Verlag setzt komplette Redaktion von heute auf morgen auf die Straße
Eine Zeitung ist gestorben, aber es gab keine Beerdigung, keine rührende Abschiedsrede, nichts. Keine einzige Zeile findet sich dazu in der letzten Ausgabe. Die Zeitung ist einfach verschwunden, und die Menschen, die sie gemacht haben, wurden von heute auf morgen rausgeworfen.
Naja, könnte man jetzt sagen, es war ja nur so ein Anzeigenblatt, das samstags kostenlos im Hausflur liegt. Aber für die Region in Südwestfalen war der „Siegerlandkurier“ (SK) gar nicht so unbedeutend, auch journalistisch. Es kam sogar vor, dass seine Recherchen bundesweit von größeren Medien aufgegriffen wurden. Dass das Blatt nun plötzlich weg ist, hat viele überrascht.
Und selbst wenn es nur ein kleiner Anzeiger gewesen wäre: Es ist bemerkenswert, wie heimlich er verschwinden sollte, und erschreckend, wie zwei Verlage hier mit ihren teilweise langjährigen Mitarbeitern umgehen.
Der alte Verlag: Mediengruppe Westfälischer Anzeiger
Bis zur letzten Ausgabe erschien der SK in der Mediengruppe Westfälischer Anzeiger (WA), die zum weit verzweigten Ippen-Imperium gehört, einem der größten Verlage der Republik. Ihm gehören Tageszeitungen, Beteiligungen an Radios, Internetportale und viele Anzeigenblätter, die er sich über die Jahre einverleibt hat, wie auch vor einiger Zeit den „Siegerlandkurier“.
Schriftliche Nachfrage bei WA-Geschäftsführer Hans Sahl, weshalb es die Zeitung nun nicht mehr gibt. Sahl meldet sich telefonisch zurück und eigentlich vor allem, um zu sagen, dass er der falsche Ansprechpartner sei.
Man habe den SK verkauft, sagt er, und der neue Eigner habe die Zeitung dann nicht mehr erscheinen lassen. Ganz plötzlich. Aber kam es wirklich so überraschend? Bei der Produktion der letzten Ausgabe hätten sie noch nicht gewusst, dass der SK eingestellt werde, sagt Sahl am Telefon. Deswegen habe es auch keinen Artikel in eigner Sache gegeben. Ok, man sei schon davon ausgegangen, dass es das Blatt nicht mehr geben werde, schränkt Sahl später ein. Aber gewusst habe man es eben nicht. „Es lag nicht mehr in unserer Hand.“
Schock am Telefon
Nach Informationen von Übermedien hat die Redaktion in einer Telefonkonferenz vom Ableben ihrer Zeitung erfahren, am 24. März, drei Tage nachdem die (folglich letzte) Ausgabe erschienen war.
Zunächst sprach WA-Verlagsleiter Sahl und erklärte, man habe den SK verkauft. Der erste Schlag. Dann gab Sahl an die neuen Eigentümer ab, die wiederum erklärten, die vorige SK-Ausgabe sei die letzte gewesen, man werde die Zeitung einstellen, und zwar mit sofortiger Wirkung. Der zweite Schlag.
Die Redaktion traf das offenbar kalt. Angeblich entschuldigten sich die Chefs dafür, dass man ihnen das nicht persönlich, sondern nur am Telefon mitteilen könne. Wegen Corona. Aber vielleicht kam es auch ganz gelegen: Musste man den Leuten, die man da feuert, nicht in die Augen sehen.
Der Schock in der Redaktion sei groß gewesen, sagen Leute, die dabei waren. Von Tränen, Fassungslosigkeit ist die Rede. Zumal die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur erfahren hatten, dass ihre Zeitung eingestampft wird, sie wurden auch dazu angehalten, noch am selben Tag ihre Büros zu räumen und die Schlüssel abzugeben. Als sie dagegen protestierten, wurde die Frist verlängert – um einen Tag. Viel radikaler kann man sich seiner Angestellten eigentlich nicht entledigen.
Anke Bruch, die (nun ehemalige) Redaktionsleiterin, schreibt in einem Facebook-Eintrag Ende März:
„Erst kam die Traurigkeit, dann der Schmerz, dann die Wut. 17 Jahre lang habe ich mit ganz viel Herz als Redakteurin für den ‚Siegerlandkurier‘ gearbeitet. Für die Region und für die Menschen, die hier leben. Für mich war das nie nur ein Job, es war Leidenschaft. Nun ist Schluss. Von heute auf morgen. Und das Schlimmste: Es wird so getan, als ob es uns nie gegeben hätte. Wie vom Erdboden verschluckt, einfach weg.“
Offenbar hat weder der alte noch der neue Verlag ein Interesse, dass die Einstellung thematisiert wird. Auch die Internetseite wurde schnell und kommentarlos gelöscht.
