Nach Verkaufsstopp in Bahnhofsbuchhandlungen

Ein rechtsextremistisches Magazin und das Dilemma mit der Pressefreiheit

Eine Filiale der Bahnhofsbuchhandlung "Press & Book", die zum Unternehmen Valora gehört
Die Handelskette Valora, zu der die Läden „Press & Books“ gehören, nimmt das Magazin „Compact“ aus dem Sortiment. Foto: Imago / Olaf Döring

Warum liegt das rechtsextremistische Magazin „Compact“ noch in den Zeitschriftenregalen? Muss das wirklich sein? Seit Jahren werden diese Fragen immer wieder aufgeworfen. Und wer versucht, ihnen einmal auf den Grund zu gehen, findet schnell heraus: Die Sache ist nicht ganz unkompliziert. Wir haben bei Übermedien bereits darüber berichtet, hier und hier.

Überraschend war deshalb diese Woche die Nachricht, dass die große Handelskette Valora, das Unternehmen hinter den Bahnhofsbuchhandlungen „Press & Book“, ab sofort „Compact“ aus dem Verkauf nimmt. „Correctiv“ hatte am Dienstag zuerst darüber berichtet.

Viele dachten da wohl: Oh, sieh an, es geht ja doch!

Was ist jetzt anders? Die Aktion ist sicher auch eine Folge der „Correctiv“-Recherche über das „Geheimtreffen“ von „Remigrations“-Fantasten in Potsdam und der dadurch ausgelösten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Mittlerweile positionierten sich mit der Dr. Eckert GmbH und der Lagardère Gruppe zwei weitere große Bahnhofsbuchhandel-Unternehmen öffentlich gegen das „Compact“-Magazin. Auch die seit rund zwei Wochen laufende Petition „Stoppt Compact! – Keine rechte Hetze im Bahnhofsbuchhandel“ mit aktuell mehr als 100.000 Unterschriften hat wohl Druck auf die Unternehmen ausgelöst.

Warum erst jetzt?

Man kann nun in die Hände klatschen und die Bahnhofsbuchhändler bejubeln, da sie dem Magazin, das als Sprachrohr der AfD gilt, Verschwörungsmythen verbreitet und gegen Minderheiten hetzt, keine Plattform mehr geben wollen. Und man kann sich darüber freuen, dass der breite Protest gegen Rechtsextremismus und für Demokratie offenbar wirkt.

Andererseits: Die Tatsache, dass der Verfassungsschutz das Heft als „gesichert extremistisch“ einstuft, ist seit mehr als zwei Jahren bekannt. Auch das Treffen in Potsdam, bei dem mit Hauptredner Martin Sellner und dem nach eigenen Angaben ehemaligen Identitären-Aktivisten Mario Müller auch „Compact“-Autoren zu Gast waren, hat nichts Neues über das Heft zutage gefördert. Die „Compact Magazin GmbH“ trage Positionen in die Öffentlichkeit, die „eindeutig als völkisch-nationalistisch sowie minderheitenfeindlich“ zu bewerten seien, es bringe „eine grundsätzliche Ablehnung demokratischer bzw. demokratisch legitimierter Entscheidungsprozesse zum Ausdruck“, teilte der Verfassungsschutz bereits im Dezember 2021 mit.

Und auch ganz ohne die Einstufung des Verfassungsschutzes, hätte man leicht erkennen können, wie viel Hass das Magazin schürt. Bei vielen Heften genügt schon ein Blick auf die Titelseiten. „Sprachrohr“ der AfD ist noch untertrieben, man sollte „Compact“ eher als Rechtsextremisten-Fan-Magazin bezeichnen. Oder wer sonst bewirbt und verkauft den „Björn-Höcke-Taler“ in Silber als Wertanlage? Auch eine Martin-Sellner-Maske findet man im Online-Shop von „Compact“. All das war immer bekannt und es war, wie gesagt, immer wieder öffentlich Thema, warum Händler ein solches Heft ins Regal stellen.

Kollege aus "Compact"-Titeln: "Habeck in den Knast", "Die Verlockung des Fremden", "Asyl-Bombe"
Screenshots: Compact.de

Wobei wir bei der nächsten, kniffligen Frage wären: Ist das jetzt rechtlich überhaupt alles so einfach? Als 2020 Kaufland bei Twitter stolz verkündete, das Magazin „Compact“ – da galt es beim Verfassungsschutz noch als „Verdachtsfall“ – aus dem Sortiment zunehmen, ruderte die Supermarktkette kurz danach wieder zurück. Grund ist das Pressevertriebssystem in Deutschland, das allen Publikationen gegenüber zu Neutralität verpflichtet ist. Die Grossisten, die Supermärkte und Kioske beliefern, müssen sicherstellen, dass jede Zeitung, jedes Magazin, also auch die mit Außenseitermeinung Verbreitung finden. Eine Regelung, die den demokratischen Wert der Meinungsvielfalt schützen soll. Und laut Grossisten eben auch für „Compact“ gilt, solange das Heft nicht verboten ist.

