Wochenschau (48)

Mein Messe-Tagebuch

Erster Tag

Laufe orientierungslos in den hangarartigen Hallen rum und dränge mich an fremden Körpern vorbei. Bin zudem mit denkbar schlechten Vorzeichen hier auf der Messe: kein eigenes Werk veröffentlicht, nichts zu präsentieren, keinen Preis abzuholen, insgeheim hoffe ich, man verwechselt mich einfach mit Mia Khalifa. Will heute meiner alljährigen Chronistenpflicht fleißig nachkommen, Leser, die nicht hier sein können, porennah ins Geschehen holen. Während ich, dem alten Journalisten-Credo folgend, „mitten drin, aber nicht dabei“ sein will, sollen sie, die Leser, dabei sein, obwohl nicht mittendrin.

Eile zum Stehempfang, dem sogenannten „Grand Opening“, dort soll es Pumpernickel-Canapés und Couscous im Glas geben, habe seit Wochen nichts mehr gegessen, schiebe mich hungrig dazwischen, dort stehen auch schon die Künstlerinnen. Blicke mich um, Geschlechterverhältnis unausgewogen, überwältigend mehr Frauen auf den Bühnen als Männer hier, nirgends Norweger, jetzt entdecke ich das Gender-Ungleichgewicht: die Fotografierenden sind ausschließlich Männer, wickeln jede Vorbeischreitende in ein male gaze. Micaela Schäfer (in Kunst-Leder) und Patricia Blanco (in Gold) eröffnen die 23. Venus Berlin.

Zum Glück überall Horsd’œuvre und Weißwein, bis die Pornos gefallen. Ein gefragter wie quecksilbriger Newcomer aus Schweden mit zärtlich radikalem sowie geschlechtsneutralem Blick auf die Gesellschaft signiert mir einen Abdruck von seinem Penis. Der Mann Aurelio tippt mich an, hat mich aber verwechselt, ich hab Glück, er sucht Sasha Grey, er hat Pech, falsche Messe, sie schreibt Bücher.

Auf einem roten Samtsofa wird gerade ein Camgirl, Violetta Angel, zu ihrem letzten Werk interviewt, es sei ein besonders persönliches Nackt-Video, in welchem sie sich besonders nackt und besonders verletzlich zeige, das Publikum klatscht mit schräg gelegtem Kopf anerkennend und archiviert ihre verletzliche Nacktheit oder ihre nackte Verletzlichkeit, je nachdem, in zwei Gigabyte Smartphonefotospeicher.

Später am Abend: die in der Branche bereits legendäre Netstars-TV-Party („schärfste Party des Jahres!“), alle Bedeutenden aus dem Business sind dort, Menschen in schlechten Anzügen und Bikinis, alle schmelzen, schwitzen, schenken Visitenkarten. Micaela Schäfer legt auf, hinter ihr steht in Neonrot: „I ain’t no Houellebecq girl.“ Twittere zum Beweis, dass ich dort war, was bedeutet, dass ich auch bedeutend bin, ein glamouröses Spiegelselfie aus den Toiletten.

Signierstunde auf der Messe Messe Foto: imago images / Jan Huebner

Tag dazwischen

Männer und Frauen begutachten andächtig, aber mit der in Deutschland zu erwartenden Gewissenhaftigkeit, das Sexspielzeug-Repertoire des Stands von Eis.de. Das meiste sieht aus wie in zartrosa Tönen gehaltene südkoreanische Designobjekte, es darf auf gar keinen Fall optisch auch nur in die Nähe von anatomisch loyalen Penissen. Ich frage mich, ob Byung-Chul Han schon etwas dazu veröffentlich hat, Buch oder Erotikfilm.

Ich kann keine mitnehmen, sie sind zu groß für meine Clutch, aber auch in dem Venus-Goodiebag findet sich, neben „Bangjuice“ und Kondomen, ein, naja, in Ermangelung eines besseren Wortes, „niedlicher“ Vibrator. Es ist der offensichtliche Versuch, weibliche Konsumenten anzusprechen, die von Jahr zu Jahr mehr werden, und „sie kaufen ja wenigstens noch die Werke“. Es gibt sogar eine Ladies Area, „wo Frauenherzen höher schlagen“: Dort findet man „stählerne Muskeln, perfekte Sixpacks und tiefe Blicke, die jede Frau zum Schmelzen bringen.“

Ich suche im goodie bag nach einem Schlüsselband mit dem Slogan „Frauen sind im Gegensatz zu Männern Frauen.“

In einer anderen Ecke der Berliner Messehallen gibt es eine angeregte Paneldiskussion zum erotischen Film. Zwei Hardcore-Pornoregisseurinnen unterhalten sich über ihre Liebe zum Softcore-Film, nachdem die eine das Genre für sich neu entdeckt hatte.

„Nach einem Tag hatte ich mich ans Anschauen gewöhnt, am dritten Tag geriet ich in einen Rausch, und am Ende der Woche hatte sich mein Gefühl der Welt verändert“, sagt die Erste.

„Wie hat sich das Weltgefühl weiterverändert“, fragt die Zweite.

„Es ist alles wieder zusammengebrochen.“

„Sie sind wieder raus aus der Softcorewelt?“

„Ich bin wieder beim Hardcorefilm.“

„Was ist so hart am Softcore?“

„Das Softe.“

Es gibt eine Autogramm-Stunde unter dem Motto „Idol zum Anfassen“, die Besucher wollen alle ein Stück von ihrem Idol am liebsten aus der Rippe des Idols reißen, wollen sie wissen lassen, wie gut oder wie schlecht sie die Performance fanden, alle mit dem Impetus: „Ich habe dich künstlerisch nackt gesehen, deswegen darf ich jede Grenze des menschlichen Anstands überschreiten, wir haben eine parasoziale Beziehung, Bitch!“

Das ist das ganze unangenehme Dispositiv jeder für Branche und Besucher gedachten Messe: Man lässt die KünstlerInnen dort ihre Arbeit bewerben – erst, an den Branchentagen, vor denen mit viel Einfluss und viel Geld und dann, an den Besuchertagen, vor denen mit keinem Einfluss und einem bisschen Geld – und erwartet von ihnen, dass sie sich dem Publikum auch ein bisschen schenken.

Die Künstlerinnen bekommen keine Bodyguards, dafür wird ein Haufen Nazis draußen polizeilich geschützt, weil es anscheinend ein Recht aufs Nazisein gibt, aber nicht aufs nicht angefasst werden, wenn/weil man eine Frau ist, was bedeutet, dass wir in Deutschland Nazis besser behandeln als Frauen.

Jeder auf der Messe hat mindestens eine Pornoidee in der Schublade, von der man mir ausgiebig und ungefragt erzählt, bei allen geht es kreativerweise um Frauen und Männer und aus welchen dramaturgischen Gründen die Frauen keine Unterwäsche tragen – diese Prämisse glaubhaft herzustellen, ist erzählerisch anspruchsvoller, als man denkt.

Gleichzeitig raunt man mir zu, dass Frauen zwar Pornos schauen und kaufen würden, weshalb sie so interessant für den Markt seien, es aber seit #Metoo ja alles so wahnsinnig schwierig sei. Überhaupt seien jetzt überall so viele Frauen, ja sogar in den Pornos. Und überhaupt diese ganzen Pornos von Frauen für Frauen über Frauen, ist doch jetzt auch mal wieder gut jetzt.
Häufigste Beobachtung: Männer erklären auf der Pornomesse den Darstellerinnen ihre Arbeit als Pornodarstellerin.

Zweithäufigste Beobachtung: Alle mit denen ich rede, kennen sich bemerkenswert gut mit Pornos aus, aber keiner schaut sie.

Dritthäufigste Beobachtung: Es ist alles Arbeit, das Reden, das Senden und Empfangen, das Freundlichsein. Der Sex hier ja sowieso, das weiß doch sogar die Sprache schon, deswegen enden ja die meisten Bezeichnungen für erotische Aktivitäten traurigerweise auf „Job“ und heißen nicht etwa Blowfun oder Handparty.

(Apropos Sprache: Das deutsche Vokabular muss sich wirklich erheblich weiterentwickeln, was seine erotische Semantik angeht. Jedes Mal durchzuckt mich ein kleiner Schauer, wenn jemand auf der Messe versucht, anerkennend über Micaela Schäfers herzförmige Mamillen zu fachsimpeln, dabei aber das deutscheste und pragmatischste Wort der Welt benutzt, die BRUSTWARZE. Die anatomische Entzauberung des weiblichen Busens durch liebloses Ingenieurs-Deutsch wird nur getoppt durch das Wort HODENSACK.)