Der neue Verlag: Vorländer & Rothmaler
Gekauft hat den „Siegerlandkurier“ jener Verlag, der die „Siegener Zeitung“ (SZ) herausgibt: die Vorländer & Rothmaler GmbH & Co. KG, ein alter Familienbetrieb. Die SZ ist der konservative Platzhirsch unter den Tageszeitungen der 100.000-Einwohner-Provinz Siegen. Daneben gibt es nur noch die „Westfalenpost“ (Funke), deren Auflage und regionale Relevanz aber vergleichsweise mickrig ist.
Weshalb also kauft der SZ-Verlag eine Zeitung und stellt sie ein? Die Antwort auf unsere Nachfrage ist lustig:
1. Mit welchem Interesse haben Sie den „Siegerlandkurier“ gekauft?
Die Vorländer & Rothmaler GmbH & Co. KG ist das größte Medienhaus der Region – mit einer Tradition von fast 200 Jahren. Wir sind immer bemüht, unser Portfolio zu erweitern und zu optimieren. Deshalb haben wir die zur Ippen Verlagsgruppe gehörende KurierVerlag Siegen GmbH & Co. KG gekauft.
2. Weshalb haben Sie ihn eingestellt?
Weil wir festgestellt haben, dass es für das Anzeigenblatt keine wirtschaftlich tragbare Perspektive gibt.
Wie ärgerlich. Da will man als Traditionsverlag sein Portfolio „erweitern und optimieren“, und dann, huch, stellt man fest, dass das neue Objekt ja gar keine wirtschaftliche Zukunft hat, und zwar ganz überraschend:
3. Warum wurden die Leserinnen und Leser über die Einstellung nicht informiert, online nicht und auch nicht in der letzten Ausgabe?
Die Entscheidung zur Einstellung ist kurz nach Erscheinen der letzten Printausgabe und Geschäftsübernahme gefallen.
Zwischen der letzten Ausgabe und der Information der Redaktion liegen gerade mal zwei Tage, einer davon war ein Sonntag. Ist das zu glauben? Oder war es nicht eher ein abgekartetes Spiel? „Das können Sie interpretieren, wie Sie wollen“, sagt WA-Geschäftsführer Sahl am Telefon. Das ist eine gute Idee.
Marktbereinigung im Sieger- und Sauerland
Eine sehr naheliegende Interpretation ist: Zwei Verlage haben sich hier den Markt aufgeteilt. Denn der Verlag der „Siegener Zeitung“ gibt ebenfalls ein Anzeigenblatt heraus, den „Siegerländer Wochen-Anzeiger“ (SWA), auch er erscheint samstags, was natürlich ungünstig ist, wenn es um Anzeigen und beigelegte Werbeheftchen geht, also um Geld. Mit Kauf und Beseitigung des „Siegerlandkuriers“ ist dieses Problem nun weg. Es gibt nur noch den SWA.
Im Gegenzug hat Vorländer & Rothmaler der Mediengruppe Westfälischer Anzeiger zwei SWA-Ausgaben im Sauerland verkauft. Dort erscheinen analog der „Sauerlandkurier“ (WA) und der „Sauerländer Wochen-Anzeiger“. Der WA hat die beiden SWA-Titel für die kleine Stadt Olpe übernommen – und ebenfalls gleich eingestellt. Jetzt gibt es dort nur noch den „Sauerlandkurier“, der nach WA-Angaben zwei SWA-Mitarbeiter übernommen hat.
Auf unsere Frage, inwiefern der Kauf des „Siegerlandkuriers“ dem Zweck diente, einen Wettbewerber vom Siegener Zeitungsmarkt zu entfernen, antwortet Vorländer & Rothmaler:
„Unser Kernprodukt ist unsere Tageszeitung, die ‚Siegener Zeitung‘. Der ‚Siegerlandkurier‘ war für das Medium kein Mitbewerber.“
Das widerspricht einem Eintrag im Intranet des Verlages, der Übermedien vorliegt. Dort werden die Inhaber Cornelie Rothmaler-Schön und Johannes Rothmaler mit den Worten zitiert, die Einstellung des SWA Olpe und des „Siegerlandkuriers“ sei „ein Ergebnis, das unsere Kernmarke die ‚Siegener Zeitung‘ und den SWA im Siegerland nachhaltig stärkt“.
Auf unsere Frage, wie viele feste und freie Mitarbeiter betroffen sind, und wie mit ihnen verfahren wurde, schreibt die Geschäftsführung von Vorländer & Rothmaler lediglich:
„Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden informiert, ihnen musste gekündigt werden.“
Nach unseren Informationen handelt es sich um mindestens zwölf feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Redaktion und Verlag, hinzu kommen Aushilfen, einige Freie. Öffentlich darüber reden will niemand von ihnen.
Viele müssen nun erst mal zusehen, wo sie auf dem überschaubaren Siegener Medienmarkt noch Fuß fassen können – und ob. Nachdem ihr alter Arbeitgeber die Zeitung inklusive Belegschaft an einen Bestatter verkauft hat und dem nun alle Verantwortung zuweist, die aber auch der nicht übernehmen will.
