Journalisten des Jahres

Haltungsfragen

Die NDR-Journalistin Anja Reschke, deren „Tagesthemen“-Kommentar im vergangenen Sommer Furore machte, ist als „Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet worden – unter anderem, weil sie mit ihrem vieldiskutierten „Tagesthemen“-Kommentar im vergangenen Sommer Haltung bewiesen habe. „Haltung“, schrieb die Jury, sei das, was der Journalismus in Zeiten der „Lügenpresse“-Vorwürfe brauche. Aber stimmt das? Und was soll das überhaupt sein? Eine Umfrage am Rande der Preisverleihung.

15 Kommentare

  1. Haltung in Bezug worauf? Ich würde meinen, journalistische Haltung ist etwas gänzlich anderes als politische Haltung. Ob der Satz so gesagt wurde oder nicht, er scheint mir das Konzept journalistischer Haltung gut zu beschreiben: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“
    Mir scheint, dass die Unterscheidung von journalistischer und politischer Haltung oftmals nicht in der gebotenen Klarheit durchgehalten wird; dass die politische Haltung der eigentliche Ankerpunkt ist, um sich in der komplexen Welt zu orientieren und davon ausgehend berichtet wird. Ich halte das für einen enormen Fehler, weil auf diese Weise schon vieles vorgeprägt ist und der vielfach überzeichnet mit zum Vorwurf der Lügenpresse führt.

  2. Ich weiß es ja als Laie erst recht nicht, aber mein Eindruck ist, dass es bei gutem Journalismus auch maßgeblich darauf ankommt, den Unterschied zu erkennen und zu vermitteln zwischen offenen und (für praktische Zwecke) geklärten Fragen, ohne dabei im eigentlichen Sinne parteiisch zu werden, und dass diese Kombination aus Sachkunde, Geschick und Rückgrat dann oft als „Haltung“ bezeichnet wird.
    Wenn ich über einen Bundestagswahlkampf berichte, steht es mir nicht gut an, permanent durch tendenziöses Verhalten deutlich zu machen, welche der Parteien ich bevorzuge, aber wenn ich über eine brennende Flüchtlingsunterkunft berichte, muss ich nicht so tun, als wäre es eine offene Frage, ob es angemessen ist, Flüchtlingsunterkünfte anzuzünden, darf mich aber deshalb andererseits auch nicht dazu verleiten lassen, meinen Bericht zu einem reinen Rant gegen das Nazipack zu machen, weil das auch wieder zu billig wäre.
    Oder so.

  3. Wie peinlich, daß niemand so recht eine Ahnung hat, was „Haltung“ konsistent und sinnvoll bedeuten kann. Jeder hat irgendwie so ein Bauchgefühl davon, aber der springende Punkt ist: Keiner der Befragten hat offenbar länger als zwei Minuten jemals drüber nachgedacht. Nicht in der Ausbildung, nicht in der täglichen Arbeit, nicht im Austausch mit Kollegen auf Konferenzen etc.

    Mal ist Haltung nichts anderes als eine Meinung, mal wird darüber rumgeschwurbelt, daß Haltung einem „Halt gibt“ – was auch immer das bedeuten soll –, mal ist Haltung das Festhalten an einmal geäußerten Positionen. Das Spektrum scheint beinahe beliebig erweiterbar zu sein.

    Das ist umso bedauerlicher, als es durchaus Konzeptionen der Begriffe „Haltung“, „Meinung“ usw. gibt, die konsistent sind und die tatsächlich einen hilfreichen Beitrag zur Ordnung des Denkens über einschlägige Probleme im Journalismus leisten können. In einem kurzen Blogpost habe ich das mal skizziert.

    Die Kurzfassung: „Haltung“ ist die Antwort auf die Frage „Was ist die Aufgabe von Journalismus?“. Und damit wäre „Haltung“ tatsächlich etwas, über das Journalisten in Zeiten von „Lügenpresse“-Anwürfen und einer Krise der angeblichen „Objektivität“ (ebenfalls im verlinkten Post entsprechend konzipiert) des Journalismus sehr dringend einmal nachdenken sollten.

  4. Haltung hat doch immer mit der Frage zu tun, ob man sich was traut und vielleicht sogar die eigene Existenz aufs Spiel setzt – das kann ich nun bei Frau Reschke beim besten Willen nicht erkennen. Im Grunde hat sie ja nichts gesagt, was im allgemeinen Meinungs-Mainstream nicht ohnehin eine Mehrheit findet.
    Wenn Frau Reschke mal Stellung bezieht gegen das verkrustete öffentlich-rechtliche System – dann ziehe ich den Hut vor ihr!

  5. Sehr interessanter Beitrag, danke dafür! Ich bin aber ehrlich gesagt wie Peter Monnerjahn nicht ganz sicher, was ich von den Antworten halten soll. Ich glaube zwar nicht, dass die Journalisten da noch nie drüber nachgedacht haben, die Antworten sind aber alle tatsächlich etwas verschwurbelt. Vielleicht ist das aber auch normal, wenn man plötzlich auf einer Veranstaltung mit solchen wesentlichen und schwierigen Fragen konfrontiert wird.
    Auf jeden Fall gerne mehr davon (und gerne auch tiefgehender).

