„Welt am Sonntag“-Interview

Nichts Neues über Heimaturlaube von Flüchtlingen

Mit der Schlagzeile „Asylpolitik wird Wahlkampfthema“ macht die „Süddeutsche Zeitung“ heute auf, und das klingt fast ein bisschen erleichtert, weil dem sogenannten Wahlkampf ja sonst fast alle Themen abzugehen scheinen. Bundeskanzlerin Angela Merkel „verschärfte in einigen Bereichen ihren Ton“, meldet die SZ. „So warnte sie anerkannte Asylbewerber davor, im einstigen Herkunftsland Urlaub zu machen.“

Das bezieht sich auf ein Interview, das Merkel drei Männern von der „Welt am Sonntag“ gegeben hat, und in dem es heißt:

Welt am Sonntag: Einige in Deutschland als Flüchtlinge Anerkannte machen Urlaub in ihren Herkunftsländern. Ihre für Integration zuständige Staatsministerin hat das verteidigt. Sie auch?

Merkel: Ich kann mir schwierige familiäre Situationen vorstellen, in denen eine Rückkehr für einige Tage verständlich ist. Tatsächlich Urlaub in dem Land zu machen, in dem man verfolgt wird, geht nicht. Geschieht dies dennoch, kann es Anlass sein, die Asylentscheidung noch einmal zu überprüfen.

Das klingt jetzt nicht unmittelbar nach einem verschärften Ton, sondern nach größerer Gelassenheit. Merkel referiert damit eigentlich nicht mehr als die Rechtslage.

Bemerkenswerter als Merkels Antwort ist die Frage von Robin Alexander, Peter Huth und Ulf Poschardt. Aydan Özoguz (SPD), die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, hatte nämlich, anders als sie behaupten, keineswegs „Urlaube“ von Flüchtlingen in ihren Herkunftsländern gerechtfertigt. Sie hatte sich vor knapp zwei Wochen gegenüber der Funke-Mediengruppe so geäußert:

„Es kann gewichtige Gründe geben, warum ein anerkannter Flüchtling für kurze Zeit in seine Heimat reisen will“, sagte Özoguz unserer Redaktion. „Wenn die Mutter im Sterben liegt und man sie noch ein letztes Mal sehen möchte, muss das sicher anders bewertet werden als eine Art Heimaturlaub.“

Allerdings könnten dies nur Ausnahmefälle sein, fügte Özoguz hinzu. „Mit der Rückkehr ins Herkunftsland gefährden anerkannte Flüchtlinge die Glaubwürdigkeit ihres Schutzersuchens.“ Sie müssten die Reise deshalb sehr gut begründen können, wenn diese keine Folgen für ihren Schutzstatus haben solle.

Die Position von Özuguz ist also exakt die der Bundeskanzlerin.

Die „Welt am Sonntag“ stellt Özuguz Aussage falsch dar und konstruiert somit einen Konflikt, wo es keinen gibt, und eine Neuigkeit, wo es keine gibt. Dennoch verbreiten nun Nachrichtenagenturen das Zitat Merkels in ihren Meldungen, und für die „Süddeutsche Zeitung“ ist es sogar Beleg für einen Wahlkampf mit verschärften Tönen.

Aktuell in die Diskussion gebracht hatte das Thema die AfD in Baden-Württemberg mit einer Anfrage an die Landesregierung. Die erfragte bei Ausländerämtern, wie viele Flüchtlinge in den vergangenen drei Jahren in ihre Heimatländer zurückreisten. Die Zahlen waren in vielfacher Hinsicht ungenau: Manche Behörden konnten gar keine Angaben machen, andere zählten nicht nur vorübergehende Reisen ins Heimatland, sondern auch dauerhafte Rückkehrer. Zudem gibt es sicher eine Dunkelziffer.

Den Grund für die Reisen erfragte die Landesregierung nicht, erweckte aber immer den Eindruck, es gehe um Erholungsreisen. Medien wie dpa übernahmen den Skandalisierungs-Dreh von AfD und CDU. Auf Nachfrage des SWR sagte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl schließlich, sein Ministerium habe niemals behauptet, dass die zurückreisenden Flüchtlinge in ihren Heimatländern Urlaub machen würden. Das stimmt: Behauptet hat es das Ministerium nicht, nur suggeriert.