Jaaa, ist klar. Ich kaufe mir auch immer teure Sachen und werfe sie nach dem Wochenende weg, wenn sie nichts einbringen.
Mit dieser Methode habe ich meine dritte Millionen verdient.
Ist das #Ippen – dann kann das weg.
2 Konkurrenten teilen sich den Markt auf und stellen gegenseitig regionale Konkurrenzprodukte ein, um so regional Monopolist zu werden.
Sollte das nicht genau die Zuständigkeit des Wettbewerbsrechts tangieren?
Des Kartellrechts.
Was das eigentlich besonders frustrierend macht – da lese ich von „Zombiezeitungen“ und der allgemeinen Krise der Zeitungen, die sich durch Corona noch verschärft, und dann wird eine Zeitung, die offenbar weder ein Zombie war noch absehbar vor der Pleite stand, geschlossen.
Medienjournalismus ist ja viel „Die Blöd hat wieder mit der Kacke rumgeschmiert“ und „Habt Ihr’s schonmal mit Leuten versucht, die sich auskennen?“ und das ist natürlich absolut notwendig. Oft denke ich mir beim Lesen davon aber „Ja, ich habe das Prinzip schon vor 15 Jahren verstanden“ und „Ja, es sind dieselben Windmühlen wie immer“.
DAS HIER ist dagegen mal eine, wenn auch ekelhafte, Abwechslung und genau dafür bin ich hier Abonnent. Gut gemacht, danke!
Vielen Dank für die Recherche und den aufklärenden Artikel.
Weiß jemand, ob das Vorgehen auch kartallrechtlich kritisch ist? Wurde das bei entsprechenden Stellen gemeldet?
Ich werde meine Siegener Zeitung kündigen wer so mit Mitarbeiter umgeht hat meinen Respekt verloren schade bin seid über 40 Jahre Leserin
Da werden in der Siegener Zeitung per Bericht die coronabedingten
Ausfälle auf dem Gebiet der 450-Euro-Jobs für Studenten etc. betrauert und der Rothmaler-Verlag ist selbst mit verantwortlich dafür. Nur hier war nicht Corona die Ursache sondern der monetäre Wettbewerbsgedanke! Viele ehemalige Zustellerinnen und Zusteller des Siegerlandkurier danken es. Kein freundliches Wort zum Abschied – nur ein eingeschriebener Brief in nüchterner Wortwahl, dass man ab jetzt und sofort auf langjährige und zuverlässige Mitarbeiter verzichten könne, halt betriebsbedingt. Ein leiser Abgang und ohne diese Plattform wohl für immer unerwähnt geblieben. Schade drum…
@7 Hatte beim Kartellamt angefragt. Dort war nicht darüber bekannt. Es hieß auch, die Sache sei im Zuge der Fusionskontrolle wahrscheinlich nicht relevant. Aber das müsste man vielleicht noch mal prüfen.
das ist ein ganz mieses Vorgehen. Werden uns wohl auch nach über 40 Jahren von der „Siegener Zeitung“ verabschieden. Dann muss man sich auch nicht schon morgens beim Frühstück über Rechtschreibfehler aufregen.
Den Siegerlandkurier haben wir gerne gelesen. Den SWA kann man getrost vergessen. Da steht nur drin was man während der Woche in der SZ las. Nur Axel Williams werden wir vermissen.
Eine äusserst befremdliche Nachricht. Schade für das Team und alles Gute für die Zukunft, besonders dem Chef-Redakteur Tim Plachner. Wieder eine alternative Info-Quelle weniger…
Ja, ja die gute alte Siegener Zeitung… ich kann mich nur an viele der bereits geschriebenen Kommentare anlehnen. Ich finde allerdings drastischere Worte dafür: das ist eine riesengroße Sauerei wie hier von einer, ach so konservativen Zeitung / Verlag mit Menschen umgegangen wird ! Wie hoffentlich viele andere Abonnenten werde ich mein Abo der Siegener Zeitung kündigen. Da ich schon länger darüber nachdenke ob ich für dieses Blatt soviel Geld im Monat ausgeben soll… bzw. ob es das Wert ist ? Wer die wichtigen Werte unserer Gesellschaft so mit Füssen tritt , darf sich über solche Reaktionen nicht wundern. Schlimmer geht’s nimmer ! Da Spende ich das Geld lieber und erfreue mich an dem Gedanken was sinnvolles zu tun… „so wie man in den Wald hineinruft…“
Immer mal wieder habe ich überlegt, die Siegener Zeitung wieder zu abonnieren. Nachdem ich nun diesen Artikel gelesen habe, werde ich das ganz sicher nicht tun. Das habe ich so nicht gewusst. Ich habe mich nur gewundert, dass der Kurier von heute auf morgen eingestellt wurde und an keiner Stelle ein Wort darüber verloren wurde.
Absolut unglaublich!