Fake-News-Verlegerin will „den Menschen wirklich die Wahrheit nach Hause liefern“
Treffen sich die Chefin der Funke-Mediengruppe, ein ehemaliger Bundesinnenminister und ein Benediktinerpater. Sagt die Funke-Chefin: „Mein Motto ist Fakten statt Fake News!“
Okay, gibt lustigere Witze. Aber sie waren ja auch nicht auf Lacher aus, sondern auf eine sehr ernsthafte Diskussion, als die drei sich am vergangenen Freitag zum Livestreamgespräch trafen, Titel: „Corona – und dann?!“
Der Talk war die erste Ausgabe des Formats „Miteinander reden“, das von Funke sowie den Buchhandlungen Thalia und Mayersche und dem Herder-Verlag veranstaltet wurde.
Nach einer halben Stunde fragte der Moderator die Funke-Verlegerin Julia Becker: „Frau Becker, was können denn Medien tun, um Rücksichtnahme füreinander und Solidarität in der Gesellschaft zu fördern?“ Ihre Antwort:
„Ganz wichtig ist natürlich unsere – nicht erst seit Corona – erste Priorität: Dass wir den Menschen wirklich die Wahrheit nach Hause liefern. Also Fakten statt Fake News.“
„Unsere Aufgabe als verantwortungsvolle Medienhäuser“ sei „die Information“. Es brauche „wirklich die Hinterfragung und die Einordnung“. Und die Zeit, die uns jetzt durch den Lockdown geschenkt werde, gebe „unheimlich viel Freiraum für den Anspruch an eben genau diesen Qualitätsjournalismus.“
Marienerscheinungs-Journalismus
Wie Funke diesen Freiraum genutzt hat, kann man sehr eindrücklich auf einem neuen „Newsportal“ der Mediengruppe bestaunen. Gerade mal einen Tag vor Beckers Pläydoyer für Qualitätsjournalismus ist es online gegangen: Moin.de, ein „regionales Newsportal für Hamburg und den Norden“.
Mit „News“ wie:
Der obere Artikel beginnt so:
Gruselige Entdeckung während der Coronavirus-Pandemie!
Ein Arzt behandelte Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Am Ende seiner Schicht macht er in dem Abteil, wo Coronavirus-Patienten behandelt werden, eine gruselige Entdeckung. Er holt sofort seine Kamera aus der Tasche.
Denn er sieht: die Jungfrau Maria.
Er sagt zum Sender „Univisión“, dass die Gestalt über dem Boden geschwebt hätte. Sie soll fast durchsichtig gewesen sein.
Doch was wie eine göttliche Erscheinung rüber kommt, ist wohl nur eine optische Täuschung. Denn in der Kapelle des Krankenhauses steht eben genau diese Maria-Figur. Der Fotograf Fernando Vergara erklärt: „Es ist offensichtlich, dass die Kapelle der Klinik von Glas umgeben ist, das zu einer reflektierenden Oberfläche wird. Wenn es in der Kapelle keine Jungfrau Maria gäbe, würden wir eindeutig von einer Erscheinung sprechen.“
In irgendeinem Krankenhaus in Kolumbien glaubt also irgendein Typ, ihm sei die Jungfrau Maria erschienen, war in Wahrheit aber doch nur eine optische Täuschung, und das ist eine der Topnachrichten in Funkes „regionalem Newsportal für Hamburg und den Norden“.
Der untere Artikel – „Coronavirus: Jetzt auch DADURCH übertragbar?! Studie rät zum Verzicht auf…“ – basiert auf der Meldung eines thailändischen Newsportals, das sich auf eine chinesische Studie beruft, nach der das Coronavirus in menschlichem Sperma nachgewiesen wurde. Fazit von Moin.de:
Das Coronavirus soll sich auch durch Sex verbreiten können – und das bis zu 30 Tagen nach Genesung eines Infizierten!
Über die Studie haben eine Woche zuvor auch seriöse Medien berichtet. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass es eine relativ kleine Studie war (38 untersuchte Patienten, bei 16 Prozent wurde das Virus im Sperma nachgewiesen) und vor allem: Dass sich daraus noch keine endgültigen Schlüsse ziehen lassen:
Es ist noch unklar, ob das Coronavirus auf diesem Weg übertragen werden kann. Der Nachweis eines Virus bedeutet nicht generell, dass es auch ansteckend ist.
