Japan-Klischees

Werner Herzog, „The New Yorker“ und der falsche falsche Vater

In seinem jüngsten Film erzählt der Regisseur Werner Herzog von einem real existierenden Geschäftsmodell in Japan: Agenturen vermieten Schauspieler, die abwesende Familienmitglieder und nicht vorhandene Freunde darstellen und ersetzen. Als Titel des Films, der 2019 beim Festival in Cannes lief und im Juli 2020 seine Online-Premiere fürs Publikum feierte, verwendet Herzog gar den Namen eines real existierenden Unternehmens: „Family Romance, LLC“.

Die Hauptrolle vergab er an den echten Firmengründer von Family Romance: Yuichi Ishii, der selbst auch Aufträge als Darsteller übernimmt. Herzog zeigt den Japaner unter anderem als Boten für einen Lottogewinn (seine Auftraggeberin will das Glücksgefühl eines früheren Gewinns erneut erleben). Eine Braut mietet ihn für ihre Hochzeit als Ersatz für den Alkoholiker-Vater (der ihr peinlich ist). Solche Szenen hat sich Herzog ausgedacht und mit Laienmimen in Tokio umgesetzt.

Der falsche Vater

Aber im Mittelpunkt des Films steht die Geschichte darüber, wie Yuichi Ishii zum vermeintlichen Vater einer Zwölfjährigen wird: Die alleinerziehende Mutter beauftragt ihn, den leiblichen Erzeuger des Kindes zu spielen, der die Familie kurz nach der Geburt für immer verlassen hat. Der Zuschauer erlebt, wie das von einer Amateurdarstellerin gespielte Mädchen dem angeblichen Vater das erste Mal begegnet, mit ihm Ausflüge unternimmt und langsam Gefühle für den fremden Mann entwickelt.

Diese bewegende Story hat Herzog aus einer Reportage des Magazins „The New Yorker“. In „A Theory of Relativity“ berichtet die Autorin Elif Batuman über die Geschäfte der realen Firma Family Romance – und sie erhielt dafür den Preis der American Society of Magazine Editors für das beste „Feature Writing“.*

Als der deutsche Regisseur Gerüchte hörte, dass das Filmstudio von Steven Spielberg und der kanadische Schauspieler Ryan Gosling die Rechte an dem Stoff kaufen wollten, machte er sich sofort nach Japan auf, engagierte Ishii auf eigene Faust und drehte den Film in zwei Wochen ab. In Cannes freute sich Herzog öffentlich, der Hollywood-Konkurrenz ein Schnippchen geschlagen zu haben.

Zu falsch, um wahr zu sein

Inzwischen dürfte der deutsche Regisseur weniger selbstzufrieden sein. Denn wie sich herausgestellt hat, ist Herzogs Hauptgeschichte, die herzrührende Erzählung vom bezahlten Ersatzmann für den verlorenen Vater, höchstwahrscheinlich erstunken und erlogen.

Vor drei Wochen musste der „New Yorker“ einräumen, dass falsche biografische Details die Glaubwürdigkeit der drei wichtigsten Protagonisten der Reportage über die Mietagentur Family Romance „im Großen und Ganzen untergraben“ hätten: Ein einsamer Witwer, der angeblich je eine Darstellerin für seine verstorbene Frau und seine abwesende Tochter engagiert hatte, sei in Wirklichkeit verheiratet, wie ein Faktenprüfer des Magazins herausfand. Derselbe Mann behauptete später gegenüber der BBC, er habe einen Sohn und eine Tochter. Der Agentur Associated Press sagte er wiederum, seine zwei Töchter seien ausgezogen.

Auch die zentrale Story war offenbar gefälscht: Die alleinerziehende Mutter, die laut der Reportage Ishii mit der Ersatzvaterschaft für ihre Tochter beauftragte, sei in Wahrheit mit Ishii verheiratet, gab das Magazin bekannt. Auf Nachfrage habe der Firmenchef zugeben, dass er die Frau und ihre Familie finanziell unterstütze. Gegenüber der Reporterin hatte er dagegen behauptet, dass er 50 Dollar für jede Stunde seiner Vaterauftritte bekommen hätte.

