„Sondergagen“ in Fernsehproduktionen

„Wer aufmuckt, wird nicht mehr besetzt“

Hauptdarsteller in der Serie "Das Küstenrevier"
Seit Januar machen die Produktionsfirma Pyjama Pictures und Sat.1 Werbung für die neue Vorabend-Serie „Küstenrevier“. Foto: Sat.1

Am Ende ist alles gut. Der Erpresser ist verhaftet, die Geisel befreit, ein Familienstreit beigelegt, alle liegen sich in den Armen. Ein Cliffhanger muss dann aber schon noch sein, in der Folge „Wut ist dicker als Wasser“, schließlich sollen die Zuschauer:innen auch am nächsten Tag wieder einschalten. Die Krimi-Serie „Küstenrevier“ läuft seit Januar werktags um 19 Uhr auf Sat.1. Produziert wird sie von Pyjama Pictures, der Produktionsfirma von Carsten Kelber und Christian Ulmen, dem prominenten Schauspieler, den man unter anderem aus dem Weimarer „Tatort“ kennt.

Der Produktionsfirma, die auch die erfolgreichen Serien „Jerks“ und „Die Discounter“ produziert hat, müssten faire Arbeitsbedingungen für Schauspieler:innen wichtig sein, könnte man meinen. Zumindest beim „Küstenrevier“ scheint das nicht der Fall zu sein. Übermedien liegt ein Mailverlauf mit der Anfrage für einen Schauspieler für eine Tagesrolle vor. Darin betont die Firma zunächst die „anspruchsvollen Drehbücher“ und die Absicht, „das Vorabendprogramm von Sat1 aufzuwerten“. Man gestalte „eine Serie mit hochwertiger Qualität“.

Klingt erst mal gut. Wäre nicht das „Aber“. „Vorabendprogramm bedeutet leider auch geringere finanzielle Mittel“, heißt es in der E-Mail. Somit müsse man hier „im Kleindarstellerbereich anfragen.“ Für einen Drehtag werden 750 Euro angeboten. Das sei „nicht verhandelbar“ gewesen, sagt der Schauspieler, der die E-Mail bekommen hat.

Hier soll er Ingo Langmann heißen. Wie fast alle Schauspieler:innen, mit denen Übermedien über die sogenannten „Sondergagen“ oder Gagen im „Kleindarstellerbereich“ für normale Fernsehrollen gesprochen hat, will er anonym bleiben. Zwanzig Gespräche wurden für diesen Text geführt. Mit Schauspieler:innen, die man aus Fernsehfilmen, Shows und Serien kennt, aus Produktionen für öffentlich-rechtliche und Privatsender oder Streaming-Anbieter. Außerdem mit Verbänden und Agent:innen. Ihre Namen sind der Redaktion bekannt.

„Sondergage“ ist das Gegenteil von extra Gage

Hört man sich in der Branche um, stößt man auf sehr viel Frust. „Sondergagen“ scheinen zur Gewohnheit geworden zu sein. Bei dem Wort denkt man an eine extra Gage, eine Sonderzahlung zusätzlich zum eigentlichen Honorar. Aber der Begriff ist irreführend. „Er bedeutet einfach eine besonders niedrige Gage“, erklärt Hans-Werner Meyer, selbst Schauspieler, außerdem Mitgründer und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Schauspiel (BFFS). Besonders ist an diesen Gagen nur, dass sie reihenweise tariflich festgelegte Mindest-Einstiegsgagen für Schauspieler:innen unterschreiten.

Der Begriff „Sondergage“ schützt die Schauspieler:innen zumindest, indem er eine Ausnahme markiert. Die „Sondergage“ diente ursprünglich dazu, ausnahmsweise von der gelisteten Gage abweichen zu können, gleichzeitig aber durch diese Begriffsverwendung klarzustellen, dass es sich um einen Sonderfall handelt, erklärt Meyer. Die bei den Sendern hinterlegte normale Tagesgage, der oft lange erarbeitete Marktwert der Schauspieler:innen, bleibt davon unberührt. Ohne den Vermerk „Sondergage“ könnten sich folgende Produktionen auf diese Gage beziehen und damit auch in Zukunft gleich diese niedrigere Bezahlung ansetzen. Eine Ausnahme seien „Sondergagen“ aber längst nicht mehr, erzählen mehrere Schauspieler:innen übereinstimmend im Gespräch mit Übermedien.