Aber dank einer grob irreführenden Frage der „Welt am Sonntag“ dreht das ganze Phänomen, ohne dass es neue belastbare Fakten oder eine neue, kontroverse Position der Bundesregierung gäbe, gerade noch eine Ehrenrunde in den Medien. Endlich ist ein Wahlkampfthema gefunden: Die angebliche Flut von Flüchtlingen auf Heimaturlaub, die die AfD behauptet und anprangert.

Screenshots: focus.de, merkur.de, welt.de, rp-online.de, huffpost.de

19 Kommentare

  1. Wer dazu genaues wissen will, sollte sich die Interviews mit der Flüchtlingshelferin Katja Schneidt ansehen.

  2. Die Überschrift „Merkel gegen Urlaub für Flüchtlinge“ ist ja noch einen Tacken schlimmer – jetzt dürfen die syrischen Flüchtlinge nicht mal mehr nach Malle.

    [Ironie]Danke, Merkel![/Ironie]

  3. Was, sollen uns die Flüchtlinge nach Jobs und Frauen auch noch den geliebten Urlaubsort wegnehmen? Wirklich nicht!!!!1111einself!!!!

    (nur zur Sicherheit: [/Ironie])

  4. Selbst bei den angeführten „schwerwiegenden“ Gründen, sehe ich keine Veranlassung, die Rückkehr von politisch Verfolgten in das Verfolgerland zu rechtfertigen.

    Man stelle sich von, Oskar-Maria Graf, Thomas Mann oder auch Marlene Dietrich wären damals wegen eines solchen Grundes nach Deutschland zurückgekehrt. Nein, es gibt keinen Grund in das Land zurückzukehren, dass einem nach dem Leben trachtet oder mit Folter droht.

  5. @4

    Nein, es gibt keinen Grund in das Land zurückzukehren, dass einem nach dem Leben trachtet oder mit Folter droht.

    Was genau qualifiziert Sie zu so einer absoluten Aussage bzw. wodurch sollte eine solche Absage legitimiert sein?

  6. Knackpunkt ist, dass die Vokabel „Urlaub“ über die Hintertür ins Gespräch gekommen ist.

    Seinen Landsleuten einen Vortrag „die besten Fluchtrouten und welche Schlepper keinen abzocken“ zu halten, wäre ja auch kein Urlaub.

    Es gäbe auch zig Situationen, wo jemanden – tatsächlich oder als Vorwand – freies Geleit angeboten wird, bei Beerdigungen bspw., oder zu Orten in den „harmloseren“ Gegenden des Heimatlandes. Ob es besonders schlau wäre, sich darauf einzulassen, aber wenn ein paar hundert von ein paar hunderttausend überhaupt in ihr Heimatland zurückkehren, sehen die meisten das wohl anders.

    (Ob es Beerdigungen und dergleichen wirklich die Anlässe für solche „Urlaube“ sind, weiß ich natürlich auch nicht, aber die AfD&Co hat sich ja nicht besonders viel Mühe gemacht, das zu überprüfen.)

  7. „Merkel referiert damit eigentlich nicht mehr als die Rechtslage. “

    Genau wie am Wochenende die Reaktion auf Kritik von Chulz:
    „Ich habe einen Amtseid geleistet, an den ich mich halten werde.“
    „Ich bin Bundeskanzlerin“ geht also in 2017 als Argument in einer inhaltlichen Debatte durch?
    Sind wir schon Papst?

    @8:
    Die AfD weiß ganz genau, dass sie erst mal irgendwas behaupten kann. Einige Medien werden es übernehmen.
    Die, die es nicht tun, verschweigen dann halt etwas.
    Die, die es widerlegen, üben Gesinnungsterror aus.
    Die AfD hat sich sehr gut gegen Argumente immunisiert.

