Prozess in Leipzig

Immobilienunternehmen will Beschwerden von Mietern nicht in Studierendenzeitung lesen

Es gibt Auseinandersetzungen, da scheinen Gut und Böse auf den ersten Blick ebenso klar verteilt wie das offensichtliche Machtgefälle zwischen den Konfliktparteien. David gegen Goliath, Luke Skywalker gegen das Imperium oder die Pressefreiheit gegen den Kapitalismus. Ein solches Paradebeispiel deutet sich derzeit in Leipzig an und wird am morgigen Freitag vor dem Landgericht verhandelt.

Auf der einen Seite des Konflikts: Die „Luhze“, eine Studierendenzeitung, die als gemeinnütziger Verein organisiert ist. Achtmal pro Jahr veröffentlicht die ehrenamtliche Redaktion eine knapp 20 Seiten starke Printausgabe, Auflage zuletzt: 10.000 Stück. Studierende schreiben dort für Studierende über veraltete Rollenbilder an der Hochschule, Studieren unter Coronabedingungen oder modernes Dating. Es geht vorrangig um Hochschulpolitik und Stadtgeschehen.

Zu den Themen, die die Studierenden bewegt, zählt in einer wachsenden Stadt wie Leipzig auch der umkämpfte Wohnungsmarkt, womit wir bei der anderen Seite des Konflikts wären: Die United Capital RE GmbH, ein Immobilienentwickler, dessen Geschäftsmodell im Kern daraus besteht, Wohnungen zu kaufen, den Grundriss neu aufzuteilen und die einzelnen Räume separat als WG-Zimmer für Studierende zu vermieten – für bis zu 18 Euro pro Quadratmeter. „Durch unsere raumsparenden Wohnkonzepte tragen wir dazu bei, mehr qualitativ hochwertigen (frisch sanierten) Wohnraum zu bieten“, beschreibt United Capital ihre Arbeit. „Bei uns stehen die Menschen im Mittelpunkt“, lautet das Firmenmotto.

Mit Blick auf den aktuellen Leipziger Mietspiegel (8,23 Euro pro Quadratmeter) werfen Kritiker United Capital hingegen seit längerem Wucher und hemmungslose Profitmaximierung vor. Hinzu kommen weitere Vorwürfe. Vor allem die Bewohnerschaft eines Leipziger Gebäudes, in dem United Capital mehrere Wohnungen verwaltet, suchte als Initiative organisiert die Öffentlichkeit. Ihre Vorwürfe: Es gebe Entmietungsversuche, teilweise unter dem vorgeschobenen Grund des Eigenbedarfs; Mietern würden Entschädigungszahlungen geboten werden, wenn sie ausziehen, und in den Wohnungen habe es nicht genehmigte Grundrissänderungen gegeben, um mit einzeln mietbaren Zimmern den Profit zu maximieren.

„Zahlreiche unwahre Tatsachenbehauptungen“

Mehrere lokale Medien haben über die Kritik der Bewohnerschaft berichtet. Auch die „Luhze“ griff das für Studierende relevante Thema auf und berichtete in ihrer Dezemberausgabe unter der Überschrift „Bezahlbarer Wohnraum – Streit um die Vorgehensweise von United Capital“. Die Autorin sichtete Unterlagen, sprach mit Mieter*innen, zitierte deren Kritik an dem Vorgehen der Immobilienfirma. Auch United-Capital-Prokurist Sven Schwarzat kam zu Wort. Nicht ihre Immobilienfirma bestimme die Preise, sondern der Markt, teilte er dort mit.

„Luhze“-Artikel: „Bezahlbarer Wohnraum - Streit um die Vorgehensweise von United Capital“

Soweit, so üblich: Mieter, die sich beschweren, ein Immobilieninvestor, der auf den Markt verweist, und ein Medium, das beides wiedergibt und journalistisch einordnet.

Umso überraschter war die „Luhze“-Redaktion, als sie am 23. Dezember Post von einer Berliner Medienrechtskanzlei erhielt. Weil die Studierendenzeitung „zahlreiche unwahre Tatsachenbehauptungen“ über United Capital verbreite und die Firma damit in ihrem „Unternehmerpersönlichkeitsrecht“ verletze, solle die Redaktion eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben und die weitere Verbreitung des Artikels stoppen. Dieser sei durch die Veröffentlichung auf der „Luhze“-Website „weltweit öffentlich abrufbar“, heißt es in dem Schreiben. Zudem stellt die Kanzlei schon für ihr Aufforderungsschreiben der Hochschulzeitung mehr als 2000 Euro in Rechnung.