Sie alle berichten von ähnlichen Anfragen, nicht nur von Pyjama Pictures, sondern auch von anderen Produktionsfirmen. Übermedien liegen zahlreiche Casting-Anfragen für Fernsehfilme- und Serien vor. Öffentlich spricht kaum jemand darüber, auch weil in Verträgen oft steht, dass ihr Inhalt der „Geheimhaltung“ unterliege. Und vor allem ist da die Sorge, nicht mehr gebucht zu werden. Bei Casting-Einladungen frage man lieber nicht nach mehr Geld, sagt der Schauspieler Jan Kargol. Auch er heißt eigentlich anders. Es herrsche ein „Klima der Angst“, wie er es nennt. „Wer aufmuckt, wird nicht mehr besetzt.“

750 Euro klingt als Tagesgage vielleicht erstmal nach gutem Geld – doch der Betrag liegt unter der tariflich festgelegten Mindest-Einstiegsgage für Schauspieler:innen. Der Tarifvertrag legt 850 Euro (ohne Folgevergütung für Wiederholungen) und 825 Euro (mit Wiederholungshonorar) fest. Wohlgemerkt gilt das für Anfänger:innen, eine Mindestgage für erfahrene Schauspieler:innen gibt es nicht, erklärt Hans-Werner Meyer vom BFFS, „sie darf aber keinesfalls unter der Einstiegsgage für Berufsanfänger*innen liegen. Die Produktionsfirma Pyjama Pictures gehört zur Produzentenallianz und sollte sich deshalb an diesen Tarifvertrag halten.“ Aus Sicht des BFFS verstößt Pyjama Pictures gegen geltendes Tarifrecht.

Nach Abzügen – Steuern, Agenturprovision, Pensionskasse Rundfunk – bleibt von einer Tagesgage von 750 Euro nicht mehr viel. Die Schauspieler:innen berichten im Gespräch mit Übermedien übereinstimmend, dass im Durchschnitt rund 40 Prozent der Gage übrig bleiben, teilweise sogar nur gut 20 Prozent. Wegen der unterschiedlich langen Beschäftigungen sind die Abzüge jedes Mal anders.

Für wenige Drehtage viele Tage geblockt

Noch gravierender ist etwas anderes: In der Regel sind Schauspieler:innen mehrere Wochen für die Dreharbeiten geblockt, weil Drehpläne oft kurzfristig geändert werden. Sie müssen also bereit für ihren Einsatz sein und können in der Zeit keine anderen Anfragen annehmen. Bezahlt werden aber nur die Drehtage. Mal sind das zwei, mal vier oder fünf, manchmal nur ein einziger Drehtag. Für einen Drehtag „Küstenrevier“ wäre Ingo Langmann elf Tage geblockt gewesen – was nicht unüblich ist. 40 Prozent von 750 Euro, also 300 Euro, für 1,5 Wochen, das sind prekäre Arbeitsbedingungen. Viele seiner Kolleg:innen haben Engagements am Theater mit regelmäßigem Einkommen oder Nebenjobs, die nichts mit der Schauspielerei zu tun haben.

Die Anfrage vom „Küstenrevier“ geht noch weiter. Langmann sollte sich für das Kostüm aus seinem eigenen Kleiderschrank bedienen. Anfahrts- und Übernachtungskosten hätte die Produktionsfirma nicht übernommen. Auf Übermedien-Anfrage verweist Pyjama Pictures zunächst auf die „vertragliche Geheimhaltungspflicht gegenüber allen Mitwirkenden zu ihren jeweiligen Vertragsinhalten“. Zu den Vorwürfen schreibt die Firma:

„Von Seiten der am KÜSTENREVIER mitwirkenden Filmschaffenden wurde uns bisher in jeder Hinsicht positives Feedback zugetragen – Unzufriedenheit, auch mit den bezahlten Vergütungen, wurde uns gegenüber nicht geäußert. Den Vorwurf der unfairen Arbeitsbedingungen bei unseren Produktionen, insbesondere, aber nicht nur beim KÜSTENREVIER, weisen wir entschieden zurück.“

Die Gespräche mit Schauspieler:innen und dem BFFS zeichnen ein anderes Bild. Der Verband lässt die Arbeitsbedingungen bei Pyjama Pictures gerade „juristisch prüfen“, nachdem dort mehrere Beschwerden von Schauspieler:innen eingegangen sind, sagt Hans-Werner Meyer. Die Schauspieler:innen hätten für Rollen „Komparserievergütungen“ angeboten bekommen. Die Produktionsbedingungen beim „Küstenrevier“ nennt er einen „Dammbruch“.

