1962 erschossener DDR-Grenzsoldat

Widersprüche einfach weglassen: So schreibt „Welt“ Geschichte

Im rbb-Fernsehen lief gestern die zweite Folge der 30-teiligen Berlin-Chronik „Schicksalsjahre einer Stadt“. Ich musste das dienstlich gucken, sonst hätte ich schneller abgeschaltet, aber so erfuhr ich auch von einer spektakulären Fluchtgeschichte aus dem Jahr 1962.

Rudolf Müller hatte mit einigen Helfern einen Tunnel unter dem Grenzstreifen gegraben. Er wollte auf diesem Weg seine Frau und seine beiden Kinder in den Westen holen. Als er sich auf Ost-Berliner Seite mit seiner Familie auf den Weg zum Tunneleingang machte, wurde er von einem bewaffneten DDR-Grenzsoldaten aufgehalten, der sie aufforderte sich auszuweisen. Müller zog eine Pistole und erschoss den Soldaten. Der Familie gelang die Flucht.

Der tragische Vorfall wurde sofort von beiden Seiten propagandistisch ausgeschlachtet: In der DDR wurde der getötete Grenzer, ein 20-Jähriger namens Reinhold Huhn, zum Opfer eines kaltblütigen Mordes im Auftrag Adenauers und Brandts gemacht und als Held verehrt. Westliche Zeitungen stellten Huhn als Opfer seiner eigenen Kameraden dar, „schießwütiger Vopos“. Sie glaubten Müller, der zunächst behauptete, gar nicht geschossen, sondern dem Grenzer nur einen Schlag versetzt zu haben. So stellten es auch die westlichen Behörden dar.

Berlin: Vopo von Vopos erschossen
Die Berichterstattung von „Bild“ damals.

Die rbb-Doku tippte die Geschichte nur an, und weil die Sendung ohnehin nicht besonders fesselnd war, begann ich, nebenbei ein bisschen zu googlen, um mehr über den Fall herauszufinden. Er hat viele interessante, spektakuläre Details und Wendungen. Zum Beispiel hatte der amerikanische Geheimdienst Müller gedrängt, auf keinen Fall zuzugeben, geschossen zu haben.

Auch der Bundesnachrichtendienst war involviert: Er hatte Zeugen Falschaussagen machen lassen, um die Geschichte zu befördern, dass der Grenzer von den eigenen Leuten erschossen wurde. Auch Axel Springer spielt eine Rolle in diesem Drama: Von der Baustelle seines Neubaus an der Mauer gruben die Fluchthelfer ihren Graben. Nachdem der Hausmeister sie entdeckt hatte, arbeiteten sie mit Billigung des Verlegers weiter.

Die Geschichte hatte nach dem Mauerfall noch eine besondere rechtliche Nachgeschichte. 35 Jahre nach den Schüssen wurde Haftbefehl gegen Reinhold Müller erlassen. Er musste sich wegen Mordes vor dem Berliner Landgericht verantworten. Die West-Berliner Version der Ereignisse war auf der Grundlage aller nun vorliegenden Dokumente nicht mehr haltbar.

Das Urteil des Gerichtes: Ein Jahr auf Bewährung wegen Totschlags. Als Notwehr könne der Todesschuss nicht gewertet werden: Wenn eine Flucht aus der DDR nur um den Preis eines Menschenlebens realisiert werden kann, müsse das Fluchtunternehmen aufgegeben werden.

Der Bundesgerichtshof entschied später in der Revisionverhandlung, dass es sich sogar um Mord gehandelt habe: Der Grenzer habe nicht zu seiner Waffe gegriffen; der Angeklagte hingegen habe sich mit einer geladenen Waffe in die Konfliktsituation begeben und den Tod des Grenzers in Kauf genommen. Der BGH veränderte allerdings nicht das Strafmaß. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil nahm das Bundesverfassungsgericht 2001 nicht an.

Wenn man im Internet oder in Zeitungsarchiven nach diesem Fall sucht, findet man viele interessante, differenzierte, unterschiedlich gewichtete Artikel über diesen anderen Mauertoten und seine sehr spezielle rechtliche Würdigung. Aber wenn man Pech hat, landet man bei einem Artikel der „Welt“.

