Umstrittene Kontakte

Besuch vom Feind? Der NDR ringt um den richtigen Umgang mit AfD-Gästen

Die Frage „Wolle mer se reinlasse?“ spielt im karnevalsfernen Norden üblicherweise keine so große Rolle. Den Norddeutschen Rundfunk (NDR) allerdings treibt sie seit einigen Wochen ziemlich um: „se“ ist in diesem Fall, natürlich, die AfD.

Mitglieder der AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft und der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung haben an zwei Terminen im November und Dezember das Landesfunkhaus Hamburg besucht und damit bei einem Teil der Belegschaft Entsetzen ausgelöst. Nach einem Aufruf der Gewerkschaften DJV, ver.di und VRFF demonstrierten rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Leute vom Hamburger Bündnis gegen Rechts jeweils vor Ort „gegen die Feinde der Pressefreiheit“ und forderten, dass Mitglieder „rechtsradikaler Organisationen keinen Zutritt zum NDR bekommen“.

Demonstration gegen AfD-Besucher am Eingang des NDR

Seitdem wird im Sender darüber diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen Delegationen der AfD für Führungen oder Gespräche ins Haus gelassen werden sollen. Es ist ein kleiner, sehr konkreter Aspekt in der großen Frage nach dem richtigen Umgang mit der AfD, der die Medien gerade ganz besonders beschäftigt.

Das Thema bewegt und beunruhigt viele im Haus sehr. Die Leitungen der vier NDR-Landesfunkhäuser haben die Besuche und anderen Gespräche und Kontakte mit der AfD jedoch intern mit Nachdruck verteidigt. Und der Fraktionsvorsitzende der AfD in Mecklenburg-Vorpommern saß Mitte Dezember sogar an einem Spendentelefon im Funkhaus des NDR in Schwerin.


In Hamburg hat sich der Redaktionsausschuss des NDR Anfang Dezember mit den Besuchen beschäftigt. Er sprach mit der Leitung des Landesfunkhauses Hamburg und erkundigte sich bei den anderen Landesfunkhäusern. Ein Protokoll mit den Ergebnissen liegt Übermedien vor. Darin geht es unter anderem um die Frage, ob es rechtlich möglich sei, solche Besuche abzusagen. Die Antwort der Führung des Landesfunkhauses: Einerseits habe die AfD-Fraktion Verfassungsrang, andererseits hätte der NDR auf der Grundlage seines Hausrechtes möglicherweise einen Besuch ablehnen können. Am Ende sei es aber eher eine unternehmenspolitische und weniger eine rechtliche Entscheidung gewesen. Offenbar sollte auch vermieden werden, der AfD einen Vorwand zu geben, sich als Opfer zu inszenieren.

Juristisch spreche auch nichts gegen einen solchen Besuch: Die AfD sei damit nicht anders behandelt worden als andere Fraktionen, denen ebenfalls auf Anfrage Führungen angeboten werden. Falls die AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden sollte, müsse das gegebenenfalls neu bewertet werden.
Die AfD hatte sich offenbar schon seit längerer Zeit um einen Besuch beim NDR bemüht. Zu Corona-Zeiten ließ sich das leicht verhindern: Es fanden grundsätzlich keine Führungen statt. Im Frühjahr 2023 fragte Thorsten Prenzler an, Geschäftsführer der Hamburger AfD-Fraktion und Vorsitzender der Desiderius-Erasmus-Stiftung ist. Anstelle eines Besuchs mit 50 Personen, wie gewünscht, einigte man sich laut NDR auf zwei Besuche mit kleinen Gruppen. Die AfD-Leute hätten das Studio des „Hamburg Journals“ besichtigt und unter anderem gefragt, ob wirklich alle Lampen benötigt und wie Personen für die Berichterstattung ausgewählt würden.

Selbstkritisch räumt man beim NDR ein, die Belegschaft im Vorfeld nicht breit genug informiert zu haben. Das sei auch wichtig gewesen, weil einige NDR-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa bei der Berichterstattung von Demonstrationen bedrängt oder körperlich attackiert worden seien und daher Sorge hätten, den Teilnehmern der AfD-Führung zu begegnen. Offenbar hatten im Vorfeld des ersten Besuches Gerüchte, dass die AfD-Besucher durch die Redaktion geführt würden, für übertriebene Aufregung gesorgt. Tatsächlich gab es über die Besichtigung des Studios hinaus nur Gespräche in einem Konferenzraum.