Auf solche Informationen verzichtet das Funke-Portal komplett. Es gibt nicht mal die Studie selbst wieder, sondern aus unerfindlichen Gründen einen thailändischen Newsartikel, in dem ein Mitarbeiter des thailändischen Gesundheitsministeriums die chinesische Studie reißerisch zusammenfasst.
Und statt die Nachricht einzuordnen, spricht die Moin.de-Redaktion von einem „Studien-Hammer“ und warnt panisch davor, dass sogar Küssen schon gefährlich sei.
PR-Mitteilungs-Journalismus
„Wann hört ihr endlich mit der Angstmache auf?“, wollte am Freitag ein Zuschauer des Funke-Talks von Julia Becker wissen. Ihre Antwort:
„Wir sind nicht der Boulevardjournalismus. Wir sind mit unseren regionalen Titeln diejenigen, die die Dinge kritisch hinterfragen, die recherchieren, die hochqualifizierte, ausgebildete Journalisten in ihren Häusern beschäftigen.“
Während sie das sagte, vermeldete das Funke-Portal „Der Westen“ einen möglichen „Durchbruch“ beim Corona-Impfstoff:
Der Artikel dahinter ist nicht mal 300 Wörter lang und besteht zu einem Viertel aus Eigenwerbung:
Im Artikel heißt es:
Endlich geht es in eine positive Richtung! (…)
Das Biotechnologie-Unternehmen CureVac hat am Donnerstag erste Daten zu seinem Coronavirus-Impfstoffprojekt veröffentlicht. Der Impfstoff habe bei niedriger Dosierung positive präklinische Ergebnisse erzielt. Die vorliegenden Daten würden eine „ausgewogene Immunantwort, verbunden mit der Bildung einer hohen Anzahl von virus-neutralisierenden Titern (VNT) und T-Zellen“ zeigen. Diese VNTs seien ein entscheidender Indikator dafür, ob der potenzielle Impfstoff eine starke immunologische Reaktion hervorrufen kann, die dann zur Neutralisierung des Coronavirus-Erregers führen kann.
Jetzt will CureVac im Juni die ersten klinischen Studien mit gesunden Freiwilligen starten. Dr. Mariola Fotin-Mleczek, die bei CureVac angestellt ist, sagt: „Die präklinischen Daten bestätigen unsere Strategie, die vielversprechenden Ergebnisse unseres Tollwutimpfstoffs auch in der Entwicklung anderer Impfstoffe weiter zu nutzen.“
Und weiter: „Es ist bemerkenswert, dass wir mit beiden Impfstoffkandidaten, nämlich Tollwut und Covid-19, in der Lage waren, derart gute Resultate mit einer solch niedrigen Dosis zu erzielen.“
Klingt wie eine PR-Mitteilung, ist es auch. Bloß zusammengestaucht und als journalistische Sensationsmeldung verpackt.
Schaut man sich dagegen an, wie beispielsweise die „Südwest Presse“ mit der Nachricht umgegangen ist, lässt sich schon viel eher der Qualitätsjournalismus erkennen, den Julia Becker für so wichtig hält. Dort wird die Mitteilung des Unternehmens erklärt und eingeordnet, etwa dass es sich erst mal nur um Tierversuche gehandelt hat und dass es noch „einige Monate“ dauern wird, bis ein Impfstoff auf den Markt kommen kann. Auch Konkurrenzunternehmen und deren Impfstoff-Fortschritte werden erwähnt.
Schlagzeilen-Lügen-Journalismus
Bei „Der Westen“ fehlt das alles. Dort geht es nicht darum, die Leser so gut wie möglich zu informieren, sondern möglichst viele Leser zu betrügen. „Reichweitenportale“ nennt Funke solche Medien. Und auch auf die kam Julia Becker während des Talks zu sprechen:
„Jetzt wird wahrscheinlich die nächste Frage aus dem Zuhörerkreis sein: ‚Ja, aber bei Funke gibt’s auch Reichweitenportale und bei Funke gibt’s auch Yellow Press.‘ Aber auch hier konzentriere ich mich, was die Information angeht, auf unsere Regionaltitel. Es gibt andere Formen der Unterhaltung, am Ende auch der Befriedigung von Bedürfnissen nach ein bisschen, ähm, spekulativen Theorien. Aber das Kerngeschäft ist ein Zeitungsjournalismus mit dem Anspruch an Wahrheit und Qualität.“
Ihr Kerngeschäft ist also die Wahrheit, alles andere sind, ähm, spekulative Theorien.
