Ortstermin „Liebig 34“

Das allzu einfache Bild vom linken Terrorhaus

In der Liebigstraße kehrt endlich Ruhe ein – sollte man meinen. Vor gut einer Woche waren hier 1.500 Polizist:innen im Einsatz, um eines der letzten besetzten Häuser Berlins zu Räumen: die Liebig 34. Laut Polizei wurden insgesamt 57 Personen ohne physische Gegenwehr aus dem Haus geführt. Es waren Frauen und Transpersonen, die nach eigener Aussage ein anarcha-queerfeministisches Wohnprojekt und einen Schutzraum bildeten.

Nach Aussage von „Bild“ war dieser Raum ein „Chaoten-Haus“, der „Spiegel“ schrieb mehrfach von einem „Zentrum der Gewalt“ und selbst in der Ankündigung eines „Kontraste“-Beitrags im RBB war von einer „Festung“ die Rede, die „von Autonomen regelrecht beherrscht“ werde.

Am Mittwoch nach der Räumung liegt vor der Liebigstraße 34 ein großer Haufen Sperrmüll. Im verregneten Wind rascheln weiße Planen an Bauzäunen rund ums Gelände, die Fenster des Hauses klappen auf und zu. Aus dem Hinterhof dringen Geräusche von splitterndem Glas und dumpfen Gegenständen, die aufeinanderprallen. Das Gelände ist abgeriegelt und rund um die Uhr von Security-Leuten bewacht. Die Nachbarschaft müsste nun beruhigt sein. Laut diverser Berichte haben sie unter der Liebig 34 massiv gelitten.

Angriffe und Sachbeschädigungen

Bei RBB 24 erzählten bereits im Juli Nachbar:innen, dass sie sich ständigen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt sähen – und das obwohl sie selbst schwul seien oder links wählten. Seit ihre Siedlung enstanden sei, häuften sich Graffiti mit drohenden Reimen. Die Glasscheiben ihrer Haustüren seien inzwischen so häufig beschädigt worden, dass die Bewohner:innen sie nicht mehr auswechseln ließen.

Die Täter:innen der Sachbeschädigungen sind unbekannt, doch der RBB eröffnet die Schilderungen mit dem Satz: „Nachbarn der Liebig 34 leiden unter Gewalt.“ Und in der Anmoderation des „Kontraste“-Beitrags vom Vortag der Räumung heißt es: „Sie terrorisieren Nachbarn und greifen Polizisten an. Und das jahrelang. Grauenhafte Vorstellung? Genau das passiert. Mitten in der Hauptstadt.“

Auch im „Spiegel“-Artikel vom September berichtet eine Nachbarin von Bedrohungen und körperlichen Übergriffen. Und in einem sonst recht unaufgeregten Artikel der „Welt“ ist die Rede von „Spuckattacken gegen Nachbar:innen“. Der „Focus“ berichtet aus der Bäckerei an der Kreuzung von Liebigstraße und Rigaer Straße. Die Angestellten seien bedroht worden, dass sie Polizist:innen nicht bedienen sollen.

„Auf keinen Fall wurden wir bedroht“

Die Bäckerei 2000 in der Liebigstraße in Berlin
Laut „Focus“ hätten Hausbesetzer dem Besitzer der Bäckerei „mit ‚Maßnahmen‘ gedroht, falls er auch Polizisten bediene“. Foto: Pia Stendera

Vor Ort zeichnet sich ein anderes Bild ab. Knapp eine Woche nach der Räumung hängen in der Nachbarschaft Baumwolltücher und Plakate an den Fenstern. „Wir sind L34“, steht zum Beispiel über der Bäckerei an der Kreuzung. Als die Mitarbeiterinnen der Bäckerei mit dem „Focus”-Bericht konfrontiert werden, schütteln sie schief lächelnd den Kopf. „Auf keinen Fall wurden wir bedroht”, sagt eine der beiden. An die Sicherheitsleute würden sie jetzt auch nichts verkaufen – obwohl keine Liebig-34-Leute mehr da sind, die sie durch Drohungen dazu zwingen könnten. „Wir bedienen von drüben niemanden. Das kommt nicht in Frage”, sagt die andere.

„Es gibt Linksradikalismus hier im Kiez“, sagt Frau Kreuter aus der Liebigstraße 15, „aber es ist nicht alles auf die Liebig 34 zurückzuführen.“ Familie Kreuter lebt in einer großzügigen Wohnung schräg gegenüber der Nummer 34. Das Wasser in ihrer Küche servieren sie gefiltert. Auch ihr Haus Nummer 15 war einmal besetzt, „vor unserer Zeit“, wie Frau Kreuter sagt. In dem Haus wohnen heute „ganz viele unterschiedliche Menschen“, sagt ein anderer Bewohner, unter anderem Familien. An der Hausgemeinschaft wirkt nichts radikal, doch die Bewohner:innen wollen ihre richtigen Namen nicht nennen.

„Wir sind jetzt vorsichtig, weil wir uns positionieren“, sagt einer der Bewohner. In vergangene Räumungen seien rechte Securities involviert gewesen, die Bewohner:innen angegriffen hätten, und die Häufung der „Einzelfälle“ in der Polizei sei auch besorgniserregend.

Nicht alle fühlen sich nach der Räumung sicherer

Die Securities, die nun Tag und Nacht um die Liebig 34 unterwegs sind, „werfen auch so Blicke zu“, sagen die Bewohner der Nummer 15. Am späten Montagabend kam es zudem zu einer Auseinandersetzung mit einer Frau, die eine Kerze an der Liebig 34 abstellen wollte. Ein Video zeigt Personen in Warnwesten, bewaffnet mit Brecheisen, Schaufel und Holzlatte. Die Situation eskaliert. Auch die Person, die die Szene gefilmt hat, wird bedroht.

Bewohner:innen der Liebigstraße 15 haben die Auseinandersetzung beobachtet. „Bezeichnend ist ja, dass die Polizei da nicht kam“, sagt Frau Kreuter.

„Wir fühlen uns unsicher“, sagt Kreuter – auch zum RBB, der am Tag der Räumung erneut Nachbar:innen befragte. Frau Kreuter, die ihr Kind gerade zur Schule brachte, sprach über ihr Unbehagen der Polizei und dem Eigentümer der Liebigstraße 34 gegenüber. „Meine Meinung kam dann aber nicht vor im Beitrag“, sagt sie heute.

Zu wenig Ausgewogenheit in der Berichterstattung?

Es mag nicht die eine Wahrheit geben; um Ausgewogenheit scheinen sich jedoch auch wenige bemühen zu wollen. Zu sensationell klingen Sätze wie „Der Morgen, an dem der Staat die Macht zurückerobern will“, mit dem Spiegel-TV die Zusammenfassung des Tages ankündigt. Zu mächtig sind die Bilder der Häuserbesetzungen der 90er Jahre.

Aufs Dach gestiegen: Polizei räumt Liebig34 Foto: imago images / Future Image

Die Bewohner:innen der Liebigstraße 15 erlebten diese Macht bereits einen Morgen vor der Räumung, als Polizist:innen nach Angaben der Bewohner:innen um 5.45 Uhr gewaltsam in ihr Haus eindrangen und über 50 Stunden dort verharrten, um die Gesamtlage von dem Dachboden des Wohnhauses aus zu überblicken. Als die Bewohner:innen nach Stunden die Einsatzleitung sprechen konnten, sagte diese, die Verwaltungen aller umliegenden Häuser seien informiert worden.

„Bei uns ist auf keinem Wege eine Information der Polizei angekommen. Weder im Vorfeld noch während der ‚Besetzung‘ unseres Hauses“, schreibt die Wohnungsbaugenossenschaft der Liebigstraße 15 auf Nachfrage. Und „auch ein Anruf unseres Aufsichtsratsmitglieds Herr Mindrup (MdB, SPD) am Freitag gegen 21 Uhr bei Herrn Innensenator Geisel hat nicht dazu geführt, dass die Polizei Kontakt zu uns aufnahm“. Solche Szenen blieben verborgen.

Ebenso unsichtbar seien  die „erniedrigenden Machtgesten“ der Polizist:innen und Security-Menschen nach der Räumung, sagt Kreuter. In den sozialen Medien gibt es Videos davon, wie Polizisten nach der Räumung Selfies machten. Die Bewohner:innen der Liebigstraße 15 zeigen ein Foto, auf dem ein Mann in Anzug die Faust nach der Räumung triumphierend hochhebt. „Es wurde zur Schau getragen, wie bei einem Wettkampf: Wir sind die Sieger, wir haben gewonnen, und jetzt müsst ihr alle Angst haben vor uns“, sagt Frau Kreuter.

Als Polizisten Journalisten ins Haus ließen

Auch an diesem Tag fährt die Polizei Streife. An diesem Morgen stehen erneut sieben Beamte vor der Haustür der Liebigstraße 15. „Sie versuchen dich einzuschüchtern. „Eine andere Nachbarin haben sie auf dem Weg vom Bäcker abgefangen und ihr gesagt, sie bekäme eine Anzeige“, sagt Frau Kreuter. Die Polizisten hätten ihr ein Video vorgespielt, wie sie bei der Räumung auf Töpfen geklopft hätte. Die Gräben sind tief an der Liebigstraße 34.

„Die Machtdemonstration spiegelt sich leider in der Presse wider“, sagt eine Bewohnerin der Liebig 15. Sie meint damit nicht eine Darstellung, sondern eine Übernahme dieser Position. Am sichtbarsten wurde dies, als Polizisten Journalist:innen kurz nach der Räumung durch das Haus Liebig 34 führten, um sich gemeinsam über das Haus zu echauffieren. Vorn mit dabei waren „Bild“ und Spiegel-TV. Dies sei „beleidigend gegenüber der Bewohner:innen“, sagt die Frau aus dem Nachbarhaus.

Es gibt sie, die andere Berichterstattung – von linken Medien wie der „taz“, dem „Neuen Deutschland“, der „Jungen Welt“. Es sind Berichte, die sich eher wie Solidaritätsbekundungen mit der Liebig 34 lesen.

Die Rolle des Eigentümers

„Natürlich sind auch Scheißaktionen gelaufen“, sagt Frau Kreuter aus der Liebigstraße 15. Es gab Unruhe im Kiez, das geben auch die Bewohner:innen der Liebigstraße 15 zu. Das müsse man sehen können, ohne dass es danach hieße: „alles Linksradikale“. Besonders problematisch daran sei, „dass über die andere Seite dann überhaupt nichts kommt – über den Eigentümer, seine Vorgeschichte“, sagt ein weiterer Bewohner der Liebig 15.

Der „Spiegel“ erwähnte den Eigentümer der Liebig 34, Gijora Padovicz, in der Berichterstattung um die Räumung. „Aber da durfte ihn sein Anwalt unwidersprochen als Wohltäter darstellen“, sagt ein Bewohner der Liebigstraße 15. Tatsächlich heißt es in dem Artikel, Padovicz habe den „Erben einen Gefallen getan“, das Haus zu kaufen, da diese „drangsaliert“ worden seien. Die Bewohner:innen hätten fortan günstig in der Liebigstraße 34 gewohnt.

