Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wie viel Klöckner steckt in Julia Klöckners Text?

Julia Klöckner findet, der Föderalismus in Deutschland sei „verkommen“, und zwar „zu einem System der Verantwortungslosigkeit“, und dass sich das „dringend ändern“ müsse, findet Julia Klöckner auch. So hat sie es jedenfalls in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) geschrieben, im Wirtschaftsteil, Seite 24, in der Rubrik „Standpunkt“.

Wie viel Klöckner steckt in diesem Text? FAS 1.10.2017

Man könnte also meinen, dass das, was dort steht, aus Julia Klöckners eigener Feder stammt, es ihre eigenen Gedanken sind, die sie zu Papier bringt.

Oder doch nicht?

Die Jusos Mainz haben heute auf Twitter darauf hingewiesen, dass Klöckner offenbar mindestens den letzten Absatz ihres Textes aus einem anderen übernommen hat, teilweise sogar wörtlich, aber ohne das zu kennzeichnen. Vorlage muss ein Aufsatz gewesen sein, der bereits vor zehn Jahren erschienen ist, 2007, in einer Textsammlung zu einer Konferenz, die unter anderem von der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerichtet wurde.

Stellt man den letzten Absatz aus Klöckners Text mit dem Aufsatz gegenüber, den der Jurist Hans Hofmann geschrieben hat, ist die Ähnlichkeit augenfällig.

Julia Klöckner Hans Hofmann
Konkret bedarf es einer Entflechtung auf den Gebieten der Gesetzgebungskompetenzen und der Finanzverfassung durch eine Bündelung der Gesetzgebungs-, Vollzugs- und Einnahmekompetenzen (Steuerkompetenz) auf jeweils einer Ebene. Die Verantwortung für Ausgaben und Einnahmen müssen in einer Hand zentralisiert sein. Dies führte zu einer umfassend effizienten Kompetenzausübung. Ein handlungsfähiges Föderalsystem mit einer wirklichen Entflechtung auf den Gebieten der Gesetzgebungskompetenzen wie der Finanzverfassung wäre durch die Bündelung der Gesetzgebungs-, Vollzugs- und Einnahmekompetenz (Steuerkompetenz) jeweils auf einer Ebene zu erreichen. Wenn die Verantwortung für die Aufgabe, für die damit verbundenen Ausgaben und die dazu notwendigen Einnahmen in einer Hand zentralisiert sind, kann eine umfassend effiziente Kompetenzausübung erfolgen.
Ein Reformprinzip der Entflechtung durch partielle Gesetzesautonomie, verknüpft mit einer homogenen Steuerautonomie für die Länder, wäre ein großer Wurf einer Föderalismusreform. Eine Föderalismusreform, die ein solches Reformprinzip
der „Entflechtung durch partielle Gesetzesautonomie verknüpft mit einer homogenen
Steuerautonomie“ für die Länder anwendete, wäre ein großer Wurf für den deutschen
Föderalismus.

Wir haben bei Julia Klöckner angefragt, wie es kommt, dass sie die Zitate in ihrem Gastbeitrag nicht kennzeichnet und ob sie, wie die Jusos es ihr vorwerfen, hier auch ein Plagiat erkennt. Kurze Zeit später meldete sich der Pressesprecher der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion, um ein schriftliches Statement anzukündigen – und zu beschwichtigen.

Diese Geschichte sei ja nun „zu klein“, um von einem Plagiat zu sprechen, sagt der Sprecher am Telefon. Außerdem habe Frau Klöckner ja auch keine Doktorarbeit geschrieben, sondern bloß einen Meinungsbeitrag in der FAS, wo man bekanntlich nicht mit Fußnoten arbeite. Der Text habe auch nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Abhandlung.

Im schriftlichen Statement des CDU-Sprechers wirft er den Jusos dann vor, dass sie den Charakter des Textes „als politischen Meinungsartikel offensichtlich nicht verstanden haben“. Weiter heißt es:

Es geht in dem Artikel darum, Gedanken und Meinungen zu einer möglichen Neuordnung des Föderalismus aus unterschiedlichen Quellen zusammenzufassen und mit eigenen Vorstellungen politisch pointiert einzuordnen. Es ist die Zusammenstellung verschiedener verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Argumente und deren Bewertung. An keiner Stelle erhebt Frau Klöckner den Anspruch, diese Überlegungen als einzige und zum ersten Mal in die Debatte eingebracht zu haben.

