Bilder aus der Ukraine

Fakten checken im Krieg: Nur Überprüfbares ist Wahres

Es ist Krieg in Europa. Das ist für auch für viele Journalist:innen eine fundamental neue Situation. Eine, die überfordernd sein kann, in jedem Fall aber herausfordernd ist: Jedes Wort, jedes Bild, jeder Videoschnipsel kann ein Lauffeuer entfachen. Und gerade weil das so ist, sollten wir uns dringend an das erinnern, was wir gelernt haben: Material, Quellen und Informationen müssen immer sorgfältig geprüft werden. „Be first, but first be right.“

In so genannten Lagen, etwa bei Terroranschlägen oder als die Taliban Afghanistan wieder an sich rissen, hat es sich bewährt zu unterscheiden zwischen „Was wir wissen“ und „Was wir nicht wissen“. Und grundsätzlich sollte nur on air, ins Blatt oder in den Post, was auch überprüfbar ist. Falsch- und gar Desinformation sollte niemals eine Plattform geboten werden.

Eine Regel, die gerade jetzt, in einer Situation, in der eben nicht nur Krieg mit Raketen und Panzern, sondern auch mit Informationen geführt wird, besonders wichtig ist. Mit ein Grund, warum große Medienhäuser Faktenchecker beschäftigen. So auch das ZDF.

Nicht überprüfbar

Der Sender war in einem „ZDF spezial“ gestern nah dran, einerseits. Er sendete unter anderem Interviews mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, mit Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Und er schaltete zu seiner Korrespondentin Katrin Eigendorf, die aus der Ukraine berichtet, zu Anne Gellinek in Brüssel und nach Moskau zu Phoebe Gaa.

Andererseits sendete das ZDF auch einen längeren Beitrag über die Lage in den Kriegsgebieten, der in der zweiten Hälfte vor allem eins lieferte: unbestätigte, „nicht überprüfbare“ Informationen, wie es im Sprecher-Text heißt, „dramatische Aufnahmen von mutmaßlichen ukrainischen Bürgern“, zumeist in Form von Smartphone-Videos, aus „den sozialen Netzwerken“. „Wo sie entstanden sind und ob sie echt sind: Niemand kann das sagen.“

Andere Aufnahmen „sollen aus Charkiw stammen“, wo Straßenkämpfe mit ukrainischen Verteidigern stattgefunden haben sollen. Dann ein brennendes, vermutlich gepanzertes Fahrzeug. „Ob diese Aufnahmen dann das Ergebnis dieser Konfrontationen zeigen, ist wiederum kaum verlässlich zu ermitteln“, sagt der Sprecher. Gesendet werden die Bilder dennoch.

Auch im „heute journal“ von gestern finden sich ähnliche Texte über ähnlichen Bildern: „Das Video: nicht verifiziert“, „nicht vollständig verifizierbar“.

Wohlgemerkt: All das kann wahr sein. Wie im Beitrag wirklich unüberhörbar betont wird, ist das aber eben alles andere als sicher. Es kann aber auch falsch sein.

Wieso hat sich das ZDF dennoch entschieden, diese Bilder zu verwenden? Der Sender teilt auf Anfrage von Übermedien in Bezug auf den „ZDF Spezial“-Beitrag mit:

Autor Gert Anhalt gibt (…) einen Überblick über die aktuelle Lage – und die ist auch dadurch gekennzeichnet, dass durch Lügen und Propaganda das Kriegsgeschehen „vernebelt“ wird. Der Beitrag beleuchtet dabei unter anderem auch, was an Meldungen, Daten und Videos im Umlauf ist und benennt explizit, wo es sich um nicht überprüfbare Bilder oder Aussagen handelt.

Und sagt zu dem anderen Beitrag:

Christian von Rechenbergs Beitrag im „heute journal“ fasste gestern zu Beginn der Sendung die aktuelle Lage zusammen und benannte explizit, wenn es um „unklare“ Meldungen und „nicht vollständig“ verifizierbare Bilder ging.

Bei allem berechtigten Interesse an den neuesten Entwicklungen in diesem Krieg bleibt die Frage: Wozu Material verwenden, das nicht verifizierbar ist? Warum das Risiko eingehen, Falschinformationen zu verbreiten?

Das kostet Glaubwürdigkeit

Es ist erstaunlich, wie weit entfernt diese Form der Berichterstattung vom Anspruch in ähnlich dramatischen Lagen ist. Ein „Was wir nicht wissen“ in Form von: Hier ist Material, das wir nicht überprüfen können, zeigen wollen wir es aber trotzdem mal. Das kostet Glaubwürdigkeit. Und ist ein Reflex, den man aus sozialen Medien kennt, wo alles schnell retweetet wird.