  8. Gegen Argumente sind die immun, aber auf Kritik reagieren sie gereizt.

    Eigentlich sollten sich Leute, die sich über Lügenpresse beschweren, zu gut sein, um die Presse mit Lügen zu füttern, aber das manche Medien so doof hin und her zucken, ist jetzt tatsächlich die Schuld dieser Medien.
    „Wir sind keine Lügenpresse.“ – „Wir greifen irgendeinen – vermeintlichen oder tatsächlichen Skandal auf, der die ‚besorgten‘ Bürger noch besorgter macht, um zu zeigen, dass wir keine Lügenpresse sind.“ – „Hmm, die ‚besorgten‘ Bürger sind eigentlich ziemlich sehr weit rechts, wir müssen uns von denen distanzieren, indem wir deren Aussagen kritisch betrachten.“ – „Hmmm, wir werden wieder für Lügenpresse gehalten.“ usw. usf.

  9. Es muss ja nicht gleich die sterbende Großmutter sein. Vielleicht will man ja auch nur seine Frau und seine Kinder mal in den Arm nehmen. Wer das nicht versteht muss ja wohl völlig empathiebefreit sein.

  10. Übrigens an dieser Stelle mal ein großes Dankeschön an die Macher, dass ihr diese Seite auf die Beine stellt ! Ganz wichtig was ihr macht.

  11. Es geht nicht um Abwesenheit von Emphatie, sondern um eine bewusste Vorenthaltung von Emphatie gegenüber bestimmten Gruppen.

    Solidarität mit Silverster-in-Köln-Missbrauchsopfern:
    Da kämpft die AfD an vorderster Front.

    Solidarität mit Opfern angezündeter Asylbewerberheime:
    Da hat die AfD dann plötzlich Emphatie für die Position der Brandstifter.

    Ich würde das einen „nationalistischen Sozialismus“ oder „ethnischen Sozialismus“ nennen.

  12. Das Problem ist, daß bei der Wertung solcher Fälle in der Öffentlichkeit meistens als Maßstab unser (westliches) Alltagsverständnis herangezogen wird. Und es wird nicht gesehen, daß die Alltagserfahrungen eines in Deutschland aufgewachsenen Menschen sich von den Erfahrungen von Menschen aus anderen Staaten dieses Planeten deutlich unterscheiden.

    Aus Sicht eines deutsch sozialisierten Menschen ist ein Ausweisdokument etwas ungeheuer wichtiges. Ein Personalausweis oder Reisepass verschafft uns unkomplizierten Zugang zu vielen Ländern der Welt. Ein aktuelles Smartphone ist dagegen eher ein Luxusgegenstand. Deswegen wird es fast wie ein Verbrechen angesehen, wenn Flüchtlinge keine Ausweispapiere haben, aber ein aktuelles Smartphone bei sich führen. Dabei haben außerhalb der westlichen Welt und gerade in Kriesengebieten Ausweispapiere einen viel niedrigeren Stellenwert, während Kommunikation auf einer Flucht enorm wichtig ist.

    Und entsprechend der deutschen Bürokratie wird auch davon ausgegangen, daß Grenzkontrollen stets so gewissenhaft ablaufen, daß verfolgte Menschen sofort keine Chance mehr haben. Vielleicht spielt hier auch die Erfahrung mit den Kontrollen an der innerdeutschen Grenze hinein. Daß muß aber doch für ein Land, in dem gerade Bürgerkrieg herrscht, oder ein Land mit großer Korruption, oder generell für ein Land mit anderem Verständnis von Staat und Verwaltung überhaupt nicht gelten.

    Deswegen kann es für einen Flüchtling, der in seinem Heimatland politisch verfolgt wird, nach Abwägung aller Risiken und entsprechend erforderlichen Maßnahmen, ein durchaus kalkulierbares Risiko sein, für einen kurzen Zeitraum in sein Heimatland zu reisen. Und dann wird es zu einer individuellen Frage im jeweiligen Einzelfall, ob der Grund für die Reise aus Sicht des Betroffenen das dabei auftretende Risiko wert ist.

