Verlagsförderung in MV

Schlecht angelegt: Was aus zwei Millionen Euro Corona-Hilfe für die Presse wurde

Es war eigentlich schon beschlossene Sache. 220 Millionen Euro: Mit dieser Summe wollte die Bundesregierung deutsche Verlagshäuser finanziell unterstützen; die Einbußen während der Corona-Pandemie hatten das ewig diskutierte Thema „Pressesubvention“ dringlich werden lassen. Doch Ende April erklärte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier das Presseförderprogramm für „digitale Transformation“ für beendet, bevor es überhaupt begonnen hatte – „nach sorgfältiger Abwägung“.

Blöd gelaufen für die Verlage. Vielleicht können sich ihre Verbände für die nächste Runde etwas von einer kleinen Geschichte aus Mecklenburg-Vorpommern abschauen: Wie das mit der Presseförderung klappen kann, wenn niemand vorher „sorgfältig abwägt“.

OZ und SVZ berichteten zum Start des Projekts auf ihren Titelseiten

Im August 2020 ging die Meldung über den Ticker, das dortige Bildungsministerium unterstütze ein „Online-Zeitungsprojekt“. Insgesamt zwei Millionen Euro aus dem Corona-Schutzfonds des Landes gingen an die „Ostsee-Zeitung“ (OZ), die „Schweriner Volkszeitung“ (SVZ) und den „Nordkurier“. Konkret: für Gratiszugang zu den Online-Inhalten der Regionalzeitungen für alle Schülerinnen und Schüler ab Klasse 5 von Ende August bis Dezember 2020. Ein Angebot, das übrigens der „Nordbayerische Kurier“ und die „Zeit“ (sogar mit Unterrichtsmaterial) ganz ohne Steuergelder ermöglichten.

Geld aus dem Bildungsministerium während der Pandemie für Digital-Abos also: prima! Um herauszufinden, wie das klappen kann, haben wir mit den Chefredaktionen (zwei von drei; der „Nordkurier“ reagierte nicht), dem Ministerium, dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und mehreren Medienforscher:innen gesprochen. Es ist eine Geschichte über Pressesubventionierung, die dem schlechten Image von Pressesubventionierung wirklich nicht hilft.

Rechenaufgaben

Machen wir die Rechenaufgaben zuerst. Bei zwei Millionen Euro, verteilt auf drei Regionalzeitungsverlage, wäre es ganz gut zu wissen, wofür das Steuergeld genau draufging. Doch schon allein diese simple Information bleibt schwammig. Die Chefredakteure von SVZ und OZ sagen zunächst, sie wüssten nicht, wie viele Abo-Codes tatsächlich genutzt worden seien, da müsse man beim Ministerium anfragen. OZ-Chef Andreas Ebel verweist auf seine Geschäftsführerin. Aber klar sei, dass man sich mehr erhofft habe. „Es blieb weit unter unserer Erwartung“, sagt sein SVZ-Kollege Michael Seidel. Obwohl man in Schulen nachgehakt habe, habe von denen „weniger als die Hälfte“ mitgemacht.

Man könne es ja auch verstehen, betonen beide. Schulen seien zwar interessiert gewesen, aber die hätten in dem ganzen Corona-Stress eben anderes zu tun gehabt, als Abo-Codes zu verwalten und Datenschutzerklärungen der Eltern einzusammeln. Zumal vor Ort oft die entsprechenden Geräte gefehlt hätten, vom Internetzugang ganz zu schweigen.

Das alte Problem im Bundesland: Nur rund 30 Prozent aller Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern haben Breitbandanschluss. Ausgerechnet hier also beschloss das Bildungsministerium, dass „Digital-Abos“ für Schülerinnen und Schüler die richtige Unterstützung für den Pandemie-Unterricht seien.

Auch der Linken kam die Sache komisch vor: „Sind die Schulen technisch und personell in der Lage?“, so ihre Kleine Anfrage im September. Antwort der Regierung: jo.

Eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten

Fragt man beim Bildungsministerium, wie viele Schülerinnen und Schüler denn nun von dem Angebot profitiert hätten, verweist der Sprecher zuerst wieder zurück an die Zeitungen: „Diese Frage richten Sie bitte an die Verlage.“ Er rückt dann aber nach erneutem Nachhaken raus: Man habe „188.000 Online-Zugänge (75.000 OZ, 64.500 SVZ, 48.500 Nordkurier) an die teilnahmeberechtigten Schulen versandt“. Wie viele davon die Schüler:innen auch genutzt hätten, sei aus Datenschutzgründen nicht auszuwerten; aber etwa „ein Drittel der teilnahmeberechtigten Schulen (108 von 378)“ hätten der Auftragsdatenverarbeitung zugestimmt.

Die Geschäftsführerin der OZ, Imke Mentzendorff, schickt schließlich genaue Zahlen für ihr Verbreitungsgebiet: 129 Schulen seien beteiligt gewesen und damit „fast 50.000 Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer“.

Selbst der pandemiebedingt löchrige Matheunterricht sollte reichen, um zu merken, dass diese Gleichung zu viele Unbekannte übrig lässt. Also nochmal: Das Ministerium meldet, landesweit hätten 108 Schulen zumindest in Sachen Datennutzung ihr Okay gegeben. Aber allein im Verbreitungsgebiet der OZ sollen 129 beteiligt gewesen sein.

Und hier noch eine Textaufgabe: Ein Bundesland kauft 188.000 Codes zu Gratis-Digitalabos für seine Schüler:innen ab Sekundarstufe I. Laut Statistischem Landesamt gab es 2019/20 in Mecklenburg-Vorpommern etwa 87.500 Schulkinder in diesen Jahrgängen, verteilt auf 4100 Klassen, Waldorf- und Förderschule inklusive. Selbst wenn man die Grundschulen noch dazu nähme, käme man nur auf 150.000. Alle Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen im Land: 12.800.

Rechenaufgabe: Wie viele Lachkrämpfe hatten diejenigen, die diesen Deal für die Verlage eingetütet haben?

Mischersfritze mit Flauschfacts

Zu dem Deal gehörten also die kostenlosen Digitalabos von Ende August bis Jahresende. Auf die Frage, welche Bedingungen und Ziele man noch vereinbart habe, listet das Ministerium auf: Medienkompetenz stärken, Unterrichtsmaterial für digitalen Unterricht, regionales Wissen vermitteln, Mitmachprojekte, Social-Media-Zeug, sogar: „Fortbildungsangebote für Schulen“.

Dass es Bedarf gibt, hatte das Ministerium gleich im Frühjahr 2020 entschieden und die Angebote des dpa-Kindernachrichtendiensts „Junior Line“ auf seinem Bildungsserver zur Verfügung gestellt. Ein „Brainstorming“ der drei Regionalverlage mit dem Ministerium später, erzählt OZ-Chefredakteur Andreas Ebel, habe man im Sommer gemeinsam beschlossen, „Inhalte zu produzieren, die die Schülerinnen und Schüler interessieren“.

Das Hauptprojekt lief über separate Zugänge für die Schulen – auf werbefreien Seiten. Neben den regulären Zeitungsinhalten bot die SVZ laut Seidel eigens produzierte Geschichten: Eine Kollegin habe jeden Tag ein aktuelles Nachrichtenthema aufgearbeitet für den Einsatz im Unterricht. Ein Blick ins SVZ-Angebot zeigt außerdem etwa ein Quiz über Fake News als sechswöchige Serie.

Beim „Nordkurier“ startete dazu das Schulangebot „MiSch“ (für „Medien in Schulen“); vieles auf der Seite bis Ende 2020 sind Beiträge, die normal in der Zeitung erschienen.

Außerdem lief die Zeitung einen Instagram-Account namens „Mischersfritze“ ins Leben. Der brachte Beiträge wie: „Beschreibe Deine Stadt in drei Emojis“, „#flauschfacts“ und im Oktober eine kleine Reihe zu „Einheitsfragen“. Dass sich damit sowas wie Medienkompetenz vermitteln ließ, ist zweifelhaft, aber auch ein Publikum ließ sich so nicht gewinnen. Nach 100 Beiträgen sind gerade einmal 200 Abonnent:innen zusammen gekommen.

Screenshots: Instagram/Mischersfritze

Die OZ, deren Sonderinhalte für uns nicht zugänglich waren, produzierte auch einen Podcast: vier rund 20-minütige Folgen „OZ plus Schule“.