Die rührende Erzählung, wie ein Schauspieler zum geliebten Ersatzvater eines Teenager-Mädchens wurde, hat der Firmengründer also womöglich komplett erfunden.

„New Yorker“ dennoch „überzeugt vom Wert des Artikels“

Normalerweise würde ein renommiertes Blatt wie „The New Yorker“ eine solche höchstwahrscheinlich auf Lügen basierende Reportage aus dem Netz nehmen. Doch das Magazin hat den Online-Text lediglich um einen Warnhinweis zu den falschen Aussagen der Protagonisten ergänzt. Die „Washington Post“ kritisierte dieses Vorgehen heftig: Es gebe gar keinen Artikel mehr, schrieb der Medienkritiker der Zeitung, Erik Wemple. Der Text erzähle die Geschichte von verlorenen und verzweifelten Menschen, die aber gar nicht verloren und verzweifelt seien.

Der „New Yorker“ rechtfertigt sein Festhalten an dem Text mit einer verblüffenden Begründung:

„Wir sind noch immer überzeugt vom Wert des Artikels als eine Erforschung der Vorstellungen von Familie in Japan und darüber hinaus.“

Die American Society of Magazine Editors (ASME) scheint der gleichen Meinung zu sein wie der „New Yorker“ und sprach der Autorin Batuman ihr volles Vertrauen aus. Die entdeckten „Probleme“ würden nicht zur Rücknahme der Auszeichnung führen, sagte ASME-Geschäftsführer Sidney Holt der „Washington Post“.*

Und Werner Herzog, der sich zu seinem beim Lügen ertappten Hauptdarsteller bisher nicht geäußert hat, hatte schon im Frühling 2019 eine ähnliche Erklärung für die Relevanz des Themas und seines Films: Das Mieten von Familienangehörigen sei „nicht irgendetwas Exotisches in Japan, sondern kommt auch auf uns zu“, sagte er damals bei den Festspielen in Cannes.

In Japan ist doch alles möglich

Genauso argumentieren viele ausländische Reporter und Filmemacher, die Japan unter dem Blickwinkel der Exotik zeigen. Zwei Beispiele dafür sind die zahlreichen Berichte über Seminare für „aktives Weinen“ in Unternehmen sowie über Ehepaare, die ihre Scheidung mit einer speziellen Zeremonie feiern. Viele Reporter stellten auf der Basis dieser Dienstleistungen Behauptungen über aktuelle Veränderungen in der Arbeitskultur und im Familienverständnis in Japan auf. Doch beide Trends wurden von dem Jungunternehmer Hiroki Terai erfunden und existieren nur in diesen ausländischen Berichten.

Der bekannte japanische Germanist Naoji Kimura analysierte die Masche bereits in seinem 2006 erschienenen Buch „Der ost-westliche Goethe“ und machte individuelle Vorurteile, kollektiven Nationaldünkel und kulturpolitische Manipulationen für das unerbittliche Festhalten an tradierten Denkschablonen von einem exotischen Japan verantwortlich.

Zwar gibt es Mietagenturen für Darsteller von Verwandten und Freunden in Südkorea, China und Japan schon seit Jahrzehnten. Aber die Tatsache, dass Ishii entgegen den Gewohnheiten der Branche einen konkreten Auftrag so detailliert in den Medien ausbreitet, hätte bei jedem Journalisten und Filmemacher Argwohn wecken müssen. Und hätte nicht auch der Umstand stutzig machen müssen, dass Ishii nach eigenen Angaben seit inzwischen elf Jahren gegen Geld den falschen Vater eines Teenagers spielt, der ja davon nichts wissen darf, aber mit seinem Gesicht in Berichten und Filmen mit genau dieser Geschichte auftaucht? Wollte hier nur ein findiger Geschäftsmann den schon bekannten Mietgedanken ins Extreme treiben, um auf seine Firma aufmerksam zu machen?

Das Klischee ist stärker

Die „New Yorker“-Autorin Batuman und der Regisseur Herzog waren offenbar leichte Opfer für Ishii, weil sie in die Falle des sonderbaren Japan tappten: Aufgrund von hartnäckigen Klischees traut der Westen den Japanern jedes seltsame soziale Verhalten zu, auch wenn es nüchtern betrachtet absolut unwahrscheinlich ist.

