Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Wenn man sich beim Presserat über einen Artikel beschwert, ist die Entscheidung des Gremiums, ob es ihn rügt, nicht unbedingt das Spannendste. Mindestens so interessant ist es, wie das betroffene Medium sich zu dem Fall äußert. Räumt die Redaktion zerknirscht einen Fehler ein? Flicht die Rechtsabteilung lange, ausführliche Verteidigungsgirlanden? Fleht der Chefredakteur um Nachsicht?
Im folgenden Fall hätte ich mir durchaus vorstellen können, dass die Fernsehzeitschrift „TV Movie“ gegenüber dem Presserat einfach einräumt, es mit der Suchmaschinenoptimierung etwas übertrieben zu haben. Aber, Spoiler: von wegen!
Es geht um die vermeintliche „Schock-Aussage einer Royal-Expertin“: Herzogin Kate und Prinz William sollen sich längst haben scheiden lassen. „TV Movie“ meldete das am 11. Juli unter der Überschrift:
Diese Schlagzeile erschien auch in Suchmaschinen und Aggregatoren, die die Inhalte von „TV Movie“ wie Nachrichten behandeln. Sicherheitshalber veröffentlichte „TV Movie“ den Artikel später auch noch mal minimal verändert mit dem Datum vom 25. Juli, 3. August und 18. August.
Wer auf die Schlagzeile klickt, wird zunächst weiter in die Irre geführt („Trägt William deswegen etwa seinen Ehering nicht mehr?“), bevor „TV Movie“ relativiert: „Nein, keine Angst, die beiden haben sich nicht wirklich getrennt – zumindest nicht kürzlich.“
Die britische Journalistin Jennie Bond habe nur gemeint, dass Kate und William sich „relativ früh zu Beginn ihrer Beziehung kurzzeitig getrennt hatten“. Darauf beziehe sich ihr in einer Fernseh-Dokumentation geäußerter Satz: „Das Gute ist, dass sie ihre Scheidung bereits hinter sich haben. Das ist in royalen Kreisen eine sehr weise Entscheidung.“
Fazit von „TV Movie“:
So, wie es sich anhört, müssen wir uns also erst einmal keine Sorgen darüber machen, dass Herzogin Kate und Prinz William sich scheiden lassen…
Verworren bleibt die Sache trotz allem!
Verworren hat sie natürlich vor allem die „TV Movie“, denn die Geschichte hat – neben der irreführenden Schlagzeile – noch einen Bonus-Dreh: Die Dokumentation, aus der das Zitat stammt, ist keinesweg aktuell, sondern über neun Jahre alt. Sie wurde am 26. April 2011 von einem britischen Privatsender ausgestrahlt.
Das war drei Tage bevor Prinz William und Catherine Middleton überhaupt erst heirateten. Die Formulierung von der „Scheidung“ war zu diesem Zeitpunkt in keiner Hinsicht missverständlich, weil es noch gar keine Hochzeit gegeben hatte.
„TV Movie“ hat aus einem neun Jahre alten Zitat eine aktuelle Meldung mit einer falschen und bewusst irreführenden Überschrift konstruiert.
Der Presserat sah darin – wie ich – einen Verstoß gegen den Pressekodex: Gegen das Gebot, die Öffentlichkeit wahrhaftig zu unterrichten (Ziffer 1), und gegen die Sorgfaltspflicht (Ziffer 2). Der Presserat sprach eine öffentliche Rüge aus und erklärte:
Leserinnen und Leser derart mit einer Überschrift in die Irre zu führen, ist dazu geeignet, die Glaubwürdigkeit der Presse zu beschädigen.
