In den letzten Tagen ist etwas Unwahrscheinliches geschehen: Ein öder Fachbegriff brachte Hunderttausende in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße.
Auslöser war die Correctiv-Recherche über ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam. Dadurch wurde ein breiteres Publikum mit der in diesen Kreisen geläufigen Wunschbedeutung des Begriffs „Remigration“ bekannt gemacht. Eigentlich ein Begriff aus der Soziologie, der die Rückkehr in das Heimatland innerhalb einer Einzelbiografie beschreibt, wird er in rechten Kreisen als politisches Ziel verstanden: Bestimmte Menschengruppen sollen das Land verlassen. Für Martin Sellner, neurechter Aktivist und Redner in Potsdam, zählen dazu laut Correctiv auch „nicht assimilierte Staatsbürger“, also Bürger mit deutschem Pass.
Dahinter steht eine bekannte Strategie der extremen Rechten: Durch die Einführung bestimmter Begriffe (und die Umwertung bestehender Begriffe) soll der Diskurs verschoben werden. Doch diesmal war etwas anders. Die absichtliche Schwammigkeit des rechten „Remigrations“-Begriffs erlaubte eine mediale Reaktion, die Menschen gegen Rechts mobilisierte wie selten zuvor. Das überraschende Ergebnis unseriöser Begriffsbildung war diesmal also nicht Normalisierung – sondern Mobilisierung. Es lohnt sich daher ein genauerer Blick auf diese Dynamik und die Rolle der Medien darin.
Einsatz einer schmutzigen Bombe
Mit dem Begriff „Remigration“ hat sich die Neue Rechte einen seriös klingenden Namen für verschiedene Vorhaben gegeben. Das kann die Abschiebung straffällig gewordener Menschen bedeuten, die nur geduldet werden. Oder auch die massenhafte Vertreibung von Menschen, die aus rassistischen (oder wie es auf Neurechts heißt, „kulturellen“ oder „identitären“) Gründen nicht als deutsch genug verstanden werden, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Da der Begriff seiner Wissenschaftlichkeit beraubt wurde, ist unklar, was genau gemeint ist.
In der Antaios-Verlagsankündigung von Sellners neuem Buch „Remigration – Ein Vorschlag“ heißt es: „’Remigration‘ bedeutet Abwanderung und bezeichnet damit einen ebenso normalen Vorgang wie den der Anwerbung von Gastarbeitern oder die zeitlich begrenzte Aufnahme von Flüchtlingen.“ Wenn man dazu sagen muss, dass etwas ganz normal ist, dann ist Aufmerksamkeit geboten. Insbesondere seit die AfD den Reiz des „Normalitarismus“ erkannt hat und mit dem Slogan „Deutschland, aber normal“ wirbt.
„Nicht normal, sondern erklärungsbedürftig“, so Sellners Verlag weiter, sei „das Experiment der ‚Ersetzungsmigration‘, das seit Jahrzehnten in Europa und vor allem in Deutschland durchgeführt wird.“ Die Verschwörungsidee vom „Großen Austausch“ klingt hier durch und soll einen weiteren Begriff setzen, der einen Plan unterstellt, an dessen Ende autochthone Deutsche verschwunden sein werden. Wenn Begriffe für Phänomene geprägt werden sollen, die in Wirklichkeit nicht existieren, delegitimiert man sich in einem seriösen Diskurs. Aber, wie gesagt, um präzise Begriffsarbeit geht es nicht.
Denn der rechte „Remigrations“-Begriff soll eine schmutzige Bombe sein. Organisationen am rechten Rand brauchen nämlich keine Präzisionswaffen, sondern den Nebel der begrifflichen Unklarheit. So werden gleich mehrere diskursive Funktionen erfüllt:
Glaubhafte Abstreitbarkeit in Richtung Mitte: Weisen etwa Medien auf eine extreme Lesart des Begriffs hin, bspw. Deportationen von Deutschen mit Migrationsgeschichte, kann man behaupten, das sei natürlich nicht gemeint. (Etwa, weil die AfD auch türkischstämmige Wähler umwirbt.)
Offenheit nach rechts außen: Gleichzeitig ist der Begriff der „Remigration“ für brutalstmögliche Interpretationen offen. Das zielt auf den extrem rechten Rand, wo Grausamkeit ja genau das ist, worum es geht.