Auf das Wording kommt es an

Warum können Produktionsfirmen überhaupt tariflich festgelegte Gagen unterschreiten? Möglich macht es das Wording. In Casting-Einladungen, Zeitanfragen und Rollenangeboten für Film- und Seriendrehs steht immer öfter, dass nur „Kleindarsteller“- oder „Sondergagen“ gezahlt werden können. Kleindarsteller:innen sind „Filmschaffende, deren darstellerische Mitwirkung die filmische Handlung nicht wesentlich trägt“, heißt es im Tarifvertrag des BFFS.

Für die Produktionsfirmen zählt etwas Anderes: Kleindarsteller:innen und Kompars:innen bekommen eine niedrigere Vergütung als Darsteller:innen. Die Rolle in der Anfrage von Pyjama Pictures ist eigentlich eine wichtige Episodenrolle, keine Kleindarsteller-Rolle. Noch lieber verwenden Produktionsfirmen den Ausdruck „Sondergage“. Und es geht sogar noch kreativer, wie Hans-Werner Meyer vom BFFS berichtet. In manchen Anfragen sei manchmal von einer „Ermöglichungsgage“ die Rede:

„Sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Sender entscheiden sich immer wieder, Programm mit einem niedrigeren Budget herzustellen, das nicht erlaubt, normale Gagen auszuzahlen. Die Alternative wäre, dass sie das Programm nicht herstellen.“

Auch im Gespräch mit einer Schauspielerin fällt der beschönigende Begriff „Ermöglichungsgage“. Da fragt man sich, wer da was ermöglicht. Die Schauspieler:innen die Produktionen, indem sie für wenig Geld arbeiten? Oder die „Sondergage“ den Schauspieler:innen, dass sie bei unterfinanzierten Projekten mitmachen können?

Die Schauspieler:innen und ihre Agenturen wollen das nicht hinnehmen. 2014 startete der Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater (VdA) erstmals eine Initiative, „Sondergagen“ zu begrenzen. Die dort organisierten Agenturen wollten keine „Sondergagen“ unter 1000 Euro pro Tag akzeptieren. Die Initiative sei vor allem für Schauspieler:innen im mittleren Gagenfeld gedacht gewesen, die besonders von „Sondergagen“ betroffen waren, sagt Lutz Schmökel, Mitglied des VdA und Geschäftsführer der Agentur Above the Line. „Die Untergrenze von 1000 Euro war sehr niedrig angesetzt. Sie sollte aber ein Limit setzen, um den Gagenverfall aufzuhalten.“ Die Grenze von damals wurde längst unterschritten. Übermedien liegen Angebote vor für Fernsehproduktionen mit „Kleindarsteller“- und „Sondergagen“ für Darsteller mit Erfahrung in Höhe von 750 Euro und sogar 350 Euro. Der VdA hat vor, die „Aktion Sondergage“ zu erneuern, teilt sein Vorsitzender Ulrich Meinhard mit.

ZDF-Erfindung „Instant Fiction“

Cornelia Otte von der Schauspielagentur Gold Berlin verhandelt regelmäßig Gagen. „Sondergagen gab es immer, aber in letzter Zeit nehmen sie wieder zu“, sagt sie. Die Pandemie habe die Entwicklung beschleunigt. „Die Produktionsfirmen begründeten das damit, dass die Produktionskosten gestiegen sind, erst wegen aufwändiger Hygienemaßnahmen am Set, dann wegen der Inflation, und die Sender mit dem Rückgang von Werbeeinnahmen.“

Lavinia Wilson in der Serie "Drinnen"
Lavinia Wilson in der „Instant“-Serie „Drinnen“ Screenshot: ZDF Neo

Zu Beginn der Corona-Pandemie dachte sich das ZDF das Format „Instant Fiction“ aus: kurze fiktionale Serien, mit kleinem Cast und wenig Drehorten, meistens für die Mediathek konzipiert, mit denen man „aktuellen gesellschaftlichen Themen schnell und präzise fiktional begegnen“ wolle. Also: Fernsehen am Puls der Zeit, flexible Formate, ohne große Hürden und ohne lange Entscheidungsprozesse. Zwischen Konzept und Veröffentlichung liegen oft nur ein paar Wochen. Klingt nach einer guten Idee im deutschen Fernsehen, das sonst nicht gerade für Innovation bekannt ist. Die erste „Instant-Fiction“-Serie des ZDF war „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“ über eine Frau im Home-Office. Sie wurde mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Die Innovation scheint allerdings auf Kosten der Beteiligten zu gehen. „Instant Fiction“ bedeute üblicherweise „Sondergagen“, erzählt die Schauspielerin Tina Hinrichs im Gespräch mit Übermedien. Auch sie will nicht mit ihrem echten Namen in diesem Text erscheinen.

