Der Autor
Frederik von Castell ist Redaktionsleiter von Übermedien. Als Datenjournalist und Faktenchecker war er unter anderem für HR, SWR und dpa tätig. Von Castell ist außerdem Recherchetrainer, unter anderem am Journalistischen Seminar Mainz.
Die Story ist ein Traum: Ein Schäferhund namens Gunther VI., jüngste Generation einer Hunde-Dynastie, soll eine halbe Milliarde Dollar von einer deutschen Gräfin geerbt haben. Und nun eine Villa in Florida besitzen, in der zuvor einmal die Sängerin Madonna gelebt hat. Die nun für 31 Millionen US-Dollar verkauft wird (die Villa, nicht Madonna).
Dazu noch ein Hochglanz-Video des Makler-Büros, das das luxuriöse Anwesen in Miami tatsächlich derzeit an Käufer zu bringen versucht. Darin tollt der Schäferhund liebreizend im Garten der Luxusvilla mit einem Tennisball umher, pflanzt sich am Pool auf eine Liege und lässt sich von der Maklerin kraulen. Unglaublich.
Seit fast drei Jahrzehnten touren Gunther und seine Ahnen durch internationale Medien und produzieren weltweit immer neue Berichte. Aktuell hat die amerikanische Nachrichtenagentur AP mit der Madonna-Geschichte eine neue Welle angestoßen.
Doch der Hund ist eine Ente. Nachdem Übermedien recherchiert und die Agentur darauf hingewiesen hat, hat sie die Meldung zurückgezogen: Die Gunther-Saga wirke wie ein PR-Stunt, schreibt die Agentur nun, um Reporter in die Irre zu führen. Das ist auch in den vergangenen Tagen wieder in beeindruckender Weise gelungen.
„Kein Witz!“, stellt „Bild“ der Schlagzeile „Deutscher Schäferhund verkauft Madonnas Millionen-Villa“ vermutlich vorsichtshalber voran. Nicht, dass noch irgendeine Spürnase auf die Idee käme, das zu überprüfen.
RTL und das ARD-Magazin „Brisant“ zeigen den herumtollenden, angeblich schwerreichen Hund in und vor dem Luxusanwesen.
Es berichten aber auch viele andere Medien in aller Welt, etwa die „Daily Mail“ und „Forbes“.
Die eigentlich seriöse Nachrichtenagentur AP (sowohl die US-Kollegen als auch in einer deutschsprachigen Meldung vom 17. November) hat für ihre Story gleich massig Bildmaterial mitgeliefert. Und einen inzwischen gelöschten Tweet (aber hier archivierten) abgesetzt.
Der Hund und seine Ahnen tollen schon seit vielen Jahren durch die Medien. Es gab schon zuhauf Berichte über Gunter oder Gunther (die Kolleginnen und Kollegen können sich nicht auf eine einheitliche Schreibweise einigen) und sein aufregendes Luxusleben. In Deutschland tauchte die Mär von Gunther vermutlich erstmals 1994 auf. Eine Meldung aus dem Januar („taz“ mit „dpa“) zu Gunthers Großvater, Gunther IV., findet sich noch in den Archiven.
Kurz darauf wurde die Geschichte aber auch schon öffentlich als Ente entlarvt. Im Archiv der italienischen la Repubblica steht eine Meldung aus dem Juni 1995. Übersetzt steht dort:
Gunther der Hund, erfundenes Erbgut
PISA – Seit fast zweieinhalb Jahren machen sich Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsender in aller Welt über die Geschichte einer Erbschaft von 137 Milliarden an den Hund Gunther lustig. Gestern haben sie [die Gunther Foundation, Anmerkung Übermedien] beschlossen, die ganze Wahrheit zu sagen: Es gibt kein Erbe, sie haben alles erfunden, um Publicity zu bekommen. „Und auch – wie Maurizio Mian, Leiter der Gunther-Stiftung, die vor zwei Jahren auf den Spuren des deutschen Schäferhundes Gunther gegründet wurde, sagte – um eine bestimmte Art der Kommunikation anzuprangern, die falsche Charaktere und falsche Helden schafft“. Und so enthüllt eine lakonische Pressemitteilung, unterzeichnet von der Gunther-Stiftung, die kolossale Lüge: „Die Adelige Carlotta Liebenstein hat nie existiert“. Ende des Witzes.
