Die Autorin
Annika Schneider ist Redakteurin bei Übermedien. Als freie Medienjournalistin hat sie vorher als Moderatorin und Autorin beim Deutschlandfunk und WDR gearbeitet. Außerdem war sie Kolumnistin beim MDR-Altpapier.
Die Geschichte scheint alles zu haben, was ein handfester Medienskandal braucht. Es geht um ein weltweit agierendes Netzwerk von Investigativjournalisten, das Geld von der US-Regierung kassiert. Und um den Norddeutschen Rundfunk (NDR), der die Recherche dazu zwar selbst anstieß, sich dann aber aus nebulösen Gründen gegen eine Veröffentlichung entschied und dem nun Zensur vorgeworfen wird.
Zu lesen ist das in sehr ausführlichen Texten, die am Montag gemeinsam von „Mediapart“ (Frankreich), „Drop Site News“ (USA), „Il Fatto Quotidiano“ (Italien) und „Reporters United“ (Griechenland) veröffentlicht wurden. Diese wollen laut Überschrift bei „Mediapart“ „die versteckten Verbindungen zwischen einem Giganten des Investigativjournalismus und der US-Regierung“ aufdecken. Bei dem Giganten handelt es sich um das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), dem nach eigenen Angaben weltweit größten Netzwerk von Investigativjournalisten.
Tatsächlich ist das OCCRP eine Institution mit Vorbildcharakter in der Szene des internationalen Investigativjournalismus. Gegründet nach eigenen Angaben 2007 in Sarajevo von dem amerikanischen Journalisten Drew Sullivan und seinem rumänischen Kollegen Paul Radu, hat das Netzwerk heute laut Webseite über 200 festangestellte Mitarbeiter, die auf der ganzen Welt verteilt sind.
Während es damals vor allem darum ging, zu Korruption und organisierter Kriminalität in den Balkanstaaten zu recherchieren und damit eine Lücke in der regionalen Medienlandschaft zu füllen, ist das OCCRP mittlerweile an fast allen großen internationalen Recherchen beteiligt. Bei aufsehenerregenden Datenleck-Projekten, wie den „Panama Papers“ oder „Cyprus Confidential“, arbeitet es mit renommierten Medien wie „New York Times“, „Guardian“ oder „Spiegel“ zusammen und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. 2023 wurde das Netzwerk sogar für den Friedensnobelpreis nominiert.
Doch dieses strahlende Vorzeigeprojekt soll auch eine Schattenseite haben, schreibt nun das Recherchequartett um Mediapart: „Während sich das OCCRP als völlig unabhängig präsentiert, hat sein Management es in eine Position struktureller Abhängigkeit von der US-Regierung gebracht, wie diese Recherche zeigt.“
Konkret lauten die zentralen Vorwürfe: Über die Hälfte des Budgets würde aus Mitteln der US-Regierung kommen, das OCCRP würde dies nicht ausreichend transparent machen. Die US-Regierung habe zudem ein Veto-Recht bei der Besetzung von Schlüsselpositionen des OCCRP. Und: Über Fördergelder würde die US-Regierung indirekt Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, da diese an Recherchen in bestimmten Ländern gekoppelt seien – und zwar auch Länder, die Washington als Gegner betrachte. Im Gegensatz dazu werde die US-Regierung von den Rechercheuren weitgehend in Ruhe gelassen.
Noch mehr Brisanz erhält die Recherche durch einen weiteren Text, den „Mediapart“ ebenfalls am Montag veröffentlichte. Dieser wirft dem NDR „Zensur“ vor. So hätten Autoren des Senders die Recherche zum OCCRP selbst angestoßen, rund anderthalb Jahre verfolgt und zuletzt die vier Medien um „Mediapart“ als Recherchepartner ins Boot geholt. Als diese dann noch weitere Ergebnisse vorlegten und gemeinsam mit dem NDR das OCCRP erneut konfrontieren wollten, habe der Sender unerwartet einen Rückzieher gemacht: Die Story sei plötzlich nicht mehr relevant genug gewesen.
Das wirft etliche Fragen auf. Schließlich lautet der Kern der Geschichte: Die weltweit größte und einflussreichste Recherche-NGO bekommt seit Gründung einen Großteil ihrer finanziellen Mittel von der US-Regierung. Und selbst wenn sich das OCCRP nach eigenen Angaben von dieser Finanzierung nicht beeinflussen lässt, stellen sich allein aufgrund dieser Konstellation unweigerlich medienethische Fragen. Warum soll das für den NDR plötzlich uninteressant gewesen sein?
