„Anzeigenhauptmeister“

Wie „Spiegel TV“ einen 18-Jährigen zur Hetze freigab

Vor gut einer Woche hat „Spiegel TV“ einen Film über einen jungen Mann veröffentlicht, gegen den nun im Internet gehetzt wird, er wird beleidigt und bedroht: „Krankes Geschwür“, schreibt jemand auf Facebook. „Wieso schickt den keiner schlafen?“, fragt ein anderer. „Man man man … das der noch lebt.“ „Der lebt nicht lange.“ „Einfach mal umklatschen.“ Und immer so weiter.

Berichtet wurde über den 18-Jährigen schon Ende Januar, erst bei RTL, dann im ZDF, dem „Berliner Kurier“, im Sat.1-Frühstücksfernsehen. Aber die große Aufmerksamkeitswelle blieb aus. Bis zum 29. Februar, dann kam „Spiegel TV“ und führte Niclas M. so richtig vor.

Screenshot aus dem "Spiegel-TV"-Film über den Anzeigenhauptmeister, der hier in gelber Montur sein Fahrrad schiebt.
Niclas M. auf Streife mit seinem „POLIZFI“-Fahrrad

Das Magazin widmet ihm und seinem „Hobby“ grotesk lange 18 Minuten: M., der sich sehr ernsthaft als „Anzeigenhauptmeister“ bezeichnet, fährt mit seinem Fahrrad, an dem er selbstgemachte Schilder mit der Aufschrift „POLIZFI“ (mit F) befestigt hat, durch deutsche (und manchmal auch ausländische) Städte und Gemeinden, um dort Falschparker anzuzeigen. Das geht relativ leicht, weil es für alles eine App gibt, auch dafür. Mehrere tausend „Parksünder“ will M. auf diesem Weg bereits aktenkundig gemacht haben.

„Spiegel TV“-Reporter Adrian-Basil Mueller (Hobby, laut Twitter-Profil: „alte Autos“) hat sich an zwei Tagen zu M. herabgelassen, um ihn in seinem Heimatort und in Buxtehude beim Anzeigenschreiben zu begleiten. Mueller fährt mit dem 18-Jährigen „von Fall zu Fall“, um immer wieder aufs Neue zu demonstrieren, wie absurd und denunzierend das ist, was M. dort macht.

Der Film ergötzt sich regelrecht daran, macht sich im typisch blasierten „Spiegel TV“-Sound lustig über „Meister Petze“, den „Knöllchenfetischist“, den „Anschwärzer vom Dienst“, die „Nervensäge in Namen von Recht und Ordnung“. Sein vollständiger Name, sein Wohnort, alles wird mitgeliefert. Gut drei Millionen mal wurde das Youtube-Video in einer Woche abgerufen, so oft wie fast kein anderer „Spiegel TV“-Film.

Die Tonalität war damit gesetzt. „Spiegel TV“ wirft einen 18-Jährigen mit einer, sagen wir: sehr speziellen Neigung einem Wutpublikum zum gemeinschaftlichen Hassen vor. Allein unter den drei Ausschnitten, die „Spiegel TV“ auf Facebook gepostet hat, finden sich tausende verachtende Kommentare, offenbar komplett unmoderiert. Auf anderen Accounts, ob bei „Bild“, beim ARD-Boulevardmagazin „Brisant“, egal wo – überall dasselbe.

Inzwischen amüsieren sich Medien im ganzen Land über den „Anzeigenhauptmeister“. Sie haben entweder den „Spiegel TV“-Bericht abgeschrieben oder M. selbst interviewt und veröffentlicht, was er so behauptet, ohne noch mal nachzurecherchieren, ob das überhaupt stimmt. Selbst im „Streiflicht“, der eigentlich ehrwürdigen Titel-Glosse der „Süddeutschen Zeitung“, wird darüber schwadroniert, ob M. nun eine „charakterliche Ausnahmegestalt“ sei oder „einfach nur ein Deutscher mit einer besonders hochprozentigen Ladung Deutschtum im Blut“.