Der „Spiegel“ listete Gunther 2017 in einer Reihe von „historischen Fake News“ und schrieb:
Reichster Hund der Welt: Ihrem geliebten deutschen Schäferhund „Gunther IV.“ hinterließ Gräfin Carlotta Liebenstein bei ihrem Tod 1991 angeblich ihr gesamtes Vermögen, geschätzte 100 Millionen Schweizer Franken. Zeitungen in aller Welt veröffentlichten 1992 diese Sensationsnachricht. Zahlreiche Fernsehteams fuhren nach Pisa, um den steinreichen Hund zu filmen. Angeblich wurde „Gunther IV.“ sogar von einem eigenen Koch verwöhnt. Erst drei Jahre danach erklärte die Stiftung, die den Nachlass verwaltete, man habe sich lediglich einen Scherz erlauben wollen.
Frederik von Castell ist Redaktionsleiter von Übermedien. Als Datenjournalist und Faktenchecker war er unter anderem für HR, SWR und dpa tätig. Von Castell ist außerdem Recherchetrainer, unter anderem am Journalistischen Seminar Mainz.
Eine einfache Online-Recherche hätte zahlreiche weitere Anzeichen dafür geliefert, dass hinter Gunthers Geschichte offenbar nicht viel mehr steckt als ein Scherz seines offenbar exzentrischen Herrchens Maurizio Mian. Und hat sich eigentlich jemals jemand auf Spurensuche nach der Gräfin Carlotta (oder Karlotta, auch hier sind die Kolleginnen und Kollegen uneins) Liebenstein gemacht? Für ihre Existenz finden sich keine Belege.
Immerhin Maurizio Mian existiert, ist aber zugegebenermaßen schwer zu greifen: Reich soll der aus Pisa stammende Mian in der Pharmabranche geworden sein. Seinen Namen liest man zumeist in Zusammenhang mit (meist gescheiterten) Versuchen, Fußballvereine zu übernehmen. 2002 bis 2005 war er Präsident des Vereins Pisa Calcio.
Als ziemlich eindeutigen Hinweis, dass der vermögende Gunther ein PR-Coup Mians ist, hätte man auch einen Artikel der „Tampa Bay Times“ aus dem Jahr 2015 verstehen können. Dort ist bereits von einem offensichtlichen Werbegag die Rede gewesen, als Gunther, nein, Mians Firma, die nach Gunther benannt ist, das Haus erwarb.
Das wäre alles viel zu viel Arbeit für eine aktuelle harmlose Geschichte im Bunten? Uff, na gut, wenn Sie so denken, aber jemand anderes hat sich diese Arbeit schon gemacht: Jennifer Gould hat bereits einen Tag nach der AP-Meldung aufgeschrieben, dass die Story eine Luftnummer ist. Für die „New York Post“. Gould zitiert eine nicht namentlich genannte Person „die den Deal kennt“ – und konfrontiert Maurizio Mian. Der sagt: „Es ist kompliziert (…). Das Haus gehört nicht einem Hund (…) aber es gibt eine Grundlage [für die Pflege des Hundes]. (…) Der Hund gehörte jemand anderem.“
Auch die Maklerin kommt in der „New York Post“ zu Wort und behauptet, sie habe nicht gewusst, dass der Hund nicht der Eigentümer des Hauses sei. Ein zweiter Blick auf die Website ihrer Maklerfirma, die das Anwesen zu verkaufen versucht, hätte jedoch Skepsis auslösen müssen: Im eigentlichen Angebot auf der Website der Makleragentur taucht der Schäferhund nämlich nicht auf.
Zumindest was die diesjährige Version der Gunther-Geschichte angeht, liegt der Hund offenbar, pardon, bei AP begraben. Am Montagnachmittag haben wir, nachdem wir recherchiert haben, dass die Meldung nicht stimmen kann, die Agentur und ihren deutschen Ableger darauf hingewiesen. Wir wurden vertröstet – das könne ein bisschen dauern, das nachzurecherchieren. Eineinhalb Tage später nun hat AP die Geschichte gekillt, wie es im Agentursprech heißt.