Auch mit denen sprechen, die einen ablehnen

Öffentlich hat der NDR erklärt, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk für alle da sein wolle, müsse er auch mit denen sprechen, die ihn ablehnen. Gegenüber dem Redaktionsausschuss bekräftigten leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Position. Im Protokoll, das Übermedien vorliegt, wird Joachim Böskens, Direktor des Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern, mit den Worten zitiert, man stehe „im kritischen Dialog mit allen relevanten politischen Kräften des Landes. Natürlich auch mit der größten Oppositionspartei – der AfD. Wir suchen das Gespräch auch mit den politischen Strömungen, die uns ablehnen. Darüber hinaus hat jeder und jede das Recht dazu, mit uns in Kontakt zu treten und uns in friedlicher Absicht zu besuchen.“

Die AfD war von 2017 bis 2022 im Landesrundfunkrat in Vorpommern vertreten. Außerdem lädt der NDR die im Landtag vertretenen Parteien seit Jahren zur Benefizaktion „Hand in Hand für Norddeutschland“ ins Funkhaus ein. „Hin und wieder“ nähmen AfD-Politiker die Einladung an. Mitte Dezember saß so der AfD-Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kramer am Spendentelefon.

Kramer nannte die Benefizaktion eine „sehr gute Sache“. In seiner auf Facebook veröffentlichten Weihnachtsansprache nannte er kurz darauf seine politischen Gegner eine „rot-rote Bande“, träumte davon, „von unten nach oben und von oben nach unten durch die Parlamente (zu) marschieren“ und beklagte eine „moralische Degeneration“, die die Gesellschaft „wie ein Virus befallen hat“. Der Kampf dagegen benötige „jede deutsche Frau und jeden deutschen Mann, der den Mut hat, dem medialen Mainstream der grünen woken Blase (…) die Stirn zu bieten“.

Powerpoint-Vortrag und Studio-Besichtigung

Das Landesfunkhaus Schleswig-Holstein hat nach eigenen Angaben in der vergangenen Legislaturperiode alle Landtagsfraktionen zu einem Gespräch eingeladen. Alle, auch die AfD, hätten die Einladung angenommen. Zu dem Programm gehörte ein Powerpoint-Vortrag, eine Studio-Besichtigung und ein Gespräch mit der Leitung des Hauses.

Der Kieler Funkhausdirektor Volker Thormählen sagte gegenüber dem Redaktionsausschuss, er sei der Überzeugung, „dass wir gegenüber allen relevanten Teilen unserer Gesellschaft gesprächsbereit und -fähig sein sollten. Deshalb sollten wir auch mit unseren KritikerInnen sprechen.“ Außerdem sollte an dem Grundsatz festgehalten werden, dass interessierte Bürgerinnen und Bürger den NDR besichtigen beziehungsweise besuchen dürfen. „Wenn es sich hier nachweislich um Verfassungsfeinde handelt oder in anderer Weise destruktive Intentionen erkennbar sind, müssen wir solche Wünsche natürlich auch ablehnen können – das muss im Einzelfall geprüft und gfls. diskutiert werden“, so Thormälen.

Beim NDR in Hannover fand Ende Dezember ein „redaktionelles Hintergrundgespräch“ zwischen leitenden Mitgliedern der AfD-Fraktion im Landtag und führenden Vertretern des Landesfunkhauses statt. Funkhausdirektorin Andrea Lütke sagte gegenüber dem Redaktionsausschuss: „Die AfD ist mit 18 ParlamentarierInnen im niedersächsischen Landtag vertreten. Es sind gewählte VolksvertreterInnen. Das Hintergrundgespräch ist eine Gelegenheit, sehr deutlich zu machen, wofür wir als NDR stehen, nämlich für unabhängigen Journalismus und einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Bei diesen Terminen verteidigen wir die Rundfunkfreiheit.“ Sie selbst nahm an dem Gespräch aber nach Angaben des NDR nicht teil.

