Clickbait

„Es muss Technologien geben, die uns helfen, nicht geistig ausgebeutet zu werden“

Herr Potthast, Sie sind die Hoffnung vieler Internetnutzer.

Ja? So habe ich das noch gar nicht gesehen. Wie kommen Sie darauf?

Sie wollen uns von nervendem Clickbait befreien.

Ich hoffe, dass wir da einen Beitrag leisten können.

Wie?

Das Ziel unserer Forschungsgruppe ist es, einen prototypischen Clickbait-Erkenner zu entwickeln. Der soll ähnlich funktionieren wie eine Spam-Erkennung in E-Mails und in der Lage sein, Inhalte zu erkennen, zum Beispiel bei Twitter, die man als Clickbait betrachten würde – und sie herausfiltern.

Ist das nicht schwierig, zu programmieren, was Clickbait ist – und was eine gut zugespitzte Zeile?

Stimmt, wir haben festgestellt, dass es da ein breites Spektrum gibt. Mancher Clickbait erklärt einem zur Hälfte, was man sehen wird oder worum es sich dreht; anderer Clickbait erklärt einem gar nichts! Und wir haben den Leuten, die die Daten auswerten, auch gesagt, dass sie nicht nur mit Ja oder Nein entscheiden sollen, sondern auf einer vierwertigen Skala: von 0, gar kein Clickbait – bis 4, sehr starker Clickbait.

Und was ist Clickbait, wissenschaftlich betrachtet?

Clickbait ist ein Sammelbegriff für ein Phänomen, das in sozialen Medien entstanden ist. Da kann man sich an der Definition von Merriam-Webster orientieren: Clickbait ist so etwas wie eine Kopfzeile, die designt ist, um Leser dazu zu bringen, einen Link anzuklicken. Hier geht es insbesondere um Links, die zu Inhalten führen, die dubios sind oder deren Wert eher unklar ist. Man könnte sagen: Es sind Nachrichten, bei denen man sehr stark erkennt, dass der Autor der Nachricht eigentlich bloß wollte, dass man auf den Link klickt, anstatt wirklich Interesse zu wecken oder eine gute Geschichte zu verkaufen.

Verbergen sich denn auch mal gute Geschichten dahinter?

Teilweise ja, teilweise nein. Ich kann nicht sagen, wie häufig das eine oder das andere eintrifft. Aber es zeigt sich schon, und das geht auch aus der Definition bei Merriam-Webster hervor, dass es sich eher um Inhalte niedriger Qualität handelt, zu denen man dann gelangt.

Ist es auch eine psychologische Sache? Wird da was getriggert bei Lesern, sodass sie dann zwangsläufig drauf klicken müssen?

Ja, so heißt es. Das ist wissenschaftlich noch nicht richtig erwiesen, und ich wäre auch der falsche Wissenschaftler, das herauszufinden. Das betrifft die Psychologie, nicht die Informatik. Aber es wird kolportiert, dass diese Inhalte so designt sind, dass sie Neugier wecken sollen oder Wut, Hass, Ekel erzeugen, um die Leute zum Klicken zu verleiten. Es werden also grundlegende menschliche Triebe angesprochen. Das kann man dann mit einer Theorie des Psychologen und Ökonoms George Loewenstein in Verbindung bringen. Wenn jemand Neugier empfindet, sagt Loewenstein, oder wenn er eine leichte Wissenslücke bei sich entdeckt, verspürt er den Trieb, diese Neugier zu befriedigen oder die Wissenslücke zu schließen. Wenn es zum Beispiel heißt: „Sie haben das oder das immer falsch gemacht…“ – da kitzelt man das Ego der Leute, die zu der illustren Gruppe gehören wollen, die es angeblich richtig macht. Ob das in seiner Gesamtheit immer so stimmt und für alle Formen von Clickbait zutrifft, ist eine andere Frage. Ich würde es verallgemeinern und sagen: Clickbait ist darauf ausgelegt, menschliche Schwächen auszunutzen.

Seit wann gibt es dieses Phänomen?