Heute Nacht haben die US-Kollegen den Artikel von der Seite genommen und durch einen neuen ersetzt – einer Korrektur der Rechercheergebnisse. Dort heißt es nun, von uns übersetzt:
Zwar ist die Villa tatsächlich im Besitz der Gunther Corp. und wird von dieser verkauft, wie aus den Immobilienunterlagen von Miami-Dade County hervorgeht, aber die Rolle des Hundes scheint kaum mehr als ein Witz zu sein, der seit Jahrzehnten weitergeführt wird.
Und es gibt keine Hinweise auf eine deutsche Gräfin.
Die AP berichtete über die Geschichte, nachdem sie eine Pressemitteilung der Pressevertreter der Immobilienmakler erhalten hatte, die die Villa angeboten hatten.
„Die AP hat eine Geschichte veröffentlicht, die nicht unseren Standards entsprach und nicht hätte veröffentlicht werden dürfen. Wir haben unsere Sorgfaltspflicht bei der Berichterstattung nicht eingehalten. Wir haben die Geschichte korrigiert und entschuldigen uns dafür“, sagte AP-Sprecherin Lauren Easton in einer Erklärung.
Im Vorspann des Textes steht: „AP ist auf Teile des Stunts hereingefallen und entfernt die fehlerhafte Geschichte.“ Heute früh um 8:54 Uhr hat auch der deutsche Dienst die Meldung zurückgezogen. War es das mit Gunthers Medien-Karriere?
Nachtrag, 16:20 Uhr. Der deutsche Dienst von AP hat inzwischen ebenfalls eine neue Fassung seiner Meldung gebracht:
AP korrigiert falsche Geschichte: Kein Hund als „Villenbesitzer“
Fort Lauderdale (AP) – Mehr als 20 Jahre lang sind Deutsche Schäferhunde in Florida namens Gunther immer wieder in Nachrichten als wohlhabende Erben einer deutschen Gräfin aufgetaucht. Die Geschichte ist falsch. Erfunden hat sie offenbar ein Mann, der selbst reich geerbt hat. Der Italiener Maurizio Mian benutzte die Fabel vom weltreisenden Hund, um den Verkauf von Immobilien und anderen Projekten voranzubringen. (…)
Zuvor hatte das deutsche Medienmagazin „Übermedien“ auf die Unstimmigkeiten hingewiesen und später auch einen Bericht dazu veröffentlicht. (…)
Vielen Dank an den Hinweisgeber Hannes Schrader!
Sylvester Stallone möchte sein luxuriöses Heim in Miami loswerden. Nicht so sehr die Summe von 27,5 Millionen Dollar ist bemerkenswert, sondern die Tatsache, daß es zwei Interessenten gibt – der eine ist ein millionenschwerer deutscher Schäferhund, der geerbt hat.
„Frankfurter Rundschau“, 14. Januar 1999
Flöhe kann sich Gunther IV. nicht leisten – aber sonst alles in der Welt. Gerade erst hat sein Vormund für ihn für 7,5 Millionen Dollar die Ex-Villa von Madonna in Miami erstanden. Wäre er kein Schäferhund, würde er wahrscheinlich jetzt um die Hand von Britney Spears anhalten. So zieht er sich lieber allein in Madonnas früheres Schlafzimmer zurück. Allerdings nur, wenn er in Miami weilt … Sein 200-Millionen-Dollar-Vermögen wird von der Gunther Corporation vermehrt. Steinreich wurde er durch seinen Erzeuger Gunther III., der das Geld 1992 von der deutschen Gräfin Karlotta Liebenstein erbte. Was für ein Hundeleben, wau!
„taz“, 15. Juli 2000
Die Londoner „Mail on Sunday“ ermittelte die Top Ten der reichsten Tiere. Den Vogel schießt dabei der deutsche Schäferhund Gunther IV. ab. Seine Besitzerin Gräfin Karlotta Liebenstein hinterließ ihrem vierbeinigen Liebling 140 Millionen Euro. Gunther hat einen Butler und eine Haushälterin, besitzt Anwesen auf den Bahamas, Italien und Deutschland und geht täglich in seinem Privatpool schwimmen. Sein größter Coup: In Miami (Florida) „kaufte“ er für 6,5 Millionen Dollar die alte Villa von Popstar Madonna und schläft ab und zu in ihrem Schlafzimmer!