Letzter Tag

Einer der verehrtesten Regisseure der Branche hat den Adult Video News Award gewonnen („Der Oscar der Erotikbranche gilt als eine der renommiertesten Auszeichnungen in der Szene“), aber man wusste so halb, dass er bei der Produktion seiner historisch angelegten, aber die Geschichte sehr frei interpretierenden Werke (Cleopatra) seine Darstellerinnen geschlagen hatte.

Es ist das Sekttisch-Thema der Messe, jeder hat dazu mehr Argumente als Tattoos, zwischen Schichtsalat im Glas und Petit Fours hört man die beständige Frage, darf, soll so jemand den ohnehin schon wegen Sexismus-Vorwürfen in Verruf geratenen Pornopreis gewinnen, kann man den Porno trennen von der misshandelten Frau, dem Schmerz, den es reproduziert?

„Aber es ist doch so ein guter Porno!”, jammert ein DVD-Verleiher neben mir.

„Man kann uns doch jetzt dieses pornographische Meisterwerk nicht wegnehmen, nur weil der Regisseur Menschen misshandelt“, erklärt mir ein Bukakke-Video-Produzent.

„Pornos werden auch viel zu sehr moralisiert“, sagt eine Drehbuchautorin nonchalant im Vorbeigehen.

„Ich bin nur Pornoliebhaber. Und wir sollten zulassen, dass Menschen Pornos drehen und schauen, die so viel größer und bedeutsamer sind als sie selbst“, tedtalkt ein Messebesucher in meine Richtung. Es hat hier auch etwas mit bourgeoisen Distinktions-Habitus zu tun, seht her, die dunkle Ambivalenz des Pornokonsums halten nur die reflektiertesten und feinsinnigsten unter uns aus, während die anderen Moral-Clowns sich unterkomplex auf Twitter echauffieren.

Eine Journalistin will den ausgezeichneten Regisseur diesbezüglich fragen, er fuchtelt allerdings nur mit einem lächerlich großen Dildo vor ihrem Gesicht herum und ruft: „Ich bin ein Pornoregisseur, ich komme bei Tolstoi, ich komme bei Homer, ich komme bei Cervantes, lasst mich ficken und stellt mir nicht solche Fragen! Schiebt euch eure Betroffenheit anal rein!“

Ich sammle etwas gratis Sexspielzeug, Bongacams-Gutscheine und ein paar Impressionen für meine Instastory ein, markiere alle, danke allen, bin neidisch auf alle anderen, die in ihren Instastorys und Twitterfeeds wirkten, als hätten sie so viel mehr Spaß gehabt, so viel Größeres gesehen, das Messerockstarleben gelebt, von dem ich weiß, dass es das gar nicht gibt, dann stelle ich fest: Nein, es ist nicht mal Neid, es ist Fomo – fear of missing out. Journalistische Verpassens- und Versagensängste. Schnell schicke ich Saša Stanišić noch eine ehrlich gemeinte Gratulation.

4 Kommentare

  1. „künstlerisch nackt“ – Ich weiß nicht, es fehlt im Porno irgendwie das Künstlerische so gänzlich. Nichts ist abtörnender als die dümml. Rahmenhandlungen insbes. deutscher Pornos (bei ausländ. Produktionen bleibt mir zumindest der Unsinn der Dialoge erspart, ein großer Vorteil).
    Man sollte doch verdammt nochmal auch anspruchsvoll ficken können! Das (also zumindest: mein) Gehirn will doch mitvögeln. Warum kriegen das diese „Künstler“ nicht hin?
    Aber das nur am Rande. Danke für den Bericht und Danke für das Ersparen von Abbildungen Schäferscher Mamillen.

  2. Da Deutschland in anderen Industrien deutlich mehr Geld verdient als in der Porno-Industrie, ist Ingenieurs-Deutsch vllt. gar nicht so schlecht. Außerdem halte ich es für üble Verarsche, wenn Arbeit nicht als „Arbeit“ oder meinetwegen „Job“ bezeichnet wird, sondern als „Spaß“.
    Aber ja, bei Pornomessen werden die Nazis geschützt und nicht die Frauen. Andererseits will ich auch in keinem Land leben, wo die Leute lieber Nazis als Pornodarsteller anfassen wollen.
    Aber sehr lehrreich, das ganze.

  3. Eh die schönste und schlauste Kolumne im Netz, aber dieser Text ist in seiner Doppelbödigkeit eine Extrawonne. Kein Eye job, sondern fun. Danke!

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