„Zeit Online“

Wer im „Glashaus“ bloggt, sollte mit Beiträgen werfen

„Es gibt nur wenige journalistische Projekte bei ‚Zeit Online‘, die mehr Zeit benötigt haben als dieses“, schreibt Chefredakteur Jochen Wegner am 6. Dezember 2016, jenem Tag, an dem dieses vollmundig angekündigte Projekt startet: „das Glashaus, unser neues Transparenz-Blog“. Der Redaktion ist das offenbar wichtig. Es gebe, so Wegner, „seit jeher viele Fragen zu unserer Arbeit, die wir uns täglich selbst stellen und die wir gerne mit Ihnen diskutieren würden.“

Große Worte, die offenbar gut ankommen: „Hochinteressanter Ansatz“, kommentiert ein User unter Wegners Beitrag im Blog. „Mit ein bisschen Durchhaltevermögen kann das helfen, die Diskussion über die sogenannte Lügenpresse zu versachlichen.“ Das ist ein guter Gedanke. Nur, Spoiler: Durchhaltevermögen hat die „Zeit Online“-Redaktion offenbar nicht mal im Ansatz. Im Gegenteil: Die Bilanz des „Transparenz-Blogs“ ist insgesamt ernüchternd.

Fast tot: das Transparenz-Blog „Glashaus“ Screenshot: Zeit Online

Lediglich zehn Beiträge sind nach dem ersten im „Glashaus“ veröffentlicht worden. Insgesamt also bloß elf Beiträge in gut 14 Monaten, einer davon doppelt, in deutscher und englischer Sprache, und sechs Einträge sind gleich zu Beginn erschienen, im Dezember 2016, als der Elan offenbar noch groß war. Im ganzen Jahr 2017 erschienen dann vier (!) Einträge, und vor ein paar Tagen mal wieder einer. Das Blog ist also nicht gänzlich tot. Aber schon sehr.

Dass es ausgerechnet 2017 so wenige Einträge waren, ist auch deshalb bemerkenswert, weil in dieser Zeit beispielsweise ein halbes Jahr Bundestagswahlkampf und einige Monate vergeblicher Regierungsbildung lagen. Es ist also viel passiert. Eine „Zeit Online“-Sprecherin erklärt dazu auf Anfrage, dass im „Glashaus“ immer dann Beiträge veröffentlicht würden, „wenn es einen Anlass dazu gibt“. Das seien beispielsweise „eine Debatte in der Redaktion, oder, lieber noch, Fragen oder Kritik von Leserinnen und Lesern“.

Und das alles kam 2017 nur viermal vor?

Dazu Antworten von „Zeit Online“ zu bekommen, ist gar nicht so leicht. Zunächst wollte man dort wissen, für welches Medium ich recherchiere. Als ich mitteilte, noch keinen Abnehmer für einen Text nennen zu können, schrieb „Zeit Online“: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir vorab gerne wüssten, wo unsere Antwort erscheint. Melden Sie sich also gerne wieder bei uns, wenn Sie dazu nähere Informationen haben.“

Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin, dass es für „Zeit Online“ einen Unterschied mache, in welchem Medium eine Antwort veröffentlicht werde, also „ob es sich dabei um einen Publikumstitel oder eine Fachzeitschrift handelt, welche Zielgruppe das entsprechende Medium hat, in welchem Umfeld es erscheint.“ Also gab ich schließlich zu Protokoll, dass ich darüber wohl in meinem Blog schreiben würde. Antworten kamen aber auch dann nicht.

Erst als ich schrieb, der Artikel zu meiner Recherche würde möglicherweise bei Übermedien erscheinen, reagierte der Verlag. Obwohl „Zeit Online“ selbst Blogs betreibt, scheint ein Blog, das eine Anfrage stellt, dort also doch nicht so wichtig zu sein. Ist das möglicherweise symptomatisch für den Umgang der „Zeit“ mit Blogs?

Als gescheitert sieht die Redaktion das Projekt „Glashaus“ jedenfalls nicht an. Angeblich gibt es Pläne: „Derzeit befinden sich zwei Dutzend weitere Themen auf unserer Glashaus-Liste für das Glashaus-Blog, zu Themen wie Bildauswahl, Redigatur, der Verwendung von Quellen oder konstruktivem Journalismus“, schreibt die Sprecherin.

