Fragen & Antworten: Daniela Dahn
Liebe Frau Dahn,
ich bin freier Journalist und recherchiere im Auftrag des Online-Magazins Übermedien. Ob Sie mich unterstützen könnten? Derzeit arbeite ich an einem kritischen Porträt der Online-Zeitschrift Rubikon, deren Beirat Sie angehören. Ich habe folgende Fragen:
1. Auf der Homepage des Rubikon steht: „Die Mitglieder des Beirats (…) beraten bei Bedarf die Redaktion“. Wie sieht diese Beratung konkret aus? Könnten Sie aus Ihrer Erfahrung ein Beispiel nennen?
2. Im Rubikon veröffentlichte eine ganze Reihe von prominenten und angesehenen Autorinnen und Autoren, darunter Edward Snowden, Gabriele Krone-Schmalz oder Konstantin Wecker. Auch Sie, liebe Frau Dahn, zählen dazu. Allerdings brachte der Rubikon auch immer wieder Artikel, die aus meiner Sicht fragwürdige Thesen ohne Belege enthalten. Als Beispiel sei ein Text von Elias Davidsson über den Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz genannt (veröffentlicht am 14.Dezember 2017). Davidsson behauptet in diesem Text unter anderem: „Ob Menschen tatsächlich in dieser Operation gestorben sind, ist nicht eindeutig geklärt.“ Was sagen Sie dazu?
3. Was der Rubikon zur Corona-Krise veröffentlichte, stieß auf umfassende Kritik auch bei zwei Autoren, die sich zu den Unterstützern „alternativer“ Medien zählen. Sachbuchautor Alexander Unzicker schrieb auf Telepolis von einem „Versagen der alternativen Medien“. Unzicker urteilt in seinem Artikel: „Am tiefsten in der faktenfreien Blase verhaftet ist das Magazin Rubikon.“ Dort finde man zum Thema Corona alles – „vom Geschwafel über einen neuen Faschismus durch Corona bis hin zu menschenverachtenden Phantasien, die Alten könne man ja sterben lassen“. Florian Kirner, Mitgründer des Rubikon, kritisierte auf der Webseite diefreiheitsliebe.de, dass Rubikon-Chef Jens Wernicke – ein Kulturwissenschaftler – „in einer medizinischen Frage öffentlich Entwarnung, Fake und Hoax“ blase. Kirner erklärt, erplädiere für eine „plurale Debatte“ im Rubikon. Jedoch: „Autoren, die die Sache anders sehen, kommen nicht mehr zu Wort“. Auch sein Artikel sei vom Rubikon abgelehnt worden. Kirners Fazit: „Rubikon agiert aus meiner Sicht verantwortungslos.“ Mich interessiert, was Sie zu diesen Vorwürfen sagen.
Guten Morgen Herr Holland-Letz,
analytische Porträts sind immer gut. Aber wenn von vornherein feststeht, dass es ein „kritisches Porträt“ zu werden hat, bin ich hellhörig. Ich gehe davon aus, dass Sie demnächst von uebermedien auch den Auftrag bekommen, ein kritisches Porträt über ein „Qualitätsmedium“ zu machen. Denn das derzeitige Protestbedürfnis vieler Menschen erklärt sich sicher auch durch die RKI- und regierungsnahe Berichterstattung dieser Medien, die ein Denken in Interpretations- und Handlungs-Alternativen kaum zuließen.
Angesichts der in ihrem Fazit, nicht in Einzelmeinungen, unübersehbar staatsnahen Ausrichtung von Leitmedien habe ich mich seit den 90er Jahren für bürgerschaftliche Projekte von Gegenöffentlichkeit engagiert. Unter dem Motto: Eine andere Welt ist nur möglich, wenn es auch andere Medien gibt, habe ich auf verschiedenen Sozialforen bedauert, dass es kein internationales oder gesamteuropäisches Medium der Verständigung gibt. So habe ich wenigstens hierzulande Plattformen wie NachDenkSeiten, kontext.tv, Kasseler Friedensforum, Weltnetz-TV u.a. mit eigenen Beiträgen unterstützt. Auch als sich Rubikon gründete, war ich gern bereit, für dieses Projekt Beiratsmitglied zu sein.
Aus meiner Erfahrung als einstige Freitag-Herausgeberin war mir allerdings von Anfang an klar, dass die Möglichkeiten einer solchen ehrenamtlichen Begleitung begrenzt sind. Zum einen, weil man selbst die Zeit nicht aufbringt, zum anderen, weil die redaktionellen Abläufe ihre eigene Dynamik haben. Ich habe daher früh darauf gedrungen, dass in das Redaktionsstatut der Satz aufgenommen wird: Beiräte sind nicht in die operative Redaktionsarbeit einbezogen und für die Inhalte einzelner Beiträge nicht verantwortlich. (Sie werden das Statut unter der Rubrik Kontakt gefunden haben.)
Ich musste schmunzeln, dass Sie als Beleg für „fragwürdige Thesen ohne Belege“ auf Rubikon ein drei Jahre altes Beispiel anführen. Ohne es überprüft zu haben glaube ich sofort, dass Sie Recht haben. Aber was beweist das? Wenn es nicht so müßig wäre, würde ich darauf wetten, dass ich ausnahmslos jeden Tag in den Leitmedien einen Beitrag mit fragwürdigen Thesen ohne Belege finde.
