Alles rechtswidrig?

Das „Gutachten“ zur rbb-Intendantenwahl ist eine bizarre, entglittene Auftragsarbeit

Foto [M]: Imago / Jürgen Held

Man kann mit dem spektakulären neuen Gutachten, das die jüngste Intendantenwahl beim rbb für rechtswidrig erklärt, ein gutes Partyspiel machen: Man zeigt es ahnungslosen Gästen und lässt sie raten, wer es wohl in Auftrag gegeben haben mag.

Sämtliche Institutionen und Personen, die irgendetwas mit dieser Wahl zu tun hatten, sind laut Gutachten inkompetent oder bösartig und haben verantwortungslos, falsch, unprofessionell oder übergriffig gehandelt: der Rundfunkrat und sein Vorsitzender, der Verwaltungsrat und sein Vorsitzender, die Findungskommission, die neue Intendantin, der brandenburgische Ministerpräsident. Sie alle werden mit teils drastischen Worten abgewatscht. Nur der Personalrat und die Freienvertretung haben – abgesehen von winzigen Kleinigkeiten, die man vielleicht noch ein My besser hätte machen können – alles richtig gemacht: „All ihre Initiativen zeugen von einer entschlossenen, sachgerechten und abgewogenen Interessenvertretung“, attestiert ihnen der Gutachter.

Vielleicht ist es selbst für ein Partyspiel zu leicht.

Alle müssen raus

Marcus Schladebach, Professor für Medien- und Weltraumrecht an der Universität Potsdam, hat in dieser Woche ein „Gutachten im Auftrag der Mitarbeitervertretungen des rbb“ vorgelegt. Noch mehr als als Partyspiel funktioniert es als Bombe, die bei einem Sender einschlägt, der gerade versucht, trotz vieler laufender Aufräumarbeiten und juristischer Auseinandersetzungen halbwegs zur Ruhe zu kommen. Seit Anfang des Monats ist die neue Intendantin Ulrike Demmer im Dienst. Sie ist im Juni in einem überaus chaotischen Verfahren mit dem schlechtesten denkbaren Ergebnis gewählt worden.

Die Mitarbeitervertretungen hatten damals schon keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nicht ihre Wunschkandidatin war, und das Verfahren, an dem sie selbst beteiligt waren, öffentlich kritisiert. Sie hatten auch angekündigt, es im Nachhinein überprüfen zu lassen.

Das hat also nun Professor Schladebach für sie erledigt und ist zu einem Ergebnis gekommen, das man ohne große Verkürzung auf die Formel bringen kann: Alle müssen raus. Die ganze Intendantenwahl müsse wiederholt werden, Demmer hätte nie antreten, geschweige denn gewählt werden dürfen, der Verwaltungsrat müsse neu zusammengesetzt werden, die Vorsitzenden von Verwaltungs- und Rundfunkrat müssten zurücktreten.

Es ist ein erstaunliches Dokument, meinungsfreudig, wütend, einseitig, oberflächlich. Als „juristisches Gutachten“ wird es in der Berichterstattung bezeichnet, aber es ist bestenfalls das Gutachten eines Juristen. „Pamphlet“ trifft es vielleicht besser. Dabei geben sowohl das Wahlverfahren als auch sein Ergebnis zweifellos Anlass zur Kritik. Man muss kein Jurist sein, um zu ahnen, dass es auch juristisch angreifbar ist. Aber Schladebachs Argumente gehen weit über eine sachliche oder gar juristische Auseinandersetzung hinaus.

Selbst den Auftraggebern scheint das Papier ein bisschen unheimlich zu sein. Die Mitarbeitervertreter planen nach Übermedien-Informationen, sich gegenüber der rbb-Belegschaft zu erklären und von einigen Forderungen Schladebachs zu distanzieren: Sie forderten zum Beispiel nicht, die Wahl zu wiederholen.

Ein Gedächtnisprotokoll als Positionspapier

Bemerkenswert sind schon die Quellen, auf die Schladebach sein „Gutachten“ stützt: Grundlage seiner Bewertung ist neben Presseberichten, Pressemitteilungen und öffentlich zugänglichen Quellen etwas, das er das „Positionspapier der Mitarbeitervertretungen vom 8.8.2023“ nennt. Dabei handelt es sich um ein achtseitiges Gedächtnisprotokoll von Sabine Jauer und Dagmar Bednarek, den Vertreterinnen von Personalrat und Freienvertretung, über die Abläufe in der Findungskommission. Mit anderen Beteiligten, denen er zum Teil massive Vorwürfe macht, scheint Schladebach nicht gesprochen zu haben.