Doch weder Batuman noch Herzog kennen sich mit Japan aus. Für die Verständigung mit Firmenchef Ishii benutzten beide einen Dolmetscher. Vielleicht fiel ihnen deshalb nicht auf, dass wer als Journalist bei Ishiis Agentur anruft und auf Japanisch ein Interview mit einem Kunden anfragt, dort sofort die Auskunft erhält, dass dies nicht möglich sei. Vielmehr würden Mitarbeiter der Firma für das Interview einen solchen Kunden spielen – und dafür sei ein Honorar von mehreren hundert Euro fällig. Auch die Website von Family Romance müsste Journalisten misstrauisch machen – über den Firmenchef Ishii erfährt man dort nicht mehr, als dass er das Unternehmen gegründet hat.

Doch selbst wenn Batuman und Herzog Zweifel gehabt haben sollten: Exotische Japan-Geschichten versprechen kommerziellen Erfolg, weil westliche Leser, Zuschauer und Redakteure alle die gleichen Stanzbilder von der fernen Inselnation im Kopf haben. Auch viele Filmkritiker, wie beispielsweise die der „Zeit“ oder der „FAZ“ gehören anscheinend dazu – beide stellten die faktische Basis des Herzog-Werks nicht in Frage.

Männliche „Pflanzenfresser“ ohne Interesse an Sex

Es liegt wohl an der hohen Zugkraft der Nippon-Klischees, warum die japanische Gesellschaft in westlichen Medien immer wieder als Brutstätte und Hort von Sonderlingen auftaucht, seien es männliche „Pflanzenfresser“ ohne Interesse an Sex, amoklaufende Hikikomori-Einsiedler, „Parasiten-Singles“, die als berufstätige Erwachsene weiter auf Kosten ihrer Eltern leben, und Selbstmörder, die zum Sterben in einen speziellen Wald gehen.

Die meisten ausländischen Berichterstatter versuchen erst gar nicht, die spezifisch japanischen Gründe für solche Erscheinungen zu finden, sondern beschreiben sie lieber als pars pro toto einer fast schon außerirdischen Gesellschaft, die die (vermeintlich überlegenen) ethischen Normen des Westens ignoriert.

Doch diese Berichte bilden die soziale Wirklichkeit in Japan in der Regel nicht ab. Viele Phänomene existieren nur in einer isolierten Nische und lassen sich entweder nicht verallgemeinern oder sind leicht zu relativieren.

Bitte nicht das vorhandene Bild stören

Dessen ungeachtet werden solche Artikel schnell veröffentlicht und vermutlich viel geklickt. Warum? Weil sie die tiefsitzenden Vorurteile von den „schrägen“ Japanerinnen und Japanern bedienen.

Der deutsche Fotograf Hans Sautter, der mehrere Jahrzehnte in Japan gelebt hat, hält ein zeitgemäßes Bild der Inselnation für nahezu unmöglich. Für seinen gerade erschienenen Bildband „Japan – kostümierte Wirklichkeit“ fand er lange keinen Verlag, weil er mit seinen Fotos die gewohnten Nippon-Bilder nicht bedienen wollte: Den Zen-Garten mit seinem geharktem Kies interpretiert er als Ausdruck der Kontrollsucht der Japaner, die eine ungezähmte Natur aufgrund ständiger Erdbeben, Taifune und Vulkanausbrüche fürchten. Auch zeigt er schonungslos auf, wie die japanischen Faschisten die Kirschblüte als Nationalsymbol missbrauchten.

Seine Schlussfolgerung zum betonierten Japan-Bild in den westlichen Medien: „Abweichungen oder gar neue Blickwinkel bleiben unerwünscht.“


*) Nachtrag, 27. Januar. Der „New Yorker“ hat sich mittlerweile entschieden, den National Magazine Award, den die Autorin Elif Batuman 2019 für ihre Reportage „Japan’s Rent-a-Family Industry“ gewonnen hat, zurückzugeben.

