Lokalprojekt „VierNull“

Gegen die Düsseldorfer Ödnis

Christian Herrendorf und Hans Onkelbach sind als Düsseldorfer und vor allem als Rheinländer sentimental genug, um sich zur Liebe zu ihrer Stadt zu bekennen. Und weil sie Journalisten sind, äußern sie ihre Liebe, indem sie das tun, was sie am besten können: Sie schreiben darüber. Über Düsseldorf.

Wobei das mit dem Schreiben zuletzt so eine Sache war, denn Onkelbach und Herrendorf sind beide in recht jungen Jahren Chefs geworden. Und eines machen Chefs im Journalismus eher selten: Texte schreiben, die keine Antworten auf Leserbriefe sind oder Teil der Korrespondenz mit der Verlagsleitung.

„Ein Strukturfehler“ sei das, sagt Onkelbach, „dass der Redaktionsleiter, der eigentlich das Blatt prägen, der kreativ sein soll, in Wahrheit Manager ist und sich mit der Anzeigenabteilung und der Finanzplanung beschäftigt.“ Das habe am Ende mit dem Produkt und dessen Qualität nur noch wenig zu tun.

Gründen, um zu schreiben

Zumindest die Korrespondenz mit der Verlagsleitung entfällt künftig ersatzlos, denn Onkelbach und Herrendorf sind mittlerweile ihre eigene Verlagsleitung. Gemeinsam mit dem Marketingexperten Boris Bartels und dem Fotografen Andreas Endermann haben sie „VierNull“ gegründet, ein Onlinemagazin für die 600.000-Einwohner-Stadt, deren Postleitzahlen allesamt mit dem Ziffern 4 und 0 beginnen.

Die Macher von "VierNull": Christian Herrendorf, Hans Onkelbach, Andreas Endermann und Boris Bartels
Die Macher von „VierNull“: Christian Herrendorf, Hans Onkelbach, Andreas Endermann und Boris Bartels (v.l.) Foto: Johannes Boventer

Man könnte auch sagen: Die Chefs sind endlich ihre eigenen Chefs und machen, was sie machen wollen: Sie recherchieren und schreiben Geschichten, die sie selbst gerne lesen würden. „Wir vermissen ganz klar eine bestimmte Darstellung des Lebensgefühls dieser Stadt“, sagt Christian Herrendorf. Diese empfundene Lücke möchten sie mit „VierNull“ füllen – „in der Hoffnung, dass unser Blick auf Düsseldorf auch noch ein paar Leute mehr interessiert“. Die Chancen dafür stehen gar nicht mal so schlecht.

Es war einmal bei der „Rheinischen Post“

Herrendorf und Onkelbach kennen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit bei der „Rheinischen Post“ (RP), der Düsseldorfer Traditionszeitung, die vor ein paar Tagen ihren 75. Geburtstag feierte und wegen der doch ziemlich konservativen Ausrichtung in gewissen Kreisen nur als „Rheinische Pest“ ge- und verschmäht wird. In der Zusammenarbeit – Herrendorf, der Jüngere, war zuerst Redakteur im Düsseldorfer Lokalteil und wurde dann Stellvertreter des Lokalchefs Onkelbach – haben sie einander schätzen gelernt. Onkelbach ging Ende 2014 in den Ruhestand, Herrendorf wurde nicht dessen Nachfolger, sondern wechselte Anfang 2018 zur „Westdeutschen Zeitung“ und wurde dort Lokalchef.

Doch das Blatt konnte man da schon kaum noch als Konkurrenz bezeichnen: 2014 hatte die WZ bereits die Hälfte ihrer Redakteure entlassen und bezieht die Inhalte in vielen Regionen seitdem ausgerechnet vom einstigen Erzrivalen „Rheinische Post“, der außerdem auch Druck und Vertrieb übernommen hat. Voriges Jahr dann machte die WZ ihre Düsseldorfer Lokalredaktion dicht und Herrendorf arbeitslos.

Außer der Marke und dem nach dem Zeitungsgründer benannten Girardethaus in bester Lage an der Königsallee ist spätestens seitdem nicht mehr viel von der „Westdeutschen Zeitung“ übrig.

