Wochenschau (42)

Klartext über Klartext

Wenn dumpfe Hyper-Virilität sich in zwei Wörter pressen lassen müsste, dann wäre das eine Wort vermutlich „Alpha“, und der große Bruder von „Alpha“, der gerade mit einem Aktenkoffer aus dem örtlichen Debattierclub angehechtet kommt, hieße: „Klartext“.

Klartext findet den Diskurs immer anstrengend und alle hysterisch.

Klartext hält Differenzieren, Abwägen, Hintergründekennenwollen für pussyhaft.

Klartext findet, wir reden zu viel und tun zu wenig. Klartext haut mit der Faust auf’n Tisch, nur ist der Tisch eine offene Tür.

Klartext ist wie der eine Besoffene, der von sich selbst glaubt, gerade die Weltformel zu entdecken, während er im Grunde nur zehn Minuten mit einer Laterne diskutiert – zum Beispiel über das universelle Menschenrecht auf Bifi Carazza Pizza-Snack.

Bei Klartext kommt nie irgendwas Neues oder Überraschendes, Schlaues, Radikales, Inspirierendes, Visionäres – und es kommt vor allem, und das ist das Frechste an Klartext, vor allem eben kein Klartext, sondern meist selfiejournalistische Kolumnisten-Kakophonie eigener Egos, die sich nach etwas Rückversicherung und Validation sehnen.

Klartext ist in seinem Verlangen nach Klartext die Pervertierung naiver Heile-Welt-Gedanken.

Klartext ist immer etwas, das alle wissen und kaum jemand infrage gestellt hat und deswegen endlich und unbedingt mal gesagt werden muss. Gerne mit dem Zusatz: „obwohl ich mich damit nicht beliebt mache“.

Klartext pumpt Aussagen, die Vorurteile bestätigen, mit unverdientem Heroismus auf.

Es ist eine Hundepfeife für alle Debattendobermänner, deren Pfeifton ihnen verspricht: „Ansage, hier wird dein confirmation bias hart gestreichelt! Und jetzt apportier das Stöckchen über das du gleich springen sollst.“

Klartext ist vom „Gesinnungskorridor“ zum „-Furor“ und „-Terror“ auch nur noch drei Vokabeln und ein Denkfehler entfernt.

Klartext hält sich für den Klügsten im Raum und will das alle wissen lassen.

Klartext liebt es zu kränken.

Das wichtigste Argument gegen Klartext ist jedoch ganz klar: „Yotta speaks Klartext“.


Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den Samira El Ouassil beim fünfjährigen Jubiläum der „Floskelwolke“ gehalten hat. Die ganze Veranstaltung kann man sich hier anhören. In unsere Rubrik „Hasswort“ passt er natürlich auch.

11 Kommentare

  1. Bin ich der einzige der Samira EL Oassils Texte so verschlingt? Ich verehre ihre Texte. Sie bieten mir neue Sichtweisen und ich liebe ihre Analogien. Vielleicht liegt es auch daran, das Soziologie immer mein Lieblingsfach im Studium wahr, und Texte die gesellschaftliche Sachverhalte dekonstruieren bei mir immer Anklang fanden. Ich sage jetzt einfach mal Danke für die erhellenden Texte. Wenn es kein Oassil-Fanklub gibt, sollte er dringend gegründet werden (auch wenn ihr dies sicher nicht gefällt).

  2. nein, Sie sind nicht der Einzige. Und ich bewundere, die Wortschöpfungen, die sie erdenkt. Die Fähigkeit hätte ich auch gerne.

  3. Ich oute mich auch mal als Fan und hoffe, dass die wöchentliche Kolumne hier noch lange erhalten bleibt.

  4. Mich hätten ein paar Beispiele sehr gefreut. Ohne ist es ziemlich abstrakt, man weiß etwa was gemeint ist, aber konkret werden hat immer noch eine andere Qualität, zumindest in meinen Augen.

  5. Der große Bruder von Klartext heißt „gesunder Menschenverstand“ – gibt sich vornehmer, ist aber genauso verkommen. Nah verwandt, aber inzwischen enterbt, ist auch das „gesunde Volksempfinden“.

  6. Ich bin dabei, bei 1. , 2. und 3.: – macht super Spaß zu lesen, immer! Ist vergnüglich und bereichernd!

  7. Sekundärtugenden ausschließlich im gegnerischen Lager auszumachen und nur das Untugendhafte, das damit zugegebenermaßen oft einhergeht, zu betrachten, finde ich null erhellend.
    Man suhlt sich in einer gefühlten Überlegenheit. Substanzlose Arroganz die kein bisschen wie Niveau aussieht.

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