Feuerwehrleute, die auf Brandstifter warten
Diverse freiwillige Feuerwehren haben sich in den vergangenen Monaten gegründet, um gegen „Fake News“ zu kämpfen, aber die Zahl der Brandstiftungen ist noch überschaubar. Nun stehen die Löschtrupps bereit und warten auf einen Großbrand, der aber noch nicht ausgebrochen ist.
„Faktenfinder“, „Faktenfuchs“, „Echtjetzt“, „BR Verifikation“: Seit Anfang des Jahres sind sie plötzlich überall, die Faktenchecker. Sie wollten die Debatte um „Fake News“ ernstnehmen, heißt es, der Wahlsieg Trumps und die Brexit-Abstimmung hätten gezeigt, dass Falschinformationen einen großen Einfluss auf Wahlen haben können. Insbesondere angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl wollte man daher gewappnet sein.
Alexander Sängerlaub von der Stiftung Neue Verantwortung, der im August eine Untersuchung zur Rolle von „Fake News“ in Deutschland veröffentlicht hat, definiert „Fake News“ als gezielte Falschinformation. Die kann durch frei erfundene Inhalte und durch Manipulation oder bewusst falsche Interpretation von richtigen Informationen geschehen. Journalistische Fehler, reißerisches Clickbaiting oder Satire zählen nach seiner Definition nicht dazu.
Jetzt veröffentlichen die deutschen Faktenchecker also täglich Artikel, was aber auffällt: Die Aufklärung gezielter Desinformation nimmt dabei nur einen relativ kleinen Anteil ein. War die Angst also überzogen?
Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell und verantwortlich für den „Faktenfinder“ der „Tagesschau“, sagt: „Anlässlich des Wahljahrs 2017 gab es die Vermutung, dass die gezielte Streuung von Falschinformationen zunehmen könnte. Das hat sich bisher nicht wirklich bestätigt.“ Auch der Leiter von „BR Verifikation“, Stefan Primbs, sagt: „Bis jetzt ist die große Fälschungswelle ausgeblieben.“ Jutta Kramm, Faktencheckerin bei „Echtjetzt“ vom Recherchebüro Correctiv, hält die Debatte um „Fake News“ ebenfalls für überhitzt: „Das Problem ist nicht so groß, wie momentan darüber geschrieben wird.“
In einem Punkt sind sich die drei aber auch einig: Was nicht ist, kann noch werden. Die heißeste Phase des Wahlkampfs etwa stehe noch bevor, die große „Fake News“-Attacke könne noch kommen.
Sängerlaub sieht die polarisierte politische Landschaft und das Mediensystem in den USA als Gründe, warum „Fake News“ dort ein größeres Problem darstellen, als sie es bislang in Deutschland tun. Unter Amerikanern sei es auch wesentlich verbreiteter, soziale Medien als primäre Informationsquelle zu nutzen. „Vielleicht hat die Debatte, die in Deutschland über ‚Fake News‘ geführt wurde, auch zur Sensibilisierung der Nutzer beigetragen,“ sagt Sängerlaub.
Das bedeutet nicht, dass Falschinformationen hierzulande kein Problem sind. „Die großen ‚Fake News‘ haben wir in Deutschland noch nicht“, sagt Jutta Kramm, „sondern hauptsächlich Gerüchte aus der rechten Ecke.“ Dabei seien die Behauptungen oft nicht komplett erfunden, sondern nur stark überzeichnet dargestellt. „Echtjetzt“-Redakteurin Karolin Schwarz betreibt in ihrer Freizeit die Hoaxmap, wo genau solche rechten Gerüchte und Hetzereien aufgeklärt werden. Sie findet die aktuelle Debatte zwar leicht alarmistisch, sagt aber auch: „Das Problem mit ‚Fake News‘ über Geflüchtete wurde meiner Meinung nach lange Zeit unterschätzt.“
Wenn gezielte Falschinformationen in Deutschland bisher ein eher kleineres Problem darstellen, wofür brauchen wir dann so viele Faktenchecker? Jutta Kramm sieht in der genauen Überprüfung von Fakten auch eine „vertrauensbildende Maßnahme für den Journalismus an sich, die vielleicht auch in andere Redaktionen hineinwirken kann.“ Stefan Primbs hat das Gefühl, „dass auch viele Politiker in ihren Äußerungen etwas zurückhaltender und bewusster sind, seit so viel Factchecking betrieben wird.“ Zudem mag das Publikum das Format Faktencheck offenbar.
Wir haben uns einige der größeren Factchecking-Einheiten genauer angeschaut und mit den Verantwortlichen gesprochen.
