„Die Welt“

Literaturkritiker warnt Schwule: Lasst euch nicht mit Arabern ein!

Praktische Lebenshilfe findet sich an den überraschendsten Stellen, sogar in der „Literarischen Welt“. Am vergangenen Samstag gab der Kritiker Tilman Krause homosexuellen Männern den Rat, sich nicht mit Arabern einzulassen. Tun sie es doch, sollten sie sich hinter nicht beschweren, wenn sie vergewaltigt oder fast umgebracht werden.

So muss man wohl seine Besprechung von „Im Herzen der Gewalt“ lesen, dem neuen Roman des jungen französischen Schriftstellers Édouard Louis. Der Erzähler lernt Weihnachten 2013 einen Algerier namens Reda kennen, der in Paris lebt und ihn nett anspricht. Er nimmt ihn mit nach Hause, sie verbringen eine leidenschaftliche Nacht voll gemeinsamer Lust, irgendwann merkt er, dass Reda sein Handy und sein iPad stehlen will. Als er ihn zur Rede stellt, vergewaltigt ihn Reda und versucht ihn umzubringen.

Das ist keine Fiktion. Der Roman ist autobiographisch. Louis hat das Geschehen nur in eine literarische Form gebracht.

Das Buch wird von vielen Rezensenten gefeiert. „Welt“-Kritiker Tilman Krause ist nicht begeistert, aber das scheint weniger formale, als inhaltliche Gründe zu haben.

Von den „Risiken eines freizügigen Lebens als Homosexueller“ handele das Buch, steht über seiner Besprechung. Als Ausgangspunkt nimmt Krause, dass Louis – wie die Helden in den Romanen von Honoré de Balzac – aus der französischen Provinz nach Paris gezogen sei, um dort einen Neuanfang zu versuchen und dafür „Kulturtechniken“ erwerben müsse, die ihm fremd seien. Louis wolle in der Metropole endlich seine „Homosexualität ausleben“, schreibt Krause, und mache dabei „gleich mehrere kapitale Anfängerfehler“. Krause mahnt: „Auch unabhängig von der Ansteckungsgefahr durch Aids sollte man sehr genau überlegen, mit wem man sich einlässt.“

Die drei „Anfängerfehler“ Louis‘ sind laut Krause: Er lässt sich von einem Araber anquatschen. Er nimmt den Araber mit nach Hause. Er glaubt, mit dem Araber reden zu können.

Doch, wirklich: Das sind die Dummheiten – die einem erfahreneren Homosexuellen wie Krause natürlich nicht passieren würden. Er zählt sie, erstens, zweitens, drittens, auf:

Erstens lässt sich der hier noch Zwanzigjährige abseits der Pfade seiner Gay Community, nämlich an der Place de la République, an Heiligabend (!) von einem Araber anquatschen.

Auch noch am heiligen Abend!

Louis hätte Zweifel haben müssen, erklärt Krause, weil Reda ihm „die blumigsten Komplimente“ machte, was „für schwule Kontaktanbahnung ganz ungewöhnlich“ sei.

Èdouard, weit davon entfernt, misstrauisch zu werden, nimmt Reda, weil der so insistiert, mit nach Haus. Zweiter kapitaler Fehler.

Der „dritte Fehler“ ist dann, dass er den „hübschen Dieb“, nachdem er ihn ertappt hat, zur Rede stelle:

Das Therapeuthensprech [sic] à la „Es ist nicht zu spät, du nimmst deine Sachen und mein Geld, wenn du willst, du gehst einfach und ich mache nichts“ versteht der Araber nicht. Er wird so aggressiv, dass er sich den Ich-Erzähler noch einmal vornimmt. Plötzlich ist auch ein Messer im Spiel. Es fließt viel Blut.

Man lässt sich nicht von einem Araber anquatschen. Man nimmt ihn nicht mit nach Hause. Und der Araber versteht keinen Therapeutensprech.

Und weil Louis diese drei Fehler gemacht hat, darf er sich weder wundern noch beklagen, dass er dann von dem Araber vergewaltigt wurde. Der Held zeige „keine Einsicht in die Tatsache, dass er sein Unglück selbst herbeigeführt hat“, diagnostiziert Krause. „Seine Schmerzsuche erscheint als pseudoromantisches Konstrukt, wenn nicht als persönliche Wehleidigkeit.“ Von der „unverschuldeten Schmerzwahrhaftigkeit eines Imre Kertész“, den Louis am Ende zitiert, sei sein Buch ohnehin weit entfernt.

Èdouard Louis, der vergewaltigt und fast umgebracht wurde, muss sich von dem Berliner Literaturkritiker der „Welt“ „persönliche Wehleidigkeit“ vorwerfen lassen. Das Unglück habe er selbst herbeigeführt. Er sei schuld daran, dass er vergewaltigt wurde.

Die Schuld für eine Vergewaltigung beim Opfer zu suchen, ist eine klassische Umkehr. Üblicherweise müssen Frauen das ertragen, hier nun ein schwuler Mann.

Aber der Clou ist, was der entscheidende Fehler des Opfers aus der Sicht Krauses war: sich mit einem Araber eingelassen zu haben. Als Araber wird Reda im Buch übrigens gar nicht bezeichnet: Er ist Kabyle, Angehöriger eines Berbervolkes aus Algerien. Es sind die Polizisten, die im Buch auf die Personenbeschreibung reagieren, und ihn fragen: „Ist das so Ihr Ding, alles Arabische?“ Ihr Rassismus schockiert Louis. Rassismus spielt eine wichtige Rolle im Buch. Der Erzähler versucht sehr, sich vom Schmerz nicht zu Verallgemeinerungen, Rassismus oder Hass verleiten zu lassen.