Es war einmal Konkurrenz

Hans Onkelbach war lange genug Lokalchef der RP, um sich gut daran erinnern zu können, wie das war, als es auf dem Düsseldorfer Zeitungsmarkt noch gab, was das Geschäft belebt: Konkurrenz. Er habe jeden Morgen aufs Neue „mit großer Spannung geguckt, was die anderen gemacht haben“, sagt Onkelbach. „Das braucht man heute nicht mehr.“

Das mit der Konkurrenz ist vorbei. Die „Neue Rhein/Ruhr Zeitung“ (NRZ), Teil der Funke Mediengruppe, hat sich ebenfalls der Übermacht der „Rheinischen Post“ ergeben, von der sie wie die WZ einen Großteil ihrer Inhalte bezieht, und auch Springers „Bild“ sowie die lokale Boulevard-Alternative „Express“ aus dem Hause DuMont haben ihre Kräfte deutlich reduziert.

Um das Bild noch ein bisschen zu weiten: 2020 gab es in mehr als 40 Prozent aller Kreise in Nordrhein-Westfalen nur noch eine oder sogar keine Lokalzeitung mehr. Dieser Verwüstung gegenüber steht laut Frank Stach, dem Landesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), „ein genereller Bedarf an tiefgründiger und gut recherchierter Berichterstattung“, der zunehmend auch in NRW lokale Projekte jenseits etablierter Verlage hervorbringe, „die ihre Macher zumindest über Wasser halten“.

Projekte wie „RUMS“ in Münster oder eben „VierNull“ in Düsseldorf. „Das muss man als Gesellschaft im Zweifel stützen, beispielsweise über Gemeinnützigkeit oder andere staatsferne Fördermodelle“, sagt Stach. Fakt sei aber auch, „dass es ohne die etablierten Verlage auf Sicht nicht gelingen wird, qualifizierte journalistische Arbeitsplätze und damit lokalen Journalismus flächendenkend zu sichern“.

Tiefe statt Schnelligkeit

Christian Herrendorf, Hans Onkelbach und ihre Partner sind also der Überzeugung, dass ihre Heimatstadt Besseres verdient hat als Einzeitungs-Ödnis: publizistische Vielfalt nämlich. An der Vielfalt im Team müssen sie noch arbeiten, aber zur publizistischen Vielfalt wollen sie mit „VierNull“ einen Beitrag leisten. Doch sie wollen damit weder der „Rheinischen Post“ Konkurrenz machen noch den lokalen Online-Nachrichten-Portalen. Herrendorf erzählt, wie er im Oktober vergangenen Jahres zufällig Zeuge einer öffentlichen Protestaktion gegen die Schließung einer Düsseldorfer Kaufhof-Filiale wurde. „Da standen Kollegen von bestimmt fünf Medien vor der Tür“, sagt Herrendorf. „Da müssen wir von ‚VierNull‘ nicht als Sechster noch daneben stehen.“

Das schnelle Nachrichtengeschäft überlassen sie anderen, wollen es aber mit dem abendlichen Überblick „Düsseldorf in 40 Sekunden“ zumindest abbilden (und auf Texte anderer Medien verlinken). Hintergründig sollen die Texte von „VierNull“ sein, ansprechend erzählt, gerne auch ausführlich – sogenannte Lesegeschichten, die sowohl nahe an den Menschen sind als auch an den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in ihrer Stadt. „In Analysen, Reportagen und Porträts berichten wir über Verkehr & Umwelt, Politik, Wirtschaft – und aus der bunten Welt dazwischen“, heißt es auf der Website. Das Motto: „Mehr Düsseldorf“.

Noch bis zum 10. Mai läuft ein Crowdfunding. Zwar werden schon Texte auf der Seite veröffentlicht, doch erst dann soll es richtig losgehen. Das mit 40.000 Euro recht bescheiden gewählte Finanzierungsziel wurde jedenfalls schon am Dienstag erreicht.