Dabei hatte die Rechtsabteilung des Bauer-Verlages, der die Fernsehzeitschrift „TV Movie“ herausgibt, es dem Gremium doch so schön erklärt:
„Ein verständiger Leser wird der Überschrift gerade keine konkrete Sachaussage entnehmen, sondern vielmehr wissen, dass sich ihm die Zeile erst nach Lektüre des dazugehörigen Artikels vollständig erschließen wird. Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens weiß der Leser um die spezielle Funktion, die Überschriften ganz grundsätzlich im Rahmen einer redaktionellen Berichterstattung erfüllen. Denn während ein Artikel die ganze Geschichte erzählt, sind Überschriften nur ein Teil dieses Artikels. Sie dienen sowohl bei Print- als auch bei Online-Medien dazu, mit einem spannenden Detail der Geschichte, das Interesse und die Neugier der Leser und Leserinnen zu wecken, sodass diese den restlichen Artikel lesen. Überschriften dürfen natürlich keine Unwahrheiten beinhalten, aber sie dürfen sehr wohl bedeutungsoffen sein und dadurch deutlich machen, dass sich dem Leser eine abschließende Aussage über einen im Titel angekündigten Sachverhalt erst nach Lektüre des vollständigen Artikels erschließen wird. Dies ist eine journalistische Technik, derer sich Redaktionen seit jeher genreübergreifend bedienen.“
Der Leser durchschaue diese Technik, auch im konkreten Fall.
Das ist eine eindrucksvolle Verteidigung der zweifelhaften Technik des Clickbaitings, die ungefähr darauf hinausläuft: Man muss erst einen Artikel vollständig (!) lesen, um zu wissen, wie sehr man von seiner Überschrift in die Irre geführt wurde.
Der zweite Grund, den die Rechtsabteilung nennt, warum die Leser die Aussage in der Überschrift ohnehin nicht glaubten: Alle kennten William und Kate und wüssten um die glückliche Ehe der beiden. Daher würden sie dem Wort „Scheidung“ in der Überschrift keine abschließende Bedeutung zumessen, schon gar nicht im dem Sinne, dass damit eine, nun ja: Scheidung gemeint sei.
Der Artikel schildere wahrheitsgemäß einen Vorgang von hohem öffentlichen Interesse. Daran ändere auch nichts, dass die Äußerungen von Jennie Bond aus dem Jahr 2011 stammen. Denn ihre Antwort auf die Frage nach dem Erfolgsrezept für die glückliche Beziehung des royalen Paares werde hunderttausende Menschen auf der Welt auch aktuell noch in hohem Maße interessieren.
Oder, wie „TV Movie“ formulieren würde: Verworren bleibt die Sache trotz allem!
(„TV Movie“ hat inzwischen die Überschrift geändert und dem Artikel einen Hinweis auf die Presserats-Rüge hinzugefügt.)
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Wie genau wurde denn versucht zu belegen, dass wirklich alle TV-Movie-Lesende so ticken, wie behauptet? Wie misst man sowas? Gab es Zwangsumfragen, denen sich kein Lesender entziehen konnte? Woher weiß man, dass jeder über das Paar so gut Bescheid weiß? In Vor-Internet-Zeiten hätte man ja noch argumentieren können: weil sie TV-Movie lesen. Nun sind sie sicher gerne bei Google und Co. gelistet und bekommen vermutlich nicht nur Stammleser. Wo ist der Artikel, der mir beibringt, wie eine Stammleser zu denken? Wie haben die es früher gemacht? Schließlich musst man ja auch den Nachwuchs in diese Denkweise einführen. Oder war das die Pflicht der Abonnenten und man durfte TV-Movie nicht unbetreut lesen?
Klug genug ist nur , welcher sie diesen Müll sich erst gar nicht antut.
Programmvorschau gibts schliesslich per Videotext oder über freie Software auf dem Handy/PC.
Vor Jahrzehnten war ich mal in einer sog. Drückerkolonne. Ich war nicht sonderlich erfolgreich, weis aber seitdem: manchen lässt sich alles verkaufen, auch ein Abo von „TV-…“.
Schön, daß die Überschrift geändert wurde. Und sonst nix. Man hätte dann zumindest den Einstieg mit ändern müssen.
„Sind Herzogin Kate und Prinz William etwa getrennt? | Getty Images
Bitte was? Herzogin Kate und Prinz William sollen sich längst haben scheiden lassen?“
Es hat sich eine „ Fernsehzeitschrfit“ in den Text eingeschlichen.
Ich stelle mir @niggi sisyphos als glücklichen menschen vor. Jede woche rollt übermedien den schmierigen klotz des boulevard den steilen abhang des faktenberges mühsam wieder hoch, um ihn kurz darauf höhnisch krachend vor den eigenen füssen landen zu sehen.