Im Mai dieses Jahres schreibt Sven Felix Kellerhoff, der leitende Redakteur Geschichte des Blattes, über den Fall. Anlass war, dass der Boden über dem Stollen von damals eingesunken war, unmittelbar vor dem Springer-Sitz. Kellerhoff erwähnt nicht die besondere Verbindung des Verlages zu den Fluchthelfern. Er schildert ausdrücklich die Grabungsarbeiten von damals und die tödliche Konfrontation auf der Ost-Berliner Seite und fügt dann hinzu, als sei das eine unbestreitbare, unbestrittene Tatsache:

Rudolf Müller hatte in Notwehr den DDR-Grenzer Reinhold Huhn getötet.

Unter dem Artikel widerspricht ein Leser:

Nein, er hat nicht in „Notwehr getötet“. Er hat Reinhold Huhn schlicht ermordet. Aus Respekt vor dem Ermordeten und der Wahrheit sollte man dies auch so darstellen. (Siehe das Urteil des BGH.) Wenn man die rechtliche Definition von Notwehr heranzieht, dann wird es mehr als deutlich. (§ 32 StGB: „Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“)

Dieser Kommentar soll weder das DDR-Unrechtsregime noch dessen begangene Straftaten entschuldigen, sondern die Wahrheit hervorheben.

Der Redakteur antwortet ihm:

Sie liegen falsch. Es handelt sich klar und eindeutig um Notwehr. Dass der BGH das in einem absolut skandalösen Urteil anders gesehen hat (und die Richter wussten, dass Sie [sic] dabei Rechtsbeugung begangen haben, das erkennt man schon an dem Strafmaß, das sie verhängt haben), ändert daran nichts. Ein Fluchthelfer, der in eine Kalaschnikow-Mündung eines aufgehetzten Grenzers schaut und sich dann selbst verteidigt, handelt in Notwehr. Eine viel klarere Situation von Notwehr gibt es gar nicht.

Ihre WELTGeschichte

So einfach ist das. In der „Welt“ ist der Fall der klarste Fall der Welt; Notwehr, was denn sonst.

Interessant ist die Formulierung, der Fluchthelfer habe in die Mündung der Kalaschnikow geschaut. Im Urteil des BGH ist ausdrücklich die Rede davon, dass der Grenzposten „nicht etwa bereits zur Anwendung seiner Schußwaffe gegen den Fluchtwilligen angesetzt“ hatte.

Interessant ist auch, dass der „Welt“-Redakteur in seiner Antwort unterschlägt, dass nicht nur der BGH keine Notwehr-Situation sah, sondern auch das Landgericht Berlin das verneint hatte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das vermeintliche Skandalurteil des BGH später als verfassungsrechtlich unbedenklich.

Nun steht es dem Geschichtsredakteur der „Welt“ natürlich frei, richterliche Beschlüsse für absurde Fehlurteile zu halten. Das gilt immer, aber in diesem Fall besonders: Die Geschehnisse und ihre verspätete juristische Aufbereitung werfen so viele moralische und rechtliche Fragen auf.

Kellerhoff aber erspart sie seinen Lesern einfach dadurch, dass er sie weglässt. Er präsentiert seinen Lesern nicht alle Fakten und dann seinen Schluss: dass es sich um Notwehr gehandelt habe. Er lässt einfach die Teile, die den Leser zu einem anderen Urteil bringen könnten, weg.

Es ist so viel einfacher, die Leute nicht mit irgendwelchen Fakten zu konfrontieren, die sie nur verwirren könnten, und seien es höchstrichterliche Urteile. Die Argumentation des Redakteurs ist für den Leser auch viel zwingender und überzeugender …

… es sei denn, er weiß aus anderer Quelle, dass der Fall in Wahrheit nicht so eindeutig ist, wie ihn der Zeitungsredakteur darstellt. Dann könnte er den Manipulationsversuch als eher unangenehm – um nicht zu sagen: unjournalistisch – empfinden. Ich kann da jetzt nur für mich sprechen, aber mich hat dieser Lückentext in meiner Skepsis gegenüber der „Welt“-Geschichtsschreibung außerordentlich bestärkt.

Kellerhoff hat übrigens viele Male über diese tragische Fluchtgeschichte geschrieben. Er ist auch Co-Autor eines Buches über „Die Fluchttunnel von Berlin“. Immer spricht er von „Notwehr“ – manchmal erwähnt er immerhin das für ihn skandalöse BGH-Urteil, das dem widerspricht.

Dass der Fluchthelfer in die Mündung der Kalaschnikow schaute, hatte er allerdings 2008 in der „Berliner Morgenpost“ noch nicht behauptet. Damals schrieb er:

[… Müller] reißt die Pistole hervor. Huhn sieht die rasche Bewegung und zuckt. Wahrscheinlich will er seine Maschinenpistole auf den Fluchthelfer richten, doch gleichzeitig schießt Müller – um zu verhindern, dass Huhn auf seine Familie und ihn feuert.