Schätzungsweise so seit 2012. Schaut man bei Google Trends, sieht man, dass die Leute dann ab 2013 vermehrt nach diesem Begriff suchen. Es ist durch Startups groß gemacht worden, deren Ziel es war, massenweise virale Inhalte zu produzieren. Es reicht ja nicht, zum Beispiel ein Foto oder ein Video mit an einen Tweet anzuhängen, weil die Leute es sich dann dort anschauen und nicht weiter interagieren. Es gab also das Marketingproblem, wie man die Leute auf die eigene Website lockt, wo man Werbung um Inhalte schalten kann, an denen man verdient. Clickbait löst dieses Problem.

Martin Potthast, Uni Weimar
Martin Potthast

Was stört Sie daran?

Mich stört, dass ich mich dadurch verschaukelt fühle. Jeden Tag schaue ich hunderte, manchmal tausende Headlines an. Und wenn ein signifikanter Teil dieser Headlines Clickbait ist, stört mich das, weil ich die interessanten Sachen herausfiltern muss. Es weckt auch Ressentiments gegen die Urheber. Letztlich geht es darum, den News-Konsum angenehmer zu gestalten.

Sie haben bereits eine Pilotstudie gemacht, auf der Sie nun aufbauen wollen. Was ist da rausgekommen?

Ja, wir haben 3.000 Tweets heruntergeladen und sie manuell ausgewertet, also ob es Clickbait ist oder nicht. Diese Tweets stammen von den 20 englischsprachigen Top-Publishern auf Twitter, also die, die am meisten retweetet wurden im Jahr 2014. Das sind größtenteils Zeitungen, zum Beispiel die „Washington Post“, „New York Times“ oder „Daily Mail“, und reine Internetmedien wie die „Huffington Post“ oder „Buzz Feed“, aber auch TV-Netzwerke wie BBC, CNN, NBC News. Aus einer Woche in 2015 haben wir dann alle Tweets dieser Publisher heruntergeladen und davon zufällig 3.000 ausgewählt. Die wurden von drei Personen bewertet. Auf diese Weise haben wir herausgefunden, dass gut ein Viertel der 3.000 Tweets von mindestens zwei der drei Personen als Clickbait betrachtet wurde. Das ist schon eine ganze Menge, gerade wenn man berücksichtigt, dass auch Medien dabei sind, die eine hohe Reputation genießen.

Renommierte Medien nutzen diesen Weg also auch.

Ja. Lediglich drei der 20 untersuchten Publisher blieben unter zehn Prozent: „Bleacher Report“, ABC und FOX. Der „Guardian“ liegt beispielsweise drüber.

Macht Ihnen das Sorgen?

Ja, in dem Moment, in dem namhafte Nachrichtenverlage diese Techniken aufgreifen, kann man schon mal die Sinnfrage stellen. Es geht ja eigentlich darum, die Leute zu informieren. Dafür sollte man dann auch jeden Kanal optimal nutzen. Und die sozialen Kanäle nicht nur dazu, mit fragwürdigem Inhalt Leute anzulocken, um dann mit Werbung Geld zu verdienen.

Und ein Clickbait-Tweet informiert nicht, sondern – im Gegenteil – er enthält Information vor?

Ja, so kann man das sagen.

Finden Sie es verwerflich, wenn Journalisten Clickbait nutzen?

Ja. Wenn man sich die Kodizes ansieht, die sich Verlage geben, also die ethischen und moralischen Grundlagen des Journalismus, ist es einfach falsch, Clickbait zu verwenden. Ich weiß natürlich, dass Medien, gerade im Internet, Geld verdienen und Aufmerksamkeit generieren müssen. Aber es geht im Journalismus darum, möglichst schnell, möglichst komplett und möglichst objektiv zu informieren. Auch wenn man auf Twitter keine vollständigen Informationen geben kann zu komplexen Sachverhalten, kann man doch zumindest eine klare Zusammenfassung geben, die dann auch Leute lockt, aber eben weil man sie ehrlich für etwas interessiert und sie nicht nur herschafft, damit sie klicken und Geld bringen.

Zugespitzte Überschriften gab es ja immer schon. Sind die wesensverwandt zum Clickbait?