357 statt über 30.000 Euro

Bei „Spiegel TV“ kommt, neben wütenden Autofahrern und Polizisten, die M. zur Hilfe ruft, vor allem M. selbst zu Wort. Er darf alles in die Kamera erzählen, auch wie viele Anzeigen er erstattet und wie viel Geld er damit angeblich für die Stadtkassen „erwirtschaftet“ habe. Für seinen Heimatort in Sachsen-Anhalt seien es 2023 exakt 32.875 Euro gewesen, rechnet er vor, durch knapp über 900 Falschparker. Was allerdings nicht annähernd stimmt. Doch „Spiegel TV“ macht sich gar nicht erst die Mühe, das zu hinterfragen. Das würde ja die schöne Aufreger-Story kaputtmachen über einen einzelnen „Denunzianten“, der angeblich vielen Autofahrern viel Geld aus der Tasche zieht.

Mindestens für seinen Heimatort trifft das nicht zu. Der Bürgermeister hat inzwischen nach einer Anfrage über das Portal „Frag den Staat“ offengelegt, wie viele „Anzeigen von Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr“ es 2023 im Stadtgebiet gab: 889. Das stimmt ungefähr mit den Angaben von M. überein. Aber: Nur bei 22 Anzeigen wurde auch ein Verfahren eingeleitet, und lediglich 10 davon endeten dann mit einem Verwarngeld. Macht 357 Euro in einem Jahr – nicht über 30.000. Worüber ein paar Medien nun auch berichten. Die meisten aber geben einfach M.s Bußgeldlegende wieder.

M. ist offensichtlich stolz auf das, was er macht, etwas Verwerfliches kann er daran anscheinend nicht erkennen. „Gesetz ist Gesetz“, sagt er. In jeder Stadt, jeder Gemeinde in Deutschland wolle er mindestens einen Falschparker anzeigen, vielleicht komme er damit ins „Guinness-Buch der Rekorde“. Dafür zeigt er dann auch mal seinen Nachbarn an, weil der kurz in der komplett ausgestorbenen so genannten Fußgängerzone geparkt hat.

Angeblich hat sich M., der volljährig ist, selbst an Medien gewendet, um auf sich aufmerksam zu machen. Da kann man also, einerseits, sagen: Er sucht ja die Öffentlichkeit, auch in sozialen Medien, selber schuld. Andererseits stehen Journalisten in der Verantwortung, zuweilen auch Menschen vor sich selbst zu schützen, gerade wenn sie so unbedingt vor die Kamera drängen.

„Von einer Berichterstattung bewusst abgesehen“

Man kann darüber berichten, wenn man es für ein relevantes Thema von öffentlichem Interesse hält, dass eine Person Behörden mit Anzeigen überflutet und diese so unnötig beschäftigt, teilweise mit Bagatellen. Aber dafür muss man die Person nicht identifizierbar an den Pranger stellen. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ (MZ), zum Beispiel, in deren Berichtsgebiet M. lebt, hat überhaupt nicht über den „Anzeigenhauptmeister“ geschrieben, keinen einzigen Artikel. Dabei ist er in der ländlichen Region schon lange bekannt.

Auf Anfrage von Übermedien schreibt die MZ:

„Wir haben aufgrund der persönlichen Situation dieses Mannes von einer Berichterstattung bewusst abgesehen. Jedenfalls so, wie jetzt in reichenweitenstarken Videos berichtet worden ist, werden wir das auch nicht tun.“

Seine persönliche Situation: Darüber zu spekulieren, weshalb M. macht, was er macht, und was womöglich dahintersteckt, verbietet sich. Aber ist nicht schon genug offensichtlich, um mindestens sagen zu können: unauffällig ist anders? Als Journalist hat man dann die Wahl: Berichten, weil’s ja so lustig, skurril und empörend ist – und sicher ganz viele Klicks bringen wird! Oder, wenn man noch ein bisschen was fühlt: Mal kurz überlegen, ob die Person, um die es geht, nicht lediglich Sendungsbewusstsein hat, sondern vielleicht etwas, das nicht ins Fernsehen oder in Zeitungen und Magazine gehört.

