„Die Uiguren haben eine reiche Kultur“, heißt es in der Doku-Reihe „Chinas geheimnisvolle Landschaften“ über die im Nordwesten gelegene Region Xinjiang. Untertitel der Sendung: „Eine moderne Oase“. Es geht um Volkstänze, traditionelle Musik, moderne Baumwollernte, riesige Windparks und spektakuläre Wachstumszahlen. „Dank der neuen Hochgeschwindigkeitszüge auf der neuen Seidenstraße sind gute Gewinne aus dem wachsenden Handelsnetz zu erwarten“, erklärt der Sprecher. Knapp die Hälfte der 23 Millionen Einwohner Xinjiangs zähle zum Volk der Uiguren, „die Uiguren sind Muslime“.
Worum es nicht geht: um die Unterdrückung, Inhaftierung, Überwachung genau dieser Einwohner.
Dabei wurde in den vergangenen Jahren immerwiederberichtet, wie brutal Uiguren unterdrückt werden. Mehrere Millionen Menschen sollen vom Pekinger Regime in Lager gesperrt worden sein, es soll auch Folter und erzwungene Geburtenkontrolle geben. Laut verschiedenen Experten und dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags (PDF) kann man von einem Genozid sprechen.
„Einfühlsame Neugier“?
Doch die Doku, die anlässlich des UN-Welttags der kulturellen Vielfalt Ende Mai lief, geht darauf nicht mit einem Wort ein – obwohl Phoenix seinen Zuschauern versprach, „mit großer Offenheit und einfühlsamer Neugier in verschiedenste Lebenswelten und Kulturen rund um den Globus“ zu blicken.
Der Film verschweigt auch die in den „China Cables“ dokumentierte totalitäre Kontrolle und Überwachung in Xinjiang. Wie kann es sein, dass so offensichtliche Propagandainhalte auf Phoenix – dem Sender, der mit dem Slogan „Das ganze Bild“ wirbt – ausgestrahlt werden? Und warum verteidigt der Sender die Dokus, nimmt sie aber doch aus der Mediathek?
Produziert wurden die Filme von der neuseeländischen Produktionsfirma NHNZ und dem „China Intercontinental Communication Center“, das sich selbst als „umfassende internationale kulturelle Kommunikations-Agentur“ beschreibt. Laut China-Expertin Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund gehört es zum Außenpropaganda-Apparat der Kommunistischen Partei.
NHNZ arbeitet regelmäßig mit chinesischen Partnern zusammen – und geht dabei offensichtlich problematische Kompromisse ein. Weiterer Koproduzent ist die ZDF-Tochter ZDF Enterprises, unterstützt wurde die Reihe von der neuseeländischen Filmkommission.
Der Autor
Hinnerk Feldwisch-Drentrup ist freier Journalist in Berlin. Er hat 2015 am dreimonatigen Austauschprogramm „Medienbotschafter China-Deutschland“ der Robert-Bosch-Stiftung teilgenommen und war seitdem mehrfach in China. Auch zu Wissenschafts- und Gesundheitsthemen schreibt er für den „Tagesspiegel“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „FAZ“ und „Zeit Online“. Bei Twitter ist er hier zu finden.
Tibet und Yunnan
Die beiden anderen Teile der Serie – am selben Tag ausgestrahlt – sind ähnlich strukturiert wie der Xinjiang-Film. „Tibet – Land zwischen Tradition und Moderne“ heißt der eine: Darin verbindet ein Mandarin sprechender Modedesigner in seiner Arbeit Vergangenheit und Gegenwart.
„Mein Lhasa ist sehr offen – hier herrscht sehr viel Toleranz“, sagt er über die Hauptstadt Tibets. China habe riesige Summen investiert, Tibets Wachstum sei überdurchschnittlich, heißt es im Film. Eine Professorin, die auf der Hochebene kosmische Strahlen untersucht, sagt: „Wir geben alles, um weltweit führend zu sein“. Ein neuer Tunnel werde noch mehr Wohlstand bringen. „Der einzige Wermutstropfen ist, dass ich alt werde“, sagt ein älterer Tibeter.