Nach dieser Schilderung schießt der Fluchthelfer in akuter Notwehr – in der er sich allerdings deshalb befand, weil er zuvor seine Pistole gezogen hat.

Der Fall ist damals von beiden Seiten für Propaganda genutzt worden. Sie erzählten einfache Geschichten, ohne Widersprüche. Die „Welt“ scheint bis heute ungern davon zu lassen.

17 Kommentare

  1. Was mich in erster Linie (neben der Geschichtsrevision, mehr aus juristischer Sicht) stört ist ja der Teilsatz „[…] dabei Rechtsbeugung begangen haben […]“. Rechtsbeugung ist eine Straftat und das einfach mal so in den Raum zu werfen ohne es selbst beweisen zu können ist schon ein starkes Stück und, sollte es eine Anzeige eines betroffenen geben, strafrechtlich auch nicht ganz unrelevant. Ein Urteil, dass von bewanderten Juristen, immerhin welche die es sehr weit nach oben geschafft haben, als Fehlurteil zu bezeichnen, da wüsste ich schon ganz gerne worauf sich diese These stützt. Die Behauptung, die Mitglieder der Kammer hätten damals aber eine Straftat begangen… da muss man schon einiges dafür ankarren.

  2. Natürlich muss der Redakteur das Urteil weder in seiner Begründung noch in seinem Ergebnis teilen. Aber man staunt schon immer wieder, dass und mit welcher Selbstverständlichkeit (beispielsweise) Journalisten meinen, die juristischen Details und hieraus folgende „richtige“ Ergebnis viel besser zu kennen als die Richter, die sich auf Grundlage aller bekannten Informationen eingehend mit dem Fall befasst haben. Da ersetzt ja auch schnell mal ein schmaler Zeitungsartikel das Studium hunderter oder gar tausender Aktenseiten und die Teilnahme an der Hauptverhandlung, um dem Gericht dann völlige Ahnungslosigkeit und ein krasses Fehlurteil nahe der Rechtsbeugung zu attestieren. Das nervt bisweilen schon sehr.

    Damit wären wir auch beim Annex: Skandalös ist einzig und allein, die Richter hätten ganz bewusst Rechtsbeugung begangen, gepaart mit der dreisten Behauptungen, sie hätten dies durch das Strafmaß quasi selbst ins Urteil geschrieben. Als hätten die fünf Richter gewollt und bewusst ihr letztes Urteil geschrieben, bevor sie wegen Rechtsbeugung aus dem Dienst zu entfernen gewesen wären.

  3. Obwohl ich den Artikel mangels Abo nicht lesen kann, würde ich mein gesamtes bescheidenes Barvermögen darauf verwetten, dass er sich um einen Text von Sven-Felix Kellerhoff dreht, den ich sogar zu kennen glaube.

    Der Mann hat eine bemerkenswerte Geschichtsauffassung, was allerdings oftmals erst so richtig auffällt, wenn man seine Diskussionen in den Kommentaren unter den Artikel verfolgt.
    Zwar muss man feststellen, dass er Geschichtsrevisionissmus in Sachen Nationalsozialismus konsequent begegnet, aber dafür gern auch mal den Schulterschluss mit Kommentatoren sucht, die Nationalsozialismus und Kommunismus, bzw. Rechte und Linke gleichsetzen.

    Und weil Kommentar #1 vermutlich die Kellerhoffsche Rechtsauffassung thematisiert, seien als Lesetipps noch seine Kommentare unter folgendem Artikel zum Celler Loch empfohlen:
    https://www.welt.de/geschichte/article179919530/Verfassungsschutz-Wenn-der-Staat-ein-Loch-ins-Gefaengnis-sprengen-laesst.html?wtrid=onsite.onsitesearch

  4. Hier fehlt am Ende des Satzes doch was, oder? „Im Urteil des BGH ist ausdrücklich die Rede davon, dass der Grenzposten ’nicht etwa bereits zur Anwendung seiner Schußwaffe gegen den Fluchtwilligen angesetzt‘.“

  5. Mich würde ja interessieren, was an der rbb-Dokumentation so schlimm war, dass der Autor mehrfach unbegründete Spitzen einbauen muss, und damit vom eigentlichen Thema ablenkt. Ich finde das sehr irritierend.