Am 31. Dezember folgte eine erneute Aufforderung der Kanzlei, die „Luhze“-Redaktion solle bis zum folgenden Montag reagieren. Dazwischen lagen: ein gesetzlicher Feiertag und ein Sonntag. Tatsächlich reichte die Anwältin von United Capital noch an jenem Montag mit einem 55-seitigen Schriftsatz einen Antrag auf einstweilige Verfügung am Landgericht Leipzig ein. Der Hochschulzeitung solle untersagt werden, fünf Passagen, in denen Mieter*innen der United Capital zu Wort kamen, weiter zu verbreiten – vorläufiger Streitwert 25.000 Euro. Die Hochschulzeitung mache sich die Aussagen der Mieter*innen „im Zuge ihrer Verbreitung zu eigen“, heißt es in dem Antrag. Die Äußerungen seien der „Luhze“ daher „vollumfänglich zuzurechnen“.

Für den Rechtsanwalt Jonas Kahl ist diese Argumentation ebenso unverständlich wie das seiner Meinung nach maximal aggressive Vorgehen von United Capital. Er vertritt die Hochschulzeitung vor Gericht und sagt: „Weder hat sich die ‚Luhze‘ die zitierten Aussagen der Mieter zu eigen gemacht, noch handelt es sich dabei unserer Meinung nach um falsche Tatsachenbehauptungen.“ In dem Artikel würden sowohl Immobilienfirma wie auch Mieter*innen zu Wort kommen, und deren Aussagen seien durch Zitate und Konjunktive klar als Äußerungen Dritter erkennbar.

United-Capital-Geschäftsführer Kevin Rader bemängelte hingegen auf Anfrage von Übermedien, er sei von „Luhze“ vor der Veröffentlichung nicht mit den „angeblichen Aussagen“ der Mieter konfrontiert worden und habe so nicht zu „allen Aussagen“ Stellung nehmen können.

„Klarer Einschüchterungsversuch“

Rechtsanwalt Kahl hält auch die Argumentation der Immobilienfirma, es handle sich um Falschbehauptungen, teilweise für abwegig. So will United Capital der Hochschulzeitung verbieten zu schreiben, dass der Firma in einem konkreten Haus sieben Wohnungen gehören: Lediglich eine Wohnung sei Eigentum der Firma United Capital; sechs weitere würden lediglich als Sondereigentum durch United Capital verwaltet – Eigentümer seien in diesem Fall die Geschäftsführer von United Capital als Privatpersonen.

„Der Streitwert, die gesetzten knappen Fristen, die Formulierungen in dem Schreiben, das war für uns im Gesamtbild vor allem ein klarer Einschüchterungsversuch“, sagt Luise Mosig, Vereinsvorsitzende und ehemalige Chefredakteurin der „Luhze“. Sie verweist auf das massive finanzielle Gefälle zwischen der Hochschulzeitung und der Immobilienfirma: „Als ehrenamtliche und gemeinnützige Organisation hätte bereits die erste Rechnung unseren finanziellen Puffer gesprengt. Wir hangeln uns von Ausgabe zu Ausgabe.“

Auch inhaltlich sei die Redaktion überrascht gewesen, wie sich United Capital an dem Artikel in der Hochschulzeitung störe – besonders weil deren Prokurist Schwarzat sich unmittelbar nach Veröffentlichung noch einmal bei der Autorin gemeldet habe, um sich für den „ausgewogenen Artikel“ zu bedanken. Lediglich einen einzelnen Satz des Artikels, in dem Mieter berichteten, sie würden „mürbe gemacht“, bemängelte United Capital. Wie aus dieser Kritik an der Kritik ein juristischer Frontalangriff wurde, ist nicht ganz klar und wollte Geschäftsführer Rader vor dem Prozess uns gegenüber nicht beantworten.

Ein Grundsatzstreit

Die Beteiligten sehen in der Auseinandersetzung zugleich einen Grundsatzstreit. „Sollte das Landgericht Leipzig zu dem Ergebnis kommen, dass unsere Berichterstattung das Unternehmenspersönlichkeitsrecht von United Capital verletzt und somit unterlassen werden muss, sehen wir auch die Pressefreiheit generell in Gefahr“, sagt „Luhze“-Vorsitzende Mosig.