„Echtjetzt“ von Correctiv
Seit Juni 2017 ist „Echtjetzt“ online, die Factchecking-Seite des Recherche-Büros Correctiv. „Uns ging es darum, unser Motto ‚Recherchen für die Gesellschaft‘ auch auf das große Thema ‚Fake News‘ auszuweiten,“ sagt Jutta Kramm, die ein vierköpfiges Team leitet. „Wird ein Beitrag vielfach in sozialen Medien geteilt, verfügt aber über fragwürdige Inhalte, beginnen wir mit unserer Prüfung.“ Ein Thema müsse schon auch eine politische Dimension haben, sagt Kramm: „Wir checken nicht, ob Justin Bieber wirklich eine neue Freundin hat.“
Gecheckt werden nicht nur zweifelhafte Artikel oder Falschnachrichten, sondern auch Aussagen von Politikern und etwa die Vorwürfe der italienischen Justiz an die Seenotretter von „Jugend rettet“. Die überprüften Aussagen werden anhand einer siebenteiligen Skala bewertet: Von „richtig“ über „derzeit nicht überprüfbar“ zu fünf verschiedenen Nasenlängen eines Pinocchios – je länger die Nase, desto mehr an der Geschichte ist falsch.
Besondere Aufmerksamkeit erregte Correctiv durch die Ankündigung, „Fake News“ im Auftrag von Facebook bekämpfen zu wollen. Manche Kritiker sahen die journalistische Unabhängigkeit der Plattform gefährdet. Das bestreitet Correctiv: „Wir erhalten kein Geld von Facebook. Unsere Faktenchecker werden von der Open Society Foundation finanziert.“ Die gehört zu den Stiftungen des amerikanischen Milliardärs George Soros, die sich weltweit für Pressefreiheit und Menschenrechte einsetzen. Laut Branchendienst „turi2“ hat Correctiv gut 100.000 Euro erhalten. Jutta Kramm findet die Zusammenarbeit mit Facebook wichtig: „Ich finde, man muss den Leuten dort begegnen, wo Falschinformationen verbreitet und diskutiert werden.
Die Faktenchecker von „Echtjetzt“ haben mit ihrem Facebook-Konto Zugriff auf eine Liste möglicherweise strittiger Artikel. Sie haben aber hat keinen genauen Einblick in die Vorauswahl – Facebook gibt keine Auskunft über seine Algorithmen. Zumindest ein Teil der Artikel ist offenbar von Nutzern gemeldet worden; jeder kann Links mit der Option „Es ist eine Falschmeldung“ beanstanden.
Correctiv entscheidet aber selbst, welche Artikel aus der Liste relevant genug für eine Überprüfung sind. Die abstrusesten Verschwörungstheorien oder den neuesten Klatsch überprüfe das „Echtjetzt“-Team nicht, sagt Kramm. „Oft sind auch Artikel von Quellen in der Liste, die wir eigentlich für glaubwürdig halten. Einmal war sogar einer unserer eigenen Texte darunter, den haben wir dann nicht nochmal gecheckt“, erzählt sie und lacht.
Ursprünglich wollte Facebook auch hierzulande als falsch entlarvte Artikellinks mit Warnhinweisen versehen, wie das in den USA, Frankreich und den Niederlanden geschieht. Voraussetzung für eine solche Einstufung ist aber Urteil von mindestens zwei Faktencheck-Partnern, und neben Correctiv hat sich in Deutschland bislang keiner gefunden. Deshalb werden unter einer mutmaßlichen Falschmeldung Recherche-Ergebnisse von Correctiv seit Anfang August stattdessen als „Mehr zum Thema“ auf Facebook angezeigt.
Auch wenn unklar ist, wie groß die aufklärerische Wirkung tatsächlich ist: Laut einer Studie in den USA war die positive Wirkung der Kennzeichnung zweifelhafter Meldungen auf Facebook sehr begrenzt.
Correctiv ist der einzige deutsche Unterzeichner des Code of Principles des International Fact-Checking Networks, der unter anderem Überparteilichkeit, einen transparenten Umgang mit Quellen, Finanzierung und Vorgehen sowie offene Korrekturpraktiken vorschreibt.
Seit gut einer Woche gibt Correctiv mit der gemeinnützigen Rechercheorganisation First Draft einen gemeinsamen Newsletter „#WahlCheck17“ heraus. Er erscheint bis zur Wahl täglich und will „erfundene und irreführende Meldungen im Netz aufspüren, überprüfen und aufarbeiten“. Seitdem hat sich die Zahl der auf „Echtjetzt“ veröffentlichten Artikel massiv erhöht, täglich erscheinen vier bis fünf Faktenchecks.