„Wenn man Leute wie unsere Eltern fragt, dann wissen sie nicht, wer hinter diesem Haus steht. Es ist kein privater Erbe, es ist ein Immobilienhai“, sagt eine Bewohnerin des Nachbarhauses Nummer 15. „Ein geschäftstüchtiger“, entgegnet ein anderer trocken und bringt Lachen in die besorgten Gesichter.

Eine kritische Auseinandersetzung mit Padovicz findet nur selten statt, etwa in der „Jungen Welt“. Die Berichterstattung über ihn ist so dünn, dass sich die Autorin auf einen sehr alten „taz“-Artikel und das Aktivist:innen-Blog „padowatch“ bezieht, in dem Betroffene seiner Geschäfte Informationen und Erfahrungen austauschen.

Dabei ist Gijora Padovicz Aktivist:innen für bezahlbaren Wohnraum in Berlin lange ein Begriff. Sein Firmenregister ist so lang wie der Berliner Bahnplan. In Aktivist:innen-Kreisen wird ihm nachgesagt, Immobilien mit Fördergeldern zu sanieren, Altmieter:innen rauszuwerfen, Handwerker zu prellen. Der „Tagesspiegel“ hat einige Fälle aufgegriffen.

Im Konflikt um die Liebig 34 tauchten sein Name und sein Gesicht auf Flyern auf: „Immobilienverwerter Padovicz ein Akteur der Verdrängung!“ steht darauf. „Hassflyer“, nennt der RBB diese in seinem „Kontraste“-Beitrag vom 8. Oktober. „Er konnte über Jahrzehnte unerkannt seine Geschäfte machen“, sagt ein langjähriger Bewohner der Liebigstraße 15. „Dass er nun sichtbar wurde, stört ihn bestimmt am meisten.“

Aufarbeitung gefordert

Im Frühjahr 2019 liefen noch Verhandlungen darüber, ob das Land oder der Bezirk das Haus Liebig 34 vom Eigentümer Padovicz übernehmen würden. Moritz Heusinger, der Anwalt der Liebig 34 sagte seinerzeit dem „Tagesspiegel“: „Der Umgang der Stadt mit der Liebig 34 könnte ein Positivbeispiel werden, einen Konflikt zu deeskalieren.“ Das Gegenteil trat ein. „Mir ist es ein Anliegen, das auch nochmal aufzuarbeiten“, sagt einer der Bewohner der 15.

Doch die Bewohner der Liebigstraße 15 fühlen sich in ihrer Ambivalenz von den Medien nicht gesehen. Ihnen scheint es, als hätten in dieser Auseinandersetzung auch Journalist:innen Position bezogen, anstatt ausgewogen zu berichten.

Dabei spräche nichts dagegen, zu differenzieren: Geschichten und Konflikte gibt es genug. Es gibt die radikalen Linken, es gibt den Immobilienhändler, es gibt Nachbar:innen mit all ihren individuellen Erfahrungen, es gibt die große Berliner Diskussion um Wohnraum – und am Ende die schlichte Frage: Wie kann gutes Zusammenleben im Kiez aussehen und woran scheitert es tatsächlich?

Nachtrag, 20.10.2020. Auch der RBB hat nun für einen Fernsehbeitrag mit Menschen aus der Nachbarschaft geredet, die beklagen, was an der Liebigstraße passiert sei. Ein Kiezbewohner sagt unter anderem:

„Dieses Bild, was gezeichnet wurde – die Nachbarn hassen die 34 –, was ja gerade auch von Ihrem Sender gezeichnet wurde, ist einfach nur ein, sagen wir mal, sehr einseitiges Bild. Es gibt auch Nachbarinnen und Nachbarn, die das halt anders sehen, aber das ist, glaube ich, eine Minderheit.“

81 Kommentare

  1. „Es mag nicht die eine Wahrheit geben; um Ausgewogenheit scheinen sich jedoch auch wenige bemühen zu wollen.“

    Um es mal dezent zu formulieren: Auf mich macht dieser Artikel jetzt nicht zwingend den Eindruck, sich vom Schwarz-Weiß-Muster abheben zu wollen.

  2. Nach Merkers „Beitrag“ schon wieder ein Artikel eines Autors, der ganz hart an der linken Außenbahn unterwegs ist.
    Wäre nicht Indymedia die bessere Plattform für sowas?

  3. Sehr cooler Artikel. Ich fand es echt krass wie wenig die Problematik mit der rechten Security aufgegriffen wurde. Da gab’s ja auch im Vorfeld der Räumung schon absurde Gestalten, die da beauftragt wurden.

  4. Ich bin geographisch nah dran an der Sache – Luftlinie knapp einen Kilometer. In meinem Hauseingang steht „L34 verteidigen“. Grundsätzlich bin ich sehr für Hausprojekte und Gentrifizierungskritik zu haben. Habe Teile meiner Jugend in solchen Häusern verbracht (allerdings in Göttingen) und heute noch Kontakt zu einem anderen Projekt in Friedrichshain.

    Die L34-Leute bzw. deren Umfeld sind mir aber schon lange wenig sympathisch. Simple Feindbilder statt kritischer Analyse, sehr aggressives Opfer-Selbstbild – es ist z.B. eine Sache, gegen ein Neubauprojekt in der Rigaer Straße zu protestieren. Etwas ganz anderes ist es, deren Bewohner nach Fertigstellung zu bedrohen, indem man ihre Wände mit Hassparolen vollkleistert (es gibt auch schlimmere Geschichten, die ich aber nicht verifizieren kann). Dort leben aber keine Bösewichte, sondern ganz normale Familien aus der oberen Mittelschicht mit ihren Kindern.

    Klar ist es eine unlautere Vereinfachung, von einem „linken Terrornest“ oder Ähnlichem zu berichten. Die „Alles nicht wahr, das sind die Guten“-Nummer ist aber auch Quatsch. Ich bin sehr für Ambivalenzen: Die Soli-Transparente an anderen Häusern der Liebigstraße gibt es. Das wird Gründe haben; sicher waren die L34-Leute zumindest zu Teilen ihrer Nachbarschaft sehr freundlich (a.k.a. solidarisch).

    Diejenigen, die sie schon deshalb als Feinde verorteten, weil sie in den falschen Häusern wohnen, gibt es aber auch. Wenn es Frau Stendera um Ambivalenzen und Differenzierung geht, kann sie ja mal in der Rigaer Str. 22 klingeln und die Leute dort befragen – nur um das Bild zu vervollständigen.

  5. ganz hart an der linken Außenbahn

    Vielleicht ist mir ja etwas entgangen, aber woran machen Sie das fest?

  6. Manche halten den SPIEGEL für eine linke Zeitung. Das glauben sowohl eher rechte, als auch eher linke Zeitgenossen. Dabei dürfte es sich aber auf beiden Seiten um eine Illusion halten, eine VorSPIEGELung.
    „Die Machtdemonstration spiegelt sich leider in der Presse wider“
    Das muss nicht falsch sein. Welche Macht demonstriert da jetzt warum?
    Vielleicht hat ja der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Fehler gemacht, als er das selbstlose Angebot der Bundeswehr ablehnte, bei der Verfolgung im Bezirk zu helfen? Wenn zwei Bundesminister sich über einen Bezirk empören, weil er ein Angebot ablehnt, dann muss man das ernstnehmen. Der Leiter des Corona-Krisenstabes im BMG ist ein General in Uniform: da wird scharf geschossen.
    Und der SPIEGEL, Alexander Neubacher, hat am 10.10. den Ton gesetzt und eine Philippika gegen den Bezirk geschrieben, in dem er alle seine Sünden aufgelistet hat: „Gewalt erlaubt, Corona egal, Heizpilz verboten“.
    So ging das einfach nicht weiter, in Rufweite zum Zentrum der Macht.

  7. @FPS / #1: Den Eindruck habe ich nicht. Die „andere Seite“, die etwa der ex-linke Kritische Kritiker hier aufführt, wird ja nicht bestritten (wenn auch nicht genauer geschildert). Es wird nur gesagt, dass es durchaus noch eine andere Seite gibt.

    @Müller / #6: Neubacher ist aber nicht „Der Spiegel“, nur dessen rechter Rand. Soll als Kolumnist wohl Fleischhauer ersetzen, nachdem der abhanden gekommen ist. Fleischhauer war aber wenigstens unterhaltsam, witzig und zuweilen auch geistreich. Neubacher ist bloß dröge und dogmatisch rechts.
    Den Spiegel als „linkes Medium“ zu sehen ist aber in der Tat zumindest arg holzschnittartig.

  8. #4: „Diejenigen, die sie schon deshalb als Feinde verorteten, weil sie in den falschen Häusern wohnen, gibt es aber auch.“

    Und über die wurde ausführlich berichtet bzw. sie zu Kronzeugen für ziemlich einseitige Darstellungen gemacht, von Bild über BZ bis Spiegel. Wieso glauben Sie, Sie müssten das jetzt noch mal erwähnen?

    „Wenn es Frau Stendera um Ambivalenzen und Differenzierung geht, kann sie ja mal in der Rigaer Str. 22 klingeln und die Leute dort befragen – nur um das Bild zu vervollständigen.“

    Das Bild zu vervollständigen dient dieser Artikel. Das stört Sie enorm, oder? Ich finde das übrigens ein bisschen eklig, dass Sie um Ihrer Selbstinszenierung als ‚Auskenner‘ willen eine konkrete Wohnadresse Dritter nennen…

  9. Der Tag, an dem der werte Someonesdaughter nicht mit Pöbeleien in eine Kommentarspalte einsteigt, muss auch erst noch gefunden werden.

  10. 10: Mehr als diese Pöbelei haben Sie nicht zu bieten?

    Wie finden Sie das, wenn einer erst raunt „es gibt auch schlimmere Geschichten, die ich aber nicht verifizieren kann“ und dann eine konkrete Wohnadresse benennt? Zielangabe für die ‚Terroristen‘ aus der ‚Festung‘? Damit man die Auskenner-Geschichten endlichendlich verifizieren kann?

    Ich finde das eklig. Ihnen fällt dazu nichts weiter ein als eine Attacke auf mich. Auch das finde ich eklig. Aber Sie springen dem KK ja nicht das erste Mal auf diesem Niveau bei … vielleicht gibt’s ein Leckerli dafür.

  11. @2″Hart an der linken Außenbahn“?

    Sie scheinen ein sehr, sehr positives Bild von Linksextremisten zu haben, wenn sie die beiden erwähnten Artikel so bezeichnen :-) Sehr schön. Endlich mal jemand, der den Hufeisenquatsch nicht nachplappert!

  12. @ someonesdaughter:
    Ich bezweifle, dass es einen Bedarf an solchen Artikeln gibt.
    Auch anarcha-queeer-feministische „Projekte“ haben nicht das Recht, fremder Menschen Eigentum zu okkupieren, Anwohner zu belästigen, zu bedrohen oder deren Sachen zu zerstören. Dabei ist es egal, dass nicht alle, sondern „nur“ einige betroffen waren. Da muss kein Bild vervollständigt werden, jeder einzelne Fall ist einer zuviel.
    Es ist Ausdruck der intellektuellen Schieflage dieses Landes, wenn simpelste Normen des Zusammenlebens in der im Artikel dargestellten Weise debattiert werden sollen.