Es sind auch nicht nur Anzeigen wegen Falschparkens, die M. erstattet. Er zeigt Leute wegen Beleidigung an, wegen Ruhestörung, er ruft mitunter auch die Feuerwehr, obwohl das, wie sich dann herausstellt, gar nicht nötig gewesen wäre. Das hat der Bürgermeister seines Heimatorts der „Bild“-Zeitung berichtet. Unterhält man sich mit Menschen, die M. erlebt haben, erzählen sie viele weitere Geschichten. Und sie äußern ihr Unbehagen darüber, dass M. so sehr in die Öffentlichkeit gestellt wird, dass er diese Bühne bekommt. Zumal es Folgen hat: für die Zukunft des 18-Jährigen, der nun auf alle Zeit im Internet als „Anzeigenhauptmeister“ zu finden ist; und auch für seine körperliche Unversehrtheit. Die Stimmung ist erschreckend enthemmt.

Der rechte Blogger Boris Reitschuster, einst Russland-Korrespondent, referiert am Ende seines Textes über M. und Deutschland, die „Hochburg von Denunzianten“, wie man anderswo mit so jemandem umginge: In Osteuropa würde „die Gesellschaft“ die „Zwänge“, die M. entwickelt habe, „nicht hinnehmen und er würde aller Wahrscheinlichkeit nach derart unter Druck gesetzt, bis hin zu Gewalt oder deren Androhung, dass er seinen Zwang bald nicht mehr ausleben könnte“. Und es sei ja „gar nicht daran zu denken, wen [M.] in anderen Zeiten alles hätte ,anzeigen‘ können.“

Es ist schwer, aus Reitschusters Text nicht wenigstens einen Funken Sympathie für einen schnellen Prozess mit solchen Menschen herauszulesen.

„Da könnt ihr die Uhr nach stellen“

Der Streamer Montana Black, der eigentlich Marcel Eris heißt und schon durch diverse (etwa rassistische) Äußerungen aufgefallen ist, teilte seinen vielen Fans und Followern in einem Video (aus seinem Auto) kürzlich mit, M. sei ein „unfassbar armes Würstchen, Digger“. Menschen wie er seien „ungeliebte, ungefickte, in der Schule gemobbte Außenseiter“, für die er „null komma null Sympathie“ habe. Und es werde „auch nicht mehr lange dauern, bis der Anzeigenmeister [sic!] eins auf die Fresse bekommt“. Nicht, dass er das gut finde, erklärte Eris, so viel Distanzierung muss sicherheitshalber sein. „Aber der wird irgendwann einen vor den Latz bekommen, da könnt ihr die Uhr nach stellen.“

Und das ist nun schon passiert.* Nach Informationen von Übermedien soll M. am vergangenen Samstag in einer Bahn in Sachsen-Anhalt erkannt und attackiert worden sein. Ein unbekannter Täter nahm ihm offenbar gewaltsam sein Smartphone ab, M. kam anschließend vorübergehend in ein Krankenhaus. Was genau geschehen sein soll, dazu sagt die Polizei offiziell nichts, es gibt bloß eine Pressemitteilung, die aber keine Namen nennt.

Das Telefon jedenfalls wurde später am Bahnsteig gefunden, der Täter hatte offenbar kein Interesse daran. Woran dann? Einem Mann, der Falschparker mit Hilfe des Handys anzeigt, sein Werkzeug wegzunehmen?