  6. Ich finde den Artikel bemerkenswert. Während wir, die im kalten Krieg aufwuchsen, wahrscheinlich skeptischer an die Weltgeschichte der „Welt“ herangehen, besteht immer die Gefahr, dass jüngere Leute derartig einseitige Darstellung als realistische Reflektion der Vergangenheit ansehen und selbst für mich, der sich viel mit der innerdeutschen Grenze beschäftigt hat, ist das lesenswert.
    Eine Sache gibt mir aber zu denken:
    Niggemeier schreibt, dass er die Doku nicht zur eigenen Unterhaltung sondern eher gezwungenermaßen als Arbeitsverpflichtung anschauen musste. Dabei kommt er dann nebenbei zum Googeln, Recherchieren und am Ende zu diesem Artikel. Bezogen auf die Arbeitsmoral ist das bedenklich, finde ich.

  7. Ganz schlimmer Arbeitsmoral, der Niggemeier. Das gibt sicher eine Abmahnung von der Fernsehballettvortsandsvorsitzenden, die meist während der Hausaufgaben nebenher den Haushalt macht und oft Serien nicht zu Ende schaut. Ich beantrage 10 Tagessätze Rosenkohl.

  8. Wäre es machbar nachträglich zu erreichen, dass der Artikel als Kommentar markiert werden muss? Offensichtlich wird hier Geschichte wider den darliegenden (bekannten) Fakten umgedeutet. Gegenteiliges Beweismaterial fehlt ebenfalls. Oder muss man einfach akzeptieren, dass es schlechter journalistischer Standard und nicht mal ein Fall für den Presserat ist?

  9. Die 18. Politechnische Oberschule (POS) Berlin-Mitte hieß in der DDR Reinhold Huhn, gleich hinterm Springer-Hochhaus. Ich ging nebenan in die 19. POS. Bemerkenswert fand ich, dass die Reinhold-Huhn -Str. nach der Wende in Schützenstr. umbenannt wurde und die beidenSchulen zum Charles-Darwin-Gymnasium fusionierten. Der stärkere (Schütze) hat sich also gleich mehrfach durchgesetzt. :-/

  10. Ich bin kein Freund der Springer Presse aber bei diesem Vorgang aus der Zeit des kalten Friedens der Nachkriegszeit und der gewaltsamen Teilung Deutschlands und der Flucht eines Deutschen aus der DDR in die BRD muss eins festgestellt werden. Rudolf Müller schoss auf den Soldaten Reinhold Huhn in putativer Notwehr, da er damit rechnen konnte und musste das der Soldat von seiner Maschinenpistole gebrauch machen wird. Hätte er warten sollen bis der Soldat zur Waffe greift? Wissen wir, wie es in dieser Situation war? Wir können es uns vorstellen.

    Ich weiß aber nur, das die Soldaten der Grenztruppen auf Menschen schossen die von einem Teil Deutschlands in den anderen wollten. Die waren meines Wissens bis auf diesen Fall des Rudolf Müller allesamt unbewaffnet. Desweitern war die Sicherung der Staatsgrenze nicht demokratisch legitimiert sondern eine Willkür Maßnahme des Regimes in Ostberlin.

    Die Qualität des Berichterstattung eines Springerblatts ist allgemein schlecht man erwartet nichts anderes, aber was wollen sie von uebermedien damit bezwecken, die Ablehnung eines falschen Gerichtsurteils durch den Springer-Journalisten selbstgefällig zu kritisieren?!

  11. Ich finde es erstaunlich und sehr unjournalistisch, den Teil der Geschichte einfach wegzulassen, der einem nicht in den Kram passt. Wenn die Leute von der „Welt“ die Gerichtsurteile in diese Sache für falsch halten, können sie das ja dazu schreiben. Sie einfach wegzulassen und zu behaupten, es sei Notwehr gewesen, obwohl das die Gerichte durch alle Instanzen anders gesehen haben, geht nicht.

  12. zu 13.

    Die Springerpresse, aber auch die ÖR-Medien haben zu keinem Zeitpunkt des kalten Krieges objektiv über die andere Seite berichtet (natürlich ebenso wie der Osten) – das war auch niemals ihr Auftrag.
    Ist es nicht etwas naiv, zu glauben, daß sie (also Springer sowie RBB) das nun ausgerechnet jetzt tun werden? Was sollte sich in ihrer Bewertung der Grenzsicherung der DDR und der Schlepper bzw. „Fluchthelfer“ geändert haben…?

    zu 12.