  13. Wenn man die gesamte Geschichte nur aus der Presse kennt muss man zwangsläufig zur Meinung kommen in der Liebig 34 wohnte das personifizierte Böse.

    Das mündet dann z.B. auf der Facebook-Seite des „Polizeireporter Th. Schröder“, der sonst für BILD und BZ die Leichen von Verkehrsunfällen fotografiert, zu offenen Gewalt- und Mordaufrufen an den Bewohnerinnen.

    Die Führung durch das Haus für die Presse ist dann eigentlich nur noch das erneute zur Schau stellen der Abartigkeit der Bewohnerinnen. Man wollte ihnen auch im Nachhinein noch jegliche Menschlichkeit nehmen, in dem man die Lebensverhältnisse zur Schau stellte, mit denen sich 99% der Bevölkerung sicherlich nicht identifizieren kann. „Die sind gegen uns, weil wir es besser haben als sie“ sollte die unmissverständliche Botschaft sein. Sie hat gezündet.

  14. Der Mithai kommt eigentlich auch nirgends „gut“ weg.

    Persönlich finde ich es schlimm, dass die Wohnverhältnisse hart kritisiert werden, die gesperrten Treppenhäuser aber nicht oder nur am Rande.

  15. @Müller / #8: Ich habe Neubacher nur als Kolumnist bezeichnet, weil er mir halt hauptsächlich mit Meinungartikeln aufgefallen ist. In der „offizielle“ Reihe der Kolumnisten wird er aber nicht geführt, und wie seine sonstige Stellung in der Redaktion ist, weiß ich nicht. Jedenfalls repräsentiert er sicher nicht den Mainstream des Spiegel.

  16. #13 Andreas: „Es ist Ausdruck der intellektuellen Schieflage dieses Landes, wenn simpelste Normen des Zusammenlebens in der im Artikel dargestellten Weise debattiert werden sollen.“

    So ist es.

    #11 someonesdaughter: „Ich finde das eklig. Ihnen fällt dazu nichts weiter ein als eine Attacke auf mich. Auch das finde ich eklig. Aber Sie springen dem KK ja nicht das erste Mal auf diesem Niveau bei … vielleicht gibt’s ein Leckerli dafür.“

    Ekel als Grundlage „politischer“ Debatten kenne ich seit Mitte der 80er. Damals waren gefühlte 10-20% der Beteiligten derartig motiviert. (Lived experience: Im Schulunterricht permanent strickende Töchter aus gutem Hause, stark erhöhter BMI, Lieblingsvokabel „widerlich“.) Inzwischen sind es nun 90-100%. Ekel ist nun massentauglich, Twitter macht’s möglich. So kann man Politik kaputtfühlen. Ein System, in dem Diskurs nur noch aus dem gegenseitigen um-die-Ohren-hauen von Ekel besteht, wird über kurz oder lang instabil werden. Jede Demokratie ist nur so gut wie ihre Demokraten.

  17. Der lupenreine Demokrat weiß natürlich, dass Diskurs durch die Meinung von fetten, verzogenen strickenden Gören nur gestört wird.
    Die dürfen sogar Autofahren! Und wählen! Einfach widerlich, diese Undemokraten.

  18. #17: „Ekel als Grundlage „politischer“ Debatten kenne ich seit Mitte der 80er.“

    Interessant, was Sie so für eine Debatte halten – wollen wir dann mal über Ihren BMI, IQ oder Blutalkoholgehalt schon am Vormittag debattieren?

  19. @13 @17: „#13 Andreas: „Es ist Ausdruck der intellektuellen Schieflage dieses Landes, wenn simpelste Normen des Zusammenlebens in der im Artikel dargestellten Weise debattiert werden sollen.“

    „So ist es.“

    Die „Normen des Zusammenlebens“ reduzieren sich profan bei Ihnen auf die Eigentumsfrage, so unter uns Pastorentöchtern gesprochen.

    Dass der Bäcker für erlogene Propaganda mißbraucht wurde oder Nachbarn nun zum Ausgleich von rechten Security Aushilfsarbeitern schikaniert werden, das stört Sie doch bezeichnenderweise gar nicht.
    So lange es keine Linken sind …

    Wie da einige zu „Eigentümern“ werden, wollen Sie auch nicht beleuchtet wissen. Der genannte Immobilienhai sucht sich genau solche Objekte, kauft sie für einen Appel und ein Ei, weil man um die Situation weiss. Die Bewohner haben ihm in der Zeit ca. 600.000 € Mieteinahmen beschert. Die Summe, die er auch mal für die Immobilie bezahlt hat.
    Gleichzeitig hat er über sein Firmengeflecht den Steuerzahler um Unsummen an Fördergeldern für solche Objekte geprellt und final sorgt er auf Steuerzahlerkosten dafür, dass ihm die Happen mundgerecht vorgelegt und zur Gentrifizierung freigegeben werden.
    Tatsächlich ist mir solcherart „Eigentum“ komplett schnuppe.
    Das Resultat wird sein, dass demnächst ein weiterer Teil Friedrichhains unbezahlbar geworden ist. Aber dann werden sich die Wirtschaftsweisen wieder dafür aussprechen, das Wohngeld zu erhöhen, damit die Immobilienwirtschaft weiter blendend verdient. Als ob Wohngeld letztlich keine Subvention, kein staatliche Lenkung des Marktes wäre.

    Die Ideologen stehen rechts, soviel ist mal klar.

  20. „Die Bewohner haben ihm in der Zeit ca. 600.000 € Mieteinahmen beschert.“ Echt? Ich dachte, dass die genau keine Miete zahlten?

    Aber gut, dann verstehe ich die Empörung über die Räumung voll und ganz. 600.000/30 WE wäre 20.000/WE, bei sagen wir 5 Jahren 333,33 € Monatsmiete.

  21. War auch schon in kleineren „besetzen“ Häusern, sprich heruntergekommenen Immobilien im Ruhrpott und weiß von da nur, dass auf jeden Fall Miete gezahlt wurde. Rein anekdotisch aus ca. 10-15 Jahre alten Erinnerungen.
    Da hat sich einer ums monatliche Geldeinsammeln gekümmert. Gezahlt wurde für das Haus in dem dann eine variable Anzahl von Menschen lebte. Gekümmert um das Haus hat sich der Vermieter nie.
    Eigentlich ein ganz cooles Konzept: Vermiete dein Drecksloch an arme Studenten und hol selbst aus dem abrisswürdigsten Schimmelobjekt noch Rendite raus. Naja, die Studenten waren froh, nur ganz wenig zahlen zu müssen und es (bis zum Abriss) immerhin warm und trocken zu haben. Zumindest in den Räumen, in denen das Dach nicht beschädigt war und die Heizung funktionierte.
    Auch wurden dort oft Obdachlose gratis einquartiert. Ich erinnere mich da konkret an ein Objekt in Bochum, das vor Allem im Winter immer komplett voll war.
    Wie gesagt, rein anekdotisch und muss nicht auf die Berlin Situation zutreffen.

  22. Es gab von 2008 bis 2018 einen Pachtvertrag, der einseitig vom Vermieter nicht verlängert wurde. Das Haus stand dafür in Selbstverwaltung, d.h. es fielen keinerlei zusätzliche Kosten für den Hausbesitzer an (mit Ausnahme der Grundsteuer). Die nicht ganz 600.000 sind also Reingewinn vor Steuer, im Gegensatz zu anderen Mietobjekten.

    Aber klar, aus Berlin ist noch viel mehr rauszuholen, man muss das ja auch menschlich sehen: Gier ist nunmal eine unheilbare Erkrankung.

  23. Ok, das ist dann in der Tat von den Medien sehr runtergespielt worden.

    Aber im Prinzip hätten die Bewohner das Ding dann auch kaufen können.

  24. Die Leute waren schon drin, bevor der jetzige Eigentümer das Objekt gekauft hat. Sie hätten es in 2008 also auch selbst kaufen können.
    Im übrigen sind 4800 Euro im Monat für 30 WE mehr als günstig. Ob die das selbst bezahlt haben oder der „Scheiß Staat“ per Stütze dürfte die Vierte Gewalt auch mal recherchieren.
    Unabhängig davon hat man zu gehen, wenn ein Vertrag ausgelaufen ist, und nicht einfach zu bleiben nebst Terror gegen die Nachbarschaft.

  25. „Im übrigen sind 4800 Euro im Monat für 30 WE mehr als günstig. Ob die das selbst bezahlt haben oder der „Scheiß Staat“ per Stütze dürfte die Vierte Gewalt auch mal recherchieren.“

    Man muss Sie einfach lieben. Da möchten Sie gerne etwa hetzen, aber die Munition sollen andere liefern. Am besten noch die Besetzer selber.
    Ponyhof.

    Da ich den „Terror gegen die Nachbarschaft“ nur aus den Quellen kenne, die auch von der „Bedrohung des Bäckers“ schrieben, bin ich da erst einmal vorsichtig.

    Aber noch einmal zum Thema Eigentum: Ich bin da konservativ ;-)

    Das was die Allgemeinheit dieser Mensch ( und andere wie er ) kostet(n), würde ich mal gegen rechnen wollen. Und zwar auch mit Blick auf die Zukunft.
    Der Grund, weshalb immer größere Posten des Haushaltes für Wohngeldzahlungen benötigt werden, liegt gar nicht unbedingt an einer Knappheit, sondern vor allem an einem Übermass.
    Die Spekulation mit Betongold in den Metropolen läßt die Preise explodieren. Und die hat seit der Finanzkrise ungebremst den Markt abgegrast.
    Dabei wurden jede Menge halbseidene- und ganz kriminelle Methoden hinzugezogen, um die Investitionen noch lukrativer zu machen. Eine Lizenz zum Gelddrucken.
    Weil diejenigen, die schon jede Menge Immobilien besitzen, jeden Preis für weitere Sahnestückchen bezahlen können ( es wertet ja letztlich nur das eigene Portfolio weiter auf, erhöht den Wert der Objekte, die bereits darin sind ), spielt der Markt verrückt.
    Bevor überhaupt mit dem Bauen angefangen wird, werden 3-stellig Millionen bei mehreren Besitzwechseln verdient, wenn ein lukrative Tranche frei wird ( Holsten Areal HH ).
    Der Investor der Liebig ist da noch ein kleiner Fisch.

    Wenn ich an einer Autobahn, einem Flughafen, Tagebau oder einem Hafen wohne, kann ich mitunter ganz schnell erfahren, wie unantastbar mein Eigentum ist.

    Den paar Punkern wird schnell Schmarotzen unterstellt ( meist zu Unrecht ), aber was so alles an Dividenden aus unseren Steuergroschen erwirtschaftet wird, da tritt dann so eine Betriebsblindheit zutage.
    Stichwort Springer/Döpner?

    Wenn ein Spekulant ein „IN“-Viertel aufgewertet hat, darf sich die Allgemeinheit um die Opfer der Aktion kümmern. Und das sind, neben den Schicksalen, eben auch immense Kosten.