Die dritte Sendung „Yunnan – das Land der bunten Wolken“ soll die Kulturgeschichte wie auch Gegenwart der benachbarten Provinz Yunnan vorstellen, die im Süden Chinas liegt. Über Jahrtausende hätten die natürlichen Grenzen dieser abgelegenen Provinz „einzigartige Kulturen und einige der weltweit außergewöhnlichsten Lebensstile entstehen lassen“, erklärt der Sprecher. Gezeigt wird eine traditionelle Schlammschlacht, Tee- oder Blumenanbau, eine elf Jahre alte Schwimmerin träumt von der Olympiateilnahme. „Yunnan galt einst als ländliches Hinterland Chinas“, heißt es. „Die Erinnerungen an abgeschnittene und arme ethnische Minderheiten wurden längst hinweggefegt. Das moderne Yunnan nutzt seine kulturelle und biologische Vielfalt im Zeitalter hochtechnologischer nachhaltiger Entwicklungen.“
Sehr viel Kritik
Mehrere NGOs, die Menschen aus den jeweiligen Regionen vertreten, sind entsetzt. Hanno Schedler, der Referent für Genozid-Prävention bei der Gesellschaft für bedrohte Völker ist, sagt über die Xinjiang-Folge:
„Es ist schon beeindruckend, eine Dokumentation zu schauen, in der so viel weggelassen wird.“
Es werde ein Windpark vorgestellt, das nahegelegene Umerziehungslager hingegen nicht, kritisiert er. Politik würde nur in Form von Lob für die wirtschaftliche Entwicklung thematisiert. „Von öffentlich-rechtlichen Sendern wie Phoenix und dem ZDF würde ich erwarten, dass so ein schön gefilmtes Machwerk nur im Kontext eines Themenabends über Propaganda ausgestrahlt wird.“
Dass den Uiguren eine „reiche Kultur“ bescheinigt werde, sei angesichts von totaler Überwachung, systematischer Gewalt oder Gehirnwäsche „an Zynismus nicht zu überbieten“, sagt Margarete Bause, menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen: Die KP verfolge das Ziel, diese Kultur zu zerstören. Aus ihrer Sicht entspreche die Serie „in keiner Weise journalistischen Standards, auf die die öffentlich-rechtlichen Anstalten in besonderer Weise verpflichtet sind“.
Der Film zu Ostturkistan – wie Uiguren Xinjiang nennen – gebe eins zu eins chinesische Propaganda und Stereotype wieder. Es sei ein Skandal, dass Phoenix und ZDF Enterprises diese „Propagandadokumentation“ in ihrem Programm hätten, sagt Eva Stocker vom Weltkongress der Uiguren:
„Ostturkistan als eine Region darzustellen, in der Menschen ihre Kultur und Religion frei ausleben können, ist nicht nur eine dreiste Lüge, sondern auch eine Verhöhnung der 1,8 bis 3 Millionen Uigur*innen, die für das Tragen eines zu langen Bartes, dem Besitz eines Korans oder ähnlichem von der chinesischen Regierung in über 1.000 Internierungslagern unter menschenunwürdigen Bedingungen willkürlich festgehalten werden.“
„Geheimnisvolle Landschaften“?
Auch für Tenzyn Zöchbauer, Geschäftsführerin der Tibet Initiative Deutschland, ist die Filmreihe ein „Paradebeispiel für die Verbreitung von chinesischer Propaganda“. Die Tibet-Sendung bediene sich des Narrativs der „rückständigen“ Tibeter*innen, die dank der Unterstützung Chinas nun den Sprung in die Moderne geschafft hätten. Unabhängige Berichterstattung sei in Tibet nicht möglich – daher sei es höchst unwahrscheinlich, dass die Tibeter*innen in der Dokumentation frei sprechen konnten.
Wie der Titel „Geheimnisvolle Landschaften“ schon verrate, handele es sich um Gebiete, von denen wir als Rezipient*innen sonst nur wenig mitbekämen, sagt Zöchbauer. „Das liegt jedoch nicht daran, dass die Bevölkerung sich abschirmt oder der modernen Welt den Rücken kehrt“, sondern daran, dass Peking sie „unter Verschluss hält“.
