Angriffe auf Israel

Fotografen, die den Terror der Hamas zeigen, müssen keine Komplizen der Hamas sein

Ein Gefühl der Angst und des Unwohlseins überkam mich, als ich den Kommentar des ehemaligen israelischen UN-Botschafters, Danny Danon, auf X (Twitter) las. Er schrieb, dass man jeden, der sich am Massaker des 7. Oktobers beteiligt habe, eliminieren würde – einschließlich „der Fotojournalisten“. Gleichzeitig beklagten praktisch alle Journalistenorganisationen der Welt den Umstand, dass der Israel-Gaza-Krieg zu den für Medienschaffende tödlichsten Konflikten seit Jahren gehört. In den vergangenen Wochen wurden mindestens 42 Journalisten getötet: 37 Palästinenser, vier Israelis und ein Libanese. Die meisten Opfer wurden durch Angriffe des israelischen Militärs verursacht.

Danon bezog sich auf eine Veröffentlichung des israelisch-amerikanischen Blogs „Honest Reporting“, ein pro-israelischer Medien-Watchdog. In einem Beitrag, der am 8. November veröffentlicht wurde, werden mehrere Fotografen aus dem Gaza-Streifen, die für internationale Medienhäuser tätig sind, in die Nähe der terroristischen Hamas gerückt. Konkret geht es um sechs Männer: Hassan Eslaiah, Yousef Masoud, Ali Mahmud und Hatem Ali, die unter anderem für AP, CNN und die „New York Times“ arbeiten, sowie Mohammed Fayq Abu Mostafa und Yasser Qudih von Reuters. Unter anderem wird suggeriert, dass sie nicht zufällig zu richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, sondern im Vorfeld von den Tätern über den Ablauf informiert worden seien. Einige Medien schrieben deshalb von „Hamas-Journalisten“ oder „Terror-Journalisten“.

Der Text von „Honest Reporting“ besteht allerdings in erster Linie aus Mutmaßungen und Vorwürfen, denen jeglicher Kontext fehlt. Doch kurz nach der Veröffentlichung war der Schaden bereits angerichtet. Der Beitrag wurde tausendfach geteilt und die genannten Journalisten wurden mit Terroristen gleichgesetzt und zum Abschuss freigeben. Dabei arbeiten alle genannten Personen seit Jahren unter extrem schwierigen Bedingungen.

Dies betrifft einerseits die Hamas, die den Gaza-Streifen regiert, wodurch Kontakte mit ihr unumgänglich sind, sowie die israelische Regierung, die im aktuellen Fall bereits von „Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ spricht. Dabei könnte man diese Behauptung auch umdrehen: Ohne besagte Journalisten hätte es nämlich keine Dokumentation der Hamas-Verbrechen außer durch Hamas selbst gegeben. Das sollte auch im Interesse Israels sein.

„Unwahr und abscheulich“

Umso wichtiger war die Reaktion der betroffenen Medienhäuser. Die „New York Times“ veröffentlichte ein kritisches Statement, in dem Yousef Masud explizit verteidigt wurde. Sie beklagte sich über die Gefahren, die mit derart „unwahren und abscheulichen“ Vorwürfen einhergehen würden. Außerdem betonte sie die gefährlichen Umstände, unter denen Kriegsfotografen arbeiteten und kritisierte, dass „Honest Reporting“ keine Beweise habe.

Zurückhaltender klang die Stellungnahme von Reuters. Darin behauptete die Nachrichtenagentur, man habe kein Vorwissen über die Anschläge gehabt. Man habe Fotos von zwei freien Journalisten aus Gaza erhalten, mit denen man bis dato nicht zusammengearbeitet hatte. Ähnlich distanzierend wirken auch die Worte von AP. Man arbeite mit Freelancern auf der ganzen Welt zusammen, und so sei das auch in Gaza geschehen. Die ersten Fotos, die die Agentur erhalten habe, seien rund eine Stunde nach dem Hamas-Angriff entstanden und nicht zeitgleich.

Allerdings erklärte AP, man habe die Zusammenarbeit mit Hassan Eslaiah eingestellt. Dasselbe gab auch CNN bekannt.

Was „Honest Reporting“ über palästinensische Journalisten geschrieben hatte, wurde auch von deutschen Medien aufgenommen und oft unhinterfragt weiterbreitet. Dies geschah auch dann noch, als die internationale Kritik an dem Blog wuchs, und die Verantwortlichen zurückruderten. Plötzlich hieß es nicht nur, dass man „lediglich Fragen gestellt habe“, sondern betonte auch, dass man sich gar nicht als Nachrichtenorganisation verstehen würde.