    Ich bin dazu nicht mehr bereit. Das widerspricht meinem Gerechtigkeitsempfinden.

    Der Typ hatte ein Angebot, ein anderes Gebäude dafür zu bekommen. Wegen mir enteignen, wenn er nicht zustimmt.

  26. „Die Leute waren schon drin, bevor der jetzige Eigentümer das Objekt gekauft hat. Sie hätten es in 2008 also auch selbst kaufen können.“

    Hätten sie? Sie sagen das, als ob Sie Einblick in die Verkaufsverhandlungen gehabt hätten. Dem wird sicher nicht so sein, ich spare mir also das Drumrum und stelle fest:

    Sie behaupten Fakten, die Sie nicht kennen.

    „Im übrigen sind 4800 Euro im Monat für 30 WE mehr als günstig. Ob die das selbst bezahlt haben oder der „Scheiß Staat“ per Stütze dürfte die Vierte Gewalt auch mal recherchieren.“

    Warum? Sie wollen doch nur das übliche „alles Sozialschmarotzer“ implizieren, auch hier wieder: ohne Fakten zu haben.

    Ihr Verhältnis zur Realität, das sich für Sie vermutlich superstabil anfühlt, scheint mir doch eher ein Gebroch–, pardon, gebrochenes, solange Sie Nichtwissen in Form von Faktenaussagen anbieten.

  27. @ Frank Gemein:
    „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“

    Schon Marx hat das Einbringen von Fähigkeiten in die Gesellschaft an die erste Stelle gesetzt.
    Sie dürfen gerne erläutern, welche Fähigkeiten die Bewohner von L34 konkret eingebracht haben oder wenigstens hätten einbringen wollen.
    Hernach erkläre ich Ihnen meine Vorstellung von Gerechtigkeit.
    Aber vorab: Zu behalten, was mir nicht gehört oder anderen einfach die Sachen zu zerstören, ist da nicht inklusive.

  28. Da die stark verschiedene Verteilung des Besitzes offenbar zu großen Konflikten führt, wäre es sicher am einfahsten, sämtlichen Besitzstand der Welt einer einzigen Person zu überlassen.

    Problem: die Unberührbarkeit des Besitzes betrifft stets nur die Besitzenden. Die natürlich nichts abgeben wollen.

  29. „Dazu hätte es jemand verkaufen wollen müssen.“ Stimmt, deshalb steht da „Im Prinzip“.

    Das Objekt ist zwischenzeitlich für 600.000 veräußert worden, also hat es tatsächlich mal eine „prinzipielle“ Verkaufsbereitschaft gegeben.

    Es wäre legal und nicht extraorbitant absurd, eine Genossenschaft oder sonstige juristische Person zu gründen, dem aktuellen Eigentümer ein Angebot zu machen, dass er möglicherweise nicht abschlagen wird, einen Kredit aufzunehmen – die Hypothek wäre das MFH – und dann wird statt Miete zu zahlen der Kredit abgeleistet. 30 Parteien, 90 €/Monat, 20 Jahre Laufzeit oder so. Schlimmstenfalls klappt das mit der Finanzierung nicht, das Haus kommt untern Hammer und fällt in die Hände eines Miethais. Also dasselbe wie jetzt.

    Und ja, ich kann mir etliche Wenn und Abers denken, warum das nicht geklappt haben könnte, wenn man es versucht hätte. Das kann kein Grund sein, es nicht wenigstens woanders zu versuchen.

  30. @Andreas / #29: Mit Marx‘ Vision vom Kommunismus argumentieren, um Kapitalismus der übelsten Art zu rechtfertigen. Muss man auch erstmal bringen.

    Aber gut, überführen wir erstmal sämtliches Eigentum an Produktionsmitteln, Grund und Boden und natürlich nicht selbst genutzter Immobilien in gesellschaftliches Eigentum. Dann können wir auch von Ihnen, mir, Herrn Padovicz und den L34-Leuten erwarten, sich mit ihren jeweiligen Fähigkeiten für’s Gemeinwohl einzubringen. Wie wär’s, Andreas?

  31. @Andreas, 29

    Sie haben über Marx wohl nur bei Ayn Rand gelesen.

    „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“

  32. „Den Versuch der Besetzer, das Haus zu kaufen, hatte er mit einer Forderung von 4 Millionen Euro beantwortet.“
    Da war das wohl schon zu spät dafür.

    Ist jetzt aber erst recht ein Argument, das bei anderen besetzten Häusern zu versuchen, oder?

    Persönlich finde ich, dass die jetzige Situation maßgeblich dadurch entstanden ist, dass städtische Wohnungsgesellschaften in Berlin in großem Maßstab verscherbelt wurden. Wenn eine großer Anteil an Wohnraum nicht für Spekulationen zur Verfügung steht, weil das Angebot preislich stabil bleibt, und der Wohnungsmarkt hauptsächlich zwischen Vermieter und Mieter stattfindet, haben Miethaie viel weniger Spielraum für solche Spiele.
    Ist insofern also tatsächlich die Schuld der Linken im Rathaus, nicht der Linken im Kiez.

  33. @Artikel

    Meine erste Reaktion war, dass es mir komisch vorkommt, dass die Liebigstraße scheinbar nur über die Hausnummern 34 und 15 verfügt. Klar tut es nichts zur Sache, wo genau jemand wohnt, aber das bringt mich auf den Gedanken, dass ich mir eigentlich als Leser nie sicher sein kann, ob die Aussagen der Anwohner glaubwürdig, sowohl als Zeugen als auch richtig zitiert, oder repräsentativ sind. Oder ob nicht in verschiedenen Artikeln eigentlich immer wieder die gleichen Anwohner zu Wort kommen, oder nur dem Autor genehme, oder bestimmte Anwohner sich nicht trauen. Wenn nicht mal der RBB das hinbekommt, die Aussagen richtig im Kontext einzuordnen oder mit journalistischer Distanz stehen zu lassen, wer dann? Bei taz/nd/jW auf der einen und Spiegel/Welt auf der anderen Seite kann ich mir ja praktisch sicher sein, dass eine Vorauswahl in die jeweils genehme eigene Seite stattfindet. Beim Boulevard von BILD und Focus sowieso.

    Kommt das nur mir so vor, oder ist der Tagesspiegel selten das Ziel von solcher Medienkritik oder Voreingenommenheitsvorwürfen, sondern wird immer wieder als neutraler Faktenlieferant verwendet? Ich traue der Marke nicht so ganz, weil der Verlag auch die transatlantische ZEIT und das neoliberale Handelsblatt herausbringt, aber irgendwie hab ich inhaltlich noch nie wirklich was an Tagesspiegel-Artikeln auszusetzen gehabt.

  34. #35: „Da war das wohl schon zu spät dafür.
    Ist jetzt aber erst recht ein Argument, das bei anderen besetzten Häusern zu versuchen, oder?“

    Sorry, ich kann Ihnen gerade nicht folgen: Was war wofür zu spät? Und hatte irgendjemand behauptet, besetzte Häuser zu kaufen sei eine schlechte Idee oder hat jemand dagegen argumentiert? Muss mir entgangen sein.

    „Persönlich finde ich, dass die jetzige Situation maßgeblich dadurch entstanden ist, dass städtische Wohnungsgesellschaften in Berlin in großem Maßstab verscherbelt wurden. (…) Ist insofern also tatsächlich die Schuld der Linken im Rathaus, nicht der Linken im Kiez.“

    Wenn ich mich recht erinnere, hat das große Verscherbeln des Tafelsilbers direkt nach der Wende begonnen und war bis zur Finanzmarktkrise 2008 vorbei. Den größten Einzel-Deal hat der allseits bekannte damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin 2004 eingestielt – den Verkauf der GSW mit 65.000 Wohnungen.

  35. „Sorry, ich kann Ihnen gerade nicht folgen: Was war wofür zu spät?“ Das Haus für die 600.000 zu kaufen. Ich räume ein, dass man da vllt. noch nicht abschätzen konnte, wie sehr das eskaliert.

    „Den größten Einzel-Deal hat der allseits bekannte damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin 2004 eingestielt.“ Ok, der ist von allen SPD-Politikern wohl am wenigsten links. Oder am weitesten rechts.

    Die explodierenden Preise für Wohnraum sind aber trotzdem linken Politikern im Rathaus zu verdanken, was ich krass finde. „Markt regelt, sagen die bei der FDP doch immer!“ Markt: *dreht auf wie Dreijährige nach einer Kanne Kaffee. FDP: „Habt Ihr gerade das ganze Tafelsilber verscherbelt? Linke können echt nicht mit Geld umgehen.“

  36. Kann es sein, dass Sie der lustigen Idee anhängen, Häuser würden heutzutage EINZELN ge- und verkauft?

    Sie sind Teile von Portfolios, und kein Verkäufer bricht sein Portfolio auseinander, wenn man ihm nicht ein extrem gutes Angebot macht.

    Es gibt Ausnahmen, hier um die Ecke konnte eine Hausgemeinschaft ihr Haus von einem Einzelvermieter kaufen. Aber mehrheitlich werden ganze Blöcke oder Cluster verstreuter Immobilien gehandelt. Auch das Teil der Marktkonzentration infolge eines freidrehenden Spekulationsmarktes.

    (Darum ist dieses ganze Rumgeheule etwa von der FDP über kleine Einzelvermieter, die von bösenbösen Mietendeckeln geknechtet würden, so offensichtliche Lügnerei. Einzelvermieter sind wie echte Bäcker: praktisch tot.)

  37. @Mycroft, #38

    Explodierende Preise sind doch das, was passiert, wenn „dem Markt“ freien Lauf gelassen wird. Wenn also die Linken schuld sind, dann weil sie *nicht genug* in den Markt eingegriffen haben. Aber rechtere Parteien wollen doch noch weniger eingreifen und noch mehr Gentrifizierung zulassen. Insofern ist das Draufhauen auf die Linken nicht sonderlich logisch finde ich. Oder worauf beziehen Sie sich? Die größten Verscherbelungen hat ja nicht die Linke durchgezogen.

  38. Nicht die Partei „die Linke“. Die linke Seite des Spektrums.
    Und das die Häuser verkauft haben, ist doch genau der Fehler, den ich beschreibe. Wenn die das nicht getan hätten, würden sie den Markt kontrollieren, also nicht den Immobilienmarkt, aber den Mietmarkt. Allzu hohe Mieten wären nicht möglich.

    Ich kenne tatsächlich Einzelvermieter und gemeinnützige Vermieter. Aber nicht in Berlin.

  39. @Stefan Pannor #39
    Wenn man sich die Eigentümerstruktur von Mietwohnungen in Berlin anschaut (z.B. hier Zahlen von 2019), dann spielen dort die großen Konzerne zwar eine bedeutendere Rolle als im deutschen Schnitt, die Situation stellt sich aber bei Weitem nicht so dar, wie Sie es hier tun. Nimmt man die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften heraus, bleibt noch ca. ein Drittel für die privatwirtschaftlichen Immobilienunternehmen, während sich etwa 40% in der Hand von Einzelpersonen oder Eigentümergemeinschaften befinden.