Clickbait ist insofern anders, als dass es datengetrieben optimiert wird. Durch das Feedback, das man aus den sozialen Medien über die Klickrate erhält, ist es nur darauf ausgelegt, die Klickzahlen zu maximieren. Ich hoffe nicht, dass es passiert, aber es kann sein, dass die Kunst oder Profession, eine gute Titelzeile zu erschaffen, in Verruf gerät und so ein bisschen als Kollateralschaden gesehen wird. Sodass es schwer fällt, da zu unterscheiden. Da muss man genau differenzieren. Es spricht ja nichts dagegen, durch eine zugespitzte, ironische oder wie auch immer angelegte Headline Interesse zu wecken. Aber so eine Headline informiert – und lässt einen nicht im Nebel.

Und wie forschen Sie nun weiter?

Auf Grundlage der 3.000 Teeets haben wir ein einfaches maschinelles Lernverfahren trainiert. Und ganz grob über den Daumen gepeilt: 80 Prozent dessen, was Clickbait ist, wird bereits erkannt. Es gibt natürlich noch Fehler, die dieses Verfahren macht. Unsere Arbeit wird sich nun darum drehen, auf Basis größerer Datensätze ein noch besseres maschinelles Verfahren zu erstellen, auf das man sich verlassen kann. Wir werden also mehr Tweets auswerten, wohl so rund 30.000 Stück. Die Pilotstudie haben wir bereits auf einer renommierten Tagung, der European Conference on Information Retrieval (ECIR) in Italien vorgestellt. Und da haben wir tatsächlich den „Best Short Paper Award“ bekommen, was auch ein Zeichen dafür ist, dass das Thema in Zukunft in der Forschungswelt Fuß fassen dürfte. Ein Ziel unseres Projektes ist es auch, Ende des Jahres einen Wettbewerb zu veranstalten, bei dem Forscher aus aller Welt ihre Verfahren gegen Clickbait gegeneinander antreten lassen können. Um damit auch die Forschung voranzutreiben.

Werten Sie eigentlich nur Twitter aus?

Wir versuchen auch andere Kanäle wie Facebook oder auch Youtube anzugehen. Das ist eine andere Art von Clickbait. Und man könnte sich ja auch noch auf den Startseiten von Nachrichten-Angeboten umsehen; da gibt es auch lauter Clickbait oder clickbaitartige Beiträge. Aber wir können nicht alles gleichzeitig machen, deshalb begrenzen wir uns erst mal auf Twitter.

Und am Ende steht der Clickbait-Blocker?

Ja, wir wollen auf jeden Fall einen Prototyp bereitstellen.

Wie lange dauert das?

Das Projekt ist auf ein Jahr Dauer angelegt.

Forschen Sie denn auch zu deutschen Medien?

Natürlich hat man in der Forschung mit Englisch immer eine größere Reichweite, aber ich sehe schon, dass man auch deutsche Daten auswerten müsste. Wenn wir genug Zeit haben, machen wir das noch. Weil wir Technologien entwickeln müssen, die uns helfen, nicht ausgebeutet zu werden, zum Beispiel auf geistiger, mentaler Ebene. Von Content-Produzenten, die nur darauf aus sind, dass ihr Content perfekt rezeptiv ist, also angeklickt wird – er an sich aber wenig Wert hat. Da müssen wir versuchen, mit Technologie die Grenze zu verschieben. Es sollte eine Gegenbewegung geben, die die Werte, die wir verteidigt sehen möchten, mittels Technologie quasi kodiert.

3 Kommentare

  1. Es ist mir bewusst, daß dieser Kommentar von einer Person, die Übermedien *noch* nicht finanziell unterstützt, etwas gewagt ist, aber: Sollte dieser Beitrag vom 10.04.2016 nicht bereits im Archiv allen zugänglich sein?

  2. Gegen Clickbaits gibt es eine ganz einfache Methode: Man geht zum Kiosk an der Ecke und kauft eine richtige Zeitung, oder am besten zwei Zeitungen aus entgegengesetzten, politischen Spektren: also bspw. WELT und Süddeutsche, oder FAZ und taz.
    Und das Internet benutzt man nur noch dafür, wofür es am besten geeignet ist: Pornos und E-Mail.
    Ich persönlich blocke SPON, Focus (Clickbait-Meister), STERN etc. seit Jahren komplett und lebe prächtig damit. Denn diese Online-Blätter verkommen immer mehr zu Auflagenhuren, die mich nicht informieren sondern nur noch unterhalten wollen.

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