Stelldichein mit Feinden

Die Haus- und Studio-Besichtigungen, die die aktuelle Debatte beim NDR ausgelöst haben, sind vermutlich ein eher kleines Problem im großen Dilemma, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der AfD umgehen soll. Gleichzeitig taugen sie ganz besonders für ein lautes, emotionales und symbolisches Stoppschild. „Mitglieder einer Partei und einer Stiftung, aus deren Reihen die Demokratie verächtlich gemacht wird, Menschen bedroht, angegriffen und rassistisch beleidigt werden, können nicht normale Besucher des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein“, haben die Gewerkschaften in ihrem Demo-Aufruf formuliert.

Christoph Schmitz vom Ver.di-Bundesvorstand sagte im November, es sei „vollkommen unverständlich, dass die Leitung des NDR sich mit offenkundigen Feinden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Pressefreiheit zu einem Stelldichein trifft.“

Vollkommen unverständlich findet es Sandra Goldschmidt nicht. Sie ist Landesbezirksleiterin von ver.di und stellvertretende Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates. Sie nannte die AfD zwar in einer Pressemitteilung eine „rechtsextreme Partei, die rassistische und menschenfeindliche Positionen vertritt“ und kündigte an, sich ihren „politischen Zielen, ihren menschenverachtenden Werten und ihrem Populismus“ klar entgegenzustellen. Sie fügte aber hinzu: „Als Gebührenzahler*innen haben Personen aus dem Umfeld der AFD den gleichen Anspruch auf eine Führung wie alle anderen. Hier offenbart die Situation ein Dilemma: Die Regeln der Demokratie und ihrer Institutionen gelten auch für Feinde der Demokratie.“

Die Hamburger AfD-Fraktion sprach von einer „hysterischen Reaktion der versammelten linken Verbände-Schickeria auf unseren Besuch“.

Alle NDR-Führungsleute betonten gegenüber dem Redaktionsausschuss, dass Sorgen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ernstgenommen und berücksichtigt werden sollen. Am 24. Januar wird es eine interne Gesprächsrunde zum Thema „Umgang mit der AfD“ geben, an der Intendant Joachim Knuth und externe Exertinnen und Experten teilnehmen sollen.

6 Kommentare

  1. Auch Wölfe haben das Recht auf einen Stallbesuch! In friedlicher Absicht, selbstverständlich. Es finden sich sicher Schafe, die sie herumführen.

  2. Ich werde immer an Biedermann und die Brandstifter erinnert. Die AfD sagt ja, was sie tun will. Man zieht daraus nur keine Konsequenzen.

    Die Partei wird sich auch jederzeit als Opfer darstellen, ob nun weil sie Gegenwind bekommt oder sich diesen ausdenken muss. Das ist egal.

    Schließlich ist die AfD nicht an einer Führung interessiert. Da wird die Pressefreiheit verteidigt? Na toll, aber ein Diskurs ist ja gar nicht gewollt. Das ist unerheblich. Die gucken sich nur das Feindesland an auf der Suche nach allem, was man danach gegen den woken Rundfunk ins Feld ziehen kann.

  3. Manchmal ist es zum Verzweifeln, muss ein Staat die Rechte schützen, von den Rechten, welche Rechte nur den Rechten eingestehen. Dann wird ebendiese Unrechtsprechung nur den Rechten nützen und an eigner Gesetzgebung unser Grundgesetz vergehn.

  4. Wem gehört der NDR? Wohl kaum der Leitung. Aber auch nicht der Belegschaft. Gehört der NDR den Landesregierungen? Oder den Landesparlamenten? Fragen wir mal anders. Wer bezahlt den NDR? Und da stellen wir fest: Alle Haushalte in den norddeutschen Bundesländern bezahlen den NDR. Also sollten auch alle irgendwie im Programm vorkommen. Wenn der NDR Besuchergruppen einlädt, sollten auch alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte eingeladen werden. Die Belegschaft oder gewerkschaftlich organisierte Teile davon haben kein Mitspracherecht bei der Auswahl der Besuchergruppen. Eher ist es umgekehrt. Die politischen und gesellschaftlichen Kräfte dürfen bestimmen, wer der Belegschaft angehört.

  5. Ob die die Rundfunkanstalt besuchen oder nicht mag ein Thema sein. Ich verstehe nicht, dass man AfD’lern permanent ein Forum in Talkshows und anderen Gesprächsrunden gibt. Das regt mich deutlich mehr auf.

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