    Damit ist bestimmt nicht alles in Butter, aber so einen Anteil an Handwerksbäckern schafft Berlin nicht mal auf der Schönhauser.

    @erwinzk #36
    Den Tagesspiegel scheint das Thema tatsächlich ernsthaft zu interessieren: interaktiv.tagesspiegel[PUNKT]de/wem-gehoert-berlin (wg. 1-Link-Regel)

  40. @VONFERNSEHER #42
    „bleibt noch ca. ein Drittel für die privatwirtschaftlichen Immobilienunternehmen, während sich etwa 40% in der Hand von Einzelpersonen oder Eigentümergemeinschaften befinden.“

    Ja, das ist so, nur was bedeutet das? Ein wichtiges Instrument zur Mietberechnung ist der Mietenspiegel.
    In den fliessen die in den „letzten vier Jahren neu vereinbarten oder geänderten Mieten“ https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/de/vorbemerkung.shtml

    Langfristige Mietverhältnisse fliessen also nicht ein. Private Vermieter die langfristige Verträge mit ihren Mietern haben, sind als quasi neutral, was den aktuellen Markt angeht.
    Dann gibt es natürlich auch die Privaten, die am Preisboom partizipieren wollen und versuchen, in das Spiel einzusteigen.
    All das steigert die Position der „Big Player“ in den Metropolen enorm.
    Player wie die „Deutsche Wohnen“ sind Dauergäste an deutschen Gerichten. Von obskure Abrechnungen eigener Subunternehmen in den Nebenkosten (oder gleich gar nicht geleisteter Posten) über Klagen gegen Anerkennung des Mietenspiegels ( reicht nicht ) bis gar aus dem Haus Mobben der Altmieter, you name it.

    Die Bewegungen an dem Markt ( Preissteigerungen, aber auch zunehmend beschleunigte Besitzerwechsel ) sind ja kein Zufall.

    Und, wie gesagt: Die sozialen Kosten für die Verdrängung der Kiezbewohner zahlen wir alle.

    Der Film „Push“ von Fredrik Gertten zeigt, was da auf uns zukommt.
    https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/immobilien/die-dokumentation-push-ein-kinofilm-ueber-den-ungezuegelten-kapitalismus/24433368.html

  41. @ Mycroft (#41):

    Das ist ein bisschen einfach. Zum einen hat jeder Senat bis ca. 2005 Wohnungen verkauft, zum anderen geschah dies nicht aus einer (linken) Überzeugung, dass es eine gute Idee sei. Es war eine Mischung aus neoliberalem Zeitgeist, Miet-Tiefstand (sowas gab es mal in Berlin) und vor allem Überschuldung.

    Heute hat Berlin rund 2 Mio. Wohnungen, um die 280.000 sind in der Hand städtischer Gesellschaften (1990 waren es 480.000).

    @ Vonfernseher (#42):

    Interessante Statistik. Ich habe in Berlin bisher bei einem Privateigentümer (vertreten durch eine Wohnungsverwaltung) und bei der WBM gewohnt die der Stadt gehört. Abgesehen vom hohen Mietspiegel habe ich nichts zu beanstanden.

    Leider sitzen die institutionellen Investoren gerade am längeren Hebel, weil die Immobilienpreise so hoch sind. Wer z.B. einen Gründerzeitler mit Vorder-, Hinter und Seitenflügel geerbt hat, steht vor der Wahl, das Ding zu seinem Lebensprojekt zu machen (mit regelmäßigen Einkünften, aber viel Stress) oder es an einen Investor zu verkaufen und mit einem Schlag mehrfacher Millionär zu sein.

    Verkauft er, sind die Mieter oft mit Aufschlägen um 50 Prozent und mehr konfrontiert – oder sie fliegen raus, weil die Wohnungen entmietet und einzeln weiterverkauft werden.

  42. Ein Artikel gegen Simplifizierung simplifiziert. Opfer, die bedroht werden, wenn sie dieses oder jenes nicht tun oder weil sie dieses oder jenes gesagt haben, werden unbekannten Medienmenschen wohl kaum bestätigen, dass sie bedroht werden. Der Aspekt, dass die Linksradikalen aus der Umgebung verschwunden seien, fällt nicht ins Gewicht bei einer gewaltbereiten Szene, die in kürzester Zeit überall in Berlin mobilisieren kann.

    Wer anderen Journalisten gegen das Bein treten will, sollte selbst schon ein bisschen standfester sein.

  43. @ vonfernseher #42
    „Den Tagesspiegel scheint das Thema tatsächlich ernsthaft zu interessieren“
    Ich lese da:
    „Wem gehört Berlin? Gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern finden wir heraus, wem die Häuser der Stadt gehören“
    Das kommt mir sehr bekannt vor:
    Wer ist denn der Kooperationspartner des Tagesspiegel?
    Derselbe wie der des Bayerischen Rundfunks:
    „Wem gehört die Stadt?“
    „BR und Correctiv haben die Bürgerinnnen und Bürger in drei bayerischen Städten dazu aufgerufen, Informationen zu Ihrer Wohnsituation zu spenden, um den Wohnungsmarkt transparenter zu machen“
    Transparenter für wen? Für die Bürger?
    Oder vielleicht doch eher für Heuschrecken, von denen Correctiv auch sonst gerne Geld nimmt?
    Eigentlich unterliegen die Daten konkreter Mieter und Eigentümer dem Datenschutz. Es ist ein Journalismus-Paragraph, der Correctiv (und seinen Geldgebern?), hier legalen Zugriff auf geschützte Daten verschafft.
    Nicht überall, wo Sozialismus draufsteht, ist auch mehr Eierkuchen für die Vielen drin.

  44. „Zum einen hat jeder Senat bis ca. 2005 Wohnungen verkauft, zum anderen geschah dies nicht aus einer (linken) Überzeugung, dass es eine gute Idee sei.“ Zum einen: wieso überhaupt noch wählen, wenn der neue Senat denselben Mist macht wie der alte? Zum anderen: es sollte eine linke Überzeugung sein, dass das eine extrem blöde Idee ist.

    Wenn man ein Viertel aller Mieten einfach „diktatorisch“ festlegen kann, weil einem ein Viertel aller Wohnungen gehört, dann können die Mieten der anderen Wohnungen einfach nicht so steigen, wie deren Vermieter das gerne hätten. Und wenn ein Viertel aller Wohngebäude einfach nicht zum Verkauf stehen, gibt es weniger Immobilienspekulationen.

  45. Huhu, da fehlt ein „der“ in:

    „Wir fühlen uns unsicher“, sagt Kreuter – auch zum RBB, der am Tag Räumung erneut Nachbar:innen befragte.

    Danke! Ist korrigiert. -jk

  46. @Mycroft, #46

    „Wenn man ein Viertel aller Mieten einfach „diktatorisch“ festlegen kann, weil einem ein Viertel aller Wohnungen gehört, dann können die Mieten der anderen Wohnungen einfach nicht so steigen, wie deren Vermieter das gerne hätten.“

    Wieso nicht? Man hat einfach nur den Markt verkleinert.

  47. „Wieso nicht? Man hat einfach nur den Markt verkleinert.“ Nein, der _Miet_-Markt ist dergleiche. Städtische Wohnungen bleiben nicht ewig beim selben Mieter.

    Ein städtischer oder gemeinnütziger Vermieter wird seine Mieten nicht gewinnoptimierend, sondern kostendeckend kalkulieren, also Rücklagen für Sanierungen bilden, Querfinanzierung bei Leerstand, Personal- und Versicherungskosten begleichen, Kredite für Kauf oder Neubau tilgen, etc., aber keine Mieterhöhungen, nur weil mehr Leute nach Berlin wollen; dadurch wird er die Mieten immer wieder erhöhen, aber ungefähr proportional zur allgemeinen Preisentwicklung. Ergebnis sind gescheite Wohnungen zu gescheiten Preisen. Wenn andere 2-Zimmer-Buden im Hinter-Hinterhaus mit Klo auf halber Etage vermieten wollen, ok. Wenn andere Schicki-Micki-DG-Luxus-Apartments vermieten wollen, auch ok. Es gibt dann für jede Zielgruppe (Geldbeutel) etwas.

    Wenn jetzt jemand in Berlin eine Wohnung sucht, wird soe den aktuellen Mietspiegel lesen. Wenn die Stadt mit 20% den größten Anbieter stellt, und wie beschrieben gescheiten Wohnraum zu gescheiten Preisen anbietet, wird der Mietspiegel stark davon geprägt sein. Wenn den Mietinteressenten die 2-Zimmer-Bude nicht gefällt, weil seit 40 Jahren nichts daran gemacht: „Mietniveau ist auch von vor 40 Jahren.“ Wenn den Mietinteressenten die Miete für die Schicki-Micki-Bude zu hoch ist: „Kein Ding, irgendwer kann das schon bezahlen.“
    In _dieser_ Situation ist die Frage möglich: „Diese 08/15-Wohnung ist ungefähr so gut ausgestattet wie die städtische schräg gegenüber, aber so teuer wie die Schicki-Micki-Bude um die Ecke. Wieso?“ oder: „Wieso ist die Toilette auf halber Etage, aber die Miete auf Durchschnittsniveau?“

    Erst, wenn die städtischen Wohnungen zu >95% bewohnt werden – was deren Kalkulation natürlich SEHR optimiert – kann man sinnvollerweise für 08/15-Wohnraum viel mehr Geld verlangen. Bei 20% Stadt-Anteil dauert das länger als bei 10%.

    Womit ich sagen will, dass städtische oder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaften Gentrifizierung nicht grundsätzlich verhindern, sie dämpfen diese Entwicklung, und sie dämpfen grundsätzlich die Preisentwicklung.

    Weiterhin, wenn man ein paar tausend MFH auf einem Schlag verkauft, entstehen natürlich genau DIE MFH-Cluster, die weiter oben kritisiert werden; wenn es jetzt ein paar tausend Vermieter MEHR in Berlin gäbe, die miteinander um Mieter konkurrieren, wäre die Lage auch entspannter.

    Stattdessen hat man die Mietbremse durch städtisches Eigentum aus der Hand gegeben und führt dafür den Mietendeckel ein. yayHey, wie der Klingone sagt.

  48. @Mycroft, #50

    „Erst, wenn die städtischen Wohnungen zu >95% bewohnt werden – was deren Kalkulation natürlich SEHR optimiert – kann man sinnvollerweise für 08/15-Wohnraum viel mehr Geld verlangen. Bei 20% Stadt-Anteil dauert das länger als bei 10%.“

    Wie groß ist denn in Berlin bei den Städtischen so der Leerstand? Oder überhaupt auch auf dem freien Markt? Es finden sich doch gerade für alle Wohnungen sofort Mieter, und zwar mehrere Interessenten auf eine Wohnung. Als Mieter hat man dann eben nicht die Wahl zwischen der günstigen städtischen Wohnung und der teuren Marktwohnung. Sondern ein paar Leute schaffen es, eine städtische zu bekommen und die anderen konkurrieren um die freien oder warten weiter auf die nächsten freien städtischen.

