Auslandsjournalismus

Die blinden Flecken in Fred Pleitgens Iran-Berichten

CNN-Korrespondent Fred Pleitgen durfte während der israelischen Angriffe als erster westlicher Journalist aus dem Iran berichten. Doch seine Arbeit wird scharf kritisiert. Was ist dran an den Vorwürfen?
CNN-Korrespondent Fred Pleitgen berichtet am 19. Juni aus der iranischen Hauptstadt Teheran.Screenshot: CNN

Es war einer dieser Momente, in denen alles denkbar schien: vom Kollaps des iranischen Regimes bis zur Ausweitung des Konflikts auf die umliegende Region. Noch jetzt sind die Auswirkungen der israelischen Angriffe auf den Iran vor wenigen Wochen nicht in ihrer ganzen Tragweite fassbar.

Wer als Journalist das Privileg hat, bei solchen historischen Ereignissen mittendrin zu sein, dem hört die Öffentlichkeit noch lange zu. Zumal, wenn es sich um ein Land wie Iran handelt, das nur die wenigsten Pressevertreter bereisen dürfen.

Gefragter Gesprächspartner

So ging es Frederik (Fred) Pleitgen, einem deutschen Journalisten, der als Auslandskorrespondent für den US-amerikanischen Nachrichtensender CNN arbeitet. Pleitgen war, wie er selbst sagt, vom 18. bis 29. Juni als erster und einziger westlicher Journalist im Iran, und erlebte mit, wie Israel während des sogenannten 12-Tage-Kriegs Luftangriffe auf das Land flog. Nach seiner Rückkehr war der Reporter ein gefragter Gesprächspartner. Im Podcast von „Bild“-Vize Paul Ronzheimer und bei Markus Lanz berichtete er auch einem deutschen Publikum von der Lage im Iran.

Was aber weder Lanz noch Ronzheimer thematisierten: Pleitgens Live-Berichte für die CNN hatten zuvor heftige Kritik geerntet. Seine Posts in sozialen Medien waren regelrechten Shitstorms ausgesetzt. „Die Stimme des Ayatollah“ oder „Wo waren Sie, als dieses Regime unsere Kinder tötete?“, kommentierten Nutzer. Es waren keine Israelis, sondern offenbar Iraner, die sich so äußerten. Die Menschenrechtsaktivistin Sara Seyed schrieb: „Sie haben es geschafft, die Öffentlichkeitsarbeit der Islamische Republik besser zu machen als die iranischen Staatsmedien an ihrem besten Tag.“

Ähnliche Kritik hatte es 2022 auch schon an der Arbeit von ZDF-Korrespondent Jörg Brase gegeben. Der Vorwurf, der im Raum steht: Der CNN-Berichterstatter soll die Narrative der Islamischen Republik Iran teilweise reproduziert haben – ohne kritische Einordnung.

Ein eindimensionales Bild

Was ist dran an der Kritik? Sieht man sich die Berichterstattung von Frederik Pleitgen genauer an, bemerkt man tatsächlich ein wiederkehrendes Muster. Pleitgen beschreibt, was er auf Irans Straßen sieht, die bombardierten Häuser, der heruntergefahrene Alltag, er interviewt Regimevertreter und gewöhnliche Menschen auf der Straße – doch das Bild, das er dadurch zeichnet, bleibt eindimensional.

Ein Beispiel: Als Israels Luftwaffe am 16. Juni in Teheran das Studio des iranischen Staatsfernsehens bombardiert, ist Pleitgen wenige Tage später vor Ort. Es sind starke Bilder: die verkohlten Trümmer, die wild durcheinander hängenden Kabel, und mittendrin der westliche Reporter, der die Zuschauer durch die Verwüstung führt. Seine Einordnung am Ende der bildlichen Eindrücke: „Es gibt im Iran in der Öffentlichkeit eine große Wut darüber, dass die Israelis diesen Ort attackiert haben. Und ganz sicher werden die Iraner das verurteilen und nach Rache rufen.“

Was Pleitgen dabei nicht erwähnt: Der Ort ist für viele Iraner tatsächlich symbolträchtig, doch nicht als Ort, mit dem man sich positiv identifiziert. Seit Jahrzehnten werden hier die durch Folter erzwungenen Geständnisse von bekannten Regimekritikern ausgestrahlt. Auch gewöhnliche Frauen waren darunter, etwa die Schriftstellerin Sepideh Rashno, die sich im Juli 2022 ohne Zwangs-Hidschab in einen Bus setzte und von einer anderen Frau ermahnt wurde, sich zu verhüllen. Das Video, wie sich Rashno der Hidschab-Kontrolleurin widersetzt, wurde im Iran hunderttausendfach geteilt, Rashno kam daraufhin ins Gefängnis. Das Staatsfernsehen strahlte später ihre öffentliche „Entschuldigung“ aus, Rashno wirkte dabei traumatisiert und hatte blaue Flecken im Gesicht. All das geschah kurz vor den Massenprotesten im Herbst 2022.