Dafür, dass im Sender „Zensur“ ausgeübt wurde, wie „Mediapart“ schreibt, haben die Autoren keinen Beleg: Es gibt keinen Nachweis, dass irgendwer im NDR explizit die Anweisung erteilt hat, die Veröffentlichung der Rechercheergebnisse zu stoppen. Es ist aber auffällig, wie schwammig und widersprüchlich sich die verantwortlichen Führungskräfte zu der Recherche äußern. Auffällig ist auch, wie wenig Interesse diverse NDR-Redaktionen an der hauseigenen Recherche zeigten – und wie intransparent der Sender in der Sache jetzt kommuniziert.
Unstrittig ist, dass es den Versuch gab, den Sender zu beeinflussen. „Mediapart“ berichtet über Dokumente, die zeigen, dass die Entscheidung gegen das Thema fiel, nachdem OOCRP-Chef Drew Sullivan Druck auf den Sender ausgeübt hatte. Welche Dokumente das sind, schreibt „Mediapart“ nicht, und nennt keine weiteren Details. Auch Sullivan bestätigte gegenüber „Mediapart“ schriftlich, Druck auf den NDR ausgeübt zu haben. Der NDR wiederum erklärt, „juristische Hinweise“ erhalten zu haben, er habe darauf aber nicht reagiert – was genau mit diesem Begriff gemeint ist und von wem diese „Hinweise“ stammten, ist unklar. Der Sender weist den Vorwurf, Druck nachgegeben zu haben, entschieden zurück, man habe auch keine Unterlassungserklärung abgegeben.
Fest steht auch: Der NDR hat selbst schon mit dem OCCRP kooperiert, laut Pressestelle zum ersten Mal 2021 im Projekt „Suisse Secrets“, zuletzt bis Februar 2023 in einer Recherche zu Transparenzregistern.
Beginn der NDR-Recherchen über das OCCRP war im Januar 2023. Der leitende Redakteur für investigative Recherchen, John Goetz, ein renommierter und preisgekrönter Investigativjournalist, nahm sich das Thema vor. Zwischen Juni und September 2023 führte er gemeinsam mit einem Kollegen Interviews mit Vertretern von US-Behörden und OCCRP-Chef Sullivan. Auf Aussagen aus diesen Gesprächen stützt sich die Kritik an dem Rechercheverbund maßgeblich.
Goetz holte außerdem den rumänischen freien Investigativjournalisten Stefan Candea ins Boot, der seit Jahren mit, für und über internationale Rechercheverbünde arbeitet. Im September 2024 teilte das Team seine Ergebnisse mit den Partnern um „Mediapart“, um gemeinsam weiter zu recherchieren, und das Ergebnis dann zu veröffentlichen. Auf Anfrage von Übermedien verwies Goetz an die Pressestelle.
Die NDR-Reporter hatten OCCRP Ende August bereits mit den Vorwürfen konfrontiert, ihre Recherchepartner fanden nun weitere Fakten und wollten deswegen ein zweites Mal um eine Stellungnahme bitten. Daran wollte sich der NDR aber plötzlich nicht mehr beteiligen und die Ergebnisse der kompletten Recherche auch nicht mehr gemeinsam mit ihnen publizieren. „Mediapart“ zitiert dazu aus einer E-Mail der zuständigen Führungskräfte an die Recherchepartner, dass man durchaus einen Bericht senden wolle, aber erst, nachdem die vier Medienpartner ihre Recherchen veröffentlicht hätten. Der NDR kommentiert die entsprechenden Zitate nicht, die Mail sei vertraulich gewesen.
Der von der NDR-Pressestelle angeführte Grund für die Entscheidung: Im ganzen Sender habe sich keine Redaktion gefunden, die die Recherche in ihrem Programm zum Thema machen wollte. Nach Informationen von Übermedien sollte die Recherche ursprünglich im Reportageformat „Strg_F“ laufen. Das geriet allerdings im Januar 2024 wegen seiner journalistischen Arbeitsweise massiv in die Kritik, legte ein halbes Jahr Sendepause ein und hat sich seitdem keinen Medienthemen mehr gewidmet. Nach Informationen von Übermedien bot das Rechercheteam sein Material stattdessen unter anderem dem Team der „Tagesschau“, der Mediensendung „Zapp“ und „Panorama“ an – vergeblich.