Sie war für eines der post-pandemischen ZDF-„Instant“-Formate angefragt – für eine Sondergage. An die gebotene Summe kann sie sich nicht erinnern. „Meine Agentin hat direkt abgesagt.“ Weitere Schauspieler:innen berichten unabhängig voneinander, dass ihnen für „Instant“-Formate Sondergagen angeboten wurden, zwar nicht unterhalb des Tarifvertrags für Einstiegsgagen, aber immer unter ihrer hinterlegten ZDF-Gage. Nicht nur für Lockdown-„Instant“-Serien wie „Drinnen“ und „Liebe. Jetzt!“, sondern auch für folgende, post-pandemische Produktionen. Teilweise konnten Agent:innen im Verlauf etwas höhere „Sondergagen“ verhandeln.

Auf Anfrage an das ZDF, womit man die „Sondergagen“ bei bisherigen „Instant“-Formaten begründet und ob auch bei der neuen Serie „Bauchgefühl“ diese Gagen gezahlt werden, antwortet der Sender, dass er sich „selbstverständlich für faire Arbeitsbedingungen“ einsetze. Und:

„Die vom BFFS tariflich festgesetzten Mindestgagen für Schauspielerinnen und Schauspieler werden nicht unterschritten. Bei der Instant Fiction ‚Bauchgefühl‘ wurde durch das ZDF eine angemessene und branchenübliche Vergütung mit dem Produzenten vereinbart. Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu Vertragsdetails grundsätzlich nicht äußern können.“

Sondergagen waren ursprünglich mal gedacht für Low-Budget-Produktionen, Nachwuchs- und Debutfilme, wie sie im ZDF spätnachts in der Rubrik „Kleines Fernsehspiel“ laufen. Mit der Zeit sind immer mehr Formate und Sendeplätze dazugekommen: Vorabendprogramm, Kinderfernsehen, Produktionen für Spartensender oder die Mediathek. Übermedien liegen zahlreiche Anfragen an Schauspieler:innen für entsprechende Formate aus den vergangenen fünf Jahren vor.

„Es wird dazu wahrscheinlich Sondergagen geben“, steht in den E-Mails. „Wir haben leider eine Sondergage.“ Oder: „Wir werden über eine Sondergage reden müssen“. Früher, erzählen mehrere Schauspieler:innen, begründeten die Produktionsfirmen die Sondergagen noch zum Beispiel damit, dass es sich um ein Nachwuchsprojekt mit erwartbar niedrigem Budget handelt. Heute würden die Sondergagen oft gar nicht mehr begründet.

Dumping in der Prime-Time

Inzwischen werden sogar für Prime-Time- und Kinoproduktionen „Sonder“- bzw. „Kleindarstellergagen“ geboten – „für langjährige, gut ausgebildete Schauspieler:innen“, betont Hans-Werner vom BFFS. Übermedien liegen entsprechende Casting-Einladungen vor, unter anderem eine für die historische Serie „Oktoberfest 1905“, die Fortsetzung von „Oktoberfest 1900“. Die erste Staffel lief 2020 im Hauptprogramm der ARD um 20.15 Uhr. In der Fortsetzung, die im Frühjahr und Sommer 2024 gedreht werden soll, soll für eine Rolle mit mehreren Drehtagen Sondergage gezahlt werden. Die Höhe der Tagesgage ist dort nicht vermerkt.

„Sondergage für eine Prime-Time-Produktion – das ist Dumping“, sagt Jan Kargol, einer der adressierten Schauspieler, „einfach respektlos.“ Man habe oft keine Wahl, weil man ja arbeiten und sichtbar sein will – und Geld verdienen, auch wenn es wenig ist.