Auch wir haben im Newsletter an unsere Abonnentinen gestern auf eine Szene verwiesen, die offenbar eine Falschinformation enthält. (Wir haben das im Text nachgetragen.) Sie zeigt ein Funkgespräch zwischen ukrainischen Grenzschützern auf der Schlangeninsel im Schwarzen Meer und einem russischen Kriegsschiff, das diese bedroht. Die Grenzschützer quittieren die Drohung mit einem „go fuck yourself“.

Stefan Niggemeier schrieb dazu im Newsletter:

Doch wie umgehen mit all den emotionalen Augenzeugenberichten, die man dort findet, mit dem Entsetzen über Verluste und Dramen, mit der Begeisterung über Erfolge und über eine immer noch nicht eingenommene Stadt, mit der Heroisierung des ukrainischen Präsidenten oder der 13 ukrainischen Soldaten auf der Schlangeninsel im Schwarzen Meer, die der Besatzung eines russischen Kriegsschiffs „fickt euch“ zuriefen, anstatt sich zu ergeben, und das mit dem Tod bezahlten.

Der ukrainische Präsident hatte die Information vom Tod der Soldaten verbreitet und angekündigt, sie posthum zu ehren. Das ukrainische Verteidigungsministerium vermeldete nun aber auf Facebook, dass die 13 Soldaten wahrscheinlich noch am Leben seien, aber in Kriegsgefangenschaft. Was wiederum jenen in die Karten spielte, die sich sonst wenig um die Wahrheit scheren. Der russische Staatssender „RT“ vermeldete die Falschmeldung mit der Überschrift: „Propaganda-Ente von der Schlangeninsel?“.

Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, auch Informationen aus „offiziellen Quellen“ genau zu prüfen – gerade wenn es um Kriegsparteien geht. Und wenn es nicht überprüfbar ist: besser nicht verwenden.

Atom- oder Abschreckungswaffen?

Um Genauigkeit geht es auch bei Übersetzungen. Gestern meldeten verschiedene Medien, Putin hätte „Atom-Streitkräfte“ in Alarmbereitschaft versetzt und mit „Atomwaffen“ gedroht. Aber war es wirklich eine explizit nukleare Drohung? Hatte er von „Atom“ gesprochen? Oder von „Abwehr-Streitkräften“ und „Abschreckungswaffen“, die nicht zwingend atomar sein müssen? Darüber wurde später diskutiert – und Medien korrigierten sich. „Phoenix“ etwa twitterte:

Wie anstrengend, aber auch: wie wichtig das Ringen um exakte Formulierungen ist, betont die Journalistin Hannah Wagner, die für die Deutsche Presse-Agentur in Moskau tätig ist, in ihrer Instagram-Story. Sie schreibt über dem Screenshot eines „Zeit-Online“-Artikels mit der Überschrift „Putin versetzt Abschreckungswaffen in Alarmbereitschaft“:

Eilmeldungen werden bei uns in der Agentur in der Regel innerhalb weniger Minuten geschrieben. Um diese haben die KollegInnen und ich heute verhältnismäßig lange gerungen. Haben wir Putin wirklich ganz richtig verstanden? Keine Nuance falsch wiedergegeben? Kein „und“ überhört, kein „aber“? Bloß nichts raussenden, was wir später nicht mehr einfangen können. Am Ende diese fünf Worte. Ich hätte vor einigen Tagen kaum für möglich gehalten, dass ich sie einmal tippe – und ich wünschte, ich hätte es nicht tun müssen.

Solche Sorgfalt muss das Ziel sein. Sonst müssen Sender – bei dieser Dichte an (noch) ungeprüftem Material – nachträglich eingestehen: Da war nicht alles richtig. Wie es auch „Bild Live“ schon musste.

Den Beitrag für das ZDF beendet Gert Anhalt übrigens mit einem unstrittigen Satz:

Und während auf allen offiziellen und inoffiziellen Kanälen die Anschuldigungen und Apelle, Lügen, Propaganda, Hilferufe und Beleidigungen hin und her fliegen, rüstet sich die ukrainische Hauptstadt für die nächste Kriegsnacht. Und vielleicht für den nächsten russischen Raketenregen.

3 Kommentare

  1. Danke für die gute und beispielhafte Einordnung für Gefahren für Nachrichten aus und über den Krieg, die derzeit gesendet und geschrieben werden.. Ungenauigkeiten und Fehler wandern zudem weiter in lokale und regionale Tageszeitungen, können dort aber leicht unkorrigiert bleiben, weil Richtigstellungen nicht gleichermaßen wieder die journalistischen Medien und die Intermedialen erreichen..
    Anton Sahlender

  2. „bei dieser Dichte an (noch) überprüftem Material“
    Sollte das nicht UNGEprüftes Material heißen?

    Generell scheint mir das Problem zu sein, dass es einfach keine unbefangenen Quellen gibt, und Korrespondenten können nicht überall sein. Woher soll das verifizierte material also herkommen?

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