Die Grenzen zu „Zeitung und Schule“-Angeboten, die seit Jahren laufen, sind mitunter fließend. Die SVZ habe, so Seidel, mit der Zeitungsagentur Raufeld vereinbart, auch Arbeitsunterlagen benutzen zu können, die eigentlich für andere Schul-Projektwochen gedacht sind. Bei der OZ läuft das kostenlose Digitalabo-Projekt inzwischen weiter – gesponsert von einem Discounter und einem Energieunternehmen, die der Verlagsgruppe Madsack auch das bundesweite Jugendschulportal MADS finanzieren.

Keine Förderung der Redaktion?

Nun ist es so: Am 26. September 2021 ist in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahl. Wenn im Vorjahr die einzigen drei Regionalverlage zwei Millionen von der Regierung bekommen haben, liegt es nahe, sich zu fragen, wie strikt das eine und das andere zu trennen ist. Diese Debatte wurde auch penibel geführt, als es um die 220 Millionen Pressesubvention bundesweit ging – die Lösung: Das Geld gebe es nur für neue Technologien, die „digitale Markterschließung“, den Verkauf digitaler Anzeigen. „Digitale Transformation“ eben. Der BDZV-Geschäftsführer Dietmar Wolff erklärte in der Sommer-Debatte zur Bundes-Presseförderung strikt: nur „fernab des Inhalts“!

Mit Blick auf das MV-Projekt lässt er jedoch ausrichten: kein Problem, das sei ja zeitlich begrenzt. Nur: Das wäre die Bundesförderung letztlich auch gewesen.

Den Regionalchefredakteuren ist das sensible Thema natürlich bewusst. Und so erklärt Seidel: „Das Land finanziert keine Leistung, die wir redaktionell erbringen. Es hat Zugänge zu einer geschützten Plattform gekauft“. Sein OZ-Kollege Ebel betont, das Land habe eine Rechnung über eine Dienstleistung bekommen: „Die Redaktion lässt sich nicht vom Staat fördern, es gibt keine Beeinflussung“. Bei ihm im Haus sei für die Dauer des Projekts eine Pauschalistenstelle entstanden, sowie Arbeit für zwei Redakteure, die an anderer Stelle im Haus ersetzt worden seien. Auch bei der SVZ, so Seidel, habe man zwei Stellen und Honorarbudgets dafür eingesetzt. Beim „Nordkurier“ betreute ein Zweier-Team das Digitalprojekt.

Neue Stellen und neue Arbeit also – für Menschen, die redaktionelle Inhalte schaffen. Dass das Land keine redaktionelle Leistung finanziert habe, klingt da doch eher nach Haarspalterei. Und ob Gratis-Abos für Schüler:innen zumindest dafür sorgen, dass echte Abos abgeschlossen werden, lässt sich nun einmal schwer herausfinden, wenn es keine verlässlichen Zahlen gibt.

Kein Innovationsimpuls

Wenn also schon Presseförderung: Wie bringt sie auch was? Die Medienforschenden Christopher Buschow von der Uni Weimar, Steffen Kolb von der HTW Berlin und Alexandra Borchardt, die etwa an UdK oder Reuters Institute zu Medienwandel arbeitet, befassen sich seit Jahren mit dem Für und Wider von Medien-Subventionen – und lehnen sie explizit nicht pauschal ab. Sie sind sich einig: Der Staat müsse gewährleisten, dass es eine vielfältige, freie Presselandschaft gebe. Aber eben ohne inhaltliche Abhängigkeiten zu schaffen.

Nur: wie dann? Auch da sind die drei sich einig: zumindest nicht wie in Mecklenburg-Vorpommern. Alexandra Borchardt sagt: „Das ändert strukturell nichts. Es hilft nicht als Anschubhilfe zur digitalen Transformation.“ Dennoch: Medienförderung könne gerade dort auf fruchtbaren Boden fallen, ohne wettbewerbsverzerrend zu sein: „Es ist ein strukturschwaches Land“. In Deutschland gebe es keine Tradition für direkte Presseförderung, erklärt Kolb, „und die indirekte Förderung ist vermutlich weitgehend wirkungslos“. Buschow sagt, das Landesmodell und das zunächst geplante bundesweite Modell seien „beide schlecht“: Es seien „nur kurzfristige Zuschüsse. Ich sehe keinen Innovationsimpuls“.