Der NDR verweist auf Anfrage von Übermedien auf die Freiheit der einzelnen Redaktionen, ihre Themen festzulegen. Es ist allerdings verwunderlich, dass ein Sender mit so vielen Radio- und Fernsehformaten keinen Sendeplatz für eine Recherche aus dem eigenen Haus findet.*
Dem Thema mangele es an Relevanz, argumentieren die zuständigen Führungskräfte in der E-Mail an „Mediapart“ Die Recherche sei von „geringem Interesse“ für die NDR-Zuschauer. Als die Recherchepartner das OCCRP ein zweites Mal mit ihren Ergebnissen konfrontieren wollten, sei man zudem schon „nicht mehr Teil der Recherche gewesen“, behauptet die Pressestelle auf Nachfrage von Übermedien. Diese Recherchepartner aber sagen, sie seien zu diesem Zeitpunkt weiter überzeugt gewesen, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten. Von einem Ausstieg des NDR wussten sie nach eigenen Angaben nichts.
Es ist natürlich legitim, dass ein Sender sich auch nach aufwendigen Recherchen noch gegen ein Thema entscheidet. Es spricht allerdings einiges dafür, dass mangelnde Relevanz in diesem Fall nicht der Grund war. Die Recherche führte schon im Herbst 2023 dazu, dass der NDR seine Partnerschaft mit dem OCCRP pausierte, weil er die Informationen über den Rechercheverbund offenbar als bedeutsam eingestuft hatte.
Der NDR sagt auf Übermedien-Anfrage, es ein übliches Vorgehen, bei kritischen Recherchen zu Partnerorganisationen die Zusammenarbeit „bereits zu Beginn“ vorsorglich auf Eis zu legen. Wenn das stimmen würde, hätte der Sender die Zusammenarbeit allerdings schon im Januar 2023, als die Recherche losging, pausieren müssen – und spätestens im Juni vor den ersten Interviews. Im Frühling und Sommer gab es laut Pressestelle ohnehin keine weitere Zusammenarbeit mit dem OCCRP.
Laut „Mediapart“ wurde die bewusste Entscheidung gegen weitere OCCRP-Kooperationen aber erst im September 2023 getroffen, als die wichtigsten Interviews geführt waren, die Chefredaktion einen ersten Rohschnitt zu Gesicht bekam und klar wurde, wie groß die Abhängigkeit des Investigativnetzwerks von der US-Regierung tatsächlich ist. Auch gegenüber dem Branchendienst „turi2“ hatte eine NDR-Sprecherin noch gesagt, die Zusammenarbeit sei „aufgrund der Erkenntnisse von NDR-Journalisten“ auf Eis gelegt worden. An einer Stelle hat die Pressestelle also die Unwahrheit gesagt.
Verwunderlich ist auch, dass der NDR 18 Monate lang die Recherche mit Reisen unter anderem nach Washington und Sarajevo unterstützte – was dafür spricht, dass das Thema lange auch auf Führungsebene als wichtig genug angesehen wurde, um in die Arbeit daran zu investieren.
In einem anderen Punkt äußert sich der NDR irreführend: Es habe kein sendefertiger Film vorgelegen. Das ist formal richtig. „Mediapart“ bestätigte Übermedien allerdings, dass sie von den NDR-Autoren einen 26-minütigen Rohschnitt erhalten hätten. (Update am 17.12.2024: Der 26-minütige Rohschnitt des NDR-Beitrags über das OCCRP ist inzwischen geleakt worden und kann online unter diesem Link komplett angeschaut werden.) Ein Rohschnitt ist ein prinzipiell fertig konzipierter Beitrag, der von der Redaktion abgenommen werden kann. Nach deren Rückmeldung folgen dann unter anderem Feinschnitt und Vertonung, bis der Film sendefertig ist.
Der vom NDR beschäftigte freie Journalist Stefan Candea sagt Übermedien, seines Wissens nach habe es in der dritten Septemberwoche eine erfolgreiche redaktionelle Abnahme des Beitrags gegeben. Einen Tag später habe der obligatorische Termin mit dem Justiziariat stattgefunden, bei der ein Justiziar den Beitrag im Beisein der Autoren anschaut und im Anschluss das Skript prüft. Danach habe es seines Wissens aber keine Rückmeldung mehr gegeben – insofern wurde der Beitrag nie als „sendefertig„ eingestuft.