Insoweit, schreibt der CDU-Sprecher noch, entlarve sich der Tweet der Jusos „als durchsichtiges Manöver, bei dem es nicht um die sachliche Auseinandersetzung über die brennende Frage der Bund-Länder-Zusammenarbeit“ gehe, sondern „lediglich um die Diskreditierung von Frau Klöckner“.

Das ist natürlich in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Frau Klöckner lässt also mitteilen, dass bei Zeitungstexten das Zitatrecht quasi außer Kraft sei. Das ist neu. Immerhin ist es auch in Zeitungen Usus, Zitate zu kennzeichnen, nicht mit Fußnoten, sondern mit so genannten Anführungszeichen und einem Verweis, von wem das Zitat stammt. Das nicht zu tun, ist laut Klöckners Sprecher aber legitim, solange man nicht behaupte, der oder die Erste zu sein, die diesen Gedanken in die Welt bringe. Wenn man den Gedanken einfach nur hin- bzw. abschreibt und das nicht behauptet, ist das okay.

Nur ist es eben ein Text von Julia Klöckner, es ist ihr „Standpunkt“, so steht es ja drüber, und in der Unterzeile steht: „…findet Julia Klöckner.“ Dass es in dem Artikel darum gehe, „Gedanken und Meinungen“ aus „unterschiedlichen Quellen zusammenzufassen“ und „einzuordnen“, wie die CDU schreibt, steht dort nirgends. Klöckner nimmt auch nirgends Bezug auf andere Autoren, etwa auf Hans Hofmann. Es scheint, vor allem für fachfremde Leser, als entstamme all das, was dort steht, Julia Klöckners Kopf.

Hans Hofmann sieht darin trotzdem kein Problem, wie er auf Nachfrage mitteilt. Das Thema Föderalismusreform sei wichtig, aber eben spröde. Deshalb sei er froh um jeden Politiker, zumal jeden mit Amt, der sich darum öffentlich kümmere. Und sein Text sei ja quasi Gemeingut inzwischen. Kurz: Hofmann, der im CDU-geführten Bundesministerium des Innern arbeitet, findet es okay, dass die CDU-Landtagsabgeordnete Klöckner ihn zitiert, aber nicht nennt.

Die Frage ist nur: Wie viel Klöckner steckt denn in diesem FAS-Gastbeitrag? Das Statement der CDU legt ja nahe, dass Klöckner sich weiterer Gedanken bedient hat, ohne diese kenntlich zu machen. Der Text liest sich ohnehin, vom ganzen Duktus her, wie ein wissenschaftliches Essay. Und auch wenn Klöckner jetzt versucht, die Sache durch ihren Sprecher kleinreden zu lassen: Für diese Art, Gedanken anderer als eigene auszugeben, wird man an Universitäten geteert und gefedert. Und in Zeitungsredaktionen auch.

15 Kommentare

  1. Wenn es sich tatsächlich nur um diese beiden zitierten Stellen handelt, finde ich die „Rechtfertigung“ schlimmer als das Plagiat selber. Sowas kann vielleicht ja mal passieren. Dann sollte nur angemessen fehlerbewusst reagiert werden.

  2. Hat denn Julia Klöckner (oder irgendein anderer Spitzenpolitiker) die Zeit, selbst für so einen Text zu recherchieren und ihn zu schreiben? Das Format, mit „findet Julia Klöckner“ kann genauso heißen, dass ihr Sprecher/Büromitarbeiter/Praktikant das verfasst hat. Sie wäre natürlich trotzdem verantwortlich und die billigen Ausreden fallen auf sie zurück.