„Faktenfinder“ der „Tagesschau“
Die „Tagesschau“ hält sich bei der Suche nach Fakten für so erfolgreich, dass sie ihre Prüftruppe selbstbewusst „Faktenfinder“ nennt. Anlässlich des Wahljahres wurde sie eingerichtet und umfasst unter der Woche vier und am Wochenende zwei Journalisten, jeweils unterstützt von Grafikern der ARD-Anstalten. Bei der Themensetzung fällt auf: Auch wenn die „Fake News“-Debatte ein Anlass für das Projekt war, haben die „Faktenfinder“ auch Artikel wie „Die Risiken der Briefwahl“ oder „Was Google-Nutzer zur Wahl wissen wollen“ im Repertoire.
„Man könnte den Faktenfinder in bestimmter Hinsicht auch salopp als Recherche-Reservetank bezeichnen“, sagt ARD-aktuell-Chefredakteur Gniffke. Diese Reserve sei auch nötig: „Durch die rasante Vergrößerung der Anzahl an Informationsquellen ist auch der Rechercheaufwand enorm gestiegen. Früher hatte man hauptsächlich die verlässlichen Agenturquellen.“ An vielen Stellen sei die Arbeit der „Faktenfinder“ zwar klassische Recherche, ihnen komme aber eine Doppelrolle zu: „Der Unterschied ist, dass wir beim ‚Faktenfinder‘ gezielt danach suchen, wo falsche Informationen verbreitet werden könnten.“
Mit Facebook will der „Faktenfinder“ aber nicht kooperieren. „Wir sind keine Gegner von Facebook, sehen den Konzern aber selbst in der Pflicht, mehr gegen Falschinformationen zu tun. Da ist – vorsichtig gesagt – noch Luft nach oben,“ sagt Gniffke. Man verbreite die „Faktenfinder“-Artikel trotzdem auch über Facebook, aber eben eigenständig.
Die Zukunft des „Faktenfinders“ ist laut Gniffke noch unklar: „Unser Projekt ist zunächst klar auf die Zeit bis zur Bundestagswahl begrenzt. Danach wird es ausgewertet und entschieden, wie es weitergeht.“ Seine Zwischenbilanz fällt jedoch sehr positiv aus: „Die Nutzer schätzen den „Faktenfinder“, zwischen April und August hatten wir 15 Millionen Aufrufe.“
„BR Verifikation“
Der Bayerische Rundfunk hat ein Team aus zwei Redakteuren und einem Dokumentar zusammengestellt, das sich mit ganzem Namen „BR Social Listening und Verifikation“ nennt. Neben der „Fake News“-Debatte um Trump und Brexit waren auch die Erfahrungen rund um den Amoklauf in München im vergangenen Jahr mit ein Grund für die Einführung: „Das hat uns auch gezeigt, dass wir im Breaking-News-Fall besser gewappnet sein wollen, um Gerüchte und Augenzeugenmaterial aus dem Netz zu verifizieren“ sagt der Leiter Stefan Primbs.
Seit 15. Mai ist das Team im Einsatz. Zunächst betreibe das Team „Social Listening“, sagt Primbs: „Wir schauen also: Welche Themen werden gerade auf Facebook und Twitter besonders diskutiert? Was geht viral?“ Dafür nutzt das Team spezielle Redaktionsinstrumente, die soziale Netzwerke automatisiert durchforsten. „Wir suchen nach Stichworten, die auf Facebook gerade Top-Diskussionsthema sind, wie etwa ‚Flüchtlinge‘ oder ‚Diesel'“, erläutert Primbs. Mit diesem Wissen werde dann entschieden, welche Themen bearbeitet werden. Gleichzeitig macht das BR-Verifikation-Team auch in Themenkonferenzen mit den anderen BR-Redaktionen auf Themen aufmerksam, die dort relevant sein könnten.
Ähnlich wie Gniffke beschreibt Primbs den Unterschied zwischen Faktenchecker und klassischem Journalist: „Traditionellerweise läuft es ja so ab, dass ein Journalist ein Thema findet und dann eine Geschichte daraus macht. Bei uns ist der Fokus anders: Was behaupten andere – und stimmt das auch?“ Dieser Fokus verändert die Arbeit: „Unser Team hat Spezialwissen über das, was in sozialen Netzwerken passiert. Und ganz banal: Mehr Zeit dafür als Redakteure, die auch noch andere Aufgaben haben.“
Die Arbeiten werden im Gegensatz zu anderen Faktencheckern nicht auf einer zentralen Webpage gesammelt. „Unsere Inhalte können auf allen möglichen Kanälen des BR ausgespielt werden, da muss auch nicht immer ‚BR Verifikation‘ draufstehen,“ sagt Primbs. Er will Verbreitern von Falschinformationen möglichst selten eine Bühne bieten. „Wir versuchen nicht immer zu schreiben: Dort gibt es dieses Gerücht und hier widerlegen wir es. Sondern wir verpacken das oft eher in eine allgemeinere Geschichte zu dem Thema – ohne direkten Hinweis auf die entsprechende ‚Fake News‘.“
Mit dem „Faktenfinder“ der „Tagesschau“ arbeitet „BR Verifikation“ eng zusammen. Man tauscht sich über Themen aus, um Doppelungen zu vermeiden und veröffentlicht Recherchen teilweise gegenseitig.