Vom NDR wiederum heißt es auf Anfrage von Übermedien, es habe lediglich einen „Zusammenschnitt von Interviewteilen und Sequenzen der Recherche“ gegeben, der auch nach Auffassung der Redaktionen „in keinem veröffentlichungsreifen Stadium“ gewesen sei. Die Autoren hätten ihn lediglich genutzt, um Redaktionen ihre Recherche vorzustellen. Es sei nicht abzusehen gewesen, wie viel Zeit und Mittel noch zusätzlich hätten investiert werden müssen.
Im harmlosesten Fall zeigt das Beispiel, wie planlos und unkoordiniert ein öffentlich-rechtlicher Sender Ressourcen vergibt und Inhalte plant: Nach vielen Monaten aufwendiger Recherche, einer extra vereinbarten Kooperation mit Medienpartnern und einem großen Teil der Schnittarbeit versandet ein fast fertiger Beitrag irgendwo zwischen Zuständigkeiten und Programmschemata – ohne dass der Sender eine inhaltliche Begründung geliefert hat, warum das Thema nicht ausgestrahlt wurde.
Weitere Indizien deuten allerdings darauf hin, dass der NDR nicht nur chaotisch, sondern bewusst zurückhaltend war, mit der eigenen Recherche über einen hochgelobten Kooperationspartner an die Öffentlichkeit zu gehen. Dafür spricht nicht nur die fehlende Freigabe durch die Justiziare, die ungewöhnlich ist – vor allem, weil das NDR-Justiziariat nicht dafür bekannt ist, bei juristischen Drohgebärden klein beizugeben. Es gibt außerdem weitere Widersprüche.
So beweist die Webseite einer Journalistenkonferenz in Göteborg, dass „Strg_F“ dort im Herbst 2023 einen Beitrag präsentieren wolle – später verschwand das Logo der Sendung von der Homepage. Man habe damals die Rechercheergebnisse über das OCCRP vorstellen und offen diskutieren wollen, sagt Stefan Candea, aber der NDR habe die Teilnahme zurückgezogen. Wer diese Entscheidung getroffen hat, weiß er nicht.
Ebenfalls widersprüchlich: Gegenüber „Mediapart“ variierte der NDR die Begründungen dafür, aus der Recherche auszusteigen. Am 17. Oktober teilte der zuständige Redakteur „Mediapart“ zunächst mit, dass man sich an der Konfrontation des OCCRP nicht beteiligen werde und verwies für weitere Fragen direkt an die Pressestelle – ein äußerst ungewöhnliches Vorgehen unter Recherchepartnern. Denn hätte die Redaktion inhaltliche Bedenken gehabt oder schlicht keinen Sendeplatz gefunden, hätte sie genau das ihren Partnern ja einfach mitteilen können.
„Mediapart“ schickte daraufhin einen Beschwerdebrief an die drei zuständigen Führungskräfte: An Juliane von Schwerin, stellvertretende Programmdirektorin und Hauptabteilungsleiterin des Programmbereichs Gesellschaft, zu dem „Strg_F“ gehört und in dem die Recherche angesiedelt war. An Andreas Cichowicz, den Chefredakteur für den Bereich Information im Sender. Und an Adrian Feuerbacher, den NDR-Chefredakteur, ebenfalls angesiedelt im Bereich Information. Alle drei verwiesen in ihrer bereits erwähnten Antwort auf mangelnde Relevanz, aber auch auf „inhaltliche und rechtliche“ Gründe – auch hier ohne konkret zu werden. Als „Mediapart“ daraufhin ankündigte, über das Verhalten des NDR einen Artikel veröffentlichen zu wollen, verwies der NDR wiederum auf „Lizenz- und Haftungsfragen“ – auch hier laut „Mediapart“ ohne Konkretisierung.
An keiner Stelle konnte der NDR also nachvollziehbar begründen, warum er bei einer Veröffentlichung irgendwelche Probleme sah, und das nicht einmal gegenüber seinen eigenen Recherchepartnern, mit denen man noch kurz zuvor eine Recherchekooperation gestartet und vertrauliches Material geteilt hatte (und die von eventuellen inhaltlichen Problemen ja auch hätten erfahren müssen).