„Hamburger Abendblatt“, 12. Mai 2003
Es ist ein Deutscher, der die Liste der Superreichen anführt. Günther IV. ist zwar hier zu Lande kaum bekannt, doch sein Vermögen ist riesig. Halt! War nicht Bill Gates die Nummer 1 der Vermögenden? Das stimmt für die Liste der reichsten Menschen, aber bei den Tieren führt ein Deutscher Schäferhund: Günther IV. Der in Deutschland lebende Hund kam, wie so viele Wohlhabende, durch eine Erbschaft an seinen Besitz. Sein Vater Günther III. hinterließ ihm 140 Millionen Euro.
„Die Sparkassen-Zeitung“, 6. Juni 2003
Verwöhnte Tiere gibt es reichlich auf dieser Welt und auch steinreiche. Superkrösus ist der Deutsche Schäferhund Gunther IV mit 272 Millionen Euro auf dem Konto. 1992 hatte Gräfin Karlotta Liebenstein seinem Vater 90 Millionen vermacht und die Hunde hatten schlaue Vermögensberater.
„Lübecker Nachrichten“, 26. Oktober 2006
Der deutsche Schäferhund Gunther IV ist das reichste Tier der Welt. Seine Besitzerin Gräfin Karlotta Liebenstein hinterließ dem Vater von Gunther IV ihr Vermögen. Seit sein Frauchen und Vater nicht mehr auf dieser Welt sind, lässt es sich Gunther IV so richtig gut gehen. Er besitzt Anwesen auf den Bahamas, in Italien und Deutschland, Anteile an einer Zeitung, einem Modehaus und an einem Fußballclub. Täglich planscht er einmal in einem Privatpool. Und weil ihm all der Luxus offenbar noch zu wenig war, ließ er unlängst für 6,5 Millionen Dollar die alte Villa von Popstar Madonna aufkaufen.
„Rheinische Post“, 3. März 2007
Die Liste der reichsten Tiere wird vom deutschen Schäferhund Gunther IV. mit einem Vermögen von 400 Mio. $ angeführt. Dieses hat er erstaunlicherweise von einem anderen Tier, seinem Vater Gunther III., geerbt. Dieser wiederum war der Alleinerbe des Vermögens seiner kinderlosen Besitzerin Gräfin Karlotta Liebenstein. Der Hund soll mehrere teure Anwesen auf der ganzen Welt besitzen und beschäftigt einen Butler und eine Hausangestellte.
„Neue Zürcher Zeitung“, 4. März 2019
Was ist eigentlich aus Gunther V. geworden? Enterbt wegen einer unstandesgemäßen Affäre mit einer Promenadenmischung?
Sehr schön!
Liebes Übermedien-Team, wie wäre es mit einer neuen Serie mit dem (Arbeits-)Titel „Geschichten die einfach zu gut funktionieren, als sie tot zu kriegen“?
Im Prinzip ähnlich – nur in schauriger Richtung funktionierend – auch der angeblich abgeschnittene Daumen aus dem Aktenzeichen XY Film, der fast schon im kollektiven Gedächtnis jedenfalls der Bestager ist.
Und der Übonennenten-Schwarmintelligenz fallen sicher auch noch etliche Beispiele ein…
Naja, nu so eine spontane Idee…
Liebes Übermedien-Team, die Übersetzung des Repubblica-Artikels ist leider ein wenig mangelhaft, insbesondere die Überschrift und der erste Satz.
Korrekt sollte es etwa so heißen:
Hund Gunther: Erbschaft erfunden
Pisa. Fast zweieinhalb Jahre lang haben sie Zeitungen, Magazine und Fernsehsender auf der ganzen Welt mit der Geschichte einer Erbschaft von 137 Mrd, die dem Hund Gunther hinterlassen worden sein sollen, auf den Arm genommen.
Gestern haben sie sich entschieden, die ganze Wahrheit zu sagen: Es gibt keine Erbschaft, alles ist nur eine Erfindung zu PR-Zwecken. »Das Ziel war es auch«, sagte Maurizio Mian, Leiter der Gunther Foundation, die vor zwei Jahren in den Fußstapfen des Deutschen Schäferhunds Gunther gegründet wurde, »eine gewisse Art der Kommunikation anzuprangern, die falsche Charaktere, falsche Helden, schafft«.
Und so, mit einer lakonischen Pressemitteilung, unterzeichnet von der Gunther Foundation, ist die kolossale Lüge enthüllt: »Die Adlige Carlotta Liebenstein hat nie existiert«. Spaß vorbei.