Die Zukunft von „BR Verifikation“ ist laut Primbs noch nicht gesichert: „Wir werden nach dem Wahlkampf Bilanz ziehen und je nachdem entsprechend aufgestellt bleiben. Wir haben in Bayern ja nächstes Jahr auch Landtagswahlen.“
„BR-Faktenfuchs“
Mit dem „Faktenfuchs“ hat der BR noch eine zweite Waffe im Kampf gegen Falschinformationen. Das Tool soll Social-Media-Redakteuren des BR helfen, sich mit Gerüchten in Nutzerkommentaren auseinanderzusetzen. „Ich hatte die Idee, die Berichtigung ständig wiederkehrender Gerüchte einfacher zu machen“ sagt Gudrun Riedl, stellvertretende Redaktionsleiterin von BR24. Aus dieser Idee entstand beim Hackathon der deutschen Presseagentur im November 2016 der „Factfox“, gemeinsam entwickelt von Riedl, dem Softwareentwickler Sami Boussaid und den Journalisten Miriam Mogge, Lukas Will, Andre Nikolski und Dirk Hübner.
Der „Factfox“ ist eine Erweiterung im Browser. Über sie haben Social-Media-Redakteure direkten Zugriff auf eine ständig wachsende Datenbank an Antworten, mit der häufig vorkommende Gerüchte in den Kommentaren berichtigt werden können. Dazu wird der Kommentar auf Facebook oder Twitter einfach mit der Maus markiert und per Rechtsklick die „Factfox“-Datenbank durchsucht. Wenn noch kein Eintrag zu einem Gerücht oder einer kontroversen Aussage angelegt ist, können die Social-Media-Redakteure eine Anfrage an die BR24-Redaktion schicken, die sich entweder selbst um die Recherche kümmert oder die Anfrage an Fachleute im Haus weiterleitet. „Erst war der Factfox nur als interne Datenbank gedacht. Viele der Geschichten sind aber so spannend, dass wir sie auch veröffentlichen“, sagt Riedl. Anfangs wurden diese Geschichten noch mit dem Schlagwort #factfox versehen, seit kurzem heißt es eingedeutscht #Faktenfuchs.
Dabei geht es nicht nur politisch zu, der Faktenfuchs kümmert sich auch um Fragen wie „Werden Küken wirklich geschreddert?“ oder „Warum kleben keine Insekten mehr auf der Windschutzscheibe?“. „Wir arbeiten nicht nur die aktuelle Nachrichtenlage ab, sondern sind nah an allen Themen, die die Nutzer in den Sozialen Medien umtreiben,“ erklärt Riedl. Nach ihrer Einschätzung funktioniert das: „Das Projekt kommt gut beim Publikum an, wir haben tolle Klickzahlen auf die Texte.“
Der Ansatz, mit Recherchen auf Fragen und Gerüchte in den Kommentaren der Nutzer zu reagieren, ist spannend, führt aber auch zu stark regionalisierten Themen wie die schwärzliche Verfärbung von Äpfeln rund um den Münchener Flughafen, was außerhalb der Region wohl eher Wenige interessieren dürfte.
„Hoaxmap“
Die „Hoaxmap“ sammelt seit Februar 2016 falsche Gerüchte über Geflüchtete und verlinkt auf Quellen, die diese richtigstellen, vor allem Berichte von Lokalzeitungen. Die Einträge sind regional auf einer Karte dargestellt und zusätzlich nach Schlagworten wie „Körperverletzung“, „Raub/Diebstahl“ oder „Vergewaltigung“ kategorisiert, neben Deutschland sind auch Gerüchte aus Österreich und vereinzelt aus der Schweiz dokumentiert.
Hinter dem Freizeitprojekt stecken der Programmierer Lutz Helm und die Journalistin Karolin Schwarz, die auch bei „Echtjetzt“ für Correctiv Fakten checkt. Die Idee kam Schwarz, als sie selbst ehrenamtlich in einer Erstunterkunft arbeitete und mitbekam, wie viele falsche Gerüchte um die Unterkunft und die untergebrachten Menschen kursierten.
„Bus mit Sexarbeiterinnen fährt auf Staatskosten regelmäßig Asylunterkunft Kadeltshofen an“, „Discounter in Trier-Nord muss wegen Diebstählen Geflüchteter schließen“ oder „Geflüchtete schlachten und essen Streichelzootiere“, so oder so ähnlich klingen die auf der „Hoaxmap“ aufgeführten Lügengeschichten. Aber nicht nur rechte Hetzer verbreiten Fakes, auch Innenminister Thomas de Maizière hat es schon auf die „Hoaxmap“ geschafft. Er hatte behauptet, dass 30 Prozent der als Syrer eingereisten Menschen gefälschte Pässe hätten und nicht aus Syrien stammen würden.
Auf die Fakes werden Schwarz und Helm entweder durch Hinweise aus der Community aufmerksam, oder sie entdecken sie selbst. Die meisten verbreiten sich über angebliche Erfahrungsberichte von Nutzern auf Facebook. Laut Schwarz spielen aber auch Falschanzeigen bei der Polizei gegen Geflüchtete eine Rolle: „Die Polizei gibt dann eine Pressemitteilung raus, die von Rechten instrumentalisiert wird und ihre Gerüchte legitimiert. Aber auch die Medien berichtigen ihre ursprünglichen Meldungen eher selten, deshalb können diese dann weiter geteilt werden.“
Der Höhepunkt der Falschmeldungen war Anfang 2016 im Zuge der Diskussionen um die Kölner Silvesternacht. „Seit der Schließung der Balkanroute hat das etwas abgenommen. Ich finde es aber skurril, dass alte Geschichten immer und immer wieder aufgegriffen werden, wie zum Beispiel die, dass es in Hamburg Enteignungen gibt, um Geflüchtete unterbringen zu können,“ berichtet Schwarz. Das Projekt wollen die beiden weiterführen, soweit es die Zeit zulässt, einige gewünschte Erweiterungen sind noch nicht umgesetzt. Schwarz: „Eine englischsprachige Version der ‚Hoaxmap‘ wäre super. Dann könnten wir auch die Betroffenen erreichen, die noch kein deutsch sprechen.“
Die Hoaxmap wird vermutlich keine rechten Hetzer daran hindern, böswillige Gerüchte über Geflüchtete zu verbreiten. Aber sie ist schon deshalb hilfreich, weil sie verbildlicht, wie weit verbreitet Fremdenhass in Deutschland und Österreich ist.
„Grüne Netzfeuerwehr“
Die Grünen haben sich eine etwas andere Methode überlegt: Nicht mit dem Zusammentragen von Fakten, sondern mit massenhafter Gegenrede soll die Verbreitung von Falschinformationen eingedämmt werden.
Seit Februar ist die „Grüne Netzfeuerwehr“ im Einsatz. „Anfang des Jahres hatten wir das Gefühl, schlecht gewappnet gegen eventuell auftretende Fake News zu sein“, so die Pressestelle der Grünen. Deshalb hat die Partei eine geschlossene Facebook-Gruppe gegründet, in der mittlerweile 2600 grüne Parteimitglieder und Sympathisanten organisiert sind. Wenn ein gefälschtes Zitat oder ein falsches Gerücht über die Grünen auftaucht, rufen die Administratoren der Gruppe ihre grünen Feuerwehrleute in einem „Call to Action“ dazu auf, Richtigstellungen zu kommentieren und zu liken und das „Fake“ bei Facebook zu melden.
Die Feuerwehrleute sollen aber nicht außer Kontrolle geraten, die Pressestelle stellt klar: „Der Aufruf dazu kommt von den Administratoren und unsere Nutzer sind aufgefordert, sich an die Netiquette zu halten.“ Nach ihrer Einschätzung ist dieses Vorgehen effektiv: „Wir haben das Gefühl, das Rechte und Trolle sich besonders dann austoben, wenn sie keine Gegenwehr bekommen. Dem begegnen wir mit der Netzfeuerwehr.“ Die Zahl der kursierenden Fakes sei nicht konstant: „Vor unseren Parteitagen war mehr los, in den letzten Wochen eher weniger. Ein Dauerfeuer gibt es nicht.“ Insgesamt sind die Grünen zufrieden mit ihren Löscheinsätzen, die „Feuerwehr“ soll wahrscheinlich auch nach der Bundestagswahl weitergeführt werden.
Und sonst?
Zum Endspurt des Bundestagswahlkampfs haben ZDF und WDR ähnliche Projekte gestartet: Bei #ZDFcheck17 und #Wahlwatch werden jeweils Aussagen von Politikern und Parteien gecheckt. Der WDR macht das in kurzen Videos, beim ZDF gibt es neben Videos auch ausführlichere Recherchetexte.