Und noch ein merkwürdiges Detail steckt in dem Brief, mit dem die NDR-Führungskräfte auf den ersten Brief von „Mediapart“ geantwortet haben: Dort heißt es, sie sähen es als „voreilig“ an, dass „individuelle NDR-Mitarbeiter“ eine Recherchekooperation gestartet hätten. Doch „Mediapart“ zufolge war zumindest eine der drei Führungskräfte, die Leiterin des Programmbereichs Gesellschaft, Juliane von Schwerin, früh in die Entscheidung eingebunden und hatte sie gutgeheißen. Das belege eine E-Mail vom 11. Oktober, die „Mediapart“ vorliege, Übermedien aber nicht einsehen konnte.
Annika Schneider ist Redakteurin bei Übermedien. Als freie Medienjournalistin hat sie vorher als Moderatorin und Autorin beim Deutschlandfunk und WDR gearbeitet. Außerdem war sie Kolumnistin beim MDR-Altpapier.
Alexander Graf ist seit 2024 Chefredakteur von Übermedien. Er war Redakteur der „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und hat anschließend als freier Journalist mit den Schwerpunkten Wissenschaft und Medien gearbeitet. Von 2021 an war er Chefredakteur von „medium magazin“.
Zusammenfassend bedeutet das: Eine aufwendige, kostenintensive Recherche von einem im eigenen Haus festangestellten Investigativredakteur erblickt nie das Licht der Öffentlichkeit, ohne dass es dafür irgendeine stichhaltige inhaltliche Begründung gibt – weder gegenüber den beteiligten Medienpartnern noch gegenüber der Öffentlichkeit.
Das Rechercheteam um „Mediapart“ berichtet, ihnen sei von Sullivan mit rechtlichen Schritten gedroht worden. Der OCCRP-Chef habe außerdem versucht, die beteiligten Reporter zu diskreditieren. NDR-Redakteur Goetz habe er in einer E-Mail an OCCRP-Reporter in die Nähe Russlands zu rücken versucht, allerdings ohne Belege. Das OCCRP-Board verwies in seiner Stellungnahme an die Rechercheure zudem raunend „auf persönliche Konflikte“ Candeas mit dem Netzwerk, ohne dafür aber Belege zu liefern. Das Team um „Mediapart“ hatte diesem Vorwurf bereits in einem Anhang an den am Montag veröffentlichten Text detailliert widersprochen.
Beim NDR scheint nachträglich zumindest eine Redaktion der Meinung zu sein, dass die einseitige Finanzierung einer so großen Journalistenorganisation für die eigene Zielgruppe schon interessant ist: Die Medienredaktion „Zapp“ veröffentlichte doch noch einen Text über die Vorwürfe gegen den Rechercheverbund – zwei Tage nach den ehemaligen Recherchepartnern. Dass wesentliche Teile von Kollegen aus dem eigenen Sender geliefert wurden, wird allerdings nur am Rande erwähnt, der Vorwurf der „Zensur“ am Ende des Textes in einem Infokasten versteckt („Was hat ZAPP damit zu tun?“).
Auch Stefan Candea, der vom NDR eingekaufte Freelancer, veröffentlichte die Ergebnisse der Recherche mit Einverständnis des NDR trotzdem: Er war Co-Autor der Texte von „Mediapart“ und bei den drei weiteren Recherchepartnern.
Bemerkenswert ist, dass die Recherche zum OCCRP in der Investigativ-Szene überwiegend kritisiert oder zumindest als wenig spektakulär abgetan wird. So schrieb etwa Mark Lee Hunter, Gründer des Global Investigative Journalism Network (bei dem auch das OCCRP Mitglied ist) bei LinkedIn: „What a bizarre ‚investigation‘, which is shocked by perfectly normal things.“ Die Vorwürfe seien banal, die Rechercheure hätten nichts Substanzielles herausgefunden. Stattdessen hätten sie die Macht des investigativen Journalismus für eine voreingenommene Story missbraucht.