Sein „Gutachten“ für die Mitarbeitervertretung, das eine eklatante Verletzung der Rechte der Mitarbeitervertretung konstatiert, beruht im Kern auf einem Papier der Mitarbeitervertretung.

Entscheidende Abläufe, die von Schladebach als unzulässig kritisiert werden, kann er nur unterstellen oder mutmaßen. So zum Beispiel, dass die Findungskommission „offenbar“ an einem einzigen Tag 50 Bewerbungen für die Intendantenstelle gesichtet und daraus fünf ausgewählt hat, was „praktisch unmöglich“ seriös durchzuführen sei. Dass es dafür nur ein Tag war, schließt Schladebach daraus, dass der Tag davor „als gesetzlicher Feiertag arbeitsfrei“ war (1. Mai) und der Tag davor ein Sonntag. Deshalb sei „nicht auszuschließen“, mutmaßt Schladebach, „dass jeweils allein das Bewerbungsanschreiben gelesen wurde und sämtliche anderen Bewerbungsunterlagen unberücksichtigt blieben“. Er weiß es nicht; er kann es nur nicht ausschließen.

Er geht aber von dieser unterstellten Vorgehensweise aus, um dem Vorsitzenden der Findungskommmission, der gleichzeitig Vorsitzender des Rundfunkrates ist, zu unterstellen, dass er „nicht über die erforderlichen Mindestkenntnisse im Umgang mit Bewerbungen und den ordnungsgemäßen Ablauf eines Bewerbungsverfahrens verfügt“. Ihm fehle „jedes Verantwortungsbewusstsein“, urteilt der Professor für Medien- und Weltraumrecht. Schon dieses – von ihm angenommene – Vorgehen habe die Wahl ungültig gemacht.

Wann ist eine Wahl eine Wahl?

Es folgen nach seiner Einschätzung zahlreiche weitere, zusätzliche Rechtsverstöße, auch bei der Wahl selbst. Angetreten waren dazu am 16. Juni nur noch zwei Kandidatinnen: Heide Baumann und Ulrike Demmer. Baumann erhielt dabei im ersten und zweiten Wahlgang jeweils nur eine Stimme und zog ihre Bewerbung dann zurück. Im dritten Wahlgang erhielt Ulrike Demmer, obwohl sie einzige verbliebene Kandidatin war, nur 16 von 25 Stimmen – nötig wären 17 für eine Zweidrittelmehrheit gewesen. Es wurde ein vierter Wahlgang angesetzt. Weil sich zwischenzeitlich ein Rundfunkratsmitglied verabschiedet hatte, reichten die 16 von nun 24 Stimmen aus.

Man kann das alles unwürdig und tragisch finden, aber Schladebach schreibt in seinem „Gutachten“, es sei „rechtlich schon zweifelhaft, ob bei nur noch einer Kandidatin überhaupt von einer ‚Wahl‘ gesprochen werden kann“. Das ist eine erstaunliche Behauptung. Die Rundfunkratmitglieder hatten zweifellos eine Wahl: Sie konnten für oder gegen die Kandidatin stimmen. Wenn alle Wahlen ungültig wären, bei denen es nur einen Kandidaten gibt, wäre die halbe Republik führungslos. Auch andere Intendanten von ARD-Anstalten werden regelmäßig gewählt oder wieder gewählt, ohne dass es eine Alternative gibt – was wir auf Übermedien auch schon kritisiert haben, ohne allerdings deshalb gleich die rechtliche Grundlage des Wahlaktes in Frage zu stellen.

Schladebach hingegen stellt bündig fest: „Die Wahl mit nur einer Kandidatin war fehlerhaft.“

Wählen, bis es passt?