Zum Beispiel die hier:
Was er hat, wird natürlich erst nach einem Klick verraten, nämlich: Er war in Italien und wäre fast von einem Ausreisestopp betroffen gewesen, konnte aber noch rechtzeitig abreisen.
Dass man erst mal denkt, er sei infiziert, ist das perfide Kalkül der Redaktion, und sie nutzt es immer wieder gerne:
… Corona hat? Nee. Vorerst eine Weile zu Hause bleiben wird.
Die Portale funktionieren nach dem gleichen Prinzip, das Funke im Printbereich seit Jahrzehnten perfektioniert. In Zeitschriften wie „Die Aktuelle“, die Anfang März über Florian Silbereisen titelte: „Dieser verdammte Virus! Was er jetzt noch tun darf – und was nicht“.
Nur wer genau hinsah, erfuhr, dass bloß eine seiner Fernsehshows abgesagt wurde.
Wir haben für den Videochat die Frage eingereicht, wie es sich mit Beckers Kampf für Qualitätsjournalismus und dem Motto „Fakten statt Fake News“ verträgt, in großen Schlagzeilen zu suggerieren, Prominente seien an Corona erkrankt. Wir haben keine Antwort bekommen.
Stattdessen sprach Becker darüber, dass die Gesellschaft nun zusammenhalten müsse und den Medien dabei eine besondere Rolle zukäme. Wir müssten nun alle solidarisch zusammenarbeiten, „um eine Risikogruppe von älteren Menschen zu schützen, und da sind wir alle bereit, unseren Beitrag zu leisten.“
Schleichwerbe-Journalismus
Darum werden in ihren Zeitschriften auch immer wieder Tipps gegeben, wie sich die überwiegend ältere Leserschaft gegen Corona schützen kann. Dabei taucht vor allem ein Begriff immer wieder auf: Solenal.
Vor zwei Wochen etwa schrieb „Das goldene Blatt“ in der Rubrik „Gut zu wissen“:
Hände und Flächen zu desinfizieren ist zurzeit besonders wichtig. Besonders schonend für Haut und Umwelt sind moderne Produkte, die auf Chemikalien verzichten. Die rein biologischen Inhaltsstoffe aus einer mineralischen Lösung wirken patentiert und geprüft (z.B. in Solenal, erhältlich unter www.solenal.com), gegen Pilze, Bakterien und Viren, wie Corona-, Grippe- und Influenzaviren. Und dabei haben sie keinerlei Nebenwirkungen.
„Zum Beispiel“ in Solenal – eine klassische Schleichwerbemasche.
In Wahrheit ist die Wirksamkeit des vermeintlichen Wundermittels allerdings fraglich. Das Projekt Medizin-Transparent.at, in dem Wissenschaftsjournalisten medizinische Behauptungen aus Medien und Werbung überprüfen, kam zu dem Ergebnis, dass es keine wissenschaftliche Belege dafür gebe:
Ob Desinfektionsmittel mit Natriumhypochlorit die Hände verlässlich von Viren befreien, wurde wissenschaftlich nie untersucht. Studien zur Desinfektion von Oberflächen legen jedoch nahe: Die niedrige Konzentration von Natriumhypochlorit könnte für eine verlässliche Desinfektion der Hände nicht ausreichend sein.
Über all diese Bedenken verliert die Funke-Redaktion kein Wort. Stattdessen erschienen in den vergangenen Wochen in etlichen Zeitschriften des Verlags Texte unter der Überschrift „So schützen Sie sich vor dem Corona-Virus“. Darin wird die „einzigartige“ Wirkungsweise von Solenal angepriesen, mit der die Coronaviren „dauerhaft und zuverlässig“ zerstört würden.
Die Anzeigen wurden eigens an das jeweilige Layout der Zeitschriften angepasst, um möglichst viele Leser, die das Wort „Anzeige“ übersehen, glauben zu lassen, es handele sich um einen redaktionellen Beitrag und nicht um Werbung.
Wenn sie etwas aus der Coronakrise gelernt habe, sagte Julia Becker im Livetalk noch, dann vor allem, dass Medien nicht so „profitgetrieben“ sein dürften. Gerade jetzt, in dieser schweren Zeit, dürften für Medienunternehmen nicht die Zahlen im Vordergrund stehen, „sondern der Mensch“.
Herr Schönauer, wird es Ihnen nicht langsam öde, dass Sie so viele Jahre über die janusköpfigen Chefredakteur*innen der Boulevard-Verlage immer wieder das gleiche schreiben müssen?