Journalistische Arbeit und insbesondere Berichterstattung über Missstände werde erheblich erschwert, wenn Vorwürfe von Dritten nur noch unter der Gefahr geäußert werden könnten, dass finanzstarke Unternehmen bei unliebsamer Berichterstattung potenziell existenzgefährdende Ansprüche stellen.

Auch Rechtsanwalt Kahl betont den exemplarischen Charakter dieses Rechtsstreits: „Es ist natürlich ein potenzieller Präzedenzfall dazu, wie mit der Frage umgegangen wird, ob sich ein Medium kritische Äußerungen zu eigen macht. Für den Journalismus insgesamt könnte das Ergebnis unter Umständen ein beschränkendes Urteil über den Einzelfall hinaus sein.“ Zugleich betont er, dass ein solcher Ausgang sowohl angesichts der bisherigen Rechtsprechung, wie auch mit Blick auf den konkreten Fall unwahrscheinlich sei.

Doch die Studierendenzeitung fürchtet um ihre Existenz: Die Kosten des Rechtsstreits gefährden den Fortbestand des selbstorganisierten Mediums, in dem Studierende seit zwei Jahrzehnten erste journalistische Erfahrung sammeln konnten. „Finanziell sitzt United Capital jedenfalls am längeren Hebel“, betont Luise Mosig.

United-Capital-Geschäftsführer Rader weist das zurück: Man habe mehrfach das Gespräch mit der Chefredakteurin gesucht, um eine Eskalation zu vermeiden. „Allerdings wurde uns durch die Anwälte der ‚Luhze‘ mitgeteilt, dass sich die ‚Luhze‘ nicht mehr vor Prozess einigen möchte und auf jeden Fall den Gerichtstermin möchte.“ Da man die außergerichtliche Einigung nicht möchte, könne der Prozess nicht existenzgefährdend sein.

Aufmerksamkeitsökonomie: Der Markt regelt

Neben grundsätzlichen Fragen von Pressefreiheit, Medienrecht und den Regeln des Marktes bleibt ein weiterer Aspekt: Tut sich eine Firma, die in dieser Weise versucht, unvorteilhafte Berichterstattung zu verhindern, damit einen Gefallen?

Die Meldung der „Luhze“ über den anstehenden Prozess wurde in sozialen Medien hundertfach geteilt; der Deutsche Journalistenverband Sachsen verbreitete den Fall „David gegen Goliath“ in seinem Newsletter und kritisierte das Vorgehen von United Capital. Die Onlineversion der Dezemberausgabe mit dem beanstandeten Text hat es mühelos zur meistgeklickten „Luhze“-Ausgabe aller Zeiten geschafft. Für den Verhandlungstag ruft eine Leipziger Initiative zu einer Kundgebung vor dem Gericht auf.

Die Immobilienfirma sieht daher auch das Machtgefälle zwischen den streitenden Parteien genau umgekehrt: „Momentan nutzt die ‚Luhze‘ ihre Reichweite, ihre mediale Macht und Erfahrung, um den Gerichtsprozess zu politisieren.“ Man sei nicht die große kapitalstarke Firma, zu der sie von der „Luhze“ stilisiert würde. „Für mich sieht das eher danach aus, dass man die Öffentlichkeit nutzen möchte, um sich zu profilieren und Reichweite zu generieren.“

Die in der Zeitung geschilderten Vorwürfe kann man mittlerweile auch an anderer Stelle lesen. In dieser Woche veröffentlichte die Stadt Leipzig Antworten zu diversen Fragen rund um das Geschäftsgebaren der United Capital. Was nun als Dokument auf der Website der Stadtverwaltung „weltweit öffentlich abrufbar“ steht: Zu mindestens 23 Objekten, die der United Capital RE oder deren Geschäftsführer als Privatpersonen gehören, liegen der Leipziger Stadtverwaltung Beschwerden über vermutete Verstöße gegen erhaltungs- und baurechtliche Vorschriften vor. Zudem seien der Stadt zahlreiche weitere Beschwerden über die United Capital RE bekannt: „aktive Entmietung – teilweise unter dem Vorwand des Eigenbedarfs“, Angebote von „Entschädigungszahlungen“ bei freiwilligem Auszug, „teilweise ungenehmigte Grundrissänderungen“. Das vermutete Ziel: „Die erzielten Mietpreise einer Wohnung als WG mit den nunmehr einzeln mietbaren Zimmern lassen deutlich höhere Gesamtkaltmieten vermuten, als diese als gesamt vermietete Einzelwohnung erwarten lässt.