Der rosa Elefant: Denken Sie jetzt nicht an Remigration! Die Wahl von „Remigration“ zum „Unwort des Jahres“ wurde am rechten Rand mit Genugtuung aufgenommen. Dort ist man sich natürlich im Klaren darüber, dass es für den Zweck der Diskursverschiebung unerheblich ist, wie ein Begriff mediale Aufmerksamkeit bekommt. Ein nach allen Seiten offener Begriff für Maßnahmen mit dem Ziel, Menschen aus Deutschland zu entfernen, ist nun in der Welt. Und für eine Bewegung, die sich aus Systemfrust speist, ist ein vom System vergebener Antipreis wie „Unworts des Jahres“ die denkbar größte Auszeichnung.
Das Dilemma der Medien
Bei Wittgenstein heißt es, die Bedeutung eines Wortes liegt in seinem Gebrauch in der Sprache. Den Gebrauch des Remigrationsbegriffs haben die Rechtsextremen bestimmt. Medienschaffende sehen sich dabei einer Paradoxie gegenüber, der sie kaum entkommen konnten: Wenn Medien Begriffe kritisieren, setzen sie sich wiederum selbst der Kritik aus, ihnen so nur noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen – so argumentiert etwa Daniel Bax in der „taz“.
Allein: Begriffe in die Welt zu kriegen, ist schwierig, sie wieder aus ihr herauszubekommen, ist unmöglich. Wir können es an der leidigen N-Wort-Debatte sehen: Die schiere Tatsache, dass ein Begriff nicht mehr verwendet werden soll, provoziert manche Menschen derart, dass sie ihn erst recht verwenden. Es ist somit zwar nachvollziehbar, Begriffe, die eine absichtlich verunklarende Funktion haben, wieder aus dem Diskurs entfernen zu wollen. Es ist nur ein fruchtloses Unterfangen.
Die mediale Begriffskritik kann daher nicht ausbleiben – sie ist die ureigenste Aufgabe journalistischer Arbeit. Schwierig wird es, weil diese Kritik auf Interpretationen fußt. Und bei absichtlich schwammigen Begriffen ist es naturgemäß schwer zu sagen, was genau gemeint ist. Beim Begriff „Remigration“ scheinen daher etliche Medien auf Nummer sicher gegangen zu sein, und die maximale Lesart gewählt zu haben: die massenweise Ausweisung, gar Deportation, von Ausländern – und nicht-autochthonen Deutschen.
Praktisch alle etablierten Medien haben das „Reframing“ durchschaut, den Begriff in Anführungszeichen gesetzt und ihn oft auch gleich als „Abschiebeplan“ oder „Ausweisungs-Plan“ interpretiert. Wenige gingen dabei so weit wie Jasper von Altenbockum in der FAZ, der das Wort als Chiffre für „ethnische Säuberung“ versteht. Selbst NZZ-Autor Marc Felix Serrao fragt in Anbetracht der Sellner-Pläne: „Wer kann so weit gehen wollen, von Rassisten abgesehen?“ Den „Remigrations“-Begriff unkritisch und zustimmend in die Überschrift zu heben (inklusive der Variation eines rechtspopulistischen Buchtitels von Thilo Sarrazin), konnte sich die NZZ aber dennoch nicht verkneifen.
Die Pläne der Neuen Rechten haben jetzt einen Namen
Die Bedeutung eines Wortes liegt in seinem Gebrauch in der Sprache. „Remigration“ steht für viele Demonstrierende in der Folge der Berichterstattung nun nicht nur für die Abschiebung illegal in Deutschland lebender Menschen, sondern für die Möglichkeit der Deportation von Millionen rechtmäßig hier lebender Bürger*innen. Dass hier ein bestehender Fachbegriff gekapert wurde, ist für die Bevölkerung unerheblich, da sie die ursprüngliche Bedeutung meist nicht kennt.
Die Correctiv-Redaktion hat ihre Recherche wie ein Theaterstück präsentiert, strukturiert in Akte und Szenen. Dass dramaturgische Mittel aus fiktionalen Formen sich nicht eignen, eine journalistische Arbeit zu präsentieren, sollte eigentlich auf der Hand liegen. Geschadet hat dieser unnötige Kunstgriff der Wirkung jedoch nicht. Die Demonstrationen gegen die AfD sind vielmehr offensichtlich davon motiviert, dass die Pläne der Neuen Rechten jetzt einen Begriff haben, der es erlaubt, auch extreme Szenarien möglich erscheinen zu lassen. Sowas passiert, wenn man mit schmutzigen Bomben hantiert.