Michael Souvignier, Geschäftsführer der „Oktoberfest“-Produktionsfirma Zeitsprung Pictures, sagt dazu:

„Die Gagen für Komparsen und Kleindarsteller werden mit den Agenturen verhandelt – hier gibt es übliche Sätze, die auch für ‚Oktoberfest 1905‘ für uns maßgeblich sind. Für die Vergütung der Darsteller kann als Maßstab die Tarifgage herangezogen werden – und wir zahlen sehr deutlich über Tarif. Für den Main Cast wird sehr individuell und auf nochmals deutlich höherem Vergütungsniveau frei verhandelt. Hier gibt es keinen ‚Standard‘ oder keine ‚übliche Gage‘. Der Ausdruck ‚Sondergage‘ wird hier manchmal von Agenten einiger ‚Stars‘ verwendet, um deutlich zu machen, dass es sich um eine individuell ausgehandelte Gage handelt, die von der eigenen (ursprünglichen) Forderung abweichen kann und kein Standard für weitere Produktionen sein soll.“

Auch wenn die Darsteller:innen bei ZDF-„Instant“-Produktionen oder der Serie „Oktoberfest 1905“ nicht unter dem Tarif für Einstiegsgagen bezahlt werden, „Sondergage“ bedeutet, dass sie unter ihren hinterlegten, lange erarbeiteten Sendergagen arbeiten – nicht ausnahmsweise, sondern immer häufiger, weil, nun ja, weil es geht. Produktionsfirmen wie Zeitsprung Pictures und Sender wie das ZDF sprechen oft von „üblichen Sätzen“ oder einer „branchenüblichen Vergütung“ – dabei legen sie selbst fest, was „üblich“ ist.

Von 10.000 Euro am Tag bis 20.000 im Jahr

In kaum einer Branche ist der Verdienst so unterschiedlich. Es gibt zwar Spitzengagen von mehr als 10.000 Euro pro Tag, aber laut einer Studie der Uni Münster verdient mehr als die Hälfte der Schauspieler:innen in Deutschland weniger als 20.000 Euro brutto im Jahr. „Viele haben Angst vor Altersarmut“, sagt Tina Hinrichs.

Im vergangenen Jahr, nach den Recherchen über die Produktionsbedingungen am Set von „Manta Manta – Zwoter Teil“ und das problematische Verhalten von Til Schweiger, wurde wieder einmal – kurz – über Arbeitsbedingungen beim Film diskutiert. Zum Beispiel darüber, dass mit immer weniger, aber längeren Drehtagen produziert wird. Verändert hat sich nicht wirklich etwas, mehr noch: „Immer weniger Schauspieler:innen können heute von ihrem Job leben“, sagt Hans-Werner Meyer vom BFFS.

„Im Moment sind alle dankbar, wenn sie drehen dürfen“, sagt Schauspieler Ingo Langmann. Als internationale Streaming-Anbieter anfingen, deutsche Eigenproduktionen zu starten, gab es einen Serienboom und allgemein eine Zeit mit vielen Produktionen. Gerade werden viele Produktionen abgesagt oder gekürzt. 2023 gab Sky bekannt, künftig keine fiktionalen Eigenproduktionen mehr in Deutschland zu produzieren, sogar bereits angekündigte Produktionen werden teilweise nicht mehr erscheinen. Im Februar meldete Paramount+, dass viele deutsche Eigenproduktionen gestrichen werden.

Der Schauspielerberuf ist begehrt. „Es findet sich immer jemand, der es für weniger macht“, sagt Langmann. Produktionen wie „Küstenrevier“ scheinen genau das auszunutzen. Mehrere Schauspieler:innen berichten übereinstimmend, dass für die Sat.1-Produktion vor allem Kolleg:innen angesprochen würden, die lange nicht gedreht, sondern zum Beispiel Theater gespielt oder Synchronarbeiten gemacht haben.

Ein Happy End wie für die Figuren im „Küstenrevier“ ist für die Schauspieler:innen erst einmal nicht in Sicht. „Bitter ist das“, sagt Langmann. Er würde gern mehr drehen und könne jeden verstehen, der für Sondergagen arbeitet, weil er das Geld braucht. Er selbst versuche, so oft es geht, Jobs mit „Sondergagen“ abzulehnen, auch wenn es manchmal weh getan habe. Auch den Machern des „Küstenreviers“ erteilte er eine Absage.

7 Kommentare

  1. Tja. Das Geld ist ja da, es ist nur ungerecht verteilt. Wenn ein Großteil der Rundfunkgebühren für die Chefetagen und einen sich selbst verwaltenden Apparat plus Renten draufgeht, bleibt für die eigentliche schaffende Arbeitskraft nicht mehr viel, aber so ist es ja überall.

