Krisen-Comedy

Kommt kein Mann in eine Bar: Scherze in der Corona-Krise

Oliver Welke in der „heute show“ vom 18. März 2020

Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man sagen: Es herrschen gerade goldene Zeiten für Komiker. Warum ist das so? Dazu muss ich hier vielleicht ein kleines Geheimnis verraten: Viele denken, bei einem guten Scherz geht es vor allem um die treffsichere Pointe. Nun, das stimmt. Aber ebenso wichtig ist das Setup. Ein Setup ist die Einordnung, die zwingend vor der Pointe erfolgen muss. Worum geht es? Wo spielt der Gag?

Selbst die einfachsten Witze brauchen diese Einordnung. Erst wenn ich frage, wie ein Keks heißt, der unter einem Baum liegt, kann die Pointe „schattiges Plätzchen“ das Scherzchen zu Ende backen. Ein „schattiges Plätzchen“ für sich alleine ist noch kein Witz, sondern nur ein wenig kühler als direkte Sonneneinstrahlung.

Ändert sich die Welt, entstehen neue Setups – meist sehr zum Vorteil der Scherzvielfalt. „Der amerikanische Präsident Donald Trump“ war vielleicht keine gute politische Entwicklung, aber es ist ein sehr gutes neues Setup.

Durch die Corona-Krise entstehen derzeit fast unübersichtlich viele neue Setups. Denn alles ist anders. Banale Dinge wie der Kauf von Nudeln oder Toilettenpapier sind plötzlich eine Vorlage für einen Witz – auch wenn diese Gags ab und an flach wie Einlagiges ausfallen. Der ständige Aufenthalt in unseren Wohnungen, das Homeoffice für darin Unerfahrene, die deutschlandweit ausgefallene Kinderbetreuung, die bange Frage: „Wie lange noch?“ – alles ungewohnte Situationen für uns. Aus diesen Situationen können eine Menge neuer Scherze sprießen.

Vor ein paar Tagen habe ich geschrieben: Eigentlich reicht Edeka mittlerweile „Wir HABEN Lebensmittel“ als Slogan. Ein Scherz, den vor zwei Monaten niemand verstanden hätte, weil er damals er keinen Sinn ergab. Aber das Setup „Supermärkte“ hat sich seitdem stark gewandelt.

Goldene Zeiten für Komiker also. Mehr noch: Durch die Krise wendet sich das Publikum verstärkt den Medien zu. Die „Tagesschau“ holt Rekordquoten, die Streamingdienste glühen und natürlich schaut nahezu jeder auch darauf, was gerade bei Insta, Twitter, TikTok oder – wenn Sie zur Risikogruppe gehören – auf Facebook passiert. Neben einer Menge neuer Setups wird der Witzemacher also auch mit einer sehr hohen Aufmerksamkeit belohnt. Und besser noch: Dadurch, dass wir mehr oder weniger gerade alle dasselbe durchmachen, kommen die Scherze auch noch besser an als sonst. Sie werden relatable: Das „mir geht es gerade genau so“-Gefühl wird angesprochen. Je mehr Menschen Probleme beim Toilettenpapierkauf haben, desto besser kommen Witze darüber an. Der Philosoph Mario Barth formulierte das einmal sehr treffend in seiner Hypothese „Kennste?“.

Das alles zusammen, also jede Menge neue Setups und Scherze, sehr hohe Aufmerksamkeit und viele Anknüpfungspunkte, sorgen also für diese goldenen Zeiten des Komikers. Man könnte Stadien füllen, wenn man nur dürfte.

Apropos dürfen: Welche Scherze dürfen, sollten oder gar müssen nun gerissen werden? Schwierige Frage, auf die es definitiv keine eindeutige Antwort gibt. Ich persönlich finde es ganz hilfreich, in der Corona-Krise drei Regeln zu beachten:

  1. Keine Scherze über erkrankte Menschen oder das Leid der anderen.
  2. Trage auch wenn es nur Scherze sind, nicht zu Panik, Lügen oder Resignation bei.
  3. So langsam ist es mal gut mit den Toilettenpapierwitzen.

