Urgestein Klaus Hillenbrand

Warum bleibt jemand trotz miesem Lohn und ewigem Krawall 40 Jahre bei der „taz“?

Foto: Hans-Christian Plambeck

Klaus Hillenbrand, 65, war länger als jeder andere Journalist bei der „taz“, niemand kennt den Betrieb besser als er. Und wer ihn kennt, weiß, dass Hillenbrand einer der großen Journalisten und Blattmacher unserer Zeit ist. Brillanz und Bescheidenheit halten sich bei ihm so sehr die Waage, dass sie einander aufzuheben scheinen – zugunsten einer Seite 1, von der man wieder einmal sagen wird: „Das kann nur die ‚taz‘!“

Auf die freundliche Anfrage, aus Anlass seines Ruhestands mit ihm zu reden, wühlte ich sofort in meinen Mails. Ich bin schon bald länger nicht mehr in der „taz“, als ich dort selbst gearbeitet habe – bin aber noch immer unter meiner alten „taz“-Email-Adresse zu erreichen. So ist das mit der „taz“, auf die eine oder ander Weise bleibt man dabei. Leider konnte ich seine Email-Adresse nicht finden. Nicht unter „klaus“, auch nicht unter „hillenbrand“, „hillenbrandt“, „kh“ oder dem verzweifelten „hill…“. Irgendwann erinnerte ich mich, dass der Mann so lange Chef vom Dienst war, dass er seit Menschengedenken unter cvd@taz.de zu erreichen ist.

Zu einem Gespräch über vier Jahrzehnte bei der taz war er gerne bereit. Allerdings erst, nachdem er mal wieder eine Zeitung gemacht hatte.

Übermedien: Du hast Dein komplettes Berufsleben bei der „taz“ verbracht, Klaus. Das ist auch für ‚taz“-Verhältnisse sehr speziell, oder?

Klaus Hillenbrand: Als ich gekommen bin, war ich einer der Jüngsten in der Redaktion. Und jetzt bin ich einer der Ältesten. Angefangen habe ich 1983 als Praktikant und bin quasi sofort Redakteur geworden, für vier oder fünf Monate. Das war auch völlig absurd, weil ich wirklich keinen Schimmer davon hatte. Dann bin ich wieder ausgestiegen, habe zu Ende studiert, politische Wissenschaften, war freier Journalist im Nahen Osten, danach an der Uni.

Wo es Dich nicht gehalten hat?

Nein. Da wurde eine Stelle bei der „taz“ frei, als CvD. Darauf habe ich mich beworben und wurde eingeladen.

In die Wattstraße, wo die „taz“ damals noch residierte?

Nein, in eine Kneipe, in ein Hinterzimmer. Und da wurde dann gleich das Problem besprochen.

Welches Problem?

Dass ich ein Mann bin, weil man ja eigentlich die Quote einhalten wollte, also eine Frau bräuchte. Dann haben sie mich aber aus mir nicht bekannten Gründen trotzdem eingestellt. Die CvD-Redaktion war sozusagen „die aktuelle Redaktion“, wo damals die Nachrichten und Politikseiten gemacht worden sind.

Danach warst du auch mal Ressortleiter im Inland.

Genau, und dann mal ein paar Wochen lang Chefredakteur, interimsmäßig, weil die sich entschlossen hatte, den Chefredakteur rauszuwerfen.

Wer ist da rausgeworfen worden?

Das war Michael Sontheimer. Man hatte aber vorher nicht überlegt, wer ihm nachfolgen könnte. Und deswegen wurden zwei, drei Leute installiert, die das machen sollten. Ich war selten so fröhlich, einen Posten aufzugeben wie diesen. Ehrlich, das war furchtbar.

Du hättest doch auch Gefallen an der Macht finden können!

Nein, dafür ich bin nicht geeignet. Ich möchte nur Zeitung machen und wollte immer Zeitung machen, nicht irgendwelche Personalgespräche führen, diese ganze Bürokratie, die Technik, gegenseitige Vorwürfe moderieren. Das Übliche halt.

Dann wurdest Du wieder CvD und bist es geblieben, der Steuermann der „taz“, verantwortlich unter anderem für die Seite 1.

Genau. Und dann hat mich Georg Löwisch vor ungefähr acht oder zehn Jahren gefragt, ob ich nicht zuständig sein möchte für diese neue Rubrik: „Nahaufnahme“.

Die „Nahaufnahme“ ist eine Doppelseite, die sich besonders konzentriert einem einzelnen gesellschaftlichen oder politischen Thema widmet.

Das habe ich mit Freuden aufgegriffen.

Klingt fast, als wären die ganzen internen Grabenkämpfe an dir vorbeigegangen.

An denen war ich tatsächlich größtenteils nicht beteiligt. Es hat mich auch, ehrlich gesagt, nicht so sehr interessiert, wer da jetzt welche Fraktion bildet, wer angeblich links oder weniger links war, wer jeweils die Macht übernommen hat oder abgeben musste. Ich fand das ein bisschen infantil. Damit konnte ich wirklich nie viel anfangen.

Weil es, rückblickend, ohnehin vergeudete Zeit gewesen wäre?

Die „taz“ war in der Anfangszeit eine sehr, sehr harte Zeitung insofern, dass Konflikte extrem offen ausgetragen worden sind. Gespräche, auch zum Teil unangenehme Konferenzen, in denen man sich gegenseitig wirklich mit Vorwürfen übergossen hat und wo die fehlende Hierarchie durch eine informelle Hierarchie ersetzt worden ist. Im Nachhinein betrachtet war das eine ganz schlechte Lösung.