Auch diese Zusammenfassung über United Capital wäre ohne den Wirbel um den „Luhzeprozess“ wohl wenig beachtet in den Tiefen der digitalen Stadtverwaltung untergegangen.

Nachtrag, 21. Januar. Laut „Luhze“ hat die United Capital ihren Antrag vor Gericht zurückgezogen.

5 Kommentare

  1. Danke für diesen Artikel über einen Fall, der ansonsten wohl spurlos an mir vorbeigegangen wäre. Er passt einfach wunderbar ins Schema „Amoralische Wohlhabende nutzen die Zwangslage Anderer aus, um sich daran fast risikolos zu bereichern“, äh, nee, Quatsch. Ich meinte: „Clevere Geschäftsleute treffen perfekten Zeitpunkt für innovatives Investment zum Wohle der Gesellschaft“.
    Dass vor dem Hintergrund solcher Fälle zunehmend mehr Menschen nicht nur die Rolle des Staates kritisieren, sondern gleich den ganzen Staat (und damit wie nebenbei die Demokratie) ablehnen, kann ich nur allzu gut verstehen. Ich will sagen: Dass solche menschenfeindlichen Geschäftsmodelle überhaupt legal sind, das ist der eigentliche Skandal.

    Zum Stichwort „zu eigen machen“, fällt mir allerdings ein, dass der Text ein bisschen zu sehr die Panik der Luhze-MacherInnen transportiert. Kleiner als „sehen wir auch die Pressefreiheit generell in Gefahr“ ging es wohl nicht.
    Daher bin ich sehr froh, dass wenigstens deren Anwalt klarstellt, dass die Wahrscheinlichkeit einer juristischen Niederlage sehr gering ist.

  2. Danke, dass auch hier der Sache Aufmerksamkeit gegeben wird.

    „Tut sich eine Firma, die in dieser Weise versucht, unvorteilhafte Berichterstattung zu verhindern, damit einen Gefallen?“

    Es ist egal. Solche Geschichten gab und gibt es zuhauf und Firmen in der Größenordnung tragen keinen Schaden davon. Das regelt der Markt tatsächlich, insbesondere bei notwendigen Leistungen wie Wohnung, Strom etc. aber auch bei den meisten anderen Dingen.

  3. Ich habe mich beim Lesen dauernd gefragt, wie ein Immobilienentwickler »Eigenbedarf« anmelden kann. Aber dann habe ich auf der Website der GmbH den Kevin und den Sven gesehen und verstanden, dass ihnen die Wohnungen persönlich gehören und die GmbH auch nur ein Wichtigtuer-Mäntelchen für tumbestes Unternehmertum ist und ach egal … vielleicht versohlt ein Richter den Buben demnächst ja mal ordentlich den Arsch.

  4. Es ist fast schon zu bedauern, dass es nicht zu dem Gerichtstermin gekommen ist, denn es ist nicht wirklich zweifelhaft, dass das Unternehmen keine Chance hatte, den Rechtsstreit zu gewinnen.

    Das führt dann aber zu der Frage, ob hier das Unternehmen bewusst eine gar nicht existierende Rechtsposition geltend gemacht hat, in der Annahme, den vermeintlich „schwächeren“ Widerpart gleichwohl in die Knie zwingen zu können. Das war bis vor Kurzem auch noch sehr viel leichter möglich als gegenwärtig, da im Grunde einstweilige Verfügungen auf Zuruf der antragstellenden Seite erlassen wurden, bevor das Bundesverfassungsgericht dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben hat.

    Auf dieser Grundlage wäre eine weitere Frage, warum der Name der Anwaltskanzlei nicht genannt wird. Ein schutzwürdiges Interesse, dass die Öffentlichkeit nicht erfährt, welche Kanzlei sich für ein derartiges Vorgehen hergibt, ist ebenfalls nicht anzuerkennen.

  5. #4
    So einfach ist es nicht. Wenn alle Kritik der Zeitschrift berechtigt ist, aber die Darstellung der Eigentumsverhältnisse nicht korrekt erfolgten, besteht die Gefahr, dass die Kläger in diesem einen Punkt Recht bekommen und die Beklagten anteilig an Gerichts- und Anwaltskosten beteiligt werden, was für ein Studentenmagazin mit viel ehrenamtlicher Beteiligung und ohne große Einkünfte schon verheerend sein kann, auch wenn sie dann insgesamt gewonnen haben.

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