Nach seiner Meinung hätte es also eigentlich schon keinen dritten Wahlgang mehr geben dürfen, ganz sicher aber keinen vierten: Nachdem Demmer im dritten Wahlgang nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhielt, sei sie „endgültig nicht gewählt“ worden „und die Wahl war beendet“: „Es gibt keine Vorschrift, die einen vierten Wahlgang gestattet.“

Schladebach weist selbst darauf hin, dass im rbb-Staatsvertrag ausdrücklich steht, dass eine wiederholte Wahl zulässig sei. Er meint aber, das könne nur für einen „gegebenenfalls notwendig werdenden“ zweiten oder dritten Wahlgang gelten. Nicht erlaubt sei, „dass die Mitglieder des Rundfunkrats so lange wählen müssen, bis die notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Kandidatin erreicht werden.“ Von müssen aber ist gar keine Rede. Warum sie es nicht dürfen sollen, erklärt Schladebach nicht.

(Dass es keinen guten Eindruck macht, wenn es immer neue Wahlgänge gibt, bis irgendwer mürbe ist, steht auf einem anderen Blatt. Hilfreich wäre, so hört man auch aus dem Personalrat, wenn das eindeutig gesetzlich geregelt wäre.)

Dass Patricia Schlesinger 2016 erst im sechsten Wahlgang gegen den Kandidaten Theo Koll zur rbb-Intendantin gewählt wurde, ficht Schladebach nicht an: „Der Unterschied der damaligen zu der jetzigen Wahl bestand darin, dass zwei sehr aussichtsreiche Kandidat:innen konkurrierten. In diesem Fall dürften auch mehrere Wahlgänge zulässig sein, da beide Konkurrenten von einer entscheidungsrelevanten Zustimmung getragen worden waren.“ Warum diese beiden Kandidaten für ihn als „sehr aussichtsreich“ galten, Demmer aber nicht, obwohl ihr in den ersten Wahlgängen nur eine oder zwei Stimmen fehlten, lässt er offen.

Eh schon wurscht

Aber laut Schladebach waren nicht nur das Auswahlverfahren und der dritte Wahlgang und der vierte Wahlgang rechtswidrig; auch die Kandidatin war es. Ulrike Demmer erfülle „auch bei sehr wohlwollender Würdigung nicht einmal ansatzweise“ die Anforderungen der Stellenausschreibung, etwa was „mehrjährige Führungs-, Management- und Budgeterfahrung“ angehe. Außerdem habe sie in den eineinhalb Jahren vor ihrer Bewerbung keine medienpolitisch bedeutende Tätigkeit ausgeübt. Schladebachs Urteil darüber:

„Dass im gesamten Bewerbungsverfahren nicht ein einziges Mal danach gefragt worden ist, entlarvt dieses Verfahren als kritiklose Wahl-Imitation und erbringt den erschütternden Nachweis, dass es den Rundfunkratsmitgliedern letztlich egal war, wer in den nächsten fünf Jahren dem rbb als Intendantin vorsteht. Das kommt einer funktionalen Kapitulation des Rundfunkrats gleich.“

Das kann man selbstverständlich so finden und als Polemik in einem flammenden Kommentar so schreiben. Es ist aber zugleich eine rufschädigende Unterstellung. Mit einem juristischen „Gutachten“ hat es nichts gemein.

„Vollständige Staatsidentifikation“

Von vielen Beobachtern war kritisiert worden, dass Ulrike Demmer als langjährige Regierungssprecherin nicht gerade ein Symbol für Staatsferne ist, das man sich an der Spitze einer öffentlich-rechtlichen Anstalt wünscht. Schladebach geht in seinem Vernichtungspapier auch darüber hinaus. Er schreibt:

„Die fehlende Staatsferne der Kandidatin Demmer wird schließlich unstreitig dadurch belegt, dass sie kurz vor und in ihrer Zeit als stellvertretende Regierungssprecherin offensichtlich noch ausreichend Zeit fand, gleich zwei Biographien über Ursula von der Leyen zu verfassen. Mit beiden Büchern sollte die politische Karriere der damaligen Bundesministerin der Verteidigung und heutigen Präsidentin der Europäischen Kommission publizistisch befördert werden. Das setzt gerade bei Biographien engste Verbindungen zu Person und politischer Überzeugung voraus. Das ist nicht mehr nur Staatsnähe, sondern vollständige Staatsidentifikation.“

Sein gutachtenartiges Papier enthält an verschiedenen Stellen Fußnoten mit Quellen. An dem Satz, an dem Schladebach behauptet, dass Demmers Bücher die Absicht hatten, die Karriere von Ursula von der Leyen zu befördern, fehlt aber jeder Beleg. Es ist eine reine Unterstellung, aus der er weitreichende Folgerungen zieht.