12 Kommentare

  1. Trägt der Spielfilm „Lost in Translationen“ nicht auch zu einem Japan-Klischee bei? Überfreundliche Hotelangestellte, „verrückter“ TV-Moderator, aufbrausender Werbefilm-Regisseur und Gaming/Karaoke-Nachtleben. Ich mag den Film sehr, aber habe mit der stoischen Rolle von Bill Murray meine Probleme, da die transportiere Komik des Films von diesen Situationen lebt.

  2. Die gleiche Geschichte wurde auch bereits als Feature im Deutschlandfunk erzählt. Verpackt in einem ähnlichen Wattebausch des „Ach-diese-verrückten-postsozialen-Japaner“-Narrativs.

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/inszenierte-familienbeziehungen-fake-family-leihfamilien-in.3682.de.html?dram:article_id=461496

    So „verrückt“ Japaner im positiven (jap. Comedy) wie im negativen (Rassismus, Frauenfeindlichkeit) Sinne auch tatsächlich sein mögen, das eigentlich Verrückte ist tatsächlich -das zeigt der Text angenehm unverschwurbelt auf- die brutale Unreflektiertheit, mit der dieses Land in unserer westlichen Gedankenwelt als Projektionsfläche eines imaginierten Kuriosenkabinett herhalten muss.

  3. Ich begrüße es sehr, wenn mein von Vorurteilen und westlicher Sichtweise gespicktes bzw. zusammengewürfeltes Bild von Japan korrigiert wird. Bei der Nennung/Verlinkung nur eines sehr speziellen Werks im letzten Abschnitt, veröffentlicht laut Amazon am 19.10.2020 und durchaus etwas wuchtiger nicht nur in den Maßen, sondern auch im Preis, bleibt bei mir aber ein gewisses Geschmäckle, ob da nicht der Herzog-Film oder die Reportage im „New Yorker“ nur als Aufhänger für die Promotion dieses Buchs verwendet werden soll. Ein paar mehr Quellen/Buchtipps für realitätsnähere Japan-Darstellungen fände ich daher nicht schlecht.

  4. @Vannay
    Einen weiteren Buchtipp „Abc 4 Japan“ finden Sie doch im Kasten über den Autor des Artikels, das bescheidenerweise nicht direkt zum Kauf verlinkt ist.

  5. Japan hat seinen massenmörderischen rassistischen faschismus nicht mal ansatzweise aufgearbeitet. Allein die invasion in china kann bis zu 10 millionen opfer gekostet haben, vielleicht sogar mehr. Stattdessen wurde nach hiroshima die chance gesehen und sofort ergriffen, in die opferrolle zu schlüpfen. Dieses war ein land, in dem nach dem ersten atombombenabwurf die faschistischen generale nicht daran dachten aufzugeben und nach nagasaki musste der tenno, der sie vorher einfach hatte machen lassen, die kapitulation selber aussprechen. Die usa ahnten das und hatten mehr als diese beiden atombomben vorbereitet.
    Durch das weiterregierendürfen des tenno, den die usa nur seiner göttlichkeit beraubten, wurde das feudale system tradiert und bis heute ist der staat dort viel mehr als der einzelne. Was der kern des totalitarismus von rechts wie links ist. Plus also das nicht aufarbeiten der vergangeheit, einen premier, der vor dem schrein der alten kämpfer kniet. Wie sollten sie k e i n e kollektiven seelischen verkrampfungen haben. Auch wenn nyt und herzog im konkreten fall auf eine erfundene story reinfielen: diese verwandtenmietagenturen gibt es dort ja seit jahren. Japaner sein, heisst halt auch, irgendwie zu seinen wirklichen gefühlen gelangen wollen und es nicht wirklich können. Weil da die angst lauert. Ja, es g i b t kollektive psychosen, wir deutschen haben nach 1945 auch eine entwickelt, jeder kennt die, stichwort aggressiver weltmusterschüler. Japan macht halt karaoke und mietet sich einen vater. Der tenno bringt es ja nicht mehr so

  6. # Gianno Chiaro:

    Fein gemacht. Sie präsentieren eine allgemeingültige politisch-psychologische Erklärung für Verhalten der Japaner, das laut des Artikels allgemeingültig gar nicht existiert. Dazu führen Sie an, auf die konkrete Faktenlage käme es gar nicht an, und außerdem verkünden Sie belegfrei, dass die Fakten eben doch existierten. Und weil es auf Fakten nicht ankommen soll, schieben Sie noch eine ebenso belegfreie Theorie nach, warum die Deutschen so sind, wie Sie postulieren.