Auch die nach eigenen Angaben unabhängige und nicht-kommerzielle Faktencheck-Plattform stimmtdas.org führt solche Politikerchecks durch. Sie ist im Juli an den Start gegangen. Im Gegensatz zu #ZDFcheck17 und #Wahlwatch ist stimmtdas.org aber ein über den Wahlkampf hinaus angelegtes Projekt, wie Mitgründer Hauke Pfau bei detektor.fm betont.
Fazit
Wie lange hält der Hype um die Retter der Fakten noch an? Wie viele der Fake-News-Bekämpfer werden den Wahlkampf überdauern? Ist das nur eine Modewelle? Trotz der momentan doch eher geringen Anzahl an Fakes gibt es an der Berechtigung der Faktenchecker keinen Zweifel. Die veränderte Perspektive bei der Recherche ist eine Konsequenz daraus, dass Informationen sich heute anders verbreiten. Menschen informieren sich aus vielen verschiedenen Quellen; Journalisten haben ihr Monopol als Nachrichtenübermittler und -filterer verloren. Wenn jeder Informationen in Umlauf bringen kann und sich Politiker direkt an ihr Publikum wenden können, braucht es mehr Profis, die Behauptungen und Aussagen im Nachhinein prüfen, sie beobachten, einordnen und wenn nötig korrigieren.
Und wenn das nicht fruchtet, wird Stufe zwei gezündet: Großbuchstaben und Ausrufezeichen.
Diesen Artikel finde ich extrem enttäuschend. Er rangiert m.E. deutlich unter dem üblichen Niveau von „Übermedien“.
Die jeweiligen selbsternannten Kämpfer gegen die „Fake News“ werden offenbar ohne deutliche Ironie als „Feuerwehrleute“ bezeichnet, die uns verdienstvollerweise vor den (drohenden) Gefahren der „Fake News“ schützen. Die Sicht dieser Institutionen auf die Welt wird dargestellt, die entsprechenden Arbeitsweisen werden beschrieben – und zwar ohne erkennbare Distanz oder das Einbringen anderer Perspektiven. Ich möchte hier – rein beispielhaft – einige kritische Fragen stellen, von denen der Autor zumindest einige im Artikel hätte thematisieren können:
– Kann es sein, dass viele der selbsternannten Faktenfinder mit zweierlei Maß messen? Dass sie „klassische“ Medien und den Mainstream – wenn die denn überhaupt Thema sind – milder behandeln als alternative und heterodoxe Quellen, die gegen den Strom schwimmen? (Man beachte auch Herrn Niggemeiers Artikel „‚Fake News‘ und der blinde Fleck der Medien“, auch wenn es dort mehr um das Verhalten der Medien als um das der selbsternannten Hüter der Wahrheit geht.)
– Gibt es womöglich sogar Grund zur Annahme, dass es eben nicht allein um „die reine Wahrheit“, sondern eben auch um Deutungshoheit und Narrative geht?
– Und wäre es möglich, dass entsprechende Wahrheits-Institute dabei immer wieder bestimmte Wertungen und Sichtweisen mit einbringen, die eben über die Ebene der „reinen Fakten“ hinausgehen, ihren eigenen Interpretationen von Fakten aber mit Fakten verwechseln? Und zwar eben im Sinne bestimmter politischer Leitlinien?
– Und warum halten es etwa die Faktenfinder der Tagesschau offenbar für notwendig, ihrerseits „Fake News“ gegen kritische Stimmen zu produzieren?
Um all die in diesen Fragen mitschwingende Kritik zu belegen, ist hier nicht der Platz (siehe jedoch unten), zumal Kommentare mit mehr als zwei Links offenbar in der Warteschleife landen. Daher möge ein Hinweis zum letzten Kritikpunkt genügen:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=38121
Und da ich die Kritik an den Nachdenkseiten schon antizipiere: Es geht hier überhaupt nicht darum, was man von den Nachdenkseiten und ihren jeweiligen Artikeln hält. Es geht aber darum, dass die Faktenfinder die Nachdenkseiten gezielt verleumdet haben – und dies offenbar böswillig. Wer das bezweifelt, der möge sich im Nachdenkseiten-Artikel verlinkten Original-Texte bitte selbst ansehen. Und eine böswillige Irreführung kann wohl als „Fake News“ gelten – egal, was man nun vom Opfer der Verleumdung halten mag.
Angesichts der eigentlich völlig fehlenden kritischen Perspektive des Autors wundert man sich dann auch nicht, dass die „Open Society Foundation“ von George Soros allein so beschrieben wird:
„Die gehört zu den Stiftungen des amerikanischen Milliardärs George Soros, die sich weltweit für Pressefreiheit und Menschenrechte einsetzen.“
Dass und wieso es auch Kritik an Soros und seinen Stiftungen gibt – und zwar keines nur von extremen Linken oder Rechten – erfahren wir nicht (Stichwort: „Soros-Leaks“). Wir erfahren auch nicht, dass Soros keineswegs nur für Menschenrechte und Pressefreiheit steht, sondern auch für eine ganz bestimmte politische Linie (u.a. politischen Einfluss der USA ausbauen und Wirtschaftsliberalismus). Diese Ziele kann man gut finden, muss es aber nicht.
