine, und die hat gesagt/getwittert…“, denn, wenn man schon zu etwas gezwungen wird, wird man insbesondere auch zum Lügen gezwungen.
Jedenfalls kamen das Thema – mangels geeigneter Moderation – weg von der Frage, wie man das Problem löst, und zu der Frage, wie groß der Anteil an Zwangprostituition insgesamt ist. Auf einer Skala von 0-100%?
@5: die „ideale“ Besetzung wäre mMn eine Sexarbeiterin, die eine andere Position als Mau vertritt. Vllt. dachte man auch, ein Feminist, der samt Ehefrau auf der Bühne sitzt, wird sagen: „Ja, Prostitution! Sollte man verbieten, und zwar SOFORT!“?
@mycroft: Hier gibt es aber eine entweder/oder-Situation. Nicht nur, weil Aufmerksamkeit ein rares Gut ist, sondern auch weil Liberalisierung nicht nur den selbstbestimmten Prostituierten zugute kommt sondern vor allem auch den Zuhältern und Menschenhändlern. Das hat doch die rot-grüne Liberalisierung gezeigt: Deutschland ist ein Eldorado der Zwangsprostitution. Ich würde wirklich gerne in einer Welt leben, in der Sexarbeit eine ganz normale Dienstleistung ist, aber wir leben in einer, in der Prostitution fast immer Ausbeutung ist. Liberalisierung hat das verschlimmert. Ob das nordische Vorgehen Frauen besser schützt, weiß ich nicht, weil es ja anscheinend auch niemanden jenseits der ideologischen Positionen ausreichend zu interessieren scheint, wie die Situation der (meist) Frauen wirklich ist. Forschung auf dem Gebiet ist jedenfalls sehr dürftig.
Meiner Meinung nach haben hier die Moderatoren versagt. Wenn das erklärte Hauptziel der Sendung komplett verfehlt wird haben die einen schlechten Job gemacht.
Und zu den Gästen:
Das war eine ziemliche Elfenbeinturm Veranstaltung.
Viele Personen unserer westlichen „Wertegemeinschaft“ denken oftmals sie wüssten es besser als betroffene Personen. Das betrifft viele Themen und sie meinen es ja auch eigentlich nur gut.
Aber auch mit sehr stark ausgeprägter Empathie muss man sich trotzdem bewusst machen, dass man diese speziellen persönlichen Erfahrungen selbst erfahren muss um es wirklich nachvollziehen zu können und zu verstehen was das mit den Betroffenen macht.
Aber die Gäste haben ja anscheinend nur versucht Frau Mau von ihrer Position zu überzeugen.
Es wäre bestimmt sehr interessant gewesen wenn Frau Mau ihre Geschichte ausführlich hätte erzählen können.
@Cookie: Ja, als Betroffene „gesellschaftliche Forderungen aufstellen“ geht ja mal gar nicht, wa? Wäre ja noch schöner, könnte ja jede kommen… Verständlich, dass man da als Nichtbetroffener, der sich schon mal zwei drei Gedanken zum Thema gemacht hat, einschreiten muss.
„Nicht nur, weil Aufmerksamkeit ein rares Gut ist, sondern auch weil Liberalisierung nicht nur den selbstbestimmten Prostituierten zugute kommt sondern vor allem auch den Zuhältern und Menschenhändlern.“ Ersteres zumindest könnte durch solche Sendungen geändert werden.
Letzteres ist nicht allein die Folge der Liberalisierung, sondern die Kombi aus Liberalisierung und (schlechter) Umsetzung.
Dass bspw. Tönnies sehr billige Arbeitskräfte beschäftigen kann, ist ja auch eine Folge des liberalisierten EU-Binnen-Arbeitsmarktes.
Boah, schweres Thema. Wenn ich einen Sascha Lobo zu einem Thema gerade nicht befragen würde, dann wäre Sexarbeit sicher ein guter Kandidat.
Ich habe mir gerade vor ein paar Tagen den Podcast von Jule und Sascha Lobo angehört ( Thema toxic wokeness oder so ) und fand es schon grenzwertig, wie oft er seiner Frau ins Wort fällt.
Engagement ok, aber so?
Ein Problem mit der Liberalisierung der Sexarbeit ist die Unfähigkeit der gestaltenden Politiker, die Systemzusammenhänge realistisch einzuschätzen.
Die Macht der Zuhälter und Menschenhändler ( und ja, ich gehe davon aus, dass man das wirklich nicht gendern muss ) wird erzeugt und verfestigt durch unsere kapitalistische Weltordnung. Wer Waren und Kapital grenzenlos macht, aber behauptet, ein Mensch könne illegal „sein“, der schafft damit den Rahmen, in dem letztlich nicht die Menschen frei über ihre Körper und ihr Tun bestimmen, resp. dass sie dies tun eine Ausnahme bleiben muss.
Ohne offene Grenzen und ein freies Grundeinkommen für alle sehe ich da wenig Chancen.
Was aber die Konsequenz daraus ist, sollten die mitentscheiden, die dazu berufen sind.
Vielleicht sind weder Herr Lobo, noch ich da irgendwie in der Pole Position, was diese Frage angeht?
Ich habe in den 90igern ein paar Begegnungen mit Domenica haben dürfen. Eine großartige Frau, die sich damals aufopfernd um junge Prostituierte gekümmert . Der hätte ich da gerne zugehört.
@5: Einzelne Talkshow-Folgen oder Zeitungsbeiträge inhaltlich zu diskutieren, ist auch sonst ganz normal auf Übermedien. Hier fragt der Artikel ja sogar explizit, wie das Format anders hätte gestaltet sein können.
@Übermedien: Scheinbar habt ihr den Satz, der in #1 angesprochen wird, korrigiert? Ich fände es hilfreich, wenn ihr das transparent macht; ich hatte Schwierigkeiten, die Situation nachzuvollziehen.
@19, ja „Terre des Femmes“ wurde im Text ergänzt. Da ich denke, dass Tippfehler nicht unbedingt in die Kommentare gehören, schicke ich solche an kontakt@uebermedien.de, wenn ich sie bemerke.
Wenn die Änderungen substanziell sind, ist es gut unten eine Bemerkung der Aktualisierung hinzuzuzügen. Sonst halte ich das für unnötig (wie auch in diesem Fall). Ich vermute der Kommentar #1 hatte sich einfach mit der Korrektur überschnitten.