Nur freundliche Worte für das Regime

Auch unter den Menschen, die Pleitgen auf der Straße befragt, scheinen sich offenbar nur solche zu finden, die für das Regime freundliche Worte übrighaben. Passanten, die in den Interviews zu Wort kamen, forderten „eine starke Reaktion“ ihrer Machthaber gegen Israel oder sprachen dem Obersten Führer ungefragt ihre bedingungslose Solidarität aus („Ich unterstütze den Obersten Führer mit meinem Leben. Ich bin wirklich für ihn, weil er sich für unser Land einsetzt“).

Ganz nah dran: Pleitgen bei einer staatlich organisierten Begräbnisfeier.Screenshot: CNN

Dann wiederum zeigen Pleitgen und sein Kamerateam „iranische Frauen“, die ihre Babys demonstrativ in die Höhe heben, bereitwillig, sie im Krieg als „Märtyrer“ zu opfern. Einiges deutet darauf hin, dass es sich um Anhängerinnen der stark indoktrinierten, regimetreuen Basidsch-Organisation handelt. Aber auch hier: Kein Wort darüber, wer diese Frauen sind und wer die Veranstaltung organisiert hat. Es wird der Eindruck erweckt, als wären es gewöhnliche Frauen aus der Bevölkerung.

Klar ist: CNN ist grundsätzlich ein seriöser Sender, es wäre daher überzogen, ihm Propaganda vorzuwerfen. Man darf auch davon ausgehen, dass der Korrespondent Frederik Pleitgen keine Werte der Islamischen Republik teilt. Auffällig ist aber tatsächlich, was in seiner Berichterstattung aus dem Iran ausgelassen wird.

Studien widersprechen seiner Einschätzung

Regelrechte „Lügen“ und „Desinformation“ wirft allerdings die Journalistin und Iran-Expertin Gilda Sahebi auf ihrem Instagram-Kanal dem CNN-Reporter bei seinem Auftritt im Ronzheimer-Podcast vor. Er tue so, als ob es möglich sei, unabhängig aus dem Land zu berichten, habe aber – genau wie Ronzheimer – „keine Ahnung vom Iran“. So seien etwa die Demonstrationen, von denen Pleitgen berichte, ausnahmslos vom Regime orchestriert.

(Ronzheimer lud Gilda Sahebi daraufhin ebenfalls in seinen Podcast ein, doch das Gespräch verfuhr sich in der Frage, ob man Persisch sprechen muss, um angemessen aus dem Iran zu berichten.)

Im Ronzheimer-Podcast zeigt sich, dass Pleitgen offenbar kaum Zugang zu regimekritischen Stimmen hat. Auf die Frage, ob es im Land noch eine Form von Opposition gibt, berichtet er von Irans „großer Innenpolitik“ und den „heftigen Diskussionen“ im iranischen Parlament, es gebe einen „robusten Dialog“. Allerdings sagt er auch, dass dieser Dialog „eingegrenzt“ sei, weil eben viele Menschen nicht in die Politik gehen könnten.  Dennoch schließt er mit den Worten: „Ich glaube, dass die Opposition im Land auch dem System treu ist. Die wollen nicht das System ändern“.

Einschlägige Studien und Expertenstimmen widersprechen Pleitgens Einschätzung. Eine breitangelegte niederländische Umfrage im Jahr 2022 unter mehr als 200.000 Iranern (von denen etwa 158.000 im Iran und 42.000 im Ausland lebten) hatte festgestellt, dass 81 Prozent der dort lebenden Iraner die Islamische Republik ablehnen. Auch der deutsche Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad gehen davon aus, dass nur noch eine Minderheit von 10 bis 15 Prozent hinter dem System stehe.

Auf Nachfrage von Übermedien relativiert Pleitgen seine Aussage – er habe sich damit nur auf die Phase der unmittelbaren Kampfhandlungen bezogen.