Ob die Tat eine direkte Folge dessen ist, dass Medien M. und sein „Hobby“ ausgestellt und ihn dem Hass preigegeben haben, lässt sich nicht sicher sagen. Aber dass sich die digitale Wut gegen ihn in die Realität überträgt, dass aus Worten Taten werden, hat M. nun auch selbst erzählt, im Interview mit dem Schweizer Boulevardblatt „20 Minuten“. Auf die Frage, ob er tätlich angegriffen wurde, sagt M., es habe „ein paar kleinere Vorfälle“ gegeben. Das störe ihn aber nicht. „Dann rufe ich standardmäßig die Polizei dazu, es gibt eine Anzeige wegen Körperverletzung und ich kassiere ab.“

Es ist eine gefährliche Mischung: Die Hater auf der einen, der auch noch provozierend reagierende „Anzeigenhauptmeister“ auf der anderen Seite. Er gibt sich betont wagemutig. Übergriffe hinderten ihn nicht daran, weiterhin „Parksünder“ zu melden, sagt er. Auch wenn ihn jemand „spitalreif“ schlage, er werde „nie damit aufhören“. Vielleicht wäre aber spätestens jetzt der Zeitpunkt, dass Journalisten aufhören, über ihn zu berichten. Und wenn Medien bei nächster Gelegenheit mal wieder den Hass im Internet beklagen und was daraus alles entsteht, kann man sie kurz daran erinnern: Diese Hasswelle hier haben viele von ihnen ermöglicht – allen voran „Spiegel TV“.

Nachtrag, 11.3.2024. Die „Welt“ hat ein langes Interview mit Niclas M. veröffentlicht. Redakteur Frédéric Schwilden hat ihn getroffen und unter anderem gefragt, was er in seiner Kindheit gemacht und ob er schon einmal etwas Verbotenes getan habe, ob er schon einmal Liebe empfunden und ob er Sympathien für das politische System der DDR habe, und ob er nicht Angst hätte, wenn ihm ein „zwei Meter großer Neonazi“ entgegen komme, „betrunken mit einem Baseballschläger“.

* Nachtrag, 13.3.2024. Niclas M. hat bestätigt, dass er in der Bahn angegriffen wurde. „Bild“ sagte er: „Das ist richtig. Wahrscheinlich aufgrund meiner Bekanntheit.“ Dem Kölner Blog „Loss mer schwade“ sagte er, er sei nach dem Angriff einem Chirurgen vorgestellt worden, der eine Schädelprellung diagnostiziert habe. Außerdem habe es einen „Drohanruf im Polizeirevier Wittenberg“ gegeben. Der Anrufer habe angekündigt, „mich umzubringen, mich zu lynchen“. Er sei deshalb als Zeuge geladen worden. Die zuständige Polizeidienststelle in Dessau äußert sich dazu auf Anfrage nicht.

Nachtrag, 20.3.2024. Das Portal „Nius“ zitiert eine „Spiegel-TV-Sprecherin“ mit den Worten:

„Wir tragen eine besondere Verantwortung für die Protagonistinnen und Protagonisten in unseren Reportagen. In Abwägung der Reaktionen aus der Öffentlichkeit haben wir uns daher entschieden, von weiteren Dreharbeiten mit Niclas [M.] abzusehen.“

21 Kommentare

  1. Das erinnert an den „Drachenlord“, der ja ebenfalls auffällig ist (war?) und mehr oder weniger zum Abschuss freigegeben wurde. Nur dass der damals einfach ein Wichtigtuer war, den man im Internet hatten konnte und es witzig fand, und nun jemand auch noch gegen das Auto vorgeht.

    Ich habe Spiegel TV während der Corona-Proteste als Ventil genossen. Zu viel Empathie mit ungewöhnlichen Personen kann man denen aber nicht vorwerfen, da ersetzt nur die ironische Distanz den Zorn, den zB Bild bringen würde.

  2. Beim Drachenlord hat sich die Haterszene immerhin noch „von alleine“ (ungute Gruppendynamiken) gebildet; hier wird von Medien quasi dazu aufgerufen.

  3. Ja, an den Drachenlord musste ich auch direkt denken. Ich weiß nicht wie alt der war als es begann, aber Niclas M. ist ja quasi noch ein Kind. Klar, volljährig aber Jugendstrafrecht wird meines Wissens nach auch je nach Fall bis zum 21 Lebensjahr angewendet. Und wer keine Dummheit in diesem Alter begangen hat werfe den ersten Stein. Dass Spiegel TV das so prominent ausschlachtet für die eigenen Klickzahlen – unterirdisch. Denn tatsächliche Nachrichtenfaktoren sehen ich hier nur sehr bedingt erfüllt.

  4. Sorry, ich finde den Text zu moralisch. Das Thema nicht aufzugreifen, wie indirekt von Boris Rosenkranz gefordert, finde ich nicht journalistisch. Es ist ein typisches Aufregerstück und somit Gold wert. Das gar nicht zu bringen, geht nur in absoluten Ausnahmefällen. Wenn der „Anzeigehauptmeister“ krank wäre, etc. Den Eindruck hat er im Beitrag nicht gemacht. Er ist vielleicht etwas schrullig. Aber reicht das, um solch eine Geschichte nicht zu machen? Als Medienblog hätte ich mir eher einen Text gewünscht, der fragt, wie kann ich das Thema so bringen, dass es journalistisch attraktiv ist, ihn aber nicht so bloß stellt, wie es Spiegel TV macht. Nicht bringen ist keine Alternative.

  5. @Martin Busche

    Ganz davon abgesehen, dass sich offenbar unser beider Vorstellungen hinsichtlich Journalismus grundsätzlich unterscheiden (ich bin nicht der Meinung, dass alles gesendet werden muss, was Quote bringt), geht für mich aus dem Text hervor, dass es hinsichtlich des jungen Mannes durchaus Alarmsignale gibt. Ich kann und will hier keine Ferndiagnose stellen, aber dass beispielsweise die MZ mit Verweis auf dessen Persönlichkeit von einer Berichterstattung absieht, ist ja schon mal ein deutliches Zeichen.

  6. Alles legal, was der gute Mann macht. Man kann es gut finden, oder auch schlecht. Gäbe es diese Reportagen nicht, würde kaum jemand von ihm Notiz nehmen. Also sind die Reportagen verzichtbar. Interessant nur, daß es (vermutlich) die gleichen Leute sind, die sonst gerne Law and Order das Wort reden, aber hier auf ihn eindreschen.

  7. Die Assoziation „Drachenlord“ hatte ich auch. Traurige Geschichte. Sie wird dem jungen Mann nicht gut tun.

  8. @Busche:
    Worin genau besteht die Notwendigkeit, überhaupt über genau diesen einen Mann zu berichten?
    „Typisches Aufregerstück“ ist eigentlich eher ein Grund, es zu lassen.
    Bzw., weil es ein „Aufregerstück“ ist, wird man darüber entweder gar nicht oder mit dieser Empörungsdynamik berichten. Und da wäre ich der Ansicht: „lieber gar nicht“
    Hinzu kommt, dass auch Medien, die sonst eher nicht im Ruf stehen, mit solchen Geschichten ihr Geld verdienen zu müssen, hier mitmachen.

  9. Wenn die Angaben des Anzeigenhauptmeisters und der Behörden über die erzielten Bußgelder derart voneinander abweichen, ist das dann ein weiteres Indiz für die verbreitete autofixierte Untätigkeit der Ordnungsbehörden?

  10. #10
    ich glaube, es ist schlichtweg nicht so einfach mit der Beweislast, wenn eine Privatperson so eine Anzeige erstattet?
    Wenn der Fahrzeughalter den Verstoß einfach leugnet?

  11. Ich fand den Beitrag im ersten Moment auch sehr lustig, habe mich später dann ein bisschen darüber geschämt.
    In der Sache hat er ja völlig recht, wird aber durch die Maßlosigkeit doch ziemlich unsympathisch – und natürlich auch durch den Sprecher durch den Kakao gezogen.
    Im Autoland Deutschland hat der Beitrag da doch einen ziemlichen Nerv getroffen. Bei Heise ist der Artikel zB aktuell auf #3 der meist-geklickten und #1 der meist-kommentierten.
    Die große Mehrzahl der Kommentare ist dabei auf der Seite des Protagonisten, sehr viele berichten über eigene Erfahrungen mit Falschparkern.
    Bei anderen Medien wird aber wohl, wie berichtet, die totale Hetzjagd ausgerufen, das geht schon Richtung stochastischer Terrorismus.

  12. @6, ich weiss nicht, welche Art von Journalismus du betreibst. Mir ist die Relevanz des Themas wichtig, die ist im Autoland Deutschland durchaus gegeben. Mir ist wichtig, dass die Stücke so verfasst sind, dass sie gelesen/gesehen/gehört werden. Für mich gilt noch, dass ich eine gute Geschichte auch mache. Es muss sehr viel passieren, dass das nicht passiert. In diesem Fall hätte der Mann krank sein müssen. Im Beitrag kam er so nicht rüber.

    Ich will auch keine Ferndiagnose stellen. Die Autoren der MZ sollten es auch nicht. Sie haben uns ihre Gründe nicht genannt, befeuern aber Spekulationen, der Hauptmeister hätte ein ernsthaftes Problem. Damit stellen die ihn genauso an die Wand, wie ihn Spiegel TV nicht ernst nimmt. Solange ich die Gründe der MZ nicht kenne, nehme ich ihre Haltung zur Kenntnis. Alle anderen Medien konnten die angeblichen Probleme offenbar nicht erkennen. Ich bin auch kein Arzt. Im Beitrag kam er schrullig rüber, nerdig, anstrengend. Nicht unbedingt krank

    @9, deine Frage erstaunt mich. Wann ist eine Geschichte im Journalismus eine Geschichte? Die Antwort kennst du selber.
    Vielleicht bin ich noch vom alten Schlag. Aber eine Geschichte, über die die Menschen danach sprechen, ist für mich journalistisch relevant. Diese ist so eine. In meinem Volo nannten wir die Aufreger..

  13. @Martin Busche

    Ich mache keinen Journalismus, ich konsumiere ihn. Und die Messlatte, ob Menschen anschließend über etwas reden, ist mir zumindest zu niedrig. Aber mir ist auch Boulevard zuwider, insofern werden wir da wahrscheinlich kaum zusammenkommen. Was wäre denn hier die eigentliche Meldung? „Achtzehnjähriger zeigt in Deutschland massenhaft Ordnungswidrigkeiten an.“ Jetzt könnte ich als Journalist entweder einen reißerischen Beitrag ohne weitere Recherche machen, in dem ich den Protagonisten einem Wutbürgertum zum Fraß vorwerfe. Oder ich nähme das als Ausgangspunkt, um zu fragen, was diese Anzeigenflut mit den Behörden macht, was am Ende dabei überhaupt herauskommt oder warum der Einsatz für Gesetzestreue – sofern sich denn bestätigen lässt, dass es sich tatsächlich überwiegend um Delikte handelt – bei vielen zu Schnappatmung führt (gibt ja genügend vergleichbare Fälle). Warum brechen Millionen Deutsche das Recht und werden sauer, wenn das Konsequenzen nach sich zieht? Ich könnte mit Polizisten, Politikern, Soziologen und Psychologen sprechen. Das wäre das, was ich mir unter gutem Journalismus vorstelle. Weg von der individuellen und hin zur gesellschaftlichen Ebene. Klickt vielleicht nicht ganz so gut. Wäre in meinen Augen aber die bessere Variante.