  2. Wenn Tarifverträge systematisch unterlaufen werden braucht’s Transparenz. Dafür ist der Artikel schon mal gut. Danke. Besten Dank vor allem auch an die Whistleblower.
    Für die Durchsetzung besserer Bedingungen braucht’s m.M.n. allerdings schlagkräftigere Gewerkschaften/Interessenvertretungen. Dass man auch im Filmgewerbe Job-Bedingungen per Streik verbessern kann zeigten ja vor geraumer Zeit amerikanischen Gewerkschaften. Braucht natürlich eine breite Basis, eine gute Organisation und Durchhaltewillen.

  3. @Jürgen (#2):

    Daran musste ich auch denken. Solange sich die Leute gegeneinander ausspielen lassen, ist es für die Branche kein Problem, „Sondergagen“ durchzusetzen – es sei denn, es geht um Stars, deren Nasen für den Film unverzichtbar sind (aber deren Bezahlung spielt eh in anderen Ligen).

    Also einfach mal „Kleindarsteller“-Boykott, wie beim Autorenstreik, der Hollywood lahmlegte? Das klappt natürlich nur mit hohem Organisationsgrad in einer starken Gewerkschaft. Wäre schön, wenn die Darsteller das hinbekämen. Als „vereinzelte Einzelne“ haben sie keine Chance.

  4. Ich denke auch, dass man da streiken müsste. Vielleicht muss man ja auch nicht dem Fußball 200 Millionen für die WM geben, sondern 180 Millionen?

    Die Ermöglichungsgage erinnert mich auch daran, dass OpenAI gesagt hat, ohne Rechtediebstahl hätte man ChatGPT nicht programmieren können. Okay, dann eben nicht. Und dann macht man die Serie eben nicht, sondern statt 3 nur 2, die dafür gut bezahlt. Oder meinetwegen nur eine, aber dafür mit richtig guten Bedingungen.

  5. Ich muss noch ergänzen: ich finde es besonders wichtig, dass öffentliche Anstalten wie ARD/ZDF, der Bundestag oder auch quasi-öffentliche wie die Bahn bei Arbeitsbedingungen nicht den Impulsen des Dumping-Kapitalismus folgen, sondern exemplarisch gute Bezahlung und Behandlung bieten. Dafür dann eben meinetwegen auch keine Millionengagen an Anne Will oder so.

  6. Sich gewerkschaftlich zu organisieren und für bessere Löhne zu streiken ist natürlich eine gute und richtige Idee. In einem Markt, in dem es anscheinend einen Überschuss an qualifizierten Arbeitnehmenden gibt, wird das allerdings nicht so einfach werden. „Es findet sich immer jemand, der es für weniger macht.“ Wenn diese Menschen dann auch geeignet für die Aufgabe sind, kannst du dir einen Wolf streiken: neben dir laufen dann die Willigen durch’s „Werktor“.

    Das ist eine ähnliche Situation wie auf dem Musikmarkt, wo alle zurecht klagen, dass die Einnahmen spätestens seit dem Aufkommen der Streamingdienste krass gefallen sind. Solange ich als Konsument aber nicht bemerke, dass zu wenig gute Musik veröffentlicht wird, stört mich das nicht besonders und es gibt keinen Marktdruck hin zu höheren Gehältern.

    Vergleiche andererseits jetzt den Lokführendenstreik: Die haben eine relevante Marktmacht, es gibt zu wenige Lokführer*innen und es wird zukünftig eher noch weniger werden. Also haben sie ihre Tarifforderungen weitgehend durchsetzen können.

  7. Dass es einfach wird habe ich ja nicht behauptet. Aber Streiks funktionieren schließlich nicht nur bei Engpass-Kolleg:innen (Pilotinnen, Lokführerinnen, etc.). Wenngleich es dort vermeintlich einfacher ist. Vermeintlich auch deshalb, weil die Kolleg:innen dort auch einen sehr hohen Organisationsgrad haben.

    Der BFFS ist noch recht jung und hat 4.100 Mitglieder laut Wikipedia. Darunter auch einige sehr bekannte Gesichter. Allerdings gibt es laut destatis knapp 15.000 Schauspieler:innen (2019). Andere Jobs in der Film- und Theaterbranche sind vermutlich auch schlecht bezahlt, da könnte es auch sinnvoll sein, wenn man sich breiter organisiert. Wenn die Kameraleute und Bühnentechniker streiken, dann läuft da nicht mehr viel…

    Und noch eins: Die Streikkasse will natürlich auch gut gefüllt sein. Das ist natürlich in einem Umfeld mit sehr prekärer Bezahlung und eventuell geringer Solidarität der besser bezahlten schwieriger, als bei Pilotinnen und Ärztinnen.

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