Ein Affenjunges findet trotz Schneesturms seine Mutter, die Kraniche ziehen in ihr Winterquartier, eine Tibetfüchsin beschützt ihre Jungen. Auf den ersten Blick sieht die Doku, die Mitte März in der ARD lief, wie einer der üblichen Naturfilme aus. Naturidylle, Naturgewalten. Wenn da nur nicht der Mensch wäre – und die Politik.
Denn der erste Teil der Doku-Serie „Wildes China“ wurde auf der tibetischen Hochebene gedreht: Vorgestellt werden nicht nur bedrohte Tierarten, sondern auch Chinas neue Naturschutzgebiete. Gezeigt wird auch das Leben der Bewohner der Region: Fürsorgliche Dorfbewohner füttern Schwarzhalskraniche, Mönche einen Braunbären, Yak-Hirten machen sich Sorgen vor Angriffen durch Raubtiere. Doch an wenigen Orten ist die Natur so politisch wie hier.
Der vermeintlich harmlose Film wurde von der BBC in Koproduktion mit China Central Television (CCTV) produziert – dem Propagandasender der Kommunistischen Partei (KP). War dem für die Serie in Deutschland verantwortlichen NDR nicht klar, wie heikel der Kontext ist?
Rechtsverletzungen nicht gezeigt?
Der Autor
Hinnerk Feldwisch-Drentrup ist freier Journalist in Berlin. Er hat 2015 am dreimonatigen Austauschprogramm „Medienbotschafter China-Deutschland“ der Robert-Bosch-Stiftung teilgenommen und war seitdem mehrfach in China. Über das von ihm mitgegründete Onlinemagazin „MedWatch“ hat er auch zusammen mit Kollegen vom NDR sowie vom Onlinekanal „Funk“ gearbeitet. Er ist Fördermitglied des Clubs der Auslandskorrespondenten in China (FCCC). Bei Twitter ist er hier zu finden.
Schon am Tag nach der Ausstrahlung gab es jedenfalls Protest. „Wildes China“ sei „Werbung zur besten Sendezeit für eine autokratische Regierung, die für zahlreiche systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist“, erklärte Kai Müller, Geschäftsführer der International Campaign for Tibet (ICT). „Gerade die Umwelt- und Entwicklungspolitik Pekings führt in Tibet zu massiven Rechtsverletzungen.“ Die Realität sei deutlich anders als die gezeigte.
Auch ignoriere die Doku Zwangsansiedelungen tibetischer Nomaden, die unter dem Vorwand des Umweltschutzes erfolgten, und zum Beispiel umweltgefährdende Staudammprojekte. Wenn in der Doku Kritik vorkomme, werde dies als Verfehlung vergangener Politik beschrieben – „nach dem Motto, jetzt sei alles auf einem guten Weg“. Doch dem sei nicht so.
Kritisiert wurden auch Aufnahmen betender buddhistischer Mönche, während die massive religiöse Unterdrückung ausgeblendet werde. So untermauere der Film das falsche Narrativ der Kommunistischen Partei, sie gewähre Religionsfreiheit, kritisiert Müller. Es sei unverständlich, dass dem NDR diese gut dokumentierte Strategie „offenbar entweder unbekannt ist oder er die Verbreitung von Propaganda schlicht in Kauf nimmt“.
Forderung nach Absetzung der Doku
Müller verlangt Aufklärung vom NDR, er hat eine Programmbeschwerde eingereicht. Eine erste Rückmeldung sei nicht überzeugend gewesen: Hierin habe der NDR argumentiert, dass die Doku nicht in der sogenannten Autonomen Region Tibet gedreht wurde, sondern in angrenzenden Teilen Chinas – und dort die Religionsausübung „mit deutlich größerer Liberalität“ möglich sei. Dies sei falsch, schreibt die ICT – auch in diesen Gebieten habe es nach massiven Repressionen viele Selbstanzündungen von Tibetern gegeben.
Auch die Tibet-Initiative Deutschland (TID), die sich für das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volks einsetzt, kritisiert die Doku deutlich: Die gezeigten Bilder hätten eine „schaurige Ähnlichkeit“ mit dem Narrativ der KP, dass Tibeter*innen im besetzten Tibet „glücklich“ seien. Sie spricht ebenfalls von Propaganda. Die Initiative hat sich an den NDR-Fernsehchefredakteur Andreas Cichowicz gewandt: „Nehmen Sie die Dokumentation ‚Wildes China‘ unverzüglich aus der ARD-Mediathek und strahlen Sie zukünftig keine (Co-)Produktionen des chinesischen Staatsfernsehens aus“, heißt es in dem Schreiben. Chinesische Propaganda dürfe hierzulande keinen Platz haben – oder müsse zumindest als solche gekennzeichnet werden. Mit der Realität in Tibet hätten die gezeigten Szenen nichts zu tun – vielmehr würden Tibeter*innen, die sich für ihre Kultur einsetzen, gefoltert und interniert, sagt die Initiative.
In einem Antwortschreiben widersprach Ralf Quibeldey, Redaktionsleiter Natur und Entdeckungen beim NDR, den Vorwürfen: Die Doku ordne die Hintergründe kritisch ein, auch berichte sie „durchweg positiv“ über die Tibeter und ihr Verhältnis zur Natur. „Das sorgt auf seine Weise für Sympathie für die tibetische Kultur“, schreibt er. Auch berichte die ARD ansonsten kritisch über China.
Kritik oder Klicks?
Ende April demonstrierte die Tibet-Initiative vor dem ARD-Hauptstadtbüro und rief Unterstützer zu Protestschreiben auf. Wenige Tage später vermeldete sie einen „Erfolg gegen chinesische Propaganda in der ARD“: Obwohl die Doku eigentlich bis 2022 online sein sollte, wurde sie – wie auch zwei weitere Folgen „Wildes China“ – aus der Mediathek gelöscht. „Der Druck aus der Tibet-Bewegung und Zivilbevölkerung zeigt sich nun als erfolgreich“, erklärt die Initiative. Ausländische Medien würden bei der Verbreitung von Propaganda oft auch unbewusst zu Mitspielern der KP-Strategie. „Der Fall der ARD gibt jedoch Hoffnung, dass solche Fehler auch wieder rückgängig gemacht werden können.“
Der NDR dementiert auf Übermedien-Anfrage diese Darstellung: Wie lange die Dokus verfügbar seien, hänge vor allem von der gesetzlich zulässigen Verweildauer und dem erworbenen Rechteumfang ab, erklärt eine Sprecherin. „Wildes China“ sei bis Ende April online gewesen. „Insgesamt hat die Reihe ein so geringes Publikumsinteresse gefunden, dass wir sie nicht kostenpflichtig weiter nutzen wollen.“ Der NDR spare Geld, indem er das gesamte Rechtepaket für lineares Fernsehen und die Mediathek vorzeitig zurückgibt.
Der Sender habe sich mit der Kritik auseinandergesetzt. „Sie war aber nicht ausschlaggebend für unsere Entscheidung, die Lizenz nicht bis 2022 nutzen zu wollen.“
NDR verteidigt Doku
Auch ansonsten verteidigt der NDR die Doku. „Alles, was der Film zeigt, gibt es so, eine Bewertung findet nicht statt“, sagt die Sprecherin. Die Reihe sei „qualitativ auf einem Niveau, für das der BBC-Naturfilm bekannt ist“. Der NDR habe die Naturserie „Wildes China“ gewissenhaft bearbeitet und sich bei den BBC Studios versichert, dass journalistische Standards vor Ort eingehalten wurden. „Die Mönche wurden in ihrem Tagesablauf beobachtend gefilmt, ihre Teilnahme war freiwillig; die Szene wurde nicht inszeniert.“
Weder BBC noch ARD hätten es „in ihrer politischen Berichterstattung bisher an Deutlichkeit gegenüber den Missständen in China fehlen lassen“, sagt die Sprecherin. Der NDR sehe sich verpflichtet, die Naturräume der Erde umfassend darzustellen, „auch die in politisch schwierigen Regionen“. Im Kongo, in Russland, Brasilien oder Äthiopien seien die Natur und ihre Bedrohung dargestellt worden, ohne Menschenrechtsfragen zu erörtern. Dafür gebe es „eigene, ausführliche und angemessene Präsentationsformen“.
Die Erklärung wirkt überraschend: Zumindest sind bislang keine anderen Fälle öffentlich bekannt, bei denen die ARD Sendungen aufgrund geringer Klickzahlen knapp ein Jahr vor dem ankündigten Endtermin offline genommen hat. Wie oft kam dies sonst vor? „Darüber gibt es keine zentrale Auswertung“, sagt die NDR-Sprecherin. „Dass aus programmplanerischen Gründen Sendungen aus der Mediathek genommen werden ist nicht unüblich.“ Verweildauern regelten die Redaktionen innerhalb des rechtlichen Rahmens selbstständig.
Die KP-Kritiker fordern, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Kooperationen mit Peking grundsätzlich überdenken. Sie sollten „unter keinen Umständen zur Finanzierung von Einrichtungen beitragen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind“, erklärt etwa die International Campaign for Tibet. So sei CCTV immer wieder an der Aufzeichnung erzwungener Geständnisse beteiligt gewesen. In Großbritannien hat sein Auslandskanal CGTN aufgrund der Kontrolle durch die KP kürzlich seine Lizenz verloren.
4 Kommentare
> Sie sollten „unter keinen Umständen zur Finanzierung von Einrichtungen beitragen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind“, erklärt etwa die International Campaign for Tibet
Die Forderung zur Nicht-„Finanzierung“ , erscheint mir seltsam: Zum einen sollten Sendungen finanziert werden, sonst kommt das Geld halt woanders her und die Interessen der Geldgeber:innen werden stärker vertetn sein. Insofern trägt eine Finanzierung bei Sendungen eigentlich mehr dazu bei, dass die Interesse der Auftraggeber berücksichtigt werden. Anders gesagt: Ohne Entgeld das Material von Einrichtungen zu nehmen, wäre vermutlich sogar schlechter.
