Corona-Interview in der „Rundschau“

BR-Moderatorin half Ministerin beim „Rausreden“

Ein geleakter Mitschnitt aus dem Bayerischen Rundfunk zeigt, wie eine Moderatorin 2020 der damaligen Gesundheitsministerin rät, eine Frage zur neuen Corona-Warn-App zu umgehen und diese positiv darzustellen. Der Sender verteidigt seine Mitarbeiterin – doch der Vorfall wirft grundsätzliche Fragen auf.
Exklusiv für Übonnenten

Wenn Journalisten Politiker interviewen, ist es eine ihrer wichtigsten Aufgaben, sie nicht davonkommen zu lassen mit hohlen Phrasen oder Ausweichantworten. Und wenn Politiker von einer Sache überzeugt sind, sollte es der Reflex eines Journalisten sein, das kritisch zu hinterfragen.

Beim Bayerischen Rundfunk ist im Juli 2020 offenbar das Gegenteil passiert. Wie ein Anfang Februar veröffentlichter Mitschnitt aus der Nachrichtensendung „Rundschau“ zeigt, hat die Moderatorin Ursula Heller mit der damaligen bayerischen CSU-Gesundheitsministerin Melanie Huml kurz vor einem Interview eine Frage abgesprochen und ihr geraten, wie sie sich „rausreden“ könne. In den sogenannten Alternativmedien und bei X kursiert der Mitschnitt schon länger. Veröffentlicht wurde das Video auf dem YouTube-Kanal von Aya Velázquez, der Aktivistin und Journalistin, die im vergangenen Jahr auch die sogenannten RKI-Files an die Öffentlichkeit brachte. (Über deren Skandal-Potential haben wir hier berichtet.)

Für die, die spätestens seit der Corona-Pandemie davon überzeugt sind, dass Medien und Politik unter einer Decke stecken, ist das Video mit dem „BR-Leak“ der erwartbare Beleg für das, was sie schon wussten. Aber man muss kein Coronaleugner, Verschwörungsgläubiger oder „Lügenpresse“-Schreihals sein, um sich zu fragen, ob das nicht tatsächlich Kungelei ist.

Entstanden ist das Video am 10. Juli 2020, wenige Monate nach Beginn der Pandemie in Deutschland. Die damalige Landesministerin Huml sollte in der BR-Nachrichtensendung ein kurzes Interview geben, das vor der Sendung aufgezeichnet wurde. Anlass war ein Corona-Ausbruch in Memmingen und die Nachverfolgung des Infektionsgeschehens in weiteren Landkreisen.

Formulierungstipps für die Ministerin

Die geleakte Aufzeichnung zeigt nicht nur das Interview selbst, sondern auch, was in den Minuten davor und danach im Studio passiert. In einem kurzen Vorgespräch spricht Moderatorin Heller die Ministerin auf die Corona-Warn-App an. Das ist die kurz zuvor gestartete App, die Abstand und Begegnungsdauer ihrer Nutzer messen kann und nach Kontakt mit einer positiv getesteten Person eine Warnmeldung anzeigt.

Heller ist es offensichtlich wichtig, eine Frage dazu zu stellen, ob diese von der Regierung hoch gepriesene App im konkreten Fall in Memmingen geholfen habe. Der Pressesprecher der Ministerin habe ihr geschrieben, sie solle nicht nach der App fragen, erklärt die Moderatorin der Ministerin: „Aber ich wäre ehrlich gesagt total unglaubwürdig, wenn ich die [App] komplett draußen ließe, weil das ja eigentlich auch in Ihrem Sinne ist, dass die Leute das nützen.“ Huml erklärt ihr daraufhin, dass sie keine Zahlen habe, aber sie könne im Interview einfach sagen: „Ich nutze sie und ich finde es gut, wenn es noch mehr machen.“

Heller hakt nach und erklärt, dass ihre Frage sich ja auf das aktuelle Infektionsgeschehen um Memmingen beziehe. Dann empfiehlt die Moderatorin:

„Und ich mein’, da können Sie sich ja irgendwie rausreden, indem Sie sagen, das ist auf jeden Fall segensreich und hilfreich und toll, dass so viele Leute das nützen. Oder wie auch immer.“

Es frage …

6 Kommentare

  1. Wenn eine Journalistin die Fragen nur stellt, weil sie weiss, dass man es von ihr erwartet, fehlt jegliches journalistische Verständnis und Interesse. Das ist wirklich erschreckend.

  2. Man muss kein „Corona-Kritiker“ oder „GEZ-Abschaffer“ sein, um festzuhalten, dass sich Frau Heller mit diesem Interview völlig disqualifiziert hat. Es geht ihr offensichtlich nur um eine Interviewsimulation; ob die Antworten stimmen oder dem Zuschauer etwas bringen, ist völlig nebensächlich. Dass sich der BR nun vor sie stellt, statt den Fehler einzuräumen und klarzustellen, dass solches Verhalten nicht die Regel ist und auch nicht sein darf, macht die Sache nur noch schlimmer. Mir tun die Leute leid, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ordentliche journalistische Arbeit machen und sich dann für sie etwas rechtfertigen müssen.

  3. Es gab damals noch keine Impfung – aber genau in dem Stil wurde öffentlich rechtliche Medienarbeit in der Folge weiter betrieben. Angesichts der Ausbruchswelle, die hier auch erwähnt wird, plaudern die Damen auch ganz vergnügt über das Bravsein und ach so exotische Ferienpläne. Ich komme mir nur schon dadurch veralbert vor. In der Folge:
    Gerade, wenn man sich persönlich sehr wohl seine Gedanken machte, sich aber gegen eine Impfung entschied, sah man sich danach einem massiven Druck ausgesetzt, den auch solcher Journalismus befeuert hat. Es ist wirklich ein Armutszeugnis sondergleichen, und da gesellt sich die aktuelle Stellungnahme des BR dazu. Genau in diesem Fahrwasser bewegt sich auch die (nicht) erfolgte Aufarbeitung der Corona-Jahre.

  4. Wolfgang M. Schmitt hat vorgeschlagen Politiker nur noch nach performance zu beurteilen, so wie Schauspieler. Der BR scheint das bereits lange verinnerlicht zu zu haben…

  5. Ich bleibe weiter auf der Suche nach sichtbarer journalistischer Kritikfähigkeit in eigener Sache. Leider muss ein Mangel daran nicht nur dem BR angelastet werden. Denn positive Zeichen von ehrlicher Selbstreflexion in bleiben in den Medien Raritäten. Zum Erhalt des noch vorhandenen Vertrauens und der Glaubwürdigkeit wären sie freilich bitter notwendig.
    Es sieht so aus als würde angemessene Selbstreflexion in der journalistischen Aus- und Weiterbildung weiterhin keine Rolle spielen. Auch sollte man sich trotz der notwendigen digitalen Transformation dafür regelmäßig Zeit in den Redaktionen nehmen.
    Leider ist auch eine Forschung über die Praxis journalistischer Transparenz irgendwann in den Grundlagen stehengeblieben. Mich würde interessieren, wie bei Übermedien darüber gedacht wird. Schließlich seht ihr, wie Betroffene auf berechtige ÜM-Kritiken reagieren.
    Nach Erfahrungen von 2004 bis 2024 als Medien-Ombudsmann der Main-Post und als Jury -Mitglied des Journalistenpreises MedienSpiegel, der journalistische Transparenz auszeichnet, sehe ich hier großen Nachholbedarf.
    Anton Sahlender

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