Eine bekannte Komikerin twitterte neulich, kurz nachdem Friedrich Merz seine Erkrankung bekannt gab: „Jetzt ist Corona wohl auch in der oberen Mittelschicht angekommen“. Das ist ein ziemlich guter Witz, aber ich bin trotzdem froh, dass ich ihn mir selbst verboten hätte. Meine Regeln geben mir Struktur.

Ein wenig Selbstzensur ist auch gar nicht so tragisch. Es bleiben noch genug Möglichkeiten für Scherze. Zum Beispiel:

Oder:

Auch hier: Beides Scherze, die vor zwei Monaten niemand verstanden hätte.

Aber – auch wenn es hier nicht um Erkrankte geht – die zwei Gags spielen natürlich mit der Corona-Krise allgemein und was sie alles verändert. Sie versuchen, die Umstände mit Humor zu nehmen. Ich kann Menschen gut verstehen, die das generell nicht mögen. Die sagen: Es gibt für mich gerade nichts mehr zu lachen. Das ist alles nicht mehr witzig! Wenn ich an eine allererziehende Mutter denke, vier Kinder, eines aus der Risikogruppe, vielleicht noch Freiberuflerin: Die wird gerade vermutlich andere Sorgen haben als die perfekte Baumarkt-Pointe oder den Distanz in den Mai.

Doch mit diesen Gedanken im Kopf wird jeder Witz unmöglich. Man kann keine Scherze schreiben und dabei bedenken, was ist, wenn sie das denkbar unpassendste Publikum finden. Wie sollte noch man einen Scherz über Bier machen, wenn es so viele Alkoholiker gibt?

Ich verbiete mir diesen Gedanken und denke stattdessen: Selbst wenn Hundertausende Menschen in Deutschland erkrankt sein sollten, sitzen da noch Millionen seit Wochen in ihren Wohnungen und verzweifeln an der mittlerweile siebten Software für Videokonferenzen, während die unbetreuten Kinder gerade die Katze mit Sagrotan desinfiziert haben und das Badezimmer mit Fingerfarbe blau anmalen und der Hund das Sofa als neue Toilette entdeckt hat. Für diese Menschen muss es weiter Scherze geben. Anders ist der Irrsinn nicht auszuhalten.

Ich erhalte in letzter Zeit viele private Nachrichten, die in diese Richtung gehen. Menschen bedanken sich, dass es jeden Tag noch etwas zu lachen gibt. Das sei sehr hilfreich und ein kleiner Lichtblick bei so viel Ungewissheit und Sorgen. Für solche Nachrichten lohnt es sich, weiterzumachen.

Vieleicht aber in Zukunft mit einer anderen Tonalität. Niemand weiß, was in zwei Wochen sein wird. Vermutlich wird Christian Drosten das Virus bis dahin noch nicht weggepodcastet haben. Die Lage bleibt ernst und wird vermutlich noch ernster. Wir Witzeschreiber müssen uns diesen Änderungen anpassen. Vorsichtiger werden. Besser werden. Noch mehr Haltung finden. Aber solange uns auch jetzt noch aus Italien lustige Privatvideos aus den Wohnungen der Isolierten erreichen, bin ich guter Hoffnung.

Corona geht irgendwann vorbei, Humor nicht.

16 Kommentare

  1. Ihr beiden Komiker werdet es demnächst sogar schaffen, einen Artikel zu kommentieren, bevor der überhaupt erschienen ist!

  2. Momentan sind viele Comedians im Netz trocken unterwegs – so ganz ohne Publikum. Dabei fällt mir auf, dass ich die Publikumslacher doch brauche, um in Stimmung zu kommen. Und die Comedians wohl auch. Olaf Schubert tat sich neulich mit einem Auftritt in der heuteshow wirklich schwer. Er hatte nur einen 3 mal hahaha-machenden Oliver Welke an seiner Seite. Da kommt man einfach nicht in den Flow.