    Darf ich annehmen, dass Ihnen Fakten, Japaner, und eigentlich alles scheißegal sind, solange Sie nur zusammenhanglos Stanzen wie „agressiver Weltmusterschüler“ raushauen können?

  7. @8: Man hat es eigentlich schnell raus, welche Kommentare man einfach überspringen kann. Konsequente Kleinschreibung (okay, außer am Satzanfang, aber da hat vermutlich die Autokorrektur ein Einsehen) gehört für mich dazu.

  8. #7. Die nichtaufarbeitung des mörderischen japanischen faschismus ist für sie kein faktum? Fein gedacht. Die psychologischen erklärungen der deutschen oder japanischen kollektivstörungen sind natürlich soft science wie alle psychologie. Wie mitscherlichs unfähigkeit zu trauern oder arendts banalität des bösen. Dass der artikel behauptet, es gäbe sowas nicht, muss ich mir kaum zu eigen machen? Dass es diese mietagenturen für imaginäre verwandte gi b t, wollen sie nicht interpretieren? Dass es solches auch in china und südkorea gibt, auch gesellschaften mit starkem kollektivem erwartungsdruck, das wollen sie nicht sehen? Den letzten abschnitt, in dem es um japanischen kontrollzwang in zengärten und den faschistischen missbrauch der kirschblüte geht, wollen sie überlesen? Hauptsache ständig fakten fakten fakten brüllen wie so ein markwort kurz vor dem platzen und zu nichts konkret stellung nehmen. Denn nur zu leugnen, dass es kollektive deformationen gibt, die mit nicht oder schlecht bewältigter geschichte zu tun haben, das bringt sie nirgends hin. Nicht wenn es dann darum geht, den ausbruch solcher kollektivpsychosen in gewalt oder diktatur nachzuvollziehen. Nicht in der türkei, nicht in serbien, nicht im iran. Lesen sie mehr mishima. 1970 wollte der dinge, die können sie anders nicht mal im ansatz begreifen. Wollen sie aber eben auch nicht. Aber dann tun sie das nicht so laut.

  9. Werner Herzog geht es in seinen Spielfilmen und auch in seinen Dokumentarfilmen sicherlich nicht um journalistische Reportage, sondern um das künstlerische Einfangen und Verarbeiten von Mythen, um romantische, poetische (in seinen Worten:) „ekstatische Wahrheit“. Ich könnte mir daher vorstellen, dass ihn der Wahrheitsgehalt der „New Yorker“-Reportage nicht so sehr interessiert wie die darin erzählte Geschichte eines Japaners, die er mit einem Cast von Japanern und Japanerinnen filmisch fiktionalisiert und inszeniert hat. Anders als z.B. „Lost in Translation“ werden die Japaner also nicht nur als merkwürdige Fremde aus dem Blick des „normalen“ Westlichen gezeigt, sondern sind selbst Erzähler und Akteure „ihrer“ Geschichte . Es handelt sich insofern bei seinem Spielfilm nicht um eine ausbeuterische Aneignung von Klischees, sondern um eine künstlerische Verarbeitung eines Mythos, die den Wahrheitsgehalt der Geschichte im Übrigen offen lässt. Dass es sich bei der Geschichte um eine Hochstapelei handelt, dürfte Herzog vermutlich sogar amüsieren – jedenfalls aber nicht von seiner Faszination für das Thema „inszeniertes Familienleben“ abhalten. Ein künstlerischer Kinofilm ist viel mehr als ein Wikipedia-Artikel oder eine Zeitungsreportage, daher werbe ich für ein offeneres Auge.
    Die übrige Kritik des Artikels an der stereotypen Fremdsicht auf Japan als Wunderland bizarrer Rituale, Nerds und Eigenheiten teile ich übrigens.

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