Eine ähnliche Kritik klingt auch in Hintergrundgesprächen durch, die Übermedien mit Investigativjournalisten geführt hat. Von Missbrauch oder Voreingenommenheit kann aber keine Rede sein – dazu sind die veröffentlichten Texte von „Mediapart“ & Co. zu sauber. Das Rechercheteam hat alle Beteiligten mit den Vorwürfen konfrontiert und ihren Stellungnahmen in der Veröffentlichung viel Raum gegeben. Die genannten Zahlen stammen aus einsehbaren Quellen, belastende Zitate größtenteils aus den vom NDR geführten Video-Interviews mit Sullivan und Vertretern der US-Regierung. Das OCCRP hat zudem keinem der zentralen Fakten widersprochen, sondern vor allem deren Darstellung als verzerrend kritisiert. (Wir haben uns die Vorwürfe von „Mediapart“ sowie die Argumente der Kritiker sowie des OOCRP hier auch noch einmal genauer angeschaut).
Unabhängig davon, wie man einzelne Punkte bewertet, belegt die Recherche eindeutig ihren zentralen Vorwurf, nämlich dass das OCCRP in einer „strukturellen Abhängigkeit von der US-Regierung“ steht. Und dass es in dieser Struktur medienethische Sollbruchstellen gibt, lässt sich ebenfalls kaum bestreiten.
Yann Philippin von „Mediapart“ schreibt Übermedien, am wichtigsten sei, dass das Ausmaß der US-Förderung und die sich daraus ergebenen Abhängigkeiten „von OCCRP auf klare und einfache Weise öffentlich gemacht wird, beispielsweise durch das Hinzufügen eines Hinweises am Ende der Artikel. Dadurch können die Leser der Geschichten sich selbst eine Meinung über mögliche Einflussnahmen oder Befangenheiten bilden.“
Natürlich muss man darüber diskutieren, ob aufwändiger Investigativjournalismus fast nur noch mit staatlichen Mitteln oder Geldern reicher Stifter finanzierbar ist, welche strukturellen Risiken und medienethischen Fragen damit verbunden sind und welche Form von Transparenz verbindlicher Standard sein sollte. Der NDR liefert keine konkreten Gründe, warum er das alles nicht für berichtenswert hält.
Zumal die Reaktionen von OCCRP und NDR kein gutes Licht auf die Fähigkeit zur Selbstkritik in der Branche werfen. Es ist bezeichnend, dass die Akteure vielmehr genau so handeln, wie sie es sonst den Objekten ihrer Berichterstattung vorwerfen. Drew Sullivan diffamiert Rechercheure, droht mit juristischen Schritten und skandalisiert allein den Fakt, dass es jemand wagt, einen kritischen Blick auf seine Organisation zu werfen. Der NDR agiert undurchsichtig und zeigt keinerlei Interesse daran, eine selbstbewusste redaktionelle Begründung für seinen Verzicht auf die Geschichte zu liefern.
Der NDR-Freie Stefan Candea findet hingegen: Eigentlich hätte der NDR stolz auf die Recherche sein können. „Die Interviews mit dem OCCRP waren sehr klar in ihren Aussagen. Das war absurd, die Leute haben alles preisgegeben. Man musste nur zuhören.“
* Korrektur, 06.12.24: An dieser Stelle hatten wir zuerst geschrieben, dass in Dietmar Schiffermüllers Zuständigkeitsbereich auch das Politmagazin „Panorama“ falle, er die OCCRP-Recheche also leicht dort hätte unterbringen können. Das ist nicht korrekt. Schiffermüller ist für die Formate NDR Story, ARD Story, STRG_F und „Panorama – Die Reporter“ verantwortlich.
Update am 17.12.2024: Der 26-minütige Rohschnitt des NDR-Beitrags über das OCCRP ist inzwischen geleakt worden und kann online unter diesem Link komplett angeschaut werden. In dem Film finden sich auch die Interviewausschnitte mit Verantwortlichen aus dem OCCRP-Umfeld, auf die sich die Recherchen beziehen.
Ich danke Übermedien für diesen starken Artikel. Ich bin die Tage durch Zufall auf das Thema gestoßen und bin immer noch sprachlos wie man eine 18-monatige Recherche einfach so plattgemacht hat.
Man sollte den NDR Leuten die ZDF Magazin royale Sendung „Rückgrat“ vorspielen.
Mittlerweile ist ja bekannt, dass die entstanden ist nachdem das ZDF ihnen eine weitere Sendung zum Thema ritueller sexueller Missbrauch kurzfristig verboten hat. Wäre schön dazu hier auch etwas zu lesen.