    Wieso sollte ich als Vermieter auf das Niveau der städtischen runtergehen, wenn ich auch mit 50% Aufschlag sofort einen Interessenten finde? Das ist einfach der freie Markt. Ob jetzt 10% oder 20% vom Gesamtmarkt von diesem freien Markt ausgenommen sind, das ändert doch nichts an der Kalkulation der Vermieter.

  49. „Ob jetzt 10% oder 20% vom Gesamtmarkt von diesem freien Markt ausgenommen sind, das ändert doch nichts an der Kalkulation der Vermieter.“
    Doch. Die Preise sind ja nicht kalkuliert im Sinne: „Ich brauche x €, sonst zahl ich drauf!“ (Bzw., die Schickimicki-Heititei-Elite-DG-Terrassen-Privat-Aufzug-deLuxe-Dinger wohl schon.)
    Erstmal ziehen die 20% den Mietspiegel besser runter als die 10%. Meine Bereitschaft, eine Wohnung für 10 €/m² kalt zu mieten, ist höher, wenn der Mietspiegel 9 statt 7 sagt. Die Miethaie konkurrieren auch untereinander, und wenn ich tatsächlich SEHE, dass 7 lt. Mietspiegel möglich wären, aber keine zu dem Preis finde, gehe ich trotzdem zum Miethai eins weiter, der nur 9 statt 10 will.
    Zweitens haben die Städtischen kein Interesse daran, die vorhanden Mieter rauszukriegen, denn neue Mieter zahlen eh‘ dasselbe. D.h., es gibt weniger Berliner, die sich neuen Wohnraum auf mittlerem Mietniveau suchen müssen. Sinkt die Nachfrage, sinkt der Preis.

  50. @Mycroft

    Mit kalkuliert meinte ich „wieviel kann ich verlangen, um noch einen zahlungskräftigen Bedürftigen zu finden“.

    „Erstmal ziehen die 20% den Mietspiegel besser runter als die 10%. “

    Ich würde sagen, das ändert nur was, wenn Vermieter irgendwie an den Mietspiegel gebunden sind. Bspw. Neuvermietungen „nicht höher als 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete“. Das würde ich aber als zusätzliche wichtige politische Maßnahme sehen und nicht als Verdienst des höheren Anteils an städtischen Wohnungen. Aber ja, wenn es diese Maßnahme gibt und sie auch durchgesetzt wird, dann hilft es wenn 20% statt 10% städtisch sind.

    „Die Miethaie konkurrieren auch untereinander, und wenn ich tatsächlich SEHE, dass 7 lt. Mietspiegel möglich wären, aber keine zu dem Preis finde, gehe ich trotzdem zum Miethai eins weiter, der nur 9 statt 10 will.“

    Ja die konkurrieren auch untereinander um Mieter. Aber Miethai 2 findet auch für 10 einen Mieter und dann sieht Miethai 1 mit seinen 9 alt aus. Der Markt wird von der Angebotsseite diktiert, weil es viel mehr Nachfrage gibt, und das einzige, was beide daran hindert, ihre Preise zu erhoehen, ist ein Mietdeckel. Auf einem komplett freien Markt wären sie vielleicht beide auf 15 oder 20. Aber so gehen sie auf den höchsten Wert, den sie laut Gesetz gerade noch dürfen, und zwar beide.

    „Zweitens haben die Städtischen kein Interesse daran, die vorhanden Mieter rauszukriegen, denn neue Mieter zahlen eh‘ dasselbe. D.h., es gibt weniger Berliner, die sich neuen Wohnraum auf mittlerem Mietniveau suchen müssen. Sinkt die Nachfrage, sinkt der Preis.“

    Das wird mir zu kompliziert, da muss ich passen.

  51. @ Mycroft:

    Was Du übersiehst – der Mietspiegel wird nicht stadtweit erhoben, sondern auf die Lage bezogen. Die Masse der städtischen Wohnungen konzentriert sich aber auf die Neubaugebiete der 60er/70er-Jahre: Lichtenberg, Hellersdorf/Marzahn, aber auch Teile von Mitte im Osten, Gropiusstadt oder das Märkische Viertel im Westen.

    Wenn die städtischen Gesellschaften dort die Mieten niedrighalten, ändert das an der Entwicklung im Gründerzeitgürtel gar nichts. Dort sind mit den privaten auch die städtischen Mieten massiv gestiegen – einfach weil sie mit dem Mietspiegel nach oben gezogen werden, auch wenn sie an dessen Untergrenze bleiben.

    Unsicher bin ich mir, wie sich der Mietendeckel auswirkt, so er denn kommt. Klar hätte das Mietsenkungen zur Folge (selbst für mich im städtischen Bestand ca. 50 Euro im Monat). Gleichzeitig würde sich aber der Druck nochmal erhöhen, Miet- in Eigentumswohnungen zu verwandeln, was das Angebot nochmal verknappen würde.

  52. Sorry für’s OT:
    @Kritischer Kritiker

    @ Mycroft:

    Was Du übersiehst –

    Ich hab Sie vor einiger Zeit mal geduzt, mit dem Hinweis darauf, dass wir etwa das gleiche Alter haben, beide aus Göttingen kommen, beide nun in Berlin leben. Und auch, weil wir im Internet sind (da war duzen früher üblich, das hat sich erst geändert, seit die ältere Generation, denen das Netz in den 90er Jahren zu modisch war, dann doch ins Netz gefunden hat).
    Sich hatten sich das duzen verbeten. Und gemeint, falls wir mal bei nem Bier zusammen säßen, dann käme ein Du in Frage. Ich muss gestehen, ich fand es etwas schräg, dass da von Ihnen nach einer solchen Aussage ein gemeinsames Bierchen vorstellbar war.

    Wie auch immer, wenn ich fragen darf: mit Mycroft näher „bekannt“?
    Oder gelten Ihre Maßstäbe für Sie nicht?

  53. @erwinzk

    Wenn aber 20% statt 10% in einer preisstabilen, gepflegten städtischen Wohnung leben, dann hat man – ab von allen makroökonomischen Überlegungen – vor allem schon einmal 10% mehr Haushalte mit echten Menschen, die ein großes Problem in ihrem Leben nicht haben. Und als Stadt(staat) kann man die Bedingungen so gestalten, dass ein erheblicher Teil dieser Menschen solche sind, die es sich sonst nicht aus eigener Kraft leisten könnten, diesen Stressfaktor aus ihrem Leben zu beseitigen. Menschen, die dann mehr Ressourcen haben, um sich selbsterfüllend und vielleicht gesellschaftlich gewinnbringend einzusetzen. Das klingt für mich nicht nach der schlechtesten Motivation für Politik.

  54. @Micha (#55):

    Nein, ich kenne Mycroft nicht. Das „Du“ war ein Versehen, weil ich aus einem anderen Forum gewechselt war. Grundsätzlich sieze ich ihn wie alle anderen hier.

    Und hier sieze ich, weil das „Sie“ die Regel ist (oder zumindest war, als ich vor zwei Jahren dazukam). Und dann halte ich mich auch dran, weil der Wechsel zwischen „Du“ und „Sie“ schnell nach Grußpolitik klingt – das „Du“ wird zur Vereinnahmung, das „Sie“ zur Zurückweisung. Also: Gleiche Anrede für alle.

    Deshalb habe ich mir das „Du“ auch bei Ihnen „verbeten“ – das war überhaupt nicht persönlich gemeint, was ich eigentlich mit dem Hinweis auf das Bier deutlichmachen wollte. Sollte heißen: Grundsätzlich gerne „Du“, nur hier halt nicht. Falls das falsch rüberkam, bitte ich um Entschuldigung.

    Nichts für ungut, ich hoffe, das ist ausgeräumt.

    P.S.: Über den Durchmarsch des „Du“ auf allen Kanälen könnte man lange diskutieren. In Internetforen finde ich es meist unproblematisch (sofern sich alle duzen). Wenn ich aber z.B. in einem Podcast des Deutschlandfunks geduzt werde, finde ich das distanzlos. Signal: Wir sind alle eine große Community! Nee, nicht unbedingt.

  55. „Ich würde sagen, das ändert nur was, wenn Vermieter irgendwie an den Mietspiegel gebunden sind.“
    Sind sie so natürlich nicht. Bäcker sind auch nicht an Brötchenpreise gebunden.

    Ok, die Mietspiegel schwanken nach Lage. Was jetzt auch „faire“ Gründe haben kann.

    Als Mensch, der nach Berlin ziehen müsste, könnte ich dennoch den Mietspiegel zu Rate ziehen, auch in Hinblick auf meinen zukünftigen Arbeitsweg. Ich könnte bspw. erstmal mit einer relativ günstigen Wohnung in einem abgelegenen Teil vorlieb nehmen und dann das erste Jahr jedes freie WE mit Wohnungssuche verbringen. Je mehr städtische Wohnungen es gibt, desto häufiger wird eine davon frei, desto eher habe ich die Chance, eine zu bekommen, desto weniger bin ich auf die Miethaie angewiesen. Das hätte Auswirkungen.

    Nehmen Sie Eis. Angenommen, es gäbe bei Ihnen in der Innenstadt zwei Eiscafes, im einen ist das Eis rd. 50% teurer als im anderen, deshalb ist das eine immer überfüllt, aber das andere ist auch gut besucht, weil es sehr VIELE Eisinteressierte gibt. Wenn sich wer beschwert, bekommt soe zu hören: „Geh doch nach drüben und stell Dich in die Schlange!“. Wäre das Cafe mit dem billigen Eis doppelt so groß (20 statt 10 Tische), wäre es nicht überfüllt, sondern gut ausgelastet, aber das mit dem teuren müsste seine Preispolitik überarbeiten.

  56. @MYCROFT
    Leider genügt es nicht, den Mietenmarkt nur unter den Aspekten Angebot und Nachfrage zu betrachten. Es gibt eine Knappheit, aber nicht die Möglichkeit des Verzichts ( einfach nicht Wohnen heisst Obdachlosigkeit ).
    Deshalb gibt es staatliche Eingriffe, regelnd und unterstützend.
    Das klappte so einigermaßen bis zur Finanzkrise. Seitdem drängen enorme Mengen an Kapital auf den Immobilienmarkt der Metropolen. Betongold verspricht sichere Renditen und enorme Wachstumspotentiale. Dass die Metropolenbewohner nun mitunter 50% und mehr ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, ist ein Resultat dessen.

    Wirtschaftliche Systeme brauchen Kapital, viel fluides Kapital wirkt sich positiv auf die Wirtschaft aus. So weit, so simpel.
    Aber es gibt tatsächlich auch zu viel an Kapital, welches in die Märkte drückt und Erträge fordert. Zuviel Öl wird einen Motor überhitzen.

    Wie kann man Preisbindungen umgehen, was exakt muss modernisiert werden, um Bindungen auszusetzen? Neuvermietungen sind lukrativer. Also wie werden wir die Altmieter los… all das wird eher umgesetzt, als tatsächlich zu bauen.

    Also werden mehr Subventionen gefordert, in Form von Wohngeld, um Härten auszugleichen. Eingriffe in den Markt, gefordert von denen, die sonst jeglichen Eingriff in den Markt als Sakrileg verdammen.