Es ist ein ermunterndes Signal, dass die Lücke auf dem Düsseldorfer Markt nicht nur eine von den „VierNull“-Gründern empfundene ist, die das Geld für den Start, für Kosten wie Programmierung, Gestaltung, Steuerberater und Marktforschung, privat vorgestreckt hatten. Acht Euro kostet ein Monatsabo, rund 200 Abonnenten müssten zusammenkommen, um die erwarteten Fixkosten von etwa 20.000 Euro pro Jahr zu decken. „Der Rest ist Selbstausbeutung“, sagt Herrendorf und kann offenbar gut damit leben. Und Onkelbach ergänzt: „Unser Kostenapparat ist so winzig, dass wir nicht unter dem Druck stehen, in sechs Monaten richtig Geld verdienen zu müssen. Wenn das so kommt, wäre es schön. Aber wenn nicht, ist es auch nicht schlimm.“ Auf Werbung verzichten sie bei „VierNull“, weil das nicht zu ihrem Ansatz passt, der eher auf Loyalität setzt als auf Reichweite.

Die Lücke schließen, die andere lassen

Mindestens fünf Artikel möchten Herrendorf und Onkelbach ihren Leser*innen pro Woche bieten, je einen von Montag bis Freitag, gerne auch mehr, aber nicht um jeden Preis. Die Qualität soll genauso stimmen wie das Honorar für freie Mitarbeiter*innen. Je zwei Texte sollen zunächst von den im Lokaljournalismus gestählten Vielschreibern Herrendorf und Onkelbach stammen, ein weiterer von freien Autor*innen, die erst zaghaft nach und nach rekrutiert werden. „In unserer Branche sind zu viele Leute zu lange schlecht bezahlt oder mit halbgaren Versprechungen hingehalten worden“, sagt Herrendorf. „Das soll bei uns auf keinen Fall so sein. Die Geschichten sollen toll sein und die Leute sollen es sich leisten können, die mit Herzblut zu schreiben.“

Als Beispiel für eine gelungene „VierNull“-Geschichte nennt Hans Onkelbach eine Recherche seines Kollegen Herrendorf, der sich einmal die Mühe gemacht hat, die Politik des neuen Düsseldorfer CDU-Oberbürgermeisters Stephan Keller mit den Ankündigungen und Versprechungen aus dessen Wahlkampf abzugleichen. „Das ist ein klasse politischer Bericht“, sagt Onkelbach, „der in einer normalen Lokalzeitung aber nicht erschienen wäre, weil der Aufwand nicht zu leisten ist.“ Er sagt das ganz wertfrei, er kennt das Korsett, in dem seine Kolleg*innen stecken. Es war lange genug auch seines.

Dabei besteht doch gerade darin, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, eine der wichtigsten Funktionen journalistischer Berichterstattung überhaupt. Der DJV-Landesvorsitzende Frank Stach verweist auf Studien aus den USA und der Schweiz, die besagen, „dass es einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein lokaljournalistischer Angebote und beispielsweise der Wahlbeteiligung gibt. Aber auch, dass überall dort, wo es keine lokaljournalistischen Angebote mehr gibt, beispielsweise öffentliche Finanzen eher aus dem Ruder laufen“.

Angebote wie „VierNull“ springen also nicht zuletzt auch für die Defizite etablierter Medien in die Bresche und leiten daraus ihre Existenzberechtigung ab. Oder wie DJV-Mann Stach es formuliert: „Solche Start-ups erinnern beständig daran, es sich nicht auf einer erworbenen Position zu gemütlich zu machen.“

Warum? „Weil wir es können“

Hans Onkelbach weiß, dass die alten Kolleg*innen von der „Rheinischen Post“ bis rauf in die Verlagsführung ihr Projekt sehr aufmerksam beobachten. Und er genießt es. Gewaltige 36 Jahre lang, ein ganzes Berufsleben, haben sie voneinander profitiert, die „Rheinische Post“ von Onkelbach und umgekehrt; jetzt ist es nur noch umgekehrt. „Ich verdanke der Zeitung enorm viel. Mein ganzes Netzwerk – und ich kann Ihnen sagen: Ich habe ein sehr großes Netzwerk – habe ich mir im Laufe der Jahre bei der RP angeeignet, vor allem in den letzten 15 Jahren als Lokalchef in Düsseldorf“, sagt Onkelbach. „Das ist die Basis für das, was ich jetzt bei ‚VierNull’ mache, darüber bin ich mir völlig im Klaren.“