„Der Film hätte nicht im deutschen Fernsehen gezeigt werden dürfen“, sagt Kai Müller, Geschäftsführer der International Campaign for Tibet. „Dass die zuständige Redaktion die chinesische Propaganda offenbar nicht erkannt hat und die zutiefst diskriminierende Sicht der KP Chinas auf die Tibeter weiterverbreitet hat, ist vollkommen inakzeptabel.“
ZDF und Phoenix verteidigen die Serie
Die Einschätzung, dass es sich um KP-Propaganda und nicht wirklich um ein dokumentarisches Format handelt, teile ZDF Enterprises nicht, erklärt eine Sprecherin: „Wir vertreiben nur dokumentarische Formate.“ Geschäftspartner seien vertraglich zur Prüfung von Fakten und Einhaltung dokumentarischer Standards verpflichtet. „Es handelt es sich hier um eine Programmfarbe, die wir vertreiben, und der Produzent NHNZ sichert eine hohe visuelle Qualität der Produktionen“, sagt die Sprecherin.
Phoenix verteidigt die Serie ebenfalls: Die Filme sagten nicht, dass sie „die gesamte gesellschaftspolitische Lage der Uiguren oder einer Region Chinas abbilden“, findet Jean-Christoph Caron, Leiter der Redaktion Dokumentationen. Er kritisiert einen zu engen Blick – sonst dürfe man „nur noch über aktuelle Gesellschaftspolitik Chinas berichten“. Es gehe darum, „ein multiperspektivisches Bild zu zeichnen von einem Land. Die Konsequenz wäre sonst, gar nichts mehr über Natur und Kultur und Geschichte eines Landes zu zeigen.“ Phoenix habe auch Filme im Programm, die Probleme in China diskutieren. „Wir zeigen sehr, sehr umfangreiche gesellschaftspolitische Dokumentationen dazu“, sagt Caron.
Im Vorfeld seien bei den Filmen die geltenden Prüfungsstandards eingehalten worden – ein Vier-Augen-Prinzip, eine redaktionelle Inaugenscheinnahme und Plausibilitätschecks, dass ein branchenüblicher dokumentarischer Produktionskontext vorliege. Die Reihe sei auch nach der Ausstrahlung abermals redaktionell überprüft worden, Beanstandungen habe es keine gegeben, sagt Caron: „Wir haben uns rückversichern lassen, ob es irgendwelche Einfallstore gegeben hat, dass journalistische Standards nicht eingehalten worden wären.“ Im Nachgang sei versichert worden, „dass journalistisch getextet und ein dokumentarischer Ausschnitt der Realität zu diesem natur- und kulturgeschichtlichen Hauptschwerpunkt gebracht werden konnte“.
Wieder verschwindet eine Doku aus der Mediathek
Obwohl die Doku-Serie eigentlich ein Jahr lang online sein sollte, hat der Sender sie inzwischen aus der Mediathek gelöscht – wie es kürzlich schon bei einer im Ersten ausgestrahlten, ebenfalls umstrittenen Naturdoku zu Tibet passierte, für die der NDR verantwortlich war. In der Mediathek könne „die Wahrnehmung eines thematisches Gesamtangebots zu China nicht in dem Maße vorausgesetzt werden“ wie im linearen Programm, begründet ein Phoenix-Sprecher die Löschung.
Als ob die treuen Phoenix-Zuschauer das lineare Programm komplett sichten würden und in der Mediathek eine größere Gefahr für einen einseitigen Blick bestünde. Dabei können gerade online ja sehr einfach andere Beiträge verlinkt werden.
Für das Vorgehen des Senders haben die NGOs jedenfalls kein Verständnis. Eva Stocker vom Weltkongress der Uiguren wie auch Tenzyn Zöchbauer von der Tibet Initiative Deutschland fordern Phoenix und ZDF Enterprises dazu auf, sich öffentlich von der Dokumentation zu distanzieren. Und die Grünen-Abgeordnete Bause sagt: „Es ist nicht damit getan, Sendungen verschämt aus der Mediathek verschwinden zu lassen, wenn man merkt, dass journalistische Fehler passiert sind.“
Caron jedoch sieht keinen Bedarf, öffentlich im Programm etwas richtigzustellen oder zu erklären. Der Sender setze sich aber ernsthaft mit Zuschriften auseinander.