Sprengstoff aus Unterstellungen

Eigentlich war die Aufgabe des „Gutachtens“ zu klären, ob bei dem Wahlverfahren die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretungen verletzt wurden. Es kommt zum klaren Ergebnis, dass das der Fall war – und das, obwohl die Belegschaft in einem viel größeren Maße als sonst beteiligt wurde und die Personalvertretungen zum ersten Mal überhaupt in der Findungskommission vertreten war. Schladebach weist darauf hin, dass der Personalrat nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz bei der Einstellung von Beschäftigten mitbestimmt. Doch nach diesem Gesetz gelten Intendanten, Direktoren sowie Justitiare nicht als Beschäftigte, damit dürfte auch das Recht auf Mitbestimmung bei der Einstellung entfallen. Schon in diesem zentralen Punkt ist Schladebachs Argumentation zweifelhaft.

Und auf der Grundlage eines solchen Papiers soll man nun darüber diskutieren, wie der Wahlprozess einer rbb-Intendantin in Zukunft sauber und sorgfältig stattfinden kann? Den Mitarbeitervertretungen ging es darum, die Vorgänge „aufzuarbeiten“. Tatsächlich haben sie der Skandalgeschichte des Senders einen weiteren Tiefpunkt zugefügt.

Offenbar hatte die Mitarbeitervertretung angesichts der drastischen Formulierungen und Forderungen im Papier selbst gezögert, es in Umlauf zu geben – wollte es aber auch nicht in einer Schublade verschwinden lassen. Nun sieht sie sich intern erheblichem Widerstand ausgesetzt. Und hat den externen Kritikern des Senders neue Munition geliefert: Mit Sprengstoff, der als juristisches Gutachten daherkommt, obwohl er vor allem aus Parteilichkeit, Polemik und Unterstellungen besteht.

4 Kommentare

  1. Vollkommen zutreffende Analyse. Schwer vorstellbar, dass das Niveau dieses ‚juristischen Gutachtens‘ noch zu unterbieten ist. Peinlich für dessen Autor, peinlich für einen – vermeintlichen – Lehrstuhl für Medienrecht (in der abenteuerlichen Kombination mit ‚Weltraumrecht‘), peinlich für die Auftraggeber. Wie hoch war wohl das aus Rundfunkbeiträgen zu entrichtende Honorar? Und wieviel Punkte hätte ein*e Jurastudent*in im fünften Semester für ein solches Machwerk bekommen?

  2. Der Verfasser des Gutachtens kennt als Professor und Lehrstuhlinhaber Berufungs- und Auswahlverfahren. Aus 50 Bewerbungen 5 zu machen ist eine ganz normale Aufgabe die sich sehr gut in einem Tag erledigen lässt. Oft haben Kommissionsmitglieder Zugang zu den Bewerbungen vor dem Sitzungstermin, d.h. sie haben am Wochenende davor Bewerbungen gelesen. Und selbst wenn das nicht der Fall war: Ich bin mir sicher, dass man aus 50 Bewerbungen innerhalb einer Morgensitzung 20-30 sehr leicht aussortieren kann weil sie unpassend sind und dann verbringt man den Nachmittag damit, aus 20 verbleibenden Bewerbungen 5 Kandidatinnen zu shortlisten. Normaler Kommissionsalltag. Da ich selber an einer (schwedischen) Uni arbeite kann ich das etwas abschätzen. Wenn da schon unredlich argumentiert wird, dann bin ich sicher, das weitere Zweifel an dem „Gutachten“ angebracht sind.

  3. Dass nur Kampfabstimmungen „echte“ Wahlen seien, ist praxisferner Unsinn ( zumindest, solange die Wahl geheim stattfindet).
    Und natürlich sollte der Ablauf, einschließlich der Zahl der Wahlgänge, definiert sein.
    Eines Gesetzes (typisch deutsch) bedarf es dafür aber nicht. Eine Satzung reicht. Deren Rechtmäßigkeit kann ja überprüft werden.
    Übrigens: Auch in Rathäusern oder Ministerien bestimmen Personalräte mit. Aber nicht bei der Wahl des Bürgermeisters oder Berufung des Ministers.

  4. Danke. Sehr hilfreicher Artikel. Und furchtbar peinlich für den Prof und schädigend für RBB und ÖRR. Hoffentlich lernen alle Beteiligten etwas aus dieser schlechten Komödie.

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