Oder haben Sie auch schon Textbausteine angelegt, so wie sie derzeit auf Bildblog vorgeschlagen werden? ;)
Ich bewundere jedenfalls Ihr Durchhaltevermögen.
Alternativ (oder besser: gleichzeitig) müssen wir seine Leber bewundern: Außer im Dauersuff ist die Lektüre der Yellow Press sowie der Funke-Gülle doch gar nicht zu ertragen. Mein Mitleid hat er.
Äh, seit x Jahren wird hier die Faktenfreiheit bestimmter Meldungen aus dem Hause Funke regelmäßig thematisiert.
So auch jetzt.
Wo ist hier nochmal der Neuigkeitswert ?
Weiß doch eh jeder dass die lügen, hört auf das ständig aufzuschreiben und mich mit euren aufklärerischen Artikel zu nerven.
Zumal es hier nicht darum geht, Aussagen der Funke-Chefin in einer aktuellen Talkrunde mit der aktuellen Realität in ihrem Laden abzugleichen. Wenn man wenigstens so was mal machen würde! Stattdessen immer nur Einheitsbrei der Systemlückenpresse, manmanman.
@alle: Aber wenn’s Schönauer nicht macht, wer macht es dann? Scheinbar interessiert sich sonst niemand außerhalb der Yellow Press Blase ernsthaft, was in derselbigen so vor sich geht. :-(
Aber ich sehe den Punkt: Keine Ahnung, ob die Skandalisierung der Machenschaften der richtige Weg ist, diesen widerlichen und scheinheiligen Dreck zu stoppen oder ob der Gesetzgeber es erlauben müsste, mehr und bessere Hebel anzusetzen, damit das Ganze dann auf juristischem Weg ausgetragen werden könnte.
Wenn ich jeden Tag bei euch vorbeikomme und euch 10 Euro stehle : Nach wieviel Tagen habt ihr euch dran gewöhnt, wehrt euch nicht mehr und sagt: „Das ist doch bekannt, dass der klaut“?
Nur wenn man Bescheid weiß,weiß man bescheid.
Nein im Ernst man sollte immer ein oder zwei Augen auf diese „Fakten-Spezialisten“ haben, weil sich bestimmte Sachen/Trends von richtigen Meinungsmachern besser zurück verfolgen lassen !
Irgensein Blödsinn, der plötzlich politisch relevant wird…oder popolär…
Boris Palmer als Kanzler, oderso?!
Im schlimmsten Fall wird Herr Schönauer zu Funke wechseln um von innen da aufzuräumen und wird selbst Chef bei der Regenbogenpresse und verteidigt sie mit:“ Pressefreiheit“..
Auf manchen Dreck muss man halt immer und immer wieder hinweisen, auch wenn alle rufen „Laaangweilig, wissen wir doch“, während sie einfach einen großen Schritt über das Häufchen machen.
Danke.
Äh, mein #4 ist Ironie, zur Klarstellung. Ich bin seit Anfangstagen des topfvollgold Leser und find‘ das extrem wichtig.
„Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden, dann wird sie geglaubt.“ (Pseudo-Göbbels)
Weil darin doch auch eine Wahrheit steckt, ist es nur gut, dass auch die Wahrheit immer wieder wiederholt wird.
Die „Systemlückenpresse“-Plärrer haben es ja eh schon immer und grundsätzlich gewusst. Nix Neues also. Deren Geschrei ist noch langweiliger als die immer wieder neuen Artikel über die Lügen aus dem Hause Funke. Ich finde es jedenfalls wichtig, weiterhin über die Heuchelei der Verantwortlichen von Funke und Co. und deren Skrupellosigkeit im Umgang mit der Wahrheit zu berichten. Immer und immer wieder. Sie sollen immer und immer wieder zu spüren bekommen, dass man sie nicht in Ruhe lässt, und wissen, dass sie ihr mieses Treiben nicht unbeobachtet fortführen können.
Ich möchte an dieser Stelle noch etwas nachtragen:
https://www.dwdl.de/hoffzumsonntag/77757/der_begriff_journalist_ist_nicht_mehr_zu_gebrauchen/
Herzlichen Dank an Hans Hoff vom DWDL für seine klaren Worte. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Vielleicht noch das: Eine Funke-Cheffin darf sich da durchaus angesprochen fühlen. Wird sie aber wohl kaum jucken.