    Ich habe eh langsam das Gefühl, der Kapitalismus ist eine Religion und die FDP der Vatikan.
    Aber das ist ein anderer Schnack.

  57. „Es gibt eine Knappheit, aber nicht die Möglichkeit des Verzichts ( einfach nicht Wohnen heisst Obdachlosigkeit ).“

    Das seh ich anders. Man kann umziehen. Die Preise sind nicht überall gleich gestiegen. Wenn man den Zuzug von Menschen in einen Ballungsraum für normal hält, dann muss man auch das Wegziehen für normal halten. Jede persönliche Entscheidung hat eben Folgen und wer die Nachteile seiner Entscheidungen in erster Line von der Gesellschaft regulieren lassen möchte, der darf sich über suboptimale Lösungsansätze nicht wundern.

    „Deshalb gibt es staatliche Eingriffe, regelnd und unterstützend.“ Ja, aber manche Eingriffe sind eben kontraproduktiv und dann ist es für die Leute, die das Wohnproblem haben, eben noch blöder.

  58. Das seh ich anders. Man kann umziehen.

    Das funktioniert eben in vielen deutschen Großstädten nicht mehr. Die Preise in den Außenbezirken und Vororten steigen ebenso stark, seit Corona sogar stärker als in der Innenstadt. Und viele können nur so weit weg ziehen, dass die Geldquelle nicht versiegt.

  59. @Hole #60:
    >Das seh ich anders. Man kann umziehen. Die Preise sind nicht überall gleich gestiegen. <
    Es gibt mehrere Aspekte, die dagegen sprechen. Wie VONFERNSEHER schon schreibt, sind in der Folge die Preise im Umland schon angezogen, dann leben wir in den Zeiten der überfälligen Verkehrswende, in der es extrem kontraproduktiv ist, wenn die Pendelkilometer zu- statt abnehmen und drittens ist es absurd, dass die öffentliche Hand dafür blechen darf, wenn Spekulanten blendende Geschäfte machen.
    Die einen müssen immer größere Teile ihres Einkommen für Mieten aufbringen, die anderen werden verdrängt. Verdrängt werden die Schwächeren. Alte Menschen, Familien mit vielen Kindern, Arbeitslose und Alleinerzieher.
    Jahrzehnte alte soziale Netzwerke werden aufgesprengt, Problembezirke in ärmeren Vierteln entstehen/wachsen. Besonders größere Familien finden in den durchgestylten Bezirken nüscht mehr.
    All das verursacht auch jede Menge Kosten. Wir alle subventionieren also die Spekulation für einen Eigentumsbegriff, ohne jegliche implementierte Verantwortung des Eigentümers.

    Ein Eigentumsbegriff, der sofort zur Disposition steht, wenn das Eigentum dem Geldverdienen im Wege steht. Wenn Tagebau- oder Hafenerweiterung geplant sind bspw..

    Es ist diese religiöse Kapitalismusgläubigkeit, die, auch wenn die Nachteile glasklar auf dem Tisch liegen, dann eben mit einem Dogma verteidigt wird.

    Wien ist die mitteleuropäische Stadt mit dem größten kommunalen Wohnsektor. 62% der Wiener wohnen in geförderten- oder kommunalen Wohnungen. Es gibt keine "Fehlbelegung", weil es keine Grenzen gibt, ab denen man wieder ausziehen müsste.
    Gute Versorgung und niedrige Mieten sind das Resultat ( zwischen 5€ und 9€ pro m2 ). Das sorgt dafür, dass auch die privaten Vermieter günstig anbieten.

    Wir aber versenken unsere Förderungen in Projekte, die nach einigen Jahren aus der Preisbindung fliegen und selbst das maue Drittel Sozialwohnungen ist dann bald keines mehr.

    Der kommunale Wohnsektor Wiens funktioniert ausnehmend besser, als der weitgehend privatisierte Berlins, Hamburgs oder Münchens.
    Die Kapitalströme, die in den Markt drängen, bauen kaum neu. Warum auch? Wenn die großen Konzerne für Entlastung durch Neubau sorgten, dann würden sie ja die Teuerung der eigenen, bereits vorhandenen, Objekte hintertreiben.

    Förderprogramme, Hartz-IV Aufstockung, Wohngeld, Sozialarbeiter, Brennpunktschulen, Sicherheitskräfte … direkt und indirekt bezahlt die öffentliche Hand dafür, dass in den Metropolen von wenigen blendend verdient werden kann.
    Der Spekulant im Fall der Liebig gilt als Experte im Abgreifen von Fördergeldern. Dafür hat er ein quasi undurchschaubares Firmengeflecht erschaffen.
    Die Räumung und der ganze Rattenschwanz, der daran hängt, wird vom Steuerzahler bezahlt und dürfte den Kaufpreis locker überholen.

    Tolles Geschäft, zur Absicherung der Spekulation.

  60. „Die einen müssen immer größere Teile ihres Einkommen für Mieten aufbringen, die anderen werden verdrängt. Verdrängt werden die Schwächeren. Alte Menschen, Familien mit vielen Kindern, Arbeitslose und Alleinerzieher.“

    Ich verstehe das Problem, aber wo ist die Lösung? Ich habe Kollegen in London, die Gehälter verdienen, die hier in Deutschland zu den Top 1% gehören. Dennoch bringen die 80% ihres Einkommens für das Wohnen auf. Viele junge Kollegen ziehen nach Australien. Es ziehen aber immer noch junge Leute nach London, weil sie an diesem Spiel mitmachen wollen. Das Thema kann man, wenn man den Erfahrungen glaubt, mit staatlichem Wohnungsbau nicht lösen und mit Auflagen und Einschränkungen nicht lindern.

    Persönlich habe ich meine Kinder seit frühester Zeit indoktriniert, nicht in den großen Städten – Berlin, Hamburg, München, Köln – studieren oder arbeiten zu wollen.

    Alle diese Städte lagen bei ihren Mitschülern auf der Top-Wunschliste. Die, die dort hingegangen sind, haben ein hartes Leben. Selbst wenn deren Eltern wohlhabend sind. Mit Familie wird es dann noch schlimmer.

    Bevor jetzt jemand rumpöpelt: Man kann auch an die Verantwortung der Kinder appellieren, ein lokales Problem nicht durch eine egoistischer Mentalität zu verschärfen. Es gibt sehr viele Universitätsstädte in Deutschland. Und die vernünftigen, die eine Lehre machen, die spielen beim Thema Stadtzuzug eher eine untergeordnete Rolle.

  61. @S. Hole: Zum Studieren kann man sich i.d.R. eine andere Stadt suchen. Die meisten Menschen, die in Berlin/Frankfurt/München wohnen, haben dort aber ihre Arbeit oder Familie oder leben dort seit Jahrzehnten. Die können nicht einfach mal wegziehen. „Dann zieh doch weg“ ist darum in mehrfacher Hinsicht ein etwas billiger Ratschlag.

  62. #66: „Die können nicht einfach mal wegziehen.“

    Ach was, wenn sich die Krankenschwester Berlin eben nicht mehr leisten kann, sind die Studenten schuld und sie soll halt irgendwo nach Brandenburg ziehen. Zur Charité kann sie ja pendeln, 4 Stunden sind ja wohl zumutbar. Und wenn’s fürs Brot nicht reicht, gibt es eben Kuchen. Und ab und an mal Applaus von S. Hole.

  63. „Es gibt eine Knappheit, aber nicht die Möglichkeit des Verzichts ( einfach nicht Wohnen heisst Obdachlosigkeit ).“
    Also hätten die nicht nur keine Immobilien verkaufen sollen, sondern auch noch neue bauen?

    Der Punkt mit den Zuzug ist natürlich vorhanden. Ich ziehe ja nicht nach Berlin, um dort Krankenschwester oder Dachdecker zu werden, sondern meist wegen eines Jobs, bei dem ich die höheren Mieten einpreisen kann. D.h., angehende Abteilungsleiter konkurrieren mit den berliner Durchschnittsangestellten um Wohnraum.

    „Es ist diese religiöse Kapitalismusgläubigkeit, die, auch wenn die Nachteile glasklar auf dem Tisch liegen, dann eben mit einem Dogma verteidigt wird.“
    Ja, aber wenn die SPD stadteigene Wohnungen dem Kapitalismus opfert, ist das so, als würden Satanismen plötzlich das Vater unser beten.

    „Die Räumung und der ganze Rattenschwanz, der daran hängt, wird vom Steuerzahler bezahlt und dürfte den Kaufpreis locker überholen.“ Schon. Auch ein Feuerwehreinsatz kostet irgendwann mehr als das, was gerettet wurde. Aber man darf nicht nur an Geld denken.

  64. @S.HOLE:
    Ich finde schon, wir sollten in unseren Metropolen verhindern, dass es dort einmal wie in London zugeht.
    gestern fiel ein Beitrag von mir dem Moderator zum Opfer. Wohl weil 2 Links enthalten waren. Also jetzt ohne Link: Der Film „Push“ von Frederick Gertten zeigt anschaulich, was der unregulierte Markt mit dem Menschenrecht Wohnen macht.
    In London gibt es ganze Straßenzüge, die unbewohnt sind. Bevorzugt in Gegenden, wo ein Parkplatz soviel kostet, wie in München eine Eigentumswohnung.
    Das sind dann reine Geldanlagen. Mieter stören da nur, besonders, weil diese Objekte auch schnell und jederzeit gehandelt werden können sollen.
    London hat einen riesigen Bedarf an Arbeitskräften, welche jeden Morgen in die City strömen und abends wieder raus. Sie könnten es sich niemals leisten, da zu wohnen, wo sie arbeiten.
    In China ist es noch extremer: Die Heere von Billigarbeiter dürfen sich teilweise nachts bei Strafe in der Stadt nicht blicken lassen. Es bildet sich exakt das wieder heraus, was einst zu Revolutionen geführt hat. Hier wie dort.
    Die Kapitalakkumulation in der westlichen Welt ist eine reale Bedrohung. Die auseinander klaffende Schere ist nicht nur unschön, sondern brandgefährlich.
    Das Kapital will verständlicherweise bedient werden, Erträge einbringen.
    Wenn das Verhältnis nicht in Ordnung ist, wird es irgendwann zur Belastung vieler.

  65. @S. Hole #65

    Ich verstehe das Problem, aber wo ist die Lösung?

    Das schon erwähnte Wien zeigt doch Lösungen auf, die auch für deutsche Städte beispielhaft sind: In Stadtvierteln/Bezirken denken statt in Wohneinheiten, privates und öffentliches Eigentum strategisch in der Fläche verteilen, öffentliche Förderung in öffentliches Eigentum und nicht in Subventionen für Privatunternehmen leiten usw.

    Ich habe Kollegen in London, die Gehälter verdienen, die hier in Deutschland zu den Top 1% gehören. Dennoch bringen die 80% ihres Einkommens für das Wohnen auf.