Sehr allgemeine Themen also. Kaum vorstellbar, dass die vergangenen Monate nicht einen einzigen Anlass geboten hätten, diese mal anzugehen. An mangelndem Erfolg des Blogs hat es nach Angaben der Sprecherin jedenfalls nicht gelegen: „Das Interesse auf alle bisher erschienenen Beiträge ist sehr hoch, selbst ein Beitrag zur Gender-Schreibweise auf ‚Zeit Online‘ erhielt kürzlich mehr als 200 Kommentare und sechsstellige Abrufzahlen.“

Aha, „selbst“ ein Beitrag zur Gender-Schreibweise! Die Formulierung dürfte zumindest irritieren. Alles, was irgendwie mit Gender zu tun hat, polarisiert bekanntlich stark. Ein kurzer Blick in die Kommentarspalten eines großen digitalen Netzwerks zeigt, wie leicht es ist, mit Genderthemen Aufmerksamkeit zu generieren. Ein Erfolg mit so einem Beitrag ist deswegen nicht weniger respektabel, er ist aber auch nicht außergewöhnlich.

Spannend ist auch ein Blick auf den Umgang mit Fehlern, denn auch Korrekturen sollten ja Teil des Blogs sein. Zu finden sind sie allerdings fast gar nicht: ein einziger Beitrag befasst sich mit einer fälschlicherweise verschickten Eilmeldung zum NPD-Verbot. Das funktioniert sehr gut: „Zeit Online“ fasst sich kritisch an die eigene Nase und geht dabei nicht auf andere Medien ein, obwohl damals viele den Fehler gemacht hatten. Kein Abwiegeln und Abwälzen à la: Die anderen doch auch!, sondern einfach ein: Doof von uns, sorry! Ein guter Eintrag – aber eben nur einer.

Ein weiterer Beitrag erklärt, wie „Zeit Online“ generell mit Fehlern umgeht. Der Text schließt mit den Worten: „Hin und wieder kommt es auch vor, dass wir trotz einiger Sicherheitsvorkehrungen eine gravierende Falschinformation veröffentlichen. In solchen Fällen korrigieren wir diese Information auf allen Kanälen, über die wir sie verbreitet haben und dokumentieren den Fall im Glashaus-Blog.“ Seit Dezember 2016 ist bei „Zeit Online“ also nur ein einziger Fehler passiert. Diese Teufelsleute da!

„Über gravierende Fehler haben wir bisher tatsächlich seltener berichtet als gedacht“, schreibt die „Zeit Online“-Sprecherin. Das liege weniger daran, „dass wir nicht immer wieder Fehler machen, die uns schwerwiegend erscheinen“. In manchen Fällen sei es „aus juristischen Gründen aber nicht möglich, über den Einzelfall zu schreiben“. Man plane einen zusammenfassenden Beitrag über solche Fälle, ebenso ein Update zum „Recht auf Vergessenwerden“.

Das ist eine suspekte Erklärung. Als zögen redaktionelle Fehler stets juristische Auseinandersetzungen nach sich, die es unmöglich machen, diese transparent zu korrigieren. Auf die Nachfrage, um welche juristischen Hürden es da gehe, kam leider keine Antwort mehr. Kommunikation ist schwierig.


Mag sein, dass das „Glashaus“ ein Trial-and-Error-Projekt war, dessen Error schneller als erwartet eintrat. Aber mal ehrlich: Wenn man es nicht mal drei Monate schafft, intensiv zu bloggen, dann ist kaum zu glauben, dass wirklich so wahnsinnig viel Arbeitszeit in dieses Projekt investiert wurde. Zum Auftakt damals schrieb Chefredakteur Wegner auch, es habe „vor allem einen Grund“, dass es dieses „Glashaus“ nicht schon längst gebe: „Wir waren uns nicht sicher, ob Sie ein solches Redaktionsblog wirklich interessiert.“

Nun scheint es allerdings so, als würde sich vor allem die Redaktion nicht sonderlich dafür interessieren. Nur: Weshalb betreibt man dann das „Glashaus“?