Sorry, liegt nicht an uns …

Deshalb ist es immer wieder dasselbe Spiel: Wenn mal wieder ein Händler in der Kritik ist, erklärt dieser sich als machtlos und verweist auf den Pressegroßhandel, der wiederum auf die Vertriebspflicht hinweist. Trotzdem gab und gibt es immer wieder Supermärkte, die das Heft aus dem Regal nehmen, und wohl auch Grossisten, die auf die Bedenken ihrer Kunden eingehen und die Hefte zurücknehmen bzw. nicht mehr liefern. Und dann soll es auch noch Läden geben, in denen das „Compact“-Magazin einfach nicht gekauft wird, weil es keiner haben will oder weil es zufällig hinter andere Hefte rutscht. Die nicht verkauften Hefte gehen dann mit der sogenannten Remission zurück zum Grossisten. Je öfter ein Titel zurückgeschickt wird, desto wahrscheinlicher, dass er künftig gar nicht mehr an den Laden geliefert wird.

Nun gelten für Bahnhofsbuchhandlungen wieder andere Regeln. Sie beziehen ihr Sortiment nicht wie die Supermärkte von Grossisten, sondern von den Verlagen direkt. Auch wenn sie ebenfalls dazu verpflichtet sind, Kunden ein weitreichendes Sortiment anzubieten und allen Publikationen Zugang zum Markt zu ermöglichen, haben sie mehr Handlungsspielraum. Das heißt, wenn ein Bahnhofsbuchhandel bei einem bestimmten Titel Bedenken hat, kann er den aus dem Verkauf nehmen. Auch darüber haben wir bereits berichtet, am Beispiel des Magazins „Schwerterträger“ und einer Leipziger Bahnhofsbuchhandlung.

Ob es nun rechtlich haltbar ist, dass nicht nur einzelne Bahnhofsbuchhandlungen, sondern ganze Handelsketten ein Magazin verbannen, ist ein Thema, das juristisch sicher unterschiedlich interpretiert werden kann. „Compact“-Chefredakteur Jürgen Elsässer hat am Mittwoch jedenfalls angekündigt, sich rechtlich zu wehren.

Schmitt + Hahn sagt nichts, der Verband wenig

Als vierte große deutsche Handelskette neben Valora, Dr. Eckert und Lagardère hat sich das Unternehmen Schmitt + Hahn bisher nicht positioniert. Eine Übermedien-Nachfrage blieb unbeantwortet. Wir haben auch beim Branchenverband der Bahnhofsbuchhändler nachgefragt, ob es eine Empfehlung für die anderen Mitglieder des Verbands gibt. Der Verband schreibt:

„Der VDBB kann seinen Mitgliedern aus kartellrechtlichen Gründen keine Empfehlung in dieser Angelegenheit geben. Die Mitglieder entscheiden selbständig über ihre Sortimente.“

Auch wenn der Verband sich hier offenbar nicht geschlossen positionieren kann, ist es dennoch ein wirkungsvolles Zeichen, das drei der vier größten Handelsketten da setzen. Und eine Positionierung, die unbequemer und im Zweifel juristisch anstrengender sein kann, als im Pride-Monat einfach die Regenbogenflaggen zu hissen, so wie manche Unternehmen das sonst gerne tun, wenn sie zeigen wollen, welche Werte ihnen wichtig sind.

Möglicherweise ist die Aktion der Handelsketten auch ein Anlass für die Pressegrossisten, also die, die Supermärkte und Kioske beliefern, nochmal neu über das Thema nachzudenken. Kai Albrecht, Geschäftsführer des Gesamtverbands Pressegroßhandel, hatte bereits 2020 gegenüber Übermedien geäußert:

„Man muss die Bedenken aus dem Handel ernst nehmen. Wir haben die Forderungen an unsere Mitglieder kommuniziert. Sie müssen entscheiden, wie sie damit umgehen.“

Passiert ist seitdem: nicht viel. Und jetzt? Auf Übermedien-Nachfrage schreibt Albrecht:

„Aus unserer Sicht stellt sich die Situation im Grunde unverändert da. Es liegen keine Informationen vor, wonach einzelne Ausgabe des Magazins COMPACT oder das Magazin als solches auf dem Index stehen oder durch die zuständigen Behörden verboten wurden. Auch wenn wir mit den Inhalten nicht übereinstimmen so haben wir im Sinne des Grundrechts auf Pressefreiheit und dem daraus folgenden neutralen Versorgungsauftrag des Pressegroßhandels keine Handhabe. Sollte sich die rechtliche Einordnung – etwa durch Verbot – ändern werden wir selbstverständlich umgehend handeln.“