  3. Witze in den guten Zeiten für schlechte Zeiten hamstern ist so wichtig!
    Aber auch Meerschweinschen, Chinchillas und Marder!!
    Und Ozelotze…

  4. @4
    Ich glaube, das wichtige daran ist, auch hier das im Artikel angesprochene Setup entsprechend zu ändern. So wie ich bei Olaf auch nicht in Schwung kam, war die Schalte ins Homeoffice zu „Birte Schneider“ sehr lustig und meine Frau und ich haben trotz fehlender Animierung laut gelacht, ebenso bei dem Einspieler des Deutschen Lehrerverbandes. Vielleicht liegt das einfach an der antrainierten Erwartung, die wir an solche Sketches im Studio haben und bei Ausbleiben einer Publikumsreaktion entsprechend irritiert und abgelenkt sind.
    Die Dialoge und Monologe im Studio sind (wiederum Setup im weitesten Sinne) allerdings scheinbar auch oft so geschrieben, dass ihnen die natürlichen Pausen durch Lacher und vielleicht sogar Klatschen gut tun und wirken dadurch ab und zu etwas runter gerattert.

  5. @8: Ehrings Sendung ohne Publikum fand ich unterhaltsam. Die aus dem HomeOffice war etwas strange.

  6. Ich finde die haben es gut hinbekommen in der Homeoffice-Folge, es so wirken zu lassen, als würde er neben der Live-Moderation auch die Live-Videopräsentation und so übernehmen. Ich hatte eigentlich mit einem Pseudo-Aufschrei der Anti-ÖR Community wegen „Vortäuschung falscher Tatsachen“ oder so einem Klimbim gerechnet.

  7. Schöner Bericht von der Werkbank und ja, auch ich (emp)fand den Herrn Welke im leeren Studio irgendwie gruselig, genauso wie gestern Late Night Berlin. Man sollte in der Tat überlegen, entweder Lacher aus der Konserve hinzuzufügen oder in ein kleineres Ambiente zu wechseln: Ich sehe keinen Sinn darin, dem Fernsehpublikum auf die Nase zu binden, dass man sich nun in einem leider leeren Studion befindet, unterstützt noch durch Kameraperspektiven/-schwenks über leere Reihen. Wozu?

    Und nun muss ich weiterrätseln, ob mir mit „TokTok“ und „Sakrotan“ geheime Botschaften übermittelt werden sollen…

  8. Unglaublich was für eine Spaßbremse der Satz ‚Das hätte vor 2 Monaten niemand verstanden‘ ist.

    Und was zur Hölle ist denn jetzt schon wieder TokTok? Es ist echt unmöglich geworden alle Trends mitzubekommen.

  9. Generell stößt der Autor ins selbe Horn wie alle anderen, die überkorrekt sein wollen. Humor ist – wenn man nur noch über Erlaubtes lacht – tot. Keine Randgruppenwitze mehr? Ja klar, das ist alles längst geopfert und wird den Andersdenkenden überlassen, den Rechten und Hetzern. Wer so denkt, muss sich nicht wundern, wenn die Rechten immer mehr werden.

  10. @Tilmann: Erlaubt ist vieles. Sie dürfen sich weiterhin über Juden-, N…- , Schwulen- und Vergewaltigungswitze beömmeln. Sie sind dann halt nur ein äußerst unsympathischer Zeitgenosse, der Humor und Zynismus verwechselt.
    Es ist aber ebenfalls erlaubt zu reflektieren und nicht trotzdem, sondern grade deshalb witzig zu sein, so wie Herr Wittkamp.

    (Übrigens halte ich das Herauszerren aus der Schmuddelecke für den Tod der Erotik oder mindestens des Sex. Aber das nur am Rande.)

  11. @13: Randgruppenwitze sind (meiner Meinung nach) zu Recht angefeindet, nicht nur aus den hinlänglich besprochenen Gründen, sondern weil sie auch humoristisch „low hanging fruits“ sind. Meisterschaft findet dort statt, wo man dem Publikum etwas zumutet (es zum Objekt des Witzes macht) ohne zu verletzen. Ein Grund zum Beispiel, warum Loriot so unerreicht (wenn auch inzwischen aus der Zeit gefallen) ist.

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