Der Gesprächspartner

Benjamin Buchholz ist Redakteur beim Hamburger Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“. Nach seinem Volontariat ist er dort geblieben und verantwortet jetzt das Onlinemagazin.
In und um Hamburg bieten 500 Obdachlose und ehemalige Obdachlose das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ an. An jedem Heft verdienen sie 1,40 Euro, die Hälfte des Kaufpreises. Das Projekt bringe Armutsbetroffenen nicht nur Geld, sagt „Hinz&Kunzt“-Redakteur Benjamin Buchholz. Es gehe auch darum, Menschen an der Gesellschaft teilhaben zu lassen.
Das 1993 zum ersten Mal erschienene Magazin hat inzwischen jeden Monat eine Auflage von 45.000 Stück. Arbeiten in der Redaktion Aktivisten oder Journalisten? Warum kommen die Artikel nicht von Obdachlosen selbst? Und wer darf das Heft überhaupt verkaufen?
Herr Buchholz, wenn Sie in anderen Städten unterwegs sind und Ihnen wird am Bahnhof ein Straßenmagazin zum Kauf angeboten: Kaufen Sie das oder gehen Sie weiter?
Ich kaufe das, weil ich den Blick von lokalen Straßenmagazinen auf die Stadt immer interessant finde.
Die meisten Leute würden wahrscheinlich einfach weitergehen. Woran gehen sie da eigentlich vorbei?
In erster Linie gehen sie an dem Menschen vorbei, der das Magazin anbietet. Und damit auch an der gesellschaftlichen Integration von armen Menschen, die Straßenmagazine ermöglichen.
Benjamin Buchholz ist Redakteur beim Hamburger Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“. Nach seinem Volontariat ist er dort geblieben und verantwortet jetzt das Onlinemagazin.
Wie wollen Straßenmagazine das schaffen?
Armutsbetroffene Menschen können bei uns im Vertrieb Magazine für 1,40 Euro kaufen, die sie dann für 2,80 Euro auf der Straße weiterverkaufen. Manche verdienen sich etwas zum Bürgergeld dazu, andere müssen mit dem Verdienst alleine über die Runden kommen. Statt zu betteln, halten sie ein hochwertiges Produkt in der Hand und nehmen dadurch wieder auf eine ganz andere Art und Weise am gesellschaftlichen Leben teil: An den Verkaufsplätzen entstehen langfristige Beziehungen zwischen Kund:innen und Verkäufer:innen.
Sie arbeiten für „Hinz&Kunzt“ in Hamburg, eines der ältesten deutschen Straßenmagazine. In den 90ern wurden viele solcher Magazine in Deutschland gegründet. Warum?
Nach der Wende kamen viele Menschen aus der ehemaligen DDR und Polen auf der Suche nach Arbeit nach Deutschland. Manche von ihnen landeten auf der Straße, Obdachlosigkeit wurde zu einem immer größeren Problem. Zu dieser Zeit gab es Straßenmagazine bereits in den USA und in Großbritannien, besonders bekannt war „Big Issue“ aus London. Das war ein Vorbild für viele Straßenmagazine, die dann in Deutschland gegründet wurden – als Angebot für alle Menschen auf der Straße.
Wie kommen die Menschen auf der Straße zum Magazin?
Von Armut betroffene Menschen können zu uns in den Vertrieb kommen, wo wir mit ihnen ein Aufnahmegespräch führen. Dort erzählen sie ihre Geschichte und es wird überprüft, ob sie Verkäufer:in werden können. Früher ging es darum, ob jemand obdachlos ist, heute verkaufen auch ehemalige Obdachlose das Magazin. Nur weil jemand eine Wohnung gefunden hat, heißt das ja nicht, dass damit all seine Probleme gelöst sind. Das Verkaufen hat eine stabilisierende Funktion, die dafür sorgen kann, dass die Leute ihre Wohnung auch behalten. Der Verkauf des Magazins bietet den Menschen wieder eine Struktur in ihrem Leben und zugleich bauen sich viele an ihrem Verkaufsplatz ein soziales Netz auf, das wir ihnen nicht nehmen wollen.
Gibt es etwas im Fernsehen, Radio, in Zeitungen oder online, bei dem Sie sich immer wieder fragen: Wieso ist das so? Fragen Sie uns, dann fragen wir Leute, die sich damit auskennen! Schreiben Sie uns!
Alle bisherigen Antworten finden Sie hier.
Wie funktioniert das, dass sich die Verkäufer nicht gegenseitig ihre Verkaufsplätze abgraben?
Die Plätze werden von uns festgelegt. Unser Vertrieb hat das im Blick, indem er Kontakt zu den Supermärkten pflegt, vor denen unsere Verkäufer:innen stehen. Es ist wichtig, dass sie feste Plätze haben, damit soziale Netzwerke entstehen: Manche Verkäufer:innen werden fast wie Mitarbeiter:innen behandelt oder dürfen sich mal im Vorraum aufhalten. Wenn eine Verkäuferin krank ist und nicht an ihrem Platz steht, bekommen wir oft sofort Nachfragen, wo sie denn ist. Plötzlich sorgen sich Menschen um jemanden, der sonst aus der Gesellschaft mehr oder weniger ausgeschlossen wäre.
Und schreiben die Menschen, die das Magazin verkaufen, auch dafür?
Bei anderen Magazinen gibt es das, bei uns nicht. Bei der Gründung von „Hinz&Kunzt“ war es den Verkäufer:innen wichtig, dass das Magazin von Profis gemacht wird. Sie wollten kein „Bettlerblatt“ verkaufen, sondern etwas Professionelles. Ich finde das auch richtig so: Wir legen journalistische Standards an unsere Berichterstattung an, die von jemanden, der das nicht gelernt hat, nicht unbedingt erfüllt werden können. Wir sind aber im regen Austausch mit den Verkäufer:innen, die uns immer wieder Themen vorschlagen, über die wir dann auch berichten. Sie bekommen ziemlich viel mit. Wir berichten zum Beispiel immer wieder über Gewalt auf der Straße, Probleme im Jobcenter oder Missstände in Notunterkünften, von denen wir ohne unsere Verkäufer:innen nichts erfahren würden.
Wer sitzt denn bei Ihnen in der Redaktion?
Wir sind sechs festangestellte Redakteur:innen und haben alle unser Volontariat bei „Hinz&Kunzt“ gemacht.
Ihre Leipziger Kollegen von der „Kippe“ sehen sich nicht nur als Journalisten, sondern nennen sich auch aktivistisch. Ist das bei Ihnen auch so?
Wir machen auf jeden Fall kritischen Journalismus – natürlich mit einer bestimmten Haltung: Wir finden, arme Menschen sollten nicht arm sein und wir sehen es als unsere Aufgabe, deren Lebenswelten einem breiten Publikum zu erzählen. Das Ziel unserer Berichterstattung ist, dass sich die Lage dieser Menschen verbessert, Vorurteile gegen sie abgebaut und die Probleme in der Sozialpolitik mittelfristig behoben werden. Wenn Sie das als aktivistisch bezeichnen wollen, sind wir auch aktivistisch. Aber ich glaube, diesen Antrieb haben auch Kolleg:innen von klassischen Medien.
„Hinz&Kunzt“ bietet zum Beispiel bei Bedarf auch Sozialarbeit an.
„Hinz&Kunzt“ ist ein größerer Laden, die Redaktion ist nur ein Teil davon. Wir haben neben Redaktion und Vertrieb auch drei Sozialarbeiter:innen und ein Haus, in dem ehemalige Wohnungslose zusammen in WGs leben.
Ist „Hinz&Kunzt“ dann nicht eher ein soziales Projekt?
Wir sind ein soziales Projekt, das ein journalistisches Produkt produziert. Unsere Arbeit unterliegt journalistischen Standards wie die jedes anderen Mediums auch.
Nicht alle Redaktionen sind so professionalisiert, in einigen Städten machen Ehrenamtliche das Straßenmagazin. Warum ist das so unterschiedlich?
Das Konzept von „Hinz&Kunzt“ war von Anfang an, dass Profis das Magazin machen. Und uns gibt es einfach schon sehr lange, dadurch sind wir sehr etabliert in der Stadt. Ich glaube, so ziemlich alle Menschen in Hamburg können mit unserem Namen etwas anfangen. Deshalb bekommen wir natürlich auch viele Spenden und haben eine höhere Auflage als Magazine, die in kleineren Städten erscheinen und somit schon mal eine viel kleinere Zielgruppe haben.
Finanziert sich „Hinz&Kunzt“ nur über Spenden?
Wir finanzieren uns über den Verkauf, über Anzeigen und über Spenden.
Und staatliche Förderung?
Die bekommen wir nicht. Aktuell sehen wir bei Kolleg:innen in der Steiermark, wieso das so wichtig ist: Dort kürzt die FPÖ-Regierung dem „Megaphon“ gerade die Mittel. Insgesamt werden ihnen 40.000 Euro pro Jahr gestrichen, das ist existenzbedrohend. Wir sind sehr froh, dass wir nicht auf staatliches Geld angewiesen sind, auch weil wir dann nicht mehr unabhängig in unserer Berichterstattung wären und manche Kritik vielleicht nicht mehr äußern könnten.
Das Konzept von Straßenmagazinen basiert darauf, dass Verkäufer ein physisches Produkt in den Händen halten. Printzeitungen verlieren aber immer mehr an Auflage, Papier wird teurer. Sind Straßenmagazine zukunftsfähig?
Ich glaube, dass es gerade für gedruckte Straßenmagazine weiterhin einen Markt geben wird, weil dieser reale Verkaufsvorgang im Zentrum steht. Aber tatsächlich sind wir gerade dabei, unser Produkt zu digitalisieren: Seit diesem Frühjahr können Kund:innen mit dem Handy bezahlen, das Geld geht bei uns auf dem Konto ein und wir zahlen es den Verkäufer:innen bar aus. Rund 200 Verkäufer:innen nutzen diese Möglichkeit. Und wir arbeiten gerade daran, dass unsere Leser:innen ab Herbst auch ein digitales Magazin kaufen können. Soweit wir wissen, sind wir damit weltweit das erste Straßenmagazin, das eine digitale Version anbieten wird. Also nicht nur ein PDF, sondern eine Aufmachung, die an das Endgerät angepasst wird.
Aber kaufen kann man das digitale Magazin weiterhin nur auf der Straße?
In Hamburg, ja. Ich bin gespannt, wie gut das angenommen wird, weil es nicht unbedingt intuitiv ist, ein digitales Produkt zu kaufen und dafür erstmal auf die Straße gehen zu müssen. Aber wir haben den Vorteil, dass unsere Verkäufer:innen überall präsent sind und das digitale Produkt anbieten können – andere Onlinemedien haben das nicht. Außerhalb unseres Verkaufsgebiets werden Sie „Hinz&Kunzt“ dann auch online kaufen können.
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