  13. Wenn jemand nach deutschen Asylrecht in Deutschland Asyl beantragt und/oder bekommt ist es nicht vollkommen abwegig, dass das nach den deutschen Regeln der deutschen Bürokratie vonstatten geht.

    Sie können ja wohl nicht ernsthaft argumentieren, dass das was der Asylbewerber tut oder läßt den deutschen Staat nichts angeht. So kann Asylrecht nicht funktionieren.

  14. Soll #15 eine Erwiderung auf den Beitrag #14 sein? Ich habe in #14 allerdings überhaupt nichts dazu geschrieben, wie die deutsche Bürokratie mit Flüchtlingen umgeht.

    Ich habe darüber geschrieben, wie die deutsche Bürokratie mit Deutschen umgeht bzw. welche Lebenserfahrungen mit Bürokratie deutsche Bürger haben. Und ich habe darüber geschrieben, daß Deutsche aufgrund ihrer Erfahrung mit deutscher Bürokratie eine bestimmte Vorstellung haben, wie Bürokratie generell ablaufen würde, und daß sie deswegen falsche Vorstellungen über die Bürokratie in den Heimatländern von Flüchtlingen haben, und daß deutsche Bürger daraus falsche Schlußfolgerungen über das Risiko eines Heimataufenthalts für einen politisch verfolgten Flüchtling ziehen.

  15. Die ganze Debatte ist doch eine Chimäre.

    Natürlich können, und in vielen Fällen ist es auch sinnvoll, Kriegsflüchtlinge zeitweise vor Ort nach dem Stand der Dinge schauen.

    Es irrt die Kanzlerin, die meisten der seit 2015 angekommenen Flüchtlinge waren ja Kriegsflüchtlinge und nicht unmittelbar verfolgte. Ob jemand, der bei den Behörden angibt er oder sie wäre in seinem Land Gefahren ausgesetzt, wirklich sicher vorübergehend zurück kehren kann, dürfte aber eine andere Sache sein und sollte zumindest Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Asylantrags hervorrufen. Was dann wohl auch überprüft wird.

    Und wie ich anders wo auch schon schrieb, diese Heimaturlaube müssten ganz im Sinne der Afd sein. Den meisten dürfte es darum gehen, zu sondieren, ob eine Rückkehr möglich ist. In Syrien kehren momentan hundertausende Flüchtlinge in die von Assad befreiten Gebiete zurück.

    Ach und was die „Lebenserfahrung“ angeht, da dürften die Grenzkontrollen an den syrischen Grenzen eher davor abhalten zurück zu kehren. Die Türken haben dort schon einige Massaker an Flüchtlingen veranstaltet. Da sind die die „Forderungen“ von Fr. Storch gegenüber den realen Umstände ein Kinderzoo.

    Aber wie gesagt, ich glaube nicht dass diese „Heimaturlaube“ wirklich von politisch Verfolgten gemacht werden, insofern spielen Erklärungen über unterschiedliche Erfahrugnen mit Behörden keine Rolle.

  16. Dass solche „Heimaturlaube“ vielleicht Zweifel am Status hervorrufen und eine Überprüfung nach sich ziehen können: geschenkt.
    Aber lässt sich aus dem Recht auf Asysl auch umgekehrt eine Pflicht ableiten nicht in das Land zurückzukehren, aus dem ich geflohen bin oder in dem ich verfolgt werde? Verwirke ich mein Recht, wenn ich – völlig egal aus welchen Gründen – für mich ganz persönlich entscheide, dass ich das Risiko eingehen möchte?

  17. Eine Pflicht, nie nach hause zurückzukehren, aus welchem Grunde auch immer, wohl nicht.
    Aber wenn man den Verdacht erregt, z.B. in Wahrheit nicht zu einer verfolgten Gruppe zu gehören, dann muss man sich nicht wundern, wenn man nochmal überprüft wird.

    Um bei den Nazis zu bleiben, wenn sagen wir jemand aus Röhms Umfeld das Land verlässt, aber später feststellt, dass seine Parteigenossen ihn doch nicht umbringen wollen, und daraufhin zurückkehrt, wäre das kein Beweis für die allgemeine Harmlosigkeit von Nazis.

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