Die Buchankündigung des rechten Verlags endet mit der Feststellung: „In der politischen Auseinandersetzung ist Sellners Buch also auch ein Beitrag im Kampf um Begriffe.“ Das ist immerhin nicht falsch.
2 Kommentare
Heute bei der Demo gegen Rechts: „Remigriert euch ins Knie!“
Dass die Rechten den Diskurs an sich reißen wollen, ist ja nichts neues; umso erfreulicher, wenn das dann scheitert.
„Bei Wittgenstein heißt es, die Bedeutung eines Wortes liegt in seinem Gebrauch in der Sprache. Den Gebrauch des Remigrationsbegriffs haben die Rechtsextremen bestimmt.“
Eigentlich nicht. Bzw., die Rechten meinen mit „Remigration“ „_unfreiwillige_ Remigration“, und die Problematik liegt wohl eher darin, dass man das „unfreiwillig“ weglässt. Wittgenstein sagt: „Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“
„Medienschaffende sehen sich dabei einer Paradoxie gegenüber, der sie kaum entkommen konnten: Wenn Medien Begriffe kritisieren, setzen sie sich wiederum selbst der Kritik aus, ihnen so nur noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen…“ Ja, diese Paradoxie wird aber hauptsächlich von anderen Medienschaffenden erzeugt, insofern hält sich mein Mitgefühl in engen Grenzen. Das heißt nämlich, in dieser Pauschalität vor allem: wer schreibt: „Ich bin gegen die Remigrationspläne der AfD“, unterstützt diese Pläne in Wahrheit, weil er das „Wording“ der AfD übernimmt, aber jemand, der schreibt: „So schlecht sind die Ideen der AfD zur Zwangsausweisung ja nicht“, wäre im Umkehrschluss _kein_ Unterstützer.
Die nicht-zustimmende Verwendung eines Wortes, um über die tatsächliche Bedeutung des Wortes einerseits und über die bezeichnete Sache andererseits zu diskutieren, kann einfach nicht pauschal als Zustimmung oder Unterstützung verstanden werden.
Wittgenstein nochmal:
„Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht damit ihre ganze Funktion zusammen.“
Heute bei der Demo gegen Rechts: „Remigriert euch ins Knie!“
Dass die Rechten den Diskurs an sich reißen wollen, ist ja nichts neues; umso erfreulicher, wenn das dann scheitert.
„Bei Wittgenstein heißt es, die Bedeutung eines Wortes liegt in seinem Gebrauch in der Sprache. Den Gebrauch des Remigrationsbegriffs haben die Rechtsextremen bestimmt.“
Eigentlich nicht. Bzw., die Rechten meinen mit „Remigration“ „_unfreiwillige_ Remigration“, und die Problematik liegt wohl eher darin, dass man das „unfreiwillig“ weglässt. Wittgenstein sagt: „Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“
„Medienschaffende sehen sich dabei einer Paradoxie gegenüber, der sie kaum entkommen konnten: Wenn Medien Begriffe kritisieren, setzen sie sich wiederum selbst der Kritik aus, ihnen so nur noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen…“ Ja, diese Paradoxie wird aber hauptsächlich von anderen Medienschaffenden erzeugt, insofern hält sich mein Mitgefühl in engen Grenzen. Das heißt nämlich, in dieser Pauschalität vor allem: wer schreibt: „Ich bin gegen die Remigrationspläne der AfD“, unterstützt diese Pläne in Wahrheit, weil er das „Wording“ der AfD übernimmt, aber jemand, der schreibt: „So schlecht sind die Ideen der AfD zur Zwangsausweisung ja nicht“, wäre im Umkehrschluss _kein_ Unterstützer.
Die nicht-zustimmende Verwendung eines Wortes, um über die tatsächliche Bedeutung des Wortes einerseits und über die bezeichnete Sache andererseits zu diskutieren, kann einfach nicht pauschal als Zustimmung oder Unterstützung verstanden werden.
Wittgenstein nochmal:
„Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht damit ihre ganze Funktion zusammen.“