    „Ich weiß aber nur, das die Soldaten der Grenztruppen auf Menschen schossen die von einem Teil Deutschlands in den anderen wollten. Die waren meines Wissens bis auf diesen Fall des Rudolf Müller allesamt unbewaffnet. Desweitern war die Sicherung der Staatsgrenze nicht demokratisch legitimiert sondern eine Willkür Maßnahme des Regimes in Ostberlin.“

    Schön, daß Sie die Begrenztheit mit einem „ich weiß aber nur…“ bereits einräumen; mit etwas Interesse könnten Sie sich z.b. über den Fall Weinhold informieren, um zu erkennen, daß man im Grenzdienst immer auch mit bewaffneten (und zu allem entschlossenen) Gegnern rechnen mußte.
    Was Sie jetzt als „innerdt. Grenze“ kennen war eben auch die Nahtstelle zweier Militärblöcke.
    Und ob militärische Maßnahmen weniger Willkür darstellen, wenn Sie demokratisch legitimiert sind, das können Ihnen die über 100 Opfer von Oberst Kleins Befreiungsschlag von Kundus (2009) erzählen – bzw. können sie genau das nicht mehr…

  13. @Stefan Niggemeier
    Das ärgert mich als Konsument von Medien auch, das Puzzlestücke weggelassen werden oder platt argumentiert und agitiert wird und auf diese Art und Weise ein Fall verzerrt dargestellt wird. Wenn ihr Kollege Sven Felix Kellerhoff, das im Ansatz getan hat, dann ist das Kritikwürdig aber man hatte den Eindruck das hier generell das Dogma der Neutralität gepredigt wird. Das gibt es einfach nicht und ein Journalist kann mir als Leser und Bürger seine Haltung und Wertung mitteilen. In diesem Fall auf eine platte Art aber in Springer-Tradition. Aber wie schon geschrieben, Mord ist es für mich auch nicht gewesen.

    @NEBBICH

    Im Gegensatz zu den meisten im Internet schreibe ich eben nur das was ich weiß und tue nicht so, als wäre ich allwissend und den anderen überlegen. Der Fall den sie erwähnenswert finden ist mir nicht im Sinn gewesen, er ist mir aber durchaus bekannt.

    Dann wären wir aber eben bei zwei Fällen wo eine Bewaffnung, bei der Flucht aus der DDR in die BRD, eine Rolle gespielt hat. Bloß in diesem Fall begehen Sie den Fehler, denn man in einer Redensart als einen Vergleich von „Äpfel und Birnen“ bezeichnet.

    Rudolf Müller ist der Apfel und ihr Werner Weinhold ein Soldat der NVA im Grenzdienst die Birne. Ein Soldat der auf seine Kameraden schoss und über die Grenze floh! Ein Soldat erschießt einen anderen Soldaten an der Grenze im Dienst, was ein Unterschied zu einem Bürger darstellt der über die Grenze in die BRD und anderen auch dabei helfen will und von nicht demokratisch legitimierten Grenzsoldaten, mit Schießbefehl auf die eigenen Bürger, daran gehindert werden soll und er in Kenntnis dieses Befehls in Putativnotwehr „schneller Schießen“ will.

    „Soldaten sind Mörder“ lautet eine alte politische Parole.
    Was aber der Vergleich mit dem Krieg in Afghanistan zu der eigentlichen Geschichte hier soll und dem Tod von Afghanen die zu zwei entführten Tankwagen rannten oder eben sich durch Taliban-Sirenen locken ließen, und dies höchstwahrscheinlich mit bestimmten Hintergedanken der Taliban getan wurde, die durch Oberst Georg Klein erfüllt wurden, erschließt sich mir nicht ganz. Der Oberst dachte im wesentlichen wohl daran das der Kraftstoff nicht in die Hände des Feindes gelangen darf.

    Wenn ich mich in einem Kriegsgebiet befinde, gleichgültig ob ich mich willkürlich darin befinde, renne ich nicht zu zwei gestohlen, sich im Fluss befindlichen Tankwagen die Teil der kriegerische Auseinandersetzung auf dem besagten Gebiet sind. Das hat was mit Verstand zutun. Aber das ist ein anderes Thema!