  14. @ Martin Busche: „Für mich gilt noch, dass ich eine gute Geschichte auch mache. Es muss sehr viel passieren, dass das nicht passiert.“

    Vielleicht, dass ziemlich vorhersehbar eine Meute von Schlöchern sich zusammenrottet, um den Betroffenen zunächst verbal und schließlich physisch anzugreifen? Oder muss er erst im Krankenhaus liegen, bevor Sie an journalistische Verantwortung denken – falls so ein Begriff in Ihrem Vokabular vorhanden ist?

    Hätte man diese Geschichte nicht gebracht, wäre der Öffentlichkeit keine auch nur irgendwie wichtige Information vorenthalten geblieben, aber man hätte einen jungen Mann vor dem Mob und sich selbst geschützt. Also natürlich wäre „nicht bringen“ hier eine Alternative gewesen, und zwar eine gute.

    Ihr Verständnis von „guter Geschichte“ und „Relevanz“ scheint sich in „wird viel gelesen / geklickt“ zu erschöpfen. Wäre das Allgemeingut, würde ich mich fragen, was an Journalismus wertvoll und an Pressefreiheit verteidigenswert ist.

  15. Wer sich auch für freie Rad- und Gehwege einsetzen und der Autogewalt etwas entgegensetzen möchte, kann gefährdende Stehzeuge auf dieser Website melden: weg.li

  16. @17 …und der Focus möchte jetzt auch nich fleißig Klicks damit verdienen, indem er den Kommentarbereich dazu öffnet und dem Shitstorm freien Lauf lässt. Es ist echt beschämend, was dort in den Kommentaren an Opferschelte und Hetze betrieben wird. Da stellt sich zudem die Frage, ob der Focus nicht Willens oder nicht in der Lage ist, wenigstens mal grob aufzuräumen?

  17. *14
    deine Ideen für einen Artikel über diese Thematik find ich super. Ich würde den sofort lesen, allerdings bezweifle ich, dass dieser viele Klick Zahlen erhalten würde.
    Viele lesen doch nur noch Überschriften und die Medien passen sich an um Geld zu verdienen.

  18. #14, für mich als Journalist ist mein Tun kein Selbstzweck. Ich bin da tatsächlich kundenorientiert, was nicht unbedingt zum Boulevard führen müss. Wobei auch der seine Berechtigung hat, wenn er gut gemacht ist.
    Deshalb ist der Anzeigenhauptmann für mich ein Thema. Ich bleibe auch dabei, die Kritik von #Boris Rosenkranz finde ich im Ton hochnäsig und moralinsauer. Na klar kann ich mich als Journalist hinstellen und philiosphieren, die tue ich als Medienmensch nie und jenes, dieses sollte ich unbedingt tun, das nicht. Aber die Realität ist eine andere. Ob bei Übermedien, bei der Bild, der Süddeutschen oder im TV. Jede JournalistIn sucht Themen, das ist der Job. Für Spiegel TV ist es der Knöllchenschreiber, für Übermedien, was der Spiegel draus gemacht hat.
    Ohne Themen kein Journalismus. Jetzt mit Verweis auf Moral zu fordern, dieses Thema auszulassen, halte ich für überheblich und realitätsfremd.
    Wenn es eine berechtigte Kritik an dem Spiegel-TV Beitrag gibt, dann weil ein parr Aspekte fehlen.
    Warum regt sich Gott und die Welt über den Knöllchenschreiber auf und niemand über die Falschparker?
    Warum verzichtet der Bürgermeister von Großenhainichen auf fast 100.000 Euro und brüstet sich damit?
    So wird ein Schuh draus. Das wäre guter Journalismus.

  19. „Aber eine Geschichte, über die die Menschen danach sprechen, ist für mich journalistisch relevant.“
    DAS hätte man auch hinbekommen, ohne den Mann zu doxxen. Und vor allem hätte man dem auch einen anderen Spin als „superspießige Spaßbremse“ geben können.
    Wenn man sich bspw. über Fahrradfahrer auf Gehwegen aufregt, sollte man sich auch über Autoparker auf Fahrradwegen aufregen.

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