Das MV-Projekt nennt Buschow sarkastisch „eine interessante Form der Nutzersubvention.“ Auch wenn die Sache mit der Bildung „löblich“ sei, aber letztlich: „Es ist eine etwas schlauere Art, als Geld einfach vor die Tür zu kippen“. Und vollkommen ungeklärt sei ein Grundproblem: „Wer entscheidet, wer was bekommt?“. Er plädiert für ein staatsfernes, divers besetztes Gremium, das die Güte von derlei Förderanträgen bewertet, erst Recht auf Bundesebene.

Vielleicht lieber Luftfilter

Die Geschichte von der Presseförderung in Mecklenburg-Vorpommern ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie es eben nicht funktioniert. Die Verlage nutzen das Geld nicht nachhaltig für die eigene Zukunft. Das Ministerium hat bei der ersten Denksportaufgabe versagt. Und was sein zentrales Ziel „Medienkompetenz stärken“ angeht: Im Dezember veröffentlichte es sogar eine „Handreichung“ zur „Entwicklung eines schulischen Medienbildungskonzeptes“. Es geht darin um Dinge wie „Suchen und Filtern“, „Speichern und Abrufen“. Auf den 61 Seiten tauchen die Worte „Zeitung“ oder „Journalismus“ kein einziges Mal auf.

Bleibt die Frage, was die Schüler:innen von den eher nicht genutzten Gratis-Abos hatten. Die Milchmädchenrechnung: Ein Luftfilter für Schulräume ist schon ab 1000 Euro zu haben. Für zwei Millionen hätte das Ministerium die Hälfte der Klassen mit den Geräten bestücken können. Eine echte Bildungsinvestition.

Nachtrag/Korrektur, 2. Juni. Wir hatten das Zitat von Steffen Kolb über die fehlende Tradition direkter Presseförderung zunächst fälschlicherweise Christopher Buschow zugeordnet. Und wir haben Christopher Buschow fälschlicherweise Christoph Buschow genannt. Wir bitten um Entschuldigung.

4 Kommentare

  1. Aus praktischer Sicht ein Nachtrag zur Sinnhaftigkeit: Es gab bei uns an der Schule mal so ein Projekt mit einem Abo der gedruckten Ausgabe der Ostseezeitung. Im Ergebnis lag die bei uns in machen Klassenzimmern sehr, sehr oft quasi taufrisch in Dutzenden herum, wo man den wirklich angesehen hat, dass die kein Schwein (geschweige denn ein/e Schüler/in) jemals angefasst hat.

  2. Also, so richtig „schlimm“ finde ich es eigentlich nicht, wenn ein Bundesland zigtausend virtuelle Zeitungsabos abschließt und diese Zeitungen deshalb zwei Arbeitsplätze mehr haben.
    Dass der Kunde die Redaktion finanziert, bedeutet ja nicht, dass der Kunde der Redaktion vorschreibt, was sie schreiben soll.

    Andererseits, wenn das so eine Wischi-Waschi-Förderung ist, dass diese Nicht-Einmischung das einzige gute daran bleibt, ist das insgesamt doch nicht gut.

  3. Ich finde das schon sehr schlimm, weil man für 3 Millionen Euro in anderen Branchen bedeutend mehr und nachhaltiger Arbeitsplätze hätte schaffen können, besonders in MV.
    Auch in den Schulen gibt es ganz andere Probleme. In vielen Schulen gibt es kein Internet, viele Lehrer weigern sich ein Smartboard zu benutzen, falls es so etwas überhaupt gibt, WLAN wird gesperrt und vor Corona wurde gerade sehr viel Geld im abschließbare Schränke investiert, in die die Schülerinnen und Schüler morgens ihre Handys einschließen sollten.
    In unserer Schule gab es früher auch Projekte mit der SVZ. Der Erfolg dieser Projekte hängt, wie die Bildungsforschung seit Jahren bestätigt, in erheblichem Ausmaß von den Lehrkräften und der Umsetzung in der Schule ab.
    Es gibt also wirklich erstaunlich viele Ansatzpunkte, die vielversprechender sind, als das was hier fabriziert wurde.

  4. Nun gibt es den digitalen Brockhaus für wahrscheinlich teuer Geld noch. Als gäbe es keine Wikipedia…

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