Die Sache mit der Pressefreiheit

Der demokratische Wert der Pressefreiheit bedeutet eben im Zweifel auch, Publikationen verbreiten zu können, die demokratische Werte verachten. Und genau hier wird das alte Dilemma wieder sichtbar. Einerseits: bietet man so ein Heft im Zeitschriftenregal an, signalisiert man den Kunden, dass das, was darin steht, eine legitime Meinung sei. Andererseits ist es ja tatsächlich eine Einschränkung der Pressefreiheit, wenn man eine Publikation aus dem Verkauf nimmt. Und es spielt zumindest argumentativ denen in die Karten, die sowieso schon immer laut die „Meinungsdiktatur“ anprangern.

In diesem Zusammenhang ist es auch fraglich, welche Wirkung es hat, dass die Handelskette Lagardère bekannt gab, nicht nur „Compact“ in ihren Filialen aus der Auslage zu nehmen, sondern auch fünf andere Publikationen, darunter die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ oder das Monatsmagazin „Zuerst!“, die der Verfassungsschutz nicht wie das „Compact“-Magazin als „gesichert extremistisch“ einstuft. Unklar ist hier, nebenbei bemerkt, auch, ob „aus der Auslage nehmen“ bedeutet, dass das Heft gar nicht mehr verkauft wird oder ob es noch unter dem Ladentisch erhältlich ist. Eine Anfrage des „Spiegel“ diesbezüglich ließ Lagardère unbeantwortet.

Jürgen Elsässer, Chefredakteur des „Compact“-Magazins, weiß die aktuelle Situation natürlich für sich zu nutzen. Das „steuerfinanzierte Correctiv“ lasse jetzt Zeitungen verbieten, schreibt, nein, lügt das Magazin bei X. „Und dann?“, fragt „Compact“, um die Antwort in Form einer Suggestivfrage gleich hinterherzuschieben: „Bücher verbrennen?“ Dazu hat man sich auch die passende Grafik überlegt: Elsässer in nachdenklich-wütender Pose vor einem Haufen brennender Bücher – eine Anspielung auf die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten 1933. Mehr Opferrolle geht nicht. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Positionierung der Bahnhofsbuchhändler auch eine ungewollte Abo-Kampagne für „Compact“ sein könnte. Aber dass das alles ein kompliziertes Dilemma ist, wissen wir ja schon.

5 Kommentare

  1. interessant, dass ausgerechnet Lagardère so sehr vorprescht. Daheim in Frankreich ist der Vivendi-Konzern (zu dem Lagardère gehört), seit dieser selbst von der Bolloré-Familie übernommen worden ist, unter den großen Medienkonzernen Frankreichs der rechtslastigste. Bei der letzten Präsidentschaftswahl hatte er mit Éric Zemmour einen Kandidaten gepuscht, gegen den Marine Le Pen geradezu liberal wirkte.

  2. Schon immer so ein bisschen schizophren die rechte Ironie, wenn Elsässer das „Bücher verbrennen“ (Und ähnliches geschieht ja oft in vielerlei Zusammenhang, wenn Rechtsextreme sich in die Opferrolle der Nazis fantasieren.) als etwas Schlechtes darstellt. Aber eben ja wohl nur mit Zwinkern, denn an sich sind Rechtsextreme doch affin dafür… Ob das nicht allzu viele aus der Zielgruppe überfordert mit so einer Doppelbödigkeit?

  3. Schwierig.

    Ich meine, es hat ja schon einen Sinn, dass es eine Regelung gibt, nach der der Handel verpflichtet ist ein Magazin anzubieten, das ein Grossist im Angebot hat und für das es ja auch eine Nachfrage zu geben scheint.

    So lange eine Publikation nicht verboten ist, sollte der Handel auch verpflichtet sein sie auszulegen.

    Das sind genau solche Dinge, die dem rechten Rand immer wieder Futter geben. Man meint etwas gut aber am Ende geht es nur wieder nach hinten los.

    Das ist wieder einmal nur die Bekämpfung eines Symptoms (Zeitung aus dem Handel nehmen) aber nicht der Ursache (Warum gibt es eine Nachfrage nach diesem rechten Magazin?).

  4. @4: das Argument, eine solche Massnahme gäbe den Faschisten nur Futter, ist m.E. irrelevant. Die finden in jedem Fall etwas,um ihre Opferrolle zu spielen.
    Kampf gegen den Faschismus kann nur bedeuten, deren Strukturen anzugreifen. Die organisierenden Personen dahinter erreicht man nicht mehr.

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