Nachtrag, 16.2.2018. Jochen Wegner hat mit einem Eintrag im „Glashaus“ reagiert: „Wir geloben hiermit Besserung.“

Nachtrag, 16.5.2018. Wir haben mal nachgesehen, was so in den vergangenen Monaten im „Glashaus“ passiert ist. Gut drei Wochen nach unserem Text hier erschien ein neuer Blogpost zum Thema: „Wie wir Leser-Kommentare moderieren“.

Und seither: nichts.

8 Kommentare

  1. Den Umgang mit der Rechercheanfrage finde ich … erhellend – gut, daß auch das in den Artikel mit eingeflossen ist. Sehr lesenswert, vielleicht nimmt die Zeit das ja als Anlass, in einem eigenen Beitrag zu antworten.

    (Vielleicht waren Sie bei Ihrem Blog aber auch nur irritiert, daß es keine Kommentierfunktion zu geben scheint. Zumindest finde ich keine. Ich hätte ansonsten gerne angemerkt, daß der Lipton Eistee Sparkling in Deutschland schon vor 20 Jahren gang und gäbe war, dann eingestellt wurde, vor 10 Jahren wieder auftauchte und vor kurzem um die Sorten Pfirsich, Citrus und Zero ergänzt wurde. Der Classic-Geschmack hingegen ist unverwechselbar Schwarztee mit Zitrone. Und wenn die Dose auf dem Bild bewertet wurde, dann ist das eben nicht die Classic-Variante, sondern die mit Süßstoff und das schmeckt dann künstlich.)

  2. @1 Raoul
    Hey,
    doch doch, es gibt schon eine Kommentar-Funktion zu normalen Artikeln. Nur zum „Durchprobiert“-Bereich nicht. Der aber sollte sowieso bald wegfallen, dennoch Danke für die erhellenden Hinweise zum Eistee. :)

  3. Ah, jetzt hab ich’s. Ich landete auf der „Über mich“-Seite, habe vergessen auf das Logo zu klicken und mich schon gewundert, warum man so gar keine normalen Artikel findet und bin nur zwischen den Bonusrubriken umhergesprungen. :)
    Irgendwie schade, daß Durchprobiert wegfallen soll. Zwar themenfremd, gibt dem Ganzen aber eine sehr persönliche Note.

  4. „Nur: Weshalb betreibt man dann das „Glashaus“?“

    So rund ab 2010, verstärkter dann irgendwann ab 2013, kam es bei den Zugpferden der internationalen „seriösen“ Presse zu der Diskussion, wie man denn wohl mit den diversen „Alt-„Irgendwas-Leuten umgehen solle. Die meisten zogen dann ihre diversen Paywalls hoch, schmissen die vermüllten Kommentarbereiche weg oder machten sich sonstwie (noch) distanzierter vom ungeneigten „Leser“. Aber einige Flagschiffe wie die New York Times richteten als Reaktion auf die „Lügenpresse“-Schreier (die es ja eben nicht nur und auch nicht originär in Dtschl. gab/gibt) so eine „Eigenüberprüfungsstrecke“ im eigenen Bereich ein. Meist eben ein kleines Blog-Eckchen wie z.B. „The Public Editor“ 2015 bei der New York Times.

    Und weil die „Die Zeit“ ja bekanntlich meint, in derselben Liga zu spielen die die NYT u. vglb., erschien es eben dem großen Hamburger Medienhaus opportun, so etwas auch einzurichten.

    Und ziemlich genauso wie bei der NYT , die Mitte 2017 nach ein paar ordentlichen Beiträgen ihr Meckereckchen wieder einstellte, ist das eben auch bei der „Die Zeit“. An sich hat man für sowas keine Zeit.

  5. „Nachtrag, 16.2.2018. Jochen Wegner hat mit einem Eintrag im „Glashaus“ reagiert: „Wir geloben hiermit Besserung.““

    Ich finde es ja schon frech (bis ahnungslos) Übermedien als Blog zu bezeichnen.

  6. Zeit-Online hat sich da ja gestern ein ziemliches Ei gelegt. Idealtypisch um im eigenen Transparenz-Blog aufgearbeitet zu werden. Ich bin gespannt.

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