  3. Das glaub ich auch eher nicht, dass sie es selber geschrieben hat. Aber, genau, sie verantwortet es eben.

  4. @2 Erwinzk: Ja, es ist sehr wahrscheinlich, weil bei Politiker*innen so üblich, dass nicht Julia Klöckner selbst (ab)schrieb, sondern eine/r ihrer Refernet*innen. Aber, wie gesagt: Sie steht dafür mir ihrem Namen.

  5. @ Boris Rosenkranz

    Dann wäre es aber durchaus ehrlicher, wenigstens einen Co-Autor zu benennen.

    Was sagt eigentlich die FAS dazu? Man kann ja auch die kleineren Fehler mal zum Anlaß nehmen, die Qualitätskontrolle zu überprüfen und muß nicht immer erst den großen Skandal abwarten.

  6. @5 Telemachos: Aber das wird ja (fast) nie gemacht, wenn es um Texte von Politikern geht. Um solche oder Vorworte, Grußworte, irgendwas. Und bei Wahlkampfreden sagt auch keiner zum Schluss: „Außerdem danke ich meiner Referentin, die mir diese klugen Worte in den Mund gelegt hat.“

    Die FAS habe ich auf Twitter gefragt, genauer: die Wirtschaftsredaktion. Die hat sich dazu aber bislang nicht geäußert.

  7. @ Boris Rosenkranz

    So recht überzeugt mich das nicht. Das gesprochene Wort hat doch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie irgendwann in der Antike. Das mag sich wieder ändern, da zunehmend damit gerechnet werden muss, dass jemand mit dem Smartphone mitfilmt und dokumentiert.

    Sind Sie sich sicher, dass Politiker ihrem Wahlkampfteam nicht auch hin und wieder öffentlich danken?
    Abgesehen davon empfinde ich Wahlkampfreden nicht als treffenden Vergleich für glaubwürdigen Journalismus und journalistische Standards.

    Ich würde ja davon ausgehen (wollen), dass Politiker bei Buchveröffentlichungen und in wissenschaftlichen Texten ihre Co-Autoren erwähnen. Wieso also nicht auch bei Zeitungsartikeln? Bricht man sich dabei ein Bein ab?
    Klar, ist das irgendwie eine Petitesse, aber halt auch ohne großen Aufwand veränderbar.

  8. Hat Hans Hoffmann hiermit die Erlaubnis gegeben, seine Texte ohne Kennzeichnung verwenden zu dürfen?

    @7 Telemachos
    MIr ist nur eine Rede von Gerhard Schröder in Erinnerung, in der er auf seinen Redenschreiber verweist, der ihm das Wort Bachelor parllel in Lautschrift ins Manuskript schrieb.

  9. @ alle,
    also es gibt soviel echte sachen, über die es sich aufzuregen gilt. dass sich wirklich vielbeschäftigte, verantwortungstragende leute, ihre reden schreiben lassen (im zweifel ja durchaus mitwirkend), ist völlig in ordnung (finde ich). da sie ja die verantwortung tragen.

  10. Genauso schlimm ist allerdings die Substantivierung von Sprache, die letztlich einem schlecht lesbaren Politik-Sprech-Text führt.

  11. Glaubt irgendwer, die Vorstandschefs eines Dax-Konzerns schrieben ihre Reden oder Gastbeiträge für (Fach-)Zeitschriften selber? Dafür gibt es Kommunikationsabteilungen, die sich das zum Teil von freien Autoren liefern lassen. Selbstverständlich steht hinterher nicht der Name des Lieferanten unter dem Text, sonder der des Politikers, Vorstands oder Entwicklungschefs. Und, ehrlich gesagt: Mir ist es lieber, als Ghostwriter am Ende des Tages 1000 oder 2000 Euro für einen solchen Beitrag an das Industrieunternehmen XY in Rechnung zu stellen als die Ehre zu haben, für FAZ, Welt oder Kleinkleckersdorfer Tagblatt zu arbeiten und 80 Cent pro Zeile zu bekommen.

  12. Vielleicht mal wieder daran erinnern: Dass es auch Schlimmeres gibt, als das im Artikel (zu Recht) erwähnte, ist kein Grund, es nicht aufzuspießen und anzuprangern.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.