Hat er manchmal das Gefühl, seine alte Liebe mit einer neuen zu betrügen? „Weder sehe ich ‚VierNull‘ als Konkurrenz für die RP noch sehe ich mich als Betrüger“, sagt er. Man wolle eine Ergänzung sein. „Die RP spielt in einer ganz anderen, in ihrer eigenen Liga.“

Er werde immer wieder gefragt, warum er sich das noch antue, erzählt Onkelbach. „Meine Antwort ist ein bisschen arrogant. Sie besteht aus zwei Sätzen. Der erste lautet: Weil es uns einen Heidenspaß macht. Und der zweite: Weil wir es können.“

Es ist diese Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut, die „VierNull“ weit bringen könnte – auf einem Markt, der so kaputtgespart und leergefegt ist, dass Onkelbach und insbesondere der Mittvierziger Herrendorf nur dann eine berufliche Perspektive haben, wenn sie sich diese selbst schaffen.

6 Kommentare

  1. „…diese Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut..“ gefällt mir sehr gut. Ich hoffe, dass die Leser das honorieren. Ich habe den Artikel an alle meine Düsseldorfer Kollegen weitergeleitet und positiv-erwartungsvolle Resonanz erhalten.

  2. Bin ich falsch? Hier spricht doch die Stimme der Medienkritik? Ich lese aber eine vorauseilende Jubelarie über das, was vielleicht toll wird, wenn die hochgelobten Macher ihre Versprechungen einhalten und das Crowdfunding hinkriegen. Ein Artikel aber, der denjenigen, über den er berichtet zu 100 Prozent glücklich machen wird, ist kein Journalismus mehr. Das ist Promotion unter Kollegen. Schaut mal wenigsten in einem Jahr, was aus den grossen Versprechungen wirklich wurde.

  3. @Marcel H.

    Es ist Mai. Sie haben anscheinend völlig vergessen, dass Sie wegen Abokündigung nicht mehr kommentieren können.

  4. Hey #3, zweimal werden sie noch wach, dann ist Marcels Abgangtach.
    Falls es Sie interessiert und hoffentlich schockiert, die 40 Euro, die ich jetzt bei den ÜbermedienInnen einspare, habe ich in ein Abo für Kubitscheks ‚Sezession‘ gesteckt. Ich teile weder die stramm linkskorrekte Gendermarschrichtung von Niggis Genossen, noch die völkischen Phantasien aus Schnellroda, aber die schreiben halt um Klassen besser und lesen auch mal ein Buch, das nicht auch F.W. Steinmeier empfehlen würde. Der Geist wohnt leider schon lange nicht mehr links. Können Sie ausprobieren: Ich plaudere auf dem einem oder sozialen Netzwerk gerne mit der coolen Kositza, der charmanten Gattin vom Kubitschek und wir empfehlen uns gegenseitig Bücher. Die liest auch mal was von weit links. Die Gendergenossen hier lernen nur noch Steinmeierreden auswendig. Also, bis Dienstag einschliesslich müssen Sie noch mal Feststellungen ausserhalb ihrer intellektuellen Phantasie ertragen. Das ist der Nachteil der immerhin noch halboffenen Gesellschaft.

  5. Hatte ich erwähnt, dass ich von Zeit zu Zeit mit dem eleganten Martin Scorsese ein Solei zu essen pflege? Wir empfehlen uns gegenseitig Bastei-Romane. Sein fränkischer Schwippschwager übersetzt sie ihm.

    Über VierNull freue ich mich und bin gespannt. Die RP nervt mich seit Jahren. Danke für den Tipp.

  6. @Marcel H.

    Iwo, schockieren tut mich da nichts, spende ja selber regelmäßig an den Ku-Klux-Klan, nicht weil ich der Ideologie nahestehen würde, sondern weil ich mich ihnen als Ritter verbunden fühle. Insofern hege ich natürlich auch Sympathien für den Götz und sein Rittergut. Fühle mich jetzt trotzdem ehrlich gesagt ein bisschen wie ein kleines Kind am 22. Dezember. In diesem Sinne: Alles Gute und Grüße an Gianno und Luciano!

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