Zum Anderen dürfte der finanzielle Anteil gegenüber der Finanzierung des chinesischen Staats und seiner Organisationen klein sein. Da erscheint eine Forderung in die Breite,an Personen und Unternehmen besser, auf günstige chinesische Produkte zu verzichten.
Insgesamt zeigt der der Ü-Bericht eine schwierige Frage auf.
@Bernhard Reiter
Ich verstehe Sie bis zu einem gewissen Grad, da ja die Doku unter anderem schon abgedreht war und die Natur im Mitzelpunkt das Narratives stand, aber:
(1) Natürlich sollten Sendungen/ Dokus finanziert werden. Dabei sollte es sich jedoch nicht um „Propaganda“ (oder zumindest die wohlwollende Ausblendung eklatanter Menschenrechtsverstöße handeln)
(2) Es hat niemand verlangt Dokumentationen gescheckt zu bekommen. Es sollten nur differenzierte Materialien eingekauft werden, beziehungsweise in eigener Nachproduktion in einen differenzierten Kontext gesetzt werden.
(3) Es wird nicht bestritten, dass der finanzielle „Gewinn“ CCTVs an der Lizensierjng vergleichsweise gering ist. Mit dem Kauf eines einzigen Snickers geht auch nicht die Welt unter, aber ich würde die menschenverachtenden Praktiken Nestles unterstützen (und die Masse macht den Umsatz).
(4)Der öffentlich rechtliche Rundfunk hat mit seiner Gebührenfinanzierung eine hohe Verantwortung den Zuschauenden gegenüber. Unrechtsstaaten sollten, meiner ganz persönlichen Meinung nach, mit keiner Summe unterstützt werden, jedenfalls im Anspruch. Selbst wenn die Dokumentation an sich „perfekt“ sein sollte, so wird hier trotz allem indirekt das sonstige Vorgehen des chinesischen Staatsfernsehens und des Staates selbst legitimiert.
Entschuldigen Sie bitte die grausige Formatierung. Ich bin ein sehr neuer Kommentator und Abonnent, dass wird noch besser.
@Lous Niemann
Kein Problem, ich habe – so glaube ich – verstanden, was sie sagen wollten.
> Sie sollten „unter keinen Umständen zur Finanzierung von Einrichtungen beitragen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind“, erklärt etwa die International Campaign for Tibet
Die Forderung zur Nicht-„Finanzierung“ , erscheint mir seltsam: Zum einen sollten Sendungen finanziert werden, sonst kommt das Geld halt woanders her und die Interessen der Geldgeber:innen werden stärker vertetn sein. Insofern trägt eine Finanzierung bei Sendungen eigentlich mehr dazu bei, dass die Interesse der Auftraggeber berücksichtigt werden. Anders gesagt: Ohne Entgeld das Material von Einrichtungen zu nehmen, wäre vermutlich sogar schlechter.
Zum Anderen dürfte der finanzielle Anteil gegenüber der Finanzierung des chinesischen Staats und seiner Organisationen klein sein. Da erscheint eine Forderung in die Breite,an Personen und Unternehmen besser, auf günstige chinesische Produkte zu verzichten.
Insgesamt zeigt der der Ü-Bericht eine schwierige Frage auf.
@Bernhard Reiter
Ich verstehe Sie bis zu einem gewissen Grad, da ja die Doku unter anderem schon abgedreht war und die Natur im Mitzelpunkt das Narratives stand, aber:
(1) Natürlich sollten Sendungen/ Dokus finanziert werden. Dabei sollte es sich jedoch nicht um „Propaganda“ (oder zumindest die wohlwollende Ausblendung eklatanter Menschenrechtsverstöße handeln)
(2) Es hat niemand verlangt Dokumentationen gescheckt zu bekommen. Es sollten nur differenzierte Materialien eingekauft werden, beziehungsweise in eigener Nachproduktion in einen differenzierten Kontext gesetzt werden.
(3) Es wird nicht bestritten, dass der finanzielle „Gewinn“ CCTVs an der Lizensierjng vergleichsweise gering ist. Mit dem Kauf eines einzigen Snickers geht auch nicht die Welt unter, aber ich würde die menschenverachtenden Praktiken Nestles unterstützen (und die Masse macht den Umsatz).
(4)Der öffentlich rechtliche Rundfunk hat mit seiner Gebührenfinanzierung eine hohe Verantwortung den Zuschauenden gegenüber. Unrechtsstaaten sollten, meiner ganz persönlichen Meinung nach, mit keiner Summe unterstützt werden, jedenfalls im Anspruch. Selbst wenn die Dokumentation an sich „perfekt“ sein sollte, so wird hier trotz allem indirekt das sonstige Vorgehen des chinesischen Staatsfernsehens und des Staates selbst legitimiert.
Entschuldigen Sie bitte die grausige Formatierung. Ich bin ein sehr neuer Kommentator und Abonnent, dass wird noch besser.
@Lous Niemann
Kein Problem, ich habe – so glaube ich – verstanden, was sie sagen wollten.