Doch die Frage, ob die Finanzierung durch Soros den Wahrheitsverteidiger „Correctiv“ inhaltlich womöglich beeinflussen könnte (wer wird kritisiert und wie?), wird vom Autor nicht thematisiert. Klar, wenn Soros sich einfach nur für Menschenrechte und Pressefreiheit einsetzt (wie der Autor es suggeriert): Wo sollte es da schon potentielle Interessen-Konflikte bei denen geben, die von ihm ihr Geld bekommen?
Ich habe offen gesagt schon lange nicht mehr (wenn überhaupt je) einen solch enttäuschenden Artikel auf Übermedien gelesen. Ist diese Kritik zu hart?
Dann möge man mir bitte wenigstens eine Stelle in diesem Artikel zeigen, in der die selbsternannten Wächter der Wahrheit substantiell kritisiert oder wenigstens kritisch hinterfragt würden. Oder will man behaupten, dass kritische Fragen in diesem Fall gar nicht angebracht seien, weil dort alles zum Besten stehe und eine kritische Perspektive daher unnötig sei? Dann google man etwa nach Norbert Härings Artikel „Die Faktenfinder der Tagesschau und die Russen: Fake News im Kreis“, den ich nicht verlinken möchte, damit mein Kommentar nicht in die Warteschleife kommt.
Ich kann LLL im 2. Kommentar nur zum großen Teil zustimmen. Ich finde es auch schade, dass die Faktenchecker nicht kritisch hinterfragt worden.
Ich kann Kommentar 2 auch grundsätzlich zustimmen. Ich würde mich ebenfalls mal dafür interessieren, nach welchen Kriterien z. B. beim faktenfinder die Themen gewichtet werden.
Einen Artikel wie auf übermedien, wenn die Aussagen der afd verdreht werden, habe ich dort z. B. noch nicht gesehen. Das mag Zufall sein, aber eine gewisse Tendenz, dort eher kontra afd zu schreiben scheint mir vorhanden zu sein.
Ich verstehe die Bedenken, dass ein Faktenchecker selbst genauso voreingenommen oder einseitig sein kann wie die Fakenewsverbreiter. Aber da es offenbar eine ganze Anzahl von Faktencheckern gibt, gibt es kein Faktencheckmonopol, und das gleicht sich insgesamt aus.
@ 5, Mycroft:
„…gibt es kein Faktencheckmonopol, und das gleicht sich insgesamt aus.“
Das würde ich sehr bezweifeln. Ein wirklicher Wettbewerb wäre nur gegeben, wenn die unterschiedlichen Facktenchecker auch mit unterschiedlichen Perspektiven und Prioritäten an die Sache herangingen und die jeweils blinden Flecken der anderen ausleuchten würden. Wenn es also – in der jeweiligen Ausrichtung – eine echte Konkurrenz gäbe.
Dass das so ist, scheint mir jedoch sehr fraglich zu sein. Wir müssen ja eines bedenken: Es gibt weit mehr klassische Medien als die im Artikel erwähnten vier Wahrheitsfinder – und dennoch gleicht sich selbst bei den Medien sehr wenig aus. Vielmehr gehen die diese bei wichtigen Themen oft in beunruhigender Weise konform. Relevante Fragen, Argumente und Perspektiven, die nicht in einen recht schmalen Korridor passen, bleiben weitgehend außen vor (siehe etwa Uwe Krüger: „Mainstream“).
Ein einziges Beispiel (zu den Wahrheitsfindern): Der Journalist Michael Lüders hatte bei seinen Äußerungen zu Syrien relativ kleine Fehler gemacht. Ministerin Ursula von der Leyen und der Journalist Elmar Theveßen leisteten sich zur selben Zeit und zum selben Thema hingegen weit gravierendere Fehler. Dass das tatsächlich so ist, lässt sich m.E. ziemlich eindeutig zeigen – siehe etwa den Kommentar 105 und den entsprechenden Artikel hier:
https://uebermedien.de/14739/ist-michael-lueders-als-fake-news-verbreiter-ueberfuehrt/
(Von der Leyen hat auch noch das Völkerrecht falsch dargestellt, was dort nicht erwähnt wird.)