Zum Abschuss freigegeben

In den meisten Fällen scheint klar zu sein, dass die Journalisten aus Gaza ihrem Berufsethos gefolgt sind. Sagen, was ist, oder in diesem Fall womöglich passender: Fotografieren, was ist. Man wird nicht automatisch zum Komplizen von Terroristen, wenn man ihre Taten filmt oder fotografiert. Die Statements der betroffenen Medien und Agenturen betonen, dass die Fotografen nicht vor Ort lauerten, sondern erst danach erschienen sind und – auch das muss man betonen – dabei womöglich, wie so oft, ihr eigenes Leben riskiert haben.

Umso wichtiger ist es, dass Journalisten und ihre Familien beschützt und eben nicht zum Abschuss freigegeben werden. Dass sich höchste Vertreter der israelischen Regierung daran beteiligen, macht das Ganze noch schlimmer.

Richtig ist allerdings auch, dass Journalisten, ihre Arbeit und ihre Methoden hinterfragt werden müssen. Das gilt sowohl für den auch in diesen Tagen verbreiteten Embedded Journalism, eine Zusammenarbeit zwischen Medienvertretern und Militärs, die in den vergangenen Jahren vor allem im Zuge der amerikanischen Antiterrorkriege kritisiert wurde, als auch für ungewohnt nahe Verhältnisse zwischen Journalisten und Militanten und Terrorgruppen.

Nicht gemein machen

Ich berichte seit einem Jahrzehnt aus einer Region, die von Extremisten und Terroristen kontrolliert wird: Afghanistan. Die Taliban, die seit August 2021 wieder das ganze Land regieren, haben brutale Anschläge ausgeübt, die Tausende von Afghanen und Afghaninnen das Leben kosteten. Schon lange vor ihrer Rückkehr an die Macht in Kabul bin ich regelmäßig in ihre Gebiete gereist, und natürlich ging das meist nur, wenn man sich im Vorfeld in irgendeiner Form mit ihnen absprach. Ich trank Tee und speiste mit schwerbewaffneten Taliban-Kämpfern und versuchte dabei auch, ihre Weltanschauung in Frage zu stellen. Oft muss man dabei auch „mitspielen“. Man scherzt, lächelt und schluckt. Stift, Notizblock und Kamera können im Ernstfall gegen eine Kalaschnikow nichts ausrichten.

Das bedeutet allerdings nicht, dass man sich mit ihrer Sache gemein macht. Das taten die meisten afghanischen Journalisten nicht, die ich kenne – und sie tun es bis heute nicht.

Ähnlich geht es vermutlich auch den meisten palästinensischen Journalisten. Anders kann man nämlich nicht berichten, auch wenn es sich manch einer vom sicheren Schreibtisch aus wünscht. Wer mit solchen Leuten zu tun hat, muss pragmatisch bleiben, an das eigene Leben denken und mit bestem Wissen und Gewissen versuchen, seinen journalistischen Verpflichtungen trotz allem nachzukommen.

Auf die Idee, mit irgendeinem Taliban-Kommandanten (oder anderen fragwürdigen Warlords und Politikern) einen liebkosenden Selfie zu machen, wäre ich allerdings nicht im Traum gekommen. Doch genau das tat Hassan Eslaiah, wie von „Honest Reporting“ dokumentiert wurde. Es zeigt den Fotografen gemeinsam mit dem Hamas-Führer Yahya Sinwar im Jahr 2020. Natürlich lässt sich auch hier sagen: Der Kontext fehlt. „Der Verdacht, dass palästinensische Fotografen der Hamas nahestehen, lässt sich nicht mit ein paar Selfies belegen“, schreibt die FAZ zu recht.

Es kann sein, dass, ähnlich wie es im afghanischen Kulturkreis üblich ist, Sinwar aus irgendeiner Laune heraus Eslaiah umarmt hat und sich der Journalist dem nicht entziehen konnte. Wie denn auch? Die Hamas regiert in Gaza totalitär und viele Menschen sind ihr ausgesetzt. Als lokaler Journalist, der nicht einfach das Land verlassen kann, ist es meist schwierig, es sich mit solchen Leuten zu verscherzen. Die Folgen könnten Drohungen, Folter, Mord oder eine Kollektivbestrafung für die gesamte Familie sein. Natürlich denkt man, wenn man da im Sinne der Machthaber agiert, nicht an mögliche westliche Beobachter und deren moralisierende Vorwürfe.

Auf Nachfrage der „Welt am Sonntag“ hat Hassan Eslaiah allerdings verdeutlicht, dass seine Nähe zum Hamas-Führer andere Gründe hat. Das Foto sei auf seine Arbeit als palästinensischer Journalist zurückzuführen, „der Zugang zu den Führern der verschiedenen palästinensischen Gruppierungen hat“. „Ich habe es nur veröffentlicht, um die Authentizität meiner journalistischen Berichte über die Geschehnisse innerhalb der Bewegung zu beweisen und um meine journalistische Arbeit zu verbreiten“, so Eslaiah. Dafür muss man sich allerdings gewiss nicht in die Arme eines Terrorführers legen.

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