6 Kommentare
Hm-hm. Einerseits finde ich, dass es eine gewisse Berechtigung auch für Heile-Welt-Dokus oder auf bestimmte Aspekte beschränkte Reportagen geben sollte. Muss eine Doku über den Regenwald Yucatans die grassierende Bandengewalt in Mexiko und Guatemala erwähnen? Oder eine über traditionelle russische Holzarchitektur die gesellschaftliche Repression in Russland? Oder eine „kulinarische Reise“ nach Marokko diverse unschöne Gesellschaftsaspekte dort? Finde ich nicht, bzw. nur, wenn es den jeweiligen Themenbereich berührt.
Genau das ist hier aber der Fall, und da hört der Spaß halt auf. Ginge es um reine Naturdokus, fände ich es noch ok – aber Volkstanz-Idylle, während nebenan Menschen wegen ihrer ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeit in Lagern sitzen? Geht’s noch?
Wenn ZDF und Phoenix hier kein Problem erkennen, sollten sie dringend ihren journalistischen Anspruch überprüfen.
Ich finde es sehr unglücklich, Selbstverbrennungen von Mönchen als Beleg für die Unterdrückung der tibetischen Bevölkerung durch die chinesische Regierung auszuwählen. Ich halte Selbsttötungen für kein empfehlenswertes Mittel für politische Proteste. Die sollte man nicht noch heroisieren. Es wird ja noch genug andere Belege geben.
Ich habe eine der Sendungen eher zufällig gesehen und war irritiert, aber leider zu träge, um zu reagieren.
Deshalb besonderen Dank für Ihren Artikel.
Was Earendil sagt.
Das wäre als ob man aktuell eine Doku über das Volk der Belarussen sendet, ohne Lukaschenkos brutale Repressalien zu erwähnen.
Ich glaube am meisten bin ich darüber verärgert, dass die Verantwortlichen sich in die Reihe derer einreihen, die auf sachliche Kritik einfach nur eine Form von „das sehe ich nicht so“ vom Stapel lassen, also einen Dialog verweigern. Danach dann aber trotzdem etwas zurücknehmen (in diesem Fall löschen). Damit wirken sie wie unmündige Teenager, die ihr Verhalten klammheimlich vertuschen wollen.
Hm-hm. Einerseits finde ich, dass es eine gewisse Berechtigung auch für Heile-Welt-Dokus oder auf bestimmte Aspekte beschränkte Reportagen geben sollte. Muss eine Doku über den Regenwald Yucatans die grassierende Bandengewalt in Mexiko und Guatemala erwähnen? Oder eine über traditionelle russische Holzarchitektur die gesellschaftliche Repression in Russland? Oder eine „kulinarische Reise“ nach Marokko diverse unschöne Gesellschaftsaspekte dort? Finde ich nicht, bzw. nur, wenn es den jeweiligen Themenbereich berührt.
Genau das ist hier aber der Fall, und da hört der Spaß halt auf. Ginge es um reine Naturdokus, fände ich es noch ok – aber Volkstanz-Idylle, während nebenan Menschen wegen ihrer ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeit in Lagern sitzen? Geht’s noch?
Wenn ZDF und Phoenix hier kein Problem erkennen, sollten sie dringend ihren journalistischen Anspruch überprüfen.
Ich finde es sehr unglücklich, Selbstverbrennungen von Mönchen als Beleg für die Unterdrückung der tibetischen Bevölkerung durch die chinesische Regierung auszuwählen. Ich halte Selbsttötungen für kein empfehlenswertes Mittel für politische Proteste. Die sollte man nicht noch heroisieren. Es wird ja noch genug andere Belege geben.
Ich habe eine der Sendungen eher zufällig gesehen und war irritiert, aber leider zu träge, um zu reagieren.
Deshalb besonderen Dank für Ihren Artikel.
Was Earendil sagt.
Das wäre als ob man aktuell eine Doku über das Volk der Belarussen sendet, ohne Lukaschenkos brutale Repressalien zu erwähnen.
Ich glaube am meisten bin ich darüber verärgert, dass die Verantwortlichen sich in die Reihe derer einreihen, die auf sachliche Kritik einfach nur eine Form von „das sehe ich nicht so“ vom Stapel lassen, also einen Dialog verweigern. Danach dann aber trotzdem etwas zurücknehmen (in diesem Fall löschen). Damit wirken sie wie unmündige Teenager, die ihr Verhalten klammheimlich vertuschen wollen.