Nehmen Sie nur die aktuellen Thesen um die angebliche Notwendigkeit der nuklearen Teilhabe Deutschlands. Denen eine weitgehend kritiklose Hinnahme des Boykotts der Nato-Mitgliedsstaaten und aller Atommächte des von 122 Staaten unterzeichneten UN-Vertrages zum Atomwaffenverbot voraus ging. Ich halte die mediale Dominanz der immer noch Nato-treuen Transatlantiker für friedensgefährdend. Und bin daher froh, dass auf Rubikon zu dem Thema so kenntnisreiche und gründlichst recherchierende Autoren wie Daniele Ganser schreiben.
Und wenn wir in einer Deutung mal verschiedener Meinung sind, dann können auch Beiratsmitglieder diese – in wie ich hoffe kollegialer Weise – auf Rubikon austragen.
Ich habe wiederholt die Erfahrung gemacht, dass öffentlicher Streit in der Redaktion nicht nur ermöglicht wird, sondern willkommen ist. Es ist mir nicht entgangen, dass andere auch andere Erfahrungen gemacht haben. Das bedaure und verurteile ich, kann hier aber nur für mich sprechen.
Das Informations- und Themenspektrum auf Rubikon ist sehr umfangreich und nur partiell wahrnehmbar. Empfindlich reagiere ich, wenn ich bei meiner gelegentlichen Lektüre auf Töne stoße,die ich eher rechtskonservativ verorten würde. Aber auch da ist öffentlicher Streit möglich, selbst wenn es Beiratsmitglieder betrifft.
Manchmal werden solche Debatten auch intern fortgesetzt oder nur intern geführt – den Schriftverkehr dazu halte ich für Redaktionsinterna. Sollten Ihnen bei künftigen Porträts in den Großmedien vergleichbare Mails vorgelegt werden, bin ich bereit, daran mein Maß zu nehmen.
Zu der Sie offenbar einzig interessierenden Corona-Berichterstattung: Sie war eine Herausforderung für sämtliche Medien und ich bin auf keines gestoßen, dass diese Herausforderung makellos bestanden hätte. Mit ihrer irreführenden Nennung von Fällen ohne Bezugsgrößen und Zusammenhänge, haben sie oft zusätzlich Angst und Panik verbreitet. Zwischen Alarmismus und Verharmlosung fehlte das Zugeständnis, dass wir herzlich wenig wissen und rein vorsichtshalber im dichten Nebel fahren, und daher permanent neu navigieren müssen, da auch die langfristigen medizinischen und gesellschaftlichen Risiken der Nebelfahrt nicht einzuschätzen sind.
Stattdessen hat die offizielle Corona-Argumentation im Galopp die Pferde gewechselt. War zunächst einziges Ziel des Lockdowns, die bei fehlenden Medikamenten unvermeidlichen Infektionen zu verlangsamen um die Krankenhäuser nicht zu überfordern, so wurde er bei anhaltend leeren Krankenhäusern zur Erklärung dafür, dass massenhafte Infektionen generell vermieden werden konnten.
Alternative Medien wie Rubikon haben die Unlogik in der offiziellen Berichterstattung aufgegriffen und die enorme Aufmerksamkeit, die ihnen dafür zuteil wurde, zeigt das unbefriedigte Bedürfnis nach Glaubwürdigkeit. Allerdings geraten Alternative Medien nicht selten in die Falle, die Einseitigkeit der Großmedien seitenverkehrt zu wiederholen, so dass sie nicht mehr alternativ sondern nur noch komplementär sind.
Wie andere Beiratsmitglieder auch, habe ich in einigen Mails sowohl die große Kraftanstrengung des Angebotes zusätzlicher Fakten gelobt, wie auch daran Kritik geübt. Ich habe mehr rationale Sachlichkeit angemahnt, den bisweilen schrillen Ton in den Kommentierungen bedauert, der eine rational nicht eingeordnete Empörung schürt. Die von Ihnen zitierte Charakterisierung „faktenfreie Blase“ trifft aber auf Rubikon gerade nicht zu. Vielmehr geht es hier um eine Fülle einseitig gebotener Fakten, darunter sehr aufschlußreiche, gut belegte Experten-Analysen, wie auch ungeprüfte Thesen, die alle dem Zweck dienen, die eigene Position zu bestätigen, ohne einen argumentativen Gesamtkontext herzustellen. Nur das wäre wirklich alternativ.
Es ist allerdings auch verdammt schwer. Letztlich können wir alle nicht mit Sicherheit sagen, was hier gerade läuft. In dieser Situation gibt es offenbar nichts Dringenderes als die ausfindig zu machen, die „versagt“ haben und „verantwortungslos“ sind. Ich tue mich schwer im Verteilen solcher Etiketten. Das erinnert mich doch eher an die „Kultur des Denunziatorischen“, die Bernhard Schlink einst im Merkur trefflich beschrieb.
So viel zu Ihren Fragen. Wenn Sie mich öffentlich zitieren wollen, bitte ich um Autorisierung. Gutes Gelingen für ein differenziertes Porträt
wünscht Daniela Dahn