Édouard Louis hat sich nach eigenem Bekunden viel Mühe gegeben, seiner Geschichte eine literarische Form zu geben, „die jede rassistische Lesart des Buches pulverisiert und unmöglich macht“. Gegen Tilman Krauses Rassismus kam er nicht an.

9 Kommentare

  1. Das mit „Algerier sind doch keine Araber“ war auch mein erster Gedanke.

    Obwohl das eigentlich fast egal ist; die meisten Deutschen, die Vorurteile gegen Araber haben, haben die auch gegen Berber und umgekehrt.

  2. Krass, was für ein Rassismus da in der Welt zutage tritt. Und so offen. Einfach krass.

    @Mycroft, „sind keine“ würde ich nicht so pauschal sagen. In der Wikipedia steht zu Algerien: „Fast alle Algerier sind berberischer Herkunft; nur etwa 40 % bekennen sich zu ihrer berberischen Identität. Algerien widerfuhr im Zuge der Islamisierung im 7. und 8. Jahrhundert eine umfassende Arabisierung hinsichtlich Kultur, Sprache und Religion.[7] Vorwiegend sich als Araber bezeichnende Menschen (70 %) und verschiedene Berberstämme (30 %), die zum Teil arabisiert sind, bevölkern Algerien.“ – was ich so lese, dass die Mehrheit der Algerier sich als Araber identifiziert.

  3. In Ihrer Kritik, Herr Niggemeier, vermisse ich den direkten Hinweis auf der Sachebene. Handwerklich ist die sogenannte Literaturkritik absolut daneben. Der Kritiker bewertet dreist, eine tatsächliche autobiographische Verhaltensweise, aber nicht die künstlerisch Verarbeitung derselben. Damit stellt er neben seiner ethischen Integrität auch seine Professionalität absolut in Frage.

  4. @ErwinZK, #3:
    Ok, dann kenne ich mehr die nicht-so-arabischen Algerier.

    „In den arabischen Dialekten, also der Umgangssprache, bezeichnet das Wort Araber (عرب / ʿarab) „echte“ Araber von der Arabischen Halbinsel, alternativ auch Golf(staat)ler (خليجي / ḫalīǧī) genannt. Im offiziellen Sprachgebrauch und der Hochsprache bezeichnet Araber (عرب / ʿarab) arabischsprachige Menschen, teilweise sogar ausgedehnt auf nicht-arabischsprachige (z. B. Komorer, قمري / qumurī).“ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Araber#Bedeutungswandel_des_Wortes_Araber

    Der Begriff „Araber“ ist im Arabischen offenbar weicher definiert als der Begriff „Deutsche“ im Deutschen.

    Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass solche Feinheiten Krause egal wären, oder meinen Sie, der sagte: „Achso, ein berbersprechender Algerier? Hatte ich überlesen, sorry. Nee, dann hat der Junge doch alles richtig gemacht, dann hätte man mit sowas ja nie rechnen können. Berber sind ansonsten die besten Menschen!“

  5. Bei einer Vergewaltigung, während man darüber nicht einmal direkt berichtet, sowohl Victim-Blaming als auch rassistische Hintergründe zu bemühen, das schaffen selbst Welt und Bild nur bei Homosexuellen.

  6. Gerade die ganze Kritik gelesen: Erbärmlich schlecht, auf jeder Ebene. Der Kernpunkt ist tatsächlich Victim Blaming auf unterstem Niveau, gemünzt mit einer ordentlichen Portion Rassismus.

  7. So viel niederträchtiger Stuss in so einem kurzen Text, das muss man auch erstmal bringen. Da weiß ich gar nicht, worüber ich mich zuerst ärgern soll. Neben victim blaming und Rassismus finde ich ja auch das hier krass:

    Dieser Reda macht ihm, für schwule Kontaktanbahnung ganz ungewöhnlich, die blumigsten Komplimente, die darauf hindeuten, dass er wohl mehr Erfahrung mit weiblichen Objekten der Begierde hat.

    Zu mehr Kommunikation als „Ficken? – Ja/nein“ sind Schwule nach Ansicht Krauses anscheinend nicht in der Lage. (Was das über sein Selbstbild aussagt, sei dahingestellt.) Und Flirterfahrung mit Frauen zu haben macht verdächtig. Bisexuelle und Schwule mit späterem Coming-out existieren bei Krause offenbar nicht. Jedenfalls nicht bei Arabern (oder was Krause dafür hält).

    @Daarin / #6: Ach, sowas würde ich diesen Blättern auch bei Frauen zutrauen, die sich „mit Arabern einlassen“…

  8. Zitat „Dieser Reda macht ihm, für schwule Kontaktanbahnung ganz ungewöhnlich, die blumigsten Komplimente, die darauf hindeuten, dass er wohl mehr Erfahrung mit weiblichen Objekten der Begierde hat.“

    So, so… wir weiblichen „Objekte der Begierde“ brauchen blumigste Komplimente? Nee, Herr Krause, brauchen wir nicht bei einem One-Night-Stand. Nach 30 Jahren Ehe wäre schön.

    Aber so kriegen alle einen gewischt: Kerle, die mit „Arabern“ schlafen und Frauen, die sich mit blumigen Worten rumkriegen lassen.

    Am Anfang der Rezension hat man nicht das Gefühl, dass es sich um eine echte Begebenheit handelt und denkt, dass der Krause den Autor abwatschen will für die Fiktion.
    Ist jedenfalls viel Name-Dropping um schöngeistige Literatur.
    Die FAZ hat es letztes Jahr besser gemacht.
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/edouard-louis-roman-histoire-de-la-violence-vor-gericht-14148393.html

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.