    @Holger Kreymeyer: Ich glaube, Sie verkennen die Realitäten. Erstens gibt es in dem von ihr moderierten „Panorama“ durchaus Kritik an Teilen der öffentlich-rechtlichen Struktur. Zweitens — was viel wichtiger ist — haben Sie wohl verpasst, was derzeit für Hass und Drohungen z.B. Anja Reschke entgegen schlägt. Nicht nur im Internet, sondern auch auf offener Straße werden Journalisten (natürlich auch Politiker und andere) angeschrien und teilweise tätlich attackiert. Es ist beschämend, was teilweise in unserem Land passiert. Unter solchen Umständen weiter zu berichten und nicht zurückzustecken, erfordert mMn tatsächlich Haltung.

  6. @ Peter Monnerjahn, #3

    Sie finden es peinlich, dass die bei einer After-Show-Party befragten Journalisten spontan keine perfekt ausformulierte, allgemeingültige Definition für die Redewendung „Haltung zeigen“ parat haben und verweisen auf einen Blogbeitrag von geschätzt 10.000 Zeichen, in dem sie die richtige Antwort mal kurz skizziert hätten?

    Sorry, aber das finde ich nun wieder peinlich.

    Ich verstehe die Statements in dem Video nicht als Wettbewerbsbeiträge zu „Deutschland sucht den Superjournalisten“, sondern als spontanen Versuch, die vermutlich bewusst offen formulierte Frage zu einem sehr komplexen Thema mit einem Glas Sekt in der Hand ernsthaft und halbwegs sinnvoll zu beantworten, ohne sich in Allgemeinplätzen zu verlieren. Dass in den ungeschliffenen Antworten verschiedene Interpretationen, Perspektiven und Aspekte zum Ausdruck kommen, halte ich für ganz normal, und es macht für mich gerade den Reiz solcher Spontanbefragungen aus.

    Den Befragten zu unterstellen, sie hätten nie länger als zwei Minuten über solche Fragestellungen nachgedacht, finde ich absurd und ausgesprochen anmaßend.

    Ganz ehrlich: Ich möchte kein Journalist sein in diesen Zeiten.

  7. @ Stefan Niggemeier:
    Ach so. Mist. Hätte ich doch wenigstens mal zwei Minuten über diese Frage nachgedacht. ;)

  8. Haltung zeigen – und jeder rutscht auf der Glatteis-Frage aus. Jede auch.

    Man hat immer eine Haltung. Das ist die evolutionör -biologische Hardware des Menschen, worin er sich vom Bandwurm unterscheidet.

    Hitler hatte eine, Frau Müller hat eine, die kleine Esther hat eine und auch … nicht jeder kann sie formulieren, aber haben tut er sie und handeln nach ihr tut er auch.

  9. Den Befehl „Haltung annehmen!“ habe ich jetzt nicht mit positiven Gefühlen im Hinterkopf.

    Für mich ist „Haltung“ ein genau so leeres Wort wie „Nachhaltigkeit“ oder „ganzheitlich“. Klingt irgendwie total wichtig und jeder sollte es haben, aber was man genau meint, das kann man gar nicht ausdrücken.

  10. Furchtbar. Furchtbar einfallslos auch. Ein Rudern im Nebel. Ein Krampf. Dieses Gestammel ist ein Dokument. Für gelebte Konfusion. Das Wort „Wahrheit“ kommt gar nicht vor. Und niemand hat die Idee, daß verschiedene Haltungen denkbar sind. Und vielleicht Gründe haben könnten.

  11. Interessant fand ich die Definition von Christoph Reuter, Spiegel … Woher weiß man denn wer einen Krieg für die richtige Sache führt? – Ist das nicht eigentlich die Falle in die Journalisten nicht tappen sollten (siehe „…dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache…“) – Ich fände es fahrlässig wenn mir Journalisten aus ihrem Verständnis von Haltung heraus eine Nachricht/Information präsentieren mit genau der Haltungsspezifischen Einfärbung (Gut/Böse; richtig/falsch o.ä.) – Die Rolle von guten Journalisten ist m.E. nicht mir als Leser/Kunde zu erklären wie eine Tatsache auf den Journalisten mit einer Haltung wirkt sondern mir zu erzählen was passiert ist, gern auch mit entsprechenden Hintergrundinfos und dann auch gern (aber gekennzeichnet) die Meinung, die Interpretation des Journalisten/Mediums usw. … aber vielleicht nehme ich die Presse einfach noch zu ernst …

  12. Erschreckend, was diese „Elitejournalisten“ da so von sich geben.
    Hat da auch nur einer erwähnt, dass Haltung in diesem Zusammenhang nur bedeuten kann: der Wahrheit und der objetiven Information der Rezipienten verpflichtet zu sein? Das erfordert heute Mut – den heute nur wenige noch aufbringen – weil es die Existenz kosten kann.

    Ich habe aber dort nur eitle Selbstdarsteller gesehen, die den Beruf wohl vor allem wegen der Privilegien und der Reputation ausüben und die glauben, ihre Aufgabe bestehe in der Erziehung der Nutzer.

  13. Der Blogpost von G. Monnerjahn ist wirklich erhellend, danke dafür und Leseempfehlung an alle Irritierten ind Intetessierten!

  14. Pingback: VDVC

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