    Ihre Kollegen sind aber (wir wollen ihnen zugute halten: nicht absichtlich) Teil des Problems, denn selbst wenn ihnen nur noch 20% bleiben, ist der Betrag größer als die 50%, die den meisten bleiben*. Ihr Lebensstil ist also durch die hohen Mieten nicht so eingeschränkt, wie sie es wahrscheinlich persönlich empfinden. Und sie tragen damit, selbst wenn sie sich ansonsten sozial vollkommen vorbildlich verhalten, zur Gentrifizierung bei. Deshalb vermute ich**, dass es irgendwo einen Punkt in der Einkommensschere gibt, ab dem die Abschottung in Bonzenvierteln paradoxerweise sozialverträglicher ist als die totale Vermischung.*** Wien zeigt auch hier eine andere Lösung auf, weil es dort für einen beträchtlichen Teil der Wohnungen gar nicht möglich ist so viel Miete zu zahlen, wie man möchte. Ist deren Anteil ausreichend, kann ein Viertel also gar nicht so leicht gentrifiziert werden.

    *Und wenn wir wirklich vom obersten Perzentil reden, ist der Unterschied ganz sicher erheblich: |0,2I(p)| >> |0,5I(q)|
    **Vergleichende Literatur konnte ich jetzt dazu auf die Schnelle nicht finden. Alles, was ich gefunden habe, beschäftigt sich mit den Auswirkungen davon, dass Superreiche Stadtteile in Beschlag nehmen.
    ***Das gilt natürlich nicht, wenn sich die Einkommen zumindest noch in der gleichen Größenordnung bewegen.

  66. Ein kapitalistisch gedachter Grund, Wohnraum als Einnahmequelle statt als Spekulationsobjekt zu betrachten, wäre, dass Spekulationsblasen auch mal platzen können. Wie bei der Finanzkrise.

    Mit leeren MFHs kann man besser spekulieren, aber volle erzeugen Mieteinnahmen.
    Wenn man das Angebot künstlich verknappt, um mehr Geld aus Spekulationen herauszudrücken, ist man irgendwann gekniffen, wenn jemand anderes das Angebot künstlich vergrößert.
    Finanzhaie HASSEN diesen Trick.

  67. @68 Mycroft

    „Es ist diese religiöse Kapitalismusgläubigkeit, die, auch wenn die Nachteile glasklar auf dem Tisch liegen, dann eben mit einem Dogma verteidigt wird.“
    Ja, aber wenn die SPD stadteigene Wohnungen dem Kapitalismus opfert, ist das so, als würden Satanismen plötzlich das Vater unser beten.

    Welche SPD meinen Sie? Die SPD, die etwa zeitgleich den Sozialstaat abgeschafft hat?

    „Die Räumung und der ganze Rattenschwanz, der daran hängt, wird vom Steuerzahler bezahlt und dürfte den Kaufpreis locker überholen.“ Schon. Auch ein Feuerwehreinsatz kostet irgendwann mehr als das, was gerettet wurde. Aber man darf nicht nur an Geld denken.

    Das Problem ist doch, dass ausschließlich eine Heuschrecke wie Gijora Padovicz von der Räumung profitiert. Auf Kosten der Steuerzahler. Das ist wohl kaum mit einem Notfall wie einem Brand zu vergleichen.

  68. „Welche SPD meinen Sie? Die SPD, die etwa zeitgleich den Sozialstaat abgeschafft hat?“ Ja, die haben noch mehr geopfert. Inwieweit ist das jetzt ein Widerspruch zu meiner Position?
    „Das Problem ist doch, dass ausschließlich eine Heuschrecke wie Gijora Padovicz von der Räumung profitiert.“ Nun, brandschutztechnisch gesehen sind Vorkehrungen, die den Zugriff der Polizei erschweren, dieselben, die den Zugriff der Feuerwehr erschweren. Das Gebäude war nicht mehr sicher bewohnbar und hätte schon aus diesem Grund geräumt werden müssen.
    „Das ist wohl kaum mit einem Notfall wie einem Brand zu vergleichen.“ Wenn die Feuerwehr das leer stehende Gebäude löscht, nutzt das auch nur noch Padovicz, also ja, ist vergleichbar.

    Die Politik, die zu solchen Situationen führt, hat nicht erst vorgestern stattgefunden, aber soll das die Alternative sein? Wir dulden nur solche Polizeieinsätze, die uns in den Kram passen?

  69. „Das Kapital will verständlicherweise bedient werden, Erträge einbringen.
    Wenn das Verhältnis nicht in Ordnung ist, wird es irgendwann zur Belastung vieler.“

    So dolle ist das mit den Einkünften aus Immobilien leider nicht. Ich für meinen Teil habe nie und würde nie in eine fremdvermietete Immobilie investieren, obwohl ich mir das sehr gut leisten könnte. Ich kennen nur Menschen, die mit fremdvermieteten Immobilien extremen Ärger hatten. Ein einziger Mietnomade und die Rendite für 30 Jahre ist weg. Insofern hätte ich persönlich auch nichts gegen Kevins Enteignungsvorschläge, nur sollte man dann doch auch das Grundgesetz Artikel 14 (3) so ändern, dass der Steuerzahler nicht die ganze Sache bezahlen muss. Ich schaue mich dann zwischenzeitlich schon mal in Wien um, ist eine sehr schöne Stadt.

  70. „…nur sollte man dann doch auch das Grundgesetz Artikel 14 (3) so ändern, dass der Steuerzahler nicht die ganze Sache bezahlen muss.“
    Das wird nicht passieren.
    Enteignete werden von Steuergeldern bezahlt, da nur der Staat enteignen darf und nur Steuergelder hat.

  71. @S.Hole
    Kleinanleger sind ja auch gar nicht gemeint.
    Black Rock bspw. besitzt etwas mehr als 10% der „Deutsche Wohnen“ und ist am deutschen Markt auch noch via Vonvoia und andere beteiligt, so weit ich weiss. Insgesamt wurde global das Engagement im „Real-Estate“ Bereich massiv ausgeweitet.
    Die Zocken dann schon anders. Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. In HH zieht die Holstenbrauerei an den Stadtrand. Die Immobilie wurde innerhalb von 7 Jahren jetzt 3 mal weiter verkauft. Nichts wurde derweil gebaut, es wird noch geplant ( resp. nach eigenen Angaben herausgefunden, wer so etwas überhaupt entwickeln kann ). Einige Hundert Millionen an Gewinnen haben die Verkäufe dennoch schon eingebracht.
    Fürs Hin- und Herschieben.

  72. @65: Ich freue mich ja über jedes indoktrinierte Kleinstadtkind, was mir aus meiner schönen Millionenstadt wegbleibt, aber…in den größten Städten gibt’s auch die größte Anzahl an Studienplätzen, und das Mietniveau für Studierende ist in Freiburg, Göttingen etc. nun auch nicht gerade entspannt. So ganz nachhaltig scheint mir die Strategie „dann studier‘ halt nicht in einer Großstadt“ nicht zu sein.

  73. @Frank Gemein

    Ich finde das ja alles richtig, was Sie schreiben. Aber mit kommt es vor, als ob das ganze Immobilien-Spekulations-Gedöns verwendet wird, um die Rahmenbedingungen für den Immobilien für den Privatanleger immer weiter zu verschlechtern. Man redet zwar über Black-Rock, die sind aber am Ende von Grunderwerbsteueranhebungen, Mieterschutz, usw. überhaupt oder nur unwesentlich betroffen. Klein Kevin will an alle fremdvermietete Wohnungen, das ist wenigstens zu Ende gedacht. Naja, und wenn Sie die Black Rocks und Allianzens dieser Welt – übrigens auch eine Ansammlung von Kleinanlegern – an die Kantarre nehmen, dann wird halt das Geld in China-Immobilien investiert.

    Im Übrigen, wenn ich die Wahl hätte, vor 30 Jahren eine Immobilie zu finanzieren oder unter heutigen Bedingungen (Zins, Nebenkosten, Kaufpreis), dann ganz klar heute. Im konkreten Vergleichsfall zahlt man heute halb so lange (bei gleicher Belastung). Allerdings muss man den Kredit mittlerweile erst einmal bekommen, und das ist – wenn wunderts – bei 0,4%-1% schwieriger, als bei den früheren 5-6%. Auch ein Nebeneffekt der achso sozialen EU-Finanzpolitik.

  74. @S. HOLE:

    Da gibt es ein grundlegendes Problem, welches ich auch sehe: Banken müssen in Finanzkrisen gerettet werden, weil der Sparer sonst seinen Notgroschen verliert. Große Fondsgesellschaften sind sakrosankt, weil sonst auch die Rentenfonds / privaten Absicherungen der kleinen Leute mit Baden gehen.

    Bei Räumungen und Abriss von Immobilien waren auch immer mindestens 1 Kita und viele Sozialwohnungen geplant. Die viehischen Linksradikalen hassen anscheinend Kinder!

    Okay, der letzte Satz ist dem Thema entglitten, j’accuse.

    Die Situation ähnelt ein wenig der Kriegsstrategie, Abwehrstellungen zwischen Krankenhäusern, Wohnhäusern und Schulen zu platzieren.
    ( ob ich die Kurve noch bekomme?)

    Wenn man letztlich sieht, wer bei der Bankenrettung, und auch jetzt bei den Coronamaßnahmen, letztlich den Löwenteil bekommt, dann bewahrheitet sich wieder der altbekannte Spruch: Der Teufel sch***** immer auf den größten Haufen.

    Wie gehen wir damit um?

  75. Ich finde die Diskussion hier sehr schön.
    Auch Leute, die sich sonst eher fetzen diskutieren relativ sachlich und lösungsorientiert.
    Vielleicht auch ein Verdienst des Artikels mit einem etwas anderen Blick auf die ehemaligen Liebig-BewohnerInnen.

    Dem Wiener Beispiel als mögliche Lösung folgen wird nur gehen, wenn es in der Bevölkerung einen breiten Konsens darüber gibt, dass sich etwas in eine solche Richtung ändern muss. Was besser gelingt, wenn Menschen wie die ehemaligen Liebig-Bewohner nicht nur als Rechtsbrecher gesehen werden, sondern auch als Aktivisten, die auf ein Problem, das uns letztlich alle betrifft, hinweisen. Die Methoden dafür müssen ja nicht befürwortet werden.

    @Kritischer Kritiker
    Ist ausgeräumt.

  76. @ Micha (#80):

    Ich fürchte, das Wiener Modell wird für Berlin ein Traum bleiben. Nicht weil die Stadt nicht will, sondern weil es nicht per politischer Entscheidung umsetzbar wäre. Unbezahlbar. Das öffentliche Wohnungswesen in Wien hat sich über 100 Jahre kontinuierlich entwickelt. In Berlin gab es das in diesem Maße nie (trotz der Siedlungen der 1920er, die heute Weltkulturerbe sind); und was es gab, wurde nach der Wende in diversen Privatisierungswellen zur Hälfte verscherbelt.

    Heute geht die Entwicklung wieder in die andere Richtung, aber die Basis ist sehr klein geworden. Und die Boden-, Bau- und Immobilienpreise sind derart hoch, dass sich daran mittelfristig auch wenig ändern wird. Natürlich muss die Stadt ihre Gesellschaften dennoch fördern; die Genossenschaften auch. Wird den Wohnungsmarkt aber nicht auf den Kopf stellen…

    Ist ausgeräumt.

    Danke :-).

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