Rein sachlich betrachtet hätte es also von Seiten der Wahrheitshüter eine große Kritik an von der Leyen und an Theveßen geben müssen; und höchstens eine vergleichsweise kleine Kritik an Lüders. (Genauer gesagt: Da bestimmte „entlastende“ Fakten zu Lüders offenbar erst im Nachhinein recherchiert wurden, und zwar von Übermedien, hätten die Verteidiger der Wahrheit ihre Kritik an Lüders im Nachhinein stark relativieren müssen.)
Sowohl der „Faktenfinder“ der Tagesschau wie auch „Correctiv“ haben Michael Lüders jedoch ziemlich hart kritisiert. Die von Übermedien recherchierten Fakten, die Lüders Verhalten in wesentlichen Aspekten in ein besseres Licht rücken, wurden offenbar weder vom „Faktenfinder“ noch von „Correctiv“ im Nachhinein berücksichtigt; jedenfalls finde ich in den jeweiligen Artikeln keine entsprechende Ergänzung (keinen entsprechenden Hinweis oder Nachtrag). Und dies, obwohl man wohl ziemlich sicher annehmen darf, dass der Übermedien-Artikel den Leuten dort bekannt ist.
Von der Leyen hingegen wurde vom Faktenfinder in dem Artikel nur ganz kurz kritisiert, und bei Correctiv gar nicht. Und die Falschaussage von Theveßen wurde (zumindest in den entsprechenden Artikeln) noch nicht thematisiert. Die weit gravierenderen Fehler von v.d. Leyen und von Theveßen wurden also sehr viel weniger kritisiert als die vergleichsweise geringfügigen Fehler von Lüders (und das wurde auch nach Erscheinen des entsprechenden Übermedien-Artikel nicht korrigiert).
Ist dies ein seltsamer Zufall? Oder hat es etwas damit zu tun, dass Lüders gegen den Strom schwimmt, während v.d. Leyen und Theveßen hingegen mit dem Strom schwimmen (die Perspektives des Westens und der NATO vertreten)? Und ist es vielleicht von Belang, dass die Fehler von Lyders dem Mainstream-Narrativ entgegenstehen, die von v.d. Leyen und Theveßen dieses Narrativ hingegen stützen? Wird hier mit zweierlei Maß gemessen, und zwar in recht exzessiver Weise?
Und hat unter den selbsternannten Hütern der Wahrheit, die im gegenwärtigen Artikel aufgezählt werden, die doch sehr merkwürdige Einseitigkeit von „Faktenfinder“ und „Crrectiv“ irgendwie „ausgeglichen“? Ich kann es nicht ausschließen, würde aber ohne Weiteres eine stattliche Summe dagegen wetten.
Als ich die Überschrift dieses Artikels hier mit den „Feuerwehrleuten“ und den „Brandstiftern“ gelesen habe, dachte ich erst, dass das ironisch gemeint sein müsste – bis ich zu meinem Erschrecken feststellen durfte, dass das wohl tatsächlich recht ernst gemeint ist.
Einen kritischen (und polemischen) Artikel speziell über den „Faktenfinder“ findet man dafür, wenn man nach „Ulrich Teusch“ und „Keine Argumente – nur miese Tricks“ sucht. (Zwei Links pro Kommentar gehen ja leider nicht.)
@5
Wie siehst die unterschiedliche Ausrichtung bei den Faktcheckern? Mir kommen die alle recht aehnlich vor, in der Ausrichtung und in der Themenwahl, und kann da leider wenig ausgleich oder gegenseitige Kontrolle sehen.
Wie in der Einleitung geschrieben, mein Eindruck ist auch, dass dieses Thema in erster Linie von den Medien aufgebauscht wurde.
Zum einen um die unerwarteten Wahlergebnisse zu erklären. Aber auch um sich im Internet als die grosse „Macht“ darzustellen. Es geht um die Deutungshoheit im Internet und da fahren die ÖR, aber auch die grossen Verlage, alles auf was sie haben, um zu zeigen, dass nur sie die Glaubwürdigen sind. Und letztlich mit Erfolg, zum einen in der Urheberdebatte, aber auch bei Grundsätzlichen Gesetzgebung.
Wer wäre denn vor 10 Jahren auf die Idee gekommen, dass wir ein Gesetz gegen „Hass“ brauchen und bekommen. Damals wäre man als Überwachungsfanatiker und Unterdrücker dargestellt worden, heute diskutiert der Justizminister darüber in jeder Diskussionsendung.
Ein Schlimme Entwicklung, die aber auch zum grossen Teil nichts mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen zu tun hat, sondern vor allem die tangiert, die sich täglich im Internet aufhalten (können). Ein normal arbeitender Mensch hat gar keine Zeit, sich mit Hass oder Fakenews zu beschätigen und die, die ich kenne tun das auch nicht.