Oh, diese Grabenkämpfe. Jede Ära der „taz“ hatte ihre eigenen ideologischen Meinungsverschiedenheiten, die jeweils recht erbittert ausgefochten wurden. Mit einem Ingrimm, den man vielleicht in einem Aquarium beobachten könnte, in dem siamesische Kampffische neben niedlichen Guppies, harmlose Goldfische neben blutrünstigen Piranhas, verträumte Buntbarsche neben giftigen Kegelschnecken schwimmen. Kann nicht gut gehen. Hillenbrand wirkte beinahe aufreizend desinteressiert an derlei Händel. Wurde er ihr zwangsläufiger Zeuge, pflegte er entsprechende Bissigkeiten irgendwann zuverlässig zu unterbinden, indem er dazwischenrief: „Leute! Leute, Leute, Leute, wir wollen doch eine Zeitung machen!“

Du hast sehr, sehr viele Kolleginnen und Kollegen kommen und gehen sehen. Wen zieht die „taz“ an? Wen hält sie? Und wen stößt sie ab?

Es gibt viele Kollegen, die sehr, sehr gut sind und waren und noch besser geworden sind bei der „taz“, die sie am Anfang sozusagen als Sprosse auf der eigenen Karriereleiter benutzt haben. Dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Wer bleibt, glaube ich, braucht schon eine gewisse Grundüberzeugung.

Klaus Hillenbrand 1983 bei der Arbeit Foto: Ralph Rieth

Wovon?

Naja, man bleibt da nicht, weil das Gehalt besonders gut ist, bekanntlich, weil es eben besonders schlecht ist. Man bleibt auch nicht, weil man so unglaublich kreativ sein kann. Denn natürlich kann man das auch in anderen Medien. Als Redakteur vielleicht nicht ganz so sehr, als Autor aber schon. Es braucht schon den aufklärerischen Impuls, die Gesellschaft in irgendeiner Form weiterbringen zu wollen. Ich glaube, das gehört dazu.

Würdest Du heute einem jungen Menschen empfehlen, bei der „taz“ in die Schule zu gehen?

In die Schule? Auf jeden Fall. Und ob er oder sie dann später da bleiben möchte? Also, auf Dauer würde ich da denken, dass fünf, zehn oder 15 Jahre reichen.

Warum bist Du denn immer dabei geblieben? Nach fünf, zehn oder 15 Jahren warst Du immer zufrieden?

Ich war zum Teil unglaublich sauer und verärgert und habe mir oft geschworen: „Jetzt kündigst du aber und machst etwas Anderes!“ Alles bei Konflikten, an die ich mich jetzt gar nicht mehr erinnern kann.

Kein reizvolles Angebot von der Konkurrenz?

Doch, klar, es gab auch Angebote. Durchaus. Die waren jetzt nicht so furchtbar attraktiv. Das Schönste war eigentlich, Redakteur beim deutschen Dienst der BBC zu werden, in London. Da habe ich damals lange überlegt und es dann doch nicht gemacht. Das war auch gut so.

Warum?

Weil kurz darauf der deutsche Dienst der BBC leider eingestellt wurde.

Ich weiß von Redakteuren, die gehen für ein Jahr zu einem anderen Medium, haben aber ein Rückkehrrecht – wie ausgeliehene Fußballprofis.

Sehr ungewöhnlich, nicht wahr? Aber das ist eben das Angenehme bei der „taz“.

Es gibt für mich eine Schlüsselszene mit Klaus, die ich gar nicht selbst erlebt, sondern in einer Fernseh-Dokumentation über die Zeitung gesehen habe. Da sitzt der CvD an einem Tisch, auf dem die komplette Konkurrenz ausgebreitet ist, und wird nach den Qualitäten der „taz“ gefragt. Er spricht über Freiheit, Frechheit und noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die es „bei all den Anderen“ nicht gibt. Bemerkenswert war nicht, was er sagte, sondern das nachlässige – nicht abfällige! – Schlenkern aus dem Handgelenk bei „all den Anderen“. In dieser beiläufigen Geste, eine Sekunde nur, lag vielleicht der ganze stille Stolz, den empfinden kann, wer sich mit diesem doch sehr speziellen Blatt identifiziert. Vielleicht auch nicht.

Es gibt also etwas, das schwer zu fassen ist. Eine andere Betriebskultur?

Das mag sein. Also, früher war die Kultur extrem ruppig, einerseits. Andererseits war sie auch von Freundschaften geprägt. Ja, und man konnte dort tatsächlich „sein Ding“ machen. Das ist, glaube ich, bei anderen Medien wesentlich schwieriger bis unmöglich. Das ist sicherlich ein Grund, warum ich so lange geblieben bin. Dazu kommt natürlich auch der Standort Berlin, der sehr attraktiv ist. Ja, das fängt bei den niedrigen Mieten an, geht beim Nachtleben weiter, hört bei den Konzerthäusern nicht auf.

Ist, wer nicht geht, einfach zu träge?

Ich will gar nicht bestreiten, dass möglicherweise auch bei mir eine gewisse Trägheit eine Rolle gespielt hat. Was eigentlich ganz nett ist, so wie ich es sehe. Ich war auch nie sonderlich auf Geld versessen in meