Wahlkampf und Sexismus

Bettina Jarasch und die Berliner Medienzwerge

Falls es jemand noch nicht mitbekommen haben sollte: In Berlin wird am 12. Februar mal wieder gewählt. Diesmal sollen die Ergebnisse auch Bestand haben, also hoffentlich, vielleicht, wer weiß. Dass der Wahlkampf in der Hauptstadt nicht nur angesichts der Umstände mit viel medialem Getöse begleitet wird, kann daher nicht verwundern. Und mitten rein platze letzte Woche die Nachricht, die zweite Bürgermeisterin und Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherschutzsenatorin, Bettina Jarasch (Grüne), habe sich „für 70.615 Euro fotografieren“ lassen. So titelte der „Tagesspiegel“.

Andere zogen nach: „Zehntausende Euro: So viel geben Giffey und Jarasch für Aussehen und Auftritte aus“ schrieb die „Berliner Zeitung“, „Senatsausgaben: Viel Personal und Geld für Internetpräsenz“, meinte die Deutsche Presseagentur (dpa) schon in der Überschrift ihrer Meldung, die von zahlreichen Medien übernommen wurde. „Haare, Make-Up, Fotografen – Mächtig viel Geld für die Selbstdarstellung in Berlin“, schreibt die „Bild“ – für ihre Verhältnisse schon fast zurückhaltend.

Aufmachr von Tagesspiegel, BZ und Berliner Zeitung, die Jarasch und Giffey zeigen
Screenshots: „Tagesspiegel“, „Berliner Zeitung“, „BZ“

Das Schwesterblatt aus dem Hause Springer, die „BZ“, schießt dagegen aus allen Rohren: „Viel Steuergeld für das polierte Politiker-Image“ heißt es dort. Dazu schob man gleich noch einen giftigen Kommentar hinterher: „Waschlappen fürs Volk – und Visagistin für die Senatorin“, ereiferte sich dort Stefan Peter, der sich gleich noch an Schneewittchen erinnert fühlte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“, fragt sein Kommentar. Zur Illustration sind Jarasch und Giffey auf dem Roten Teppich der Berlinale abgebildet, damit es auch die Dümmsten verstehen. Nur wer von beiden die böse Stiefmutter ist, lässt die Märchen-Metapher offen.

Von Untreue keine Spur

Die politische Konkurrenz schlachtete das Ganze weidlich aus: Tim Renner, ehemaliger Berliner Kulturstaatssekretär und erfolgloser Bundestagskandidat der SPD, twitterte mit Bezug auf seine Amtszeit: „Ich wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen, auch nur eine Friseur-Rechnung einzureichen, als ich im Amt war. Das scheint Frau Jarasch völlig anders zu sehen…“.

Damit erweckt er gleich noch den Eindruck, es handle sich um Veruntreuung, denn natürlich dürfte Bettina Jarasch keine privaten Friseurbesuche einfach über die Verwaltung abrechnen. Dafür gibt es tatsächlich ein historisches Beispiel: 1994 sorgte die „Figaro-Affäre“ in der frischgebackenen Hauptstadt für einen veritablen Skandal. Die FDP-Landesvorsitzende Carola von Braun gab damals alle ihre Ämter auf, darunter den Vorsitz der Abgeordnetenhausfraktion, ihren Sitz im Parlament sowie im Rundfunkrat des RBB (damals noch SFB) und die Mitgliedschaft im Bundespräsidium des Liberalen. Der Grund: Ihr wurde vorgeworfen, private Friseurrechnungen, Taxiquittungen und Reisekosten über gut 1000 D-Mark (etwa 500 Euro) als Fraktionskosten geltend gemacht zu haben, die aus Steuergeldern bezahlt wurden. Strafrechtlich belegen ließen sich die Vorwürfe später allerdings nicht, auch damals spielte Sexismus eine gewisse Rolle im Kampf zwischen dem sozial- und dem nationalliberalem Flügel der FDP.

Jedes Unternehmen würde Profis engagieren

Doch Jarasch hat keinesfalls unlauter abgerechnet, sondern einige professionelle Foto-Shootings absolviert, zu denen seitens ihrer Behörde auch ein:e Visagist:in gebucht wurde – für insgesamt sage und schreibe 1256,80 €, wie man im Kleingedruckten jenseits der Überschriften erfährt. Kein Unternehmen, das neue Vorstands-Fotos beauftragt, würde es anders machen.

Dennoch kann man beim Einsatz öffentlicher Gelder natürlich darüber streiten, allerdings sollte man zunächst genauer hinschauen: Denn bei den vermeldeten 70.615 Euro handelt es sich um die Fotokosten des gesamten Ressorts, das in Berlin sehr umfangreich zugeschnitten ist. Dazu gehören Verkehr, Umwelt, Verbraucher- und Klimaschutz. Insgesamt hat Jarasch als Senatorin in dem Zusammenhang zahlreiche Termine wahrgenommen, für die externe Fotografen beauftragt wurden, weil keine eigenen beschäftigt werden konnten.

Laut Aufstellung der Behörde wurde der Großteil von rund 50.000 Euro aber ohnehin für völlig andere Dinge ausgegeben, nämlich für Bildmaterial inhaltlicher PR, die nichts mit Jarasch zu tun hatte, so etwa zur Bebilderung der Kampagne zur Mobilitätswende. Auf diesen Bildern ist keine gestylte Senatorin zu sehen, sondern Radwege, Straßenbahnen, Haltestellen, Brücken und Baustellen, mit denen die Behörde auf allen möglichen Kanälen über ihre Arbeit berichtet. Natürlich ist auch das PR in eigener Sache – sie ist aber sowohl üblich als auch notwendig, um Bürgerinnen und Bürger darüber zu informieren, was und vor allem warum die von ihnen finanzierte Verwaltung tut, was sie tut.

Kleine Anfragen – medial gespielt

Und woher weiß man das alles? Nun, die Informationen, die der „Tagesspiegel“ laut eigenen Angaben vorab vorliegen hatte, und die später auch vom Berliner Abgeordnetenhaus veröffentlicht wurden, beruhen auf einer Kleinen Anfrage des FDP-Abgeordneten Tobias Bauschke. Dieser hatte Jarasch sowie die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Kultursenator Klaus Lederer (LINKE) danach gefragt, in welchem Umfang sie Mitarbeiter:innen und Mittel für Öffentlichkeitsarbeit aufwenden. Prominent darin enthalten war jeweils an dritter Stelle die Frage nach externen Dienstleistungen „durch Make-Up Artist, Friseur oder sonstige körpernahe Dienstleistungserbringer“.

Daran, dass der „Tagesspiegel“ berichtet, ist zunächst einmal auch nichts ungewöhnlich oder gar verwerflich, denn es gehört zum Geschäft, wenn Journalist:innen Dinge berichten, die auf Kleinen Anfragen beruhen, die sie selbst nicht stellen können. Der Deal zwischen (in aller Regel) der Opposition und den Medien beruht hier auf ihrer geteilten Kontrollfunktionen gegenüber der Regierung. Beide profitieren von dieser Zusammenarbeit, die aber gleichzeitig auch der Demokratie nützt. Die einen haben exklusive Informationen, die anderen verbreiten sie.

Doch im konkreten Fall hat das Ganze ein Geschmäckle, denn im Wahlkampf besteht natürlich nicht nur bei Herrn Bauschke ein erhebliches Interesse am Aufbauschen. Man muss daher kein Sherlock Holmes sein, um zu vermuten, dass irgendwer bei einem Termin darauf aufmerksam wurde, dass Bettina Jarasch eine:n professionelle:n Maskenbilder:in dabei hatte. Pro forma fragte man noch die Spitzenpolitiker:innen der beiden anderen Regierungsparteien ab – und fertig ist das Skandälchen. Anschließend wird ein Aufhübschen für über 70.000 Euro suggeriert – und andere machen gleich Veruntreuung daraus.

Kein Schneewittchen ohne Sexismus

Dass Medien sich für eine schnelle Schlagzeile so vor den Wahlkampf-Karren spannen lassen, wäre schon ärgerlich genug, leider ist auch noch eine gehörige Portion Sexismus im Spiel: Denn zu nichts anderem dienen Bebilderung und Schneewittchen-Anekdote – als ob es Jarasch vor allem darum gehe, „wer die Schönste im ganzen Land“ sei. Kein Mann, der sich vor einem Fernsehauftritt den Glanz von der Glatze pudern lässt, muss sich Derartiges anhören. Doch wehe, eine prominente Frau, zumal wenn sie älter als 40 oder gar 50 Jahre ist, tritt auch nur etwas ungeschminkter in die Öffentlichkeit, dann ist sie „müde“ oder „abgekämpft“ oder „unfrisch“. Kurzum: Egal, was frau macht, das Aussehen kann man ihr stets ankreiden.

Die Widersprüche dieses Framings könnten kaum offensichtlicher sein, wenn man sich das unprofessionelle Selfmade-Video anschaut, das Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) letztlich den Job kostete: Ungelenk, mit wehenden Haaren und schlecht zu verstehendem Ton fand sie in der Berliner Silvesterkulisse auch noch die falschen Worte.

Die inhaltliche Kritik an Lambrecht während ihrer gesamten Amtszeit unbenommen, aber man kann seinen Kuchen nicht essen und behalten: Entweder, Medien und Öffentlichkeit fordern (meiner Meinung nach zu Recht) ein professionelles Auftreten ihrer gewählten Vertreter:innen – und dazu gehört vor Kameras nun einmal auch eine professionelle Maske. Oder aber wir wollen uns angesichts des Berliner Gesamthaushalts von rund drei Milliarden Euro pro Jahr allen Ernstes über 1256,80 Euro erregen, die die zweithöchste Politikerin der Stadt dafür ausgegeben hat.

Medien befeuern Politikverdrossenheit

Auf einem ganz anderen Blatt steht hingegen der gesamte PR-Etat: Denn natürlich ist der Umfang trotzdem streitbar – so gibt es neben zwei persönlichen Kanälen der Senatorin auch noch 13 Social-Media-Kanäle der Behörde zu verschiedenen Themen wie Radverkehr oder Ernährung. Müssen es wirklich so viele sein, nur um zu informieren? Oder wird hier etwas viel Aufwand in die Bewerbung der eigenen Verwaltung gesteckt?

Zumal diese Verwaltung parallel dazu insgesamt so schlecht läuft, dass nun sogar das Kernstück der Demokratie, nämlich Wahlen, an ihrer mangelnden Organisationsfähigkeit gescheitert sind. Stünde Berlin mehr Sein als Schein seiner Behörden angesichts solcher Zustände nicht besser zu Gesicht?

Diese Debatte sollte man – auch medial – jederzeit und gerne führen, die Überschrift der dpa („Senatsausgaben: Viel Personal und Geld für Internetpräsenz“) weist immerhin in diese Richtung. Künstliche Erregung, gespickt mit falschen oder mindestens missverständlichen Überschriften und einer ordentlichen Portion Sexismus, befördert hingegen lediglich Politikverdrossenheit und beschädigt die parlamentarische Demokratie.

Wenn Medien sich demnächst wieder fragen, wieso plumpe Populist:innen zuweilen ein derart leichtes Spiel haben, könnten einige getrost mal in den Spiegel schauen – ganz ungeschminkt.

5 Kommentare

  1. „Kein Mann, der sich vor einem Fernsehauftritt den Glanz von der Glatze pudern lässt, muss sich Derartiges anhören.“

    Ich glaube Robert Habeck („Fotografen-Affäre“) und Peter Altmeier (Spiegel-Porträt) werden das anders sehen. Auch wenn der Schneewittchen-Kram natürlich sexistisch ist.

    Davon ab: Interessant im Kontext Medienkritik finde ich hier die Behörden-Präsenz in den Sozialen Medien – das Missverhältnis von teuer gemachter Selbstdarstellung (avandgardistische, soziale und ökologische Weltstadt) und Ergebnis (zum Beispiel: 35 Jahre für drei Kilometer Straßenbahn) ist in Berlin parteiübergreifend fabulös. (Ich mag die Stadt trotzdem.)

  2. Das mit der Glatze ist ein Narrativ.
    Bei Schröder war nie die Frage, ob er sich die Haare mit Steuergeldern färben ließ, sondern überhaupt.

  3. Der Berliner Gesamthaushalt betrug 2022 nicht 3 Milliarden, sondern 38,7 Milliarden Euro, was das Ausmaß der allgemeinen Erregung über die tatsächlichen Ausgaben für „Fotos/Maske“ nicht gerade angemessener erscheinen lässt.

  4. Solch eine Titelzeile („Verwaltung ließ Jarasch für 70. 615 € fotografieren“) darf einer angesehenen Tageszeitung nicht passieren. Dass so etwas nicht einmal in der Schlussabnahme auffällt, lässt schaudern.

  5. Der Satz mit der Glatze ist ebenfalls Sexismus. (Frauen würde man ihre Cellulitis ja auch nicht vorhalten…
    Und pudern ist halt nicht ganz so teuer wie professionelle Visagisten anzustellen.) Unternehmen zahlen das alles mit selbst verdientem Geld, Politiker mit öffentlichem. Das ist ein klarer Unterschied, den man nicht wegdiskutieren sollte.

    Aber klar, alles wieder übler struktureller Sexismus gegen Frauen. Gegenüber Kohl, Schröder, Habeck und Altmaier hätte es das niiiiiieeeeeemals gegeben.

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