Pleitgen weist die Vorwürfe zurück

Generell freue er sich über „konstruktive Kritik“, sagt Pleitgen gegenüber Übermedien. Den Vorwurf, er oder CNN würden Regime-Narrative einseitig übernehmen, lehnt er aber ab und verweist darauf, dass seine Tätigkeit vor Ort nur ein Teil der umfangreichen Berichterstattung des Senders sei: „Unsere Redaktion ist zu allen Zeiten regelmäßig mit Menschen im Iran in Kontakt und berichtet seit vielen Jahren auch über Oppositionsaktivitäten, die Menschenrechtslage sowie Demonstrationen und Aufstände.“

Über einige Anschuldigungen durch Gilda Sahebi habe sich Pleitgen auch gewundert: „Es wurde behauptet, nur Journalisten, die dem ‚Regime‘ genehm seien, würden ein Visum für den Iran erhalten.“ Als Gegenbeweis nennt er weitere Kollegen, die kurz nach ihm mit Presse-Visum in den Iran gereist sind, darunter Lyce Doucet (BBC), Richard Engel (NBC), Imtiaz Tyab (CBS) und Dominic Waghorn (Sky News), und fragt: „Sind die etwa alle ‚regime-konform‘?”

Tatsächlich hatte Sahebi nicht behauptet, ein iranisches Pressevisum sei pauschal an positive Berichterstattung geknüpft, stattdessen nennt sie Journalisten wie die ARD-Korrespondentin Katharina Willinger oder den SZ-Korrespondenten Raphael Geiger, denen es auch mit Pressevisum gelinge, objektiv und ausgeglichen zu berichten. Sahebi sagt aber, dass es immer einer Agenda folge, wenn das Regime Pressevertreter ins Land lasse.

Wie es besser gehen kann

Soll es deshalb verpönt sein, überhaupt als akkreditierter Journalist aus dem Iran zu berichten? Pleitgen sagt zurecht, es sei besser, vor Ort zu sein, als die Welt vom Schreibtisch aus zu verstehen. Und klar ist auch: Wer mit Pressevisum in den Iran einreist, wird damit nicht automatisch zum Regime-Propagandisten. Man sollte aber die Bedingungen transparent machen, unter denen man berichtet – auch wenn Pleitgen selbst der Meinung ist, dies ausreichend getan zu haben.

Wie diese Transparenz tatsächlich aussehen könnte, zeigt etwa ARD-Korrespondentin Katharina Willinger, die Iran-Expertin Sahebi als positives Beispiel nennt. Immer wieder weist Willinger in ihren Berichten aus Iran explizit auf die Einschränkungen hin, denen sie unterworfen ist – etwa, dass viele Berichtsthemen und Reisen außerhalb von Teheran ohne gesonderte Genehmigung verboten sind. Willinger bekam ihr Visum, wohl auch deshalb, häufig nicht als erste Reporterin; nach den „Frau, Leben Freiheit“-Protesten im Jahr 2022 musste sie sogar mehrere Monate darauf warten.

Anfang Juli, als die heiße Phase des Iran-Israel-Kriegs schon vorbei war, durfte auch Willinger ins Land reisen. In ihrer Reportage macht sie klar, dass die meisten Menschen Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie offen vor der Kamera sprechen würden. Wie es konkret klingt, wenn nicht nur halbe, sondern ganze Wahrheiten berichtet werden? Beispielsweise so: „Die meisten Menschen verurteilen die israelischen Angriffe scharf, doch das heißt nicht, dass sie sich deshalb mit der eigenen Führung solidarisieren.“

9 Kommentare

  1. Wenn man das Land nicht mit einem Artikel versehen will, müsste man wohl an der besagten Stelle „nach Iran“ schreiben. Wie ich es verstanden habe, gibt es da aber derzeit keine einheitliche Regelung.

  2. Schließe mich bei dieser Formalität dem Vorredner an: Es ist generell besser, von „Iran“ und nicht „dem Iran“ zu schreiben/sprechen.

    Und wo ich gerade bei Stilkritik bin: „zu fassen“ ist auch schöner als „fassbar“. (Der Silbenbarbar von Bastian Sick lässt grüßen :-)

  3. #5
    duden.de: Iran, Genitiv: Irans, wird auch mit Artikel verwendet: der Iran; Genitiv: des Iran[s]

  4. Ok, ich frage anders – wenn beide Varianten erlaubt sind, warum ist die eine besser als die andere?

  5. Man berichtet aber auch nicht „aus Schweiz“, „aus Türkei“, „aus Niederlanden“, „aus Sudan“, „aus USA“, „aus Gazastreifen“ oder – was am nächsten liegt – „aus Irak“.
    Sprache ist einfach anti-intuitiv.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.