    Im übrigen fiel mir durch Ihren Hinweis auf den „Fall Weinhold“, ein Name ein den ich im Hinterkopf hatte, aufgrund seines markanten Familienamens „Göring“. Suchen sie mal nach einem NVA-Grenzsoldaten Peter Göring der von Polizisten West-Berlins erschossen wurde. Der 14-Jährige Schüler Wilfried Tews, der damals nach West-Berlin fliehen wollte und mit über 100 Schüssen belegt wurde, ist wohl den bundesdeutschen Polizisten dankbar gewesen, das sie auf den NVA-Grenzsoldaten in stellvertretender Notwehr für das Kind schossen. Die DDR-Presse machte daraus später eine Mordaktion des Westens und unterschlug die Wahrheit. Der Vorfall ereignete sich am 23. Mai 1962 in Berlin, der hier ursprünglich diskutierte Fall des Rudolf Müller am 18. Juni 1962.

    Unter dem Eindruck welches Vorfalls, der Fluchhelfer Müller wohl auf NVA-Soldaten Reinhold Huhn geschossen hat? Ich hab eine Vermutung….

    In Strausberg ist eine Straße nach Peter Göring noch heute benannt!

  14. zu 15

    Zunächst schätze ich Ihre Ehrlichkeit: „…schreibe ich eben nur das was ich weiß“; wage aber trotzdem anzuzweifeln, daß man etwas wirklich wissen kann, wenn man nicht dabeigewesen ist (z.b. bei den Fällen Müller, Weinhold oder Klein) – oder eben nur das glaubt, was ins eigene Weltbild paßt. (so geht’s mir zumindest)

    Ihre Aussage: „Die waren meines Wissens bis auf diesen Fall des Rudolf Müller allesamt unbewaffnet.“ verträgt sich nicht so recht mit dieser „Der Fall den sie erwähnenswert finden ist mir nicht im Sinn gewesen, er ist mir aber durchaus bekannt.“ – aber das ist eine Nebensache.

    „Was aber der Vergleich mit dem Krieg in Afghanistan zu der eigentlichen Geschichte hier soll … erschließt sich mir nicht ganz.“ – nun, da sollten Sie den Anfang meines letzten Satzes noch mal lesen: „ob militärische Maßnahmen weniger Willkür darstellen, wenn Sie demokratisch legitimiert sind…“
    Das bezog sich nun wieder auf Ihren Zweifel, daß „die Sicherung der Staatsgrenze nicht demokratisch legitimiert sondern eine Willkür Maßnahme des Regimes in Ostberlin“ (war) – deswegen die Frage, ob demokratische Legitimation wirklich jede milit. Willkür rechtfertigt, wie z.b. die des Oberst Klein (die ausführenden US-Bomberpiloten hatten übrigens ausdrücklich angeboten, zur Einschüchterung ohne Waffeneinsatz im Tiefflug drüberzubrettern: „showing forces“)?

    Zum generellen Verständnis sind diese Zeilen von Ihnen hilfreich „Wenn ich mich in einem Kriegsgebiet befinde, gleichgültig ob ich mich willkürlich darin befinde…“ – genau DAS ist die entscheidende Klammer zwischen Oberst Klein und Reinhold Huhn: das Grenzgebiet war eben ein militärisches Sperrgebiet, was damals jeder wußte – und wer an dem Warnschild vorbeigeht und über ein Sperrhindernis klettert, der wußte jederzeit, daß dahinter Soldaten mit Gewehren waren, die genau das verhindern sollten.

    Vielleicht ahnen Sie es schon: ich habe als Grenzsoldat genau an dieser Grenze (allerdings zw. Hildburghausen und Coburg) gedient. Ich weiß daher auch, wie man sich fühlt, wenn in ca. 120 Meter Entfernung das MG eines US-Spähpanzer auf mich gerichtet wird oder ein Hubschrauber OH 58-A über mir hinwegfliegt („showing forces“ ja, so was haben die wirklich gemacht: ich war dabei) – die US-Armee hat, ebenso wie die Sowjetarmee, diese Grenze eben wesentlich ernster gesehen, als die Springerpresse oder ARD & ZDF.

  15. Nun, dieser Journalist macht nicht nur in diesem hier zitierten Fall auf sein eigenes „Verständnis“ der Geschichte und deren Aufarbeitung aufmerksam.
    Auch in einem seiner aktuelleren Artikel: „Das letzte Opfer der Garrotte war ein Deutscher“ zeigt sich seine etwas verquere Ansicht, indem er dort von „ein von der Bundesrepublik freigekaufter ehemaliger Untertan der SED-Diktatur“ schreibt.
    Ich denke 30 Jahre nach der Wende, bald 29 Jahre nach dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten, hätte man ja durchaus neutraler „ein von der Bundesrepublik freigekaufter ehemaliger Bürger der DDR“ schreiben können – aber das klingt ja nicht so dramatisch.

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