Es liegt in der Natur der Sache. Zur Unabhängigkeit der Recherchenetzwerke habe ich mich schon mal ausgelassen, deshalb hier keine Wiederholung.
Die im Artikel beschriebene Geschichte illustriert das ein weiteres mal. Vielen Dank für die Mühe, Annika Schneider und Alexander Graf, sich durch den Morast zu quälen.
Mich persönlich lässt das sprachlos zurück. Am Ende geht es bei diesem Investigativjournalismus dann doch nur darum, auf die Fehler derer zu deuten, die einem unliebsam sind?
Womit man dann natürlich alle jene bestärkt, die an nichts mehr anderes glauben wollen als ihre eigene Schwurbelquelle für Nachrichten.
Das privater Journalismus mit hohen ethischen Anforderungen schwer zu finanzieren ist, ist eine Sache, da besteht vermutlich zu wenig Nachfrage/Ausgabebereitschaft bei den Konsumenten.
Eine andere Sache ist es, bei staatlichem Journalismus, wie z.B beim NDR. Die hierfür eingesammelten Steuergelder sollten für das Allgemeininteresse verwendet werden. Verwaltet werden sie aber natürlich wiederum von Menschen mit Eigeninteressen.
Insofern finde ich bei der Wahrheitsfindung ein Medium wie Übermedien hilfreich, vertraue gerade auch Personen wie Herrn Niggemeier. Leider ist Übermedien aber auch deutlich ein Nischenmedium. Die Öffentlichkeit kriegt davon wenig mit.
Und schon taucht der erste (FrankD) in den Kommentaren auf, der den Vorfall benutzen möchte, um gegen unliebsames Faktenchecken zu agitieren.
Das ist derzeit natürlich besonders brisant, da wir uns im Vorwahlkampf mit orchestrierten Wellen von Fake-News konfrontiert sehen-, und noch mehr sehen werden. Woher diese stammen und wem sie dienen sollen, ist bekannt.
Dass gerade diejenigen, wegen derer diese vielen Faktenchecks nötig wurden, nun jede Gelegenheit nutzen möchten, diese zu diskreditieren, ist gerade im Augenblick besonders auffällig.
Deshalb noch einmal zusammengefasst:
Es geht hier nicht um Falschmeldungen des NDR, sondern um das Unterlassen von Veröffentlichung, zudem ohne ausreichende Transparenz die Gründe betreffend.
Bei dem Recherchenetzwerk wird ebenso mangelnde Transparenz, was die Finanzierung angeht und ein resultierender Bias abgemahnt.
Weder die Qualität noch die Wahrhaftigkeit der recherchierten Inhalte wird in Frage gestellt! Es geht um einen blinden Fleck, was die USA als Geldgeber angeht.
Es ist richtig und wichtig aus diesen Anlässen den NDR und das Recherchenetzwerk kritisch zu hinterfragen.
Daraus einen Angriff auf Recherchen und Faktenchecks allgemein basteln zu wollen, ist aber durchsichtig und bei den Haaren herbeigezogen.
Was mein Dreizeiler für Wellen schlägt …
@FrankD:
Zählen können Sie also auch nicht.
Danke für den Überblick. Ich bin aber verwundert über das fehlende Hintergrundwissen – eigentlich zahle ich als Abonnent doch dafür, das alles eingeordnet zu bekommen?!
Das verlinkte Video ist KEIN Rohschnitt einen Beitrags, sondern ein Zusammenschnitt von Interviews, ganz so wie es der NDR schreibt. Dafür gibt es eine Reihe von Indizien: Es fehlen nahezu sämtliche Verknüpfungen zwischen den sound bites; die Tonqualität ist nicht ok (Kamera-Mikro?); die Zitate sind im Bild nicht eingekürzt etc. pp.
Vielleicht gibt es ja bald ein Update nach der Spiegelgeschichte über John Goetz (https://www.spiegel.de/panorama/john-goetz-wie-ein-journalist-in-den-spionage-fokus-geriet-und-ihn-nie-wieder-loswurdehttps://www.spiegel.de/panorama/john-goetz-wie-ein-journalist-in-den-spionage-fokus-geriet-und-ihn-nie-wieder-loswurde-a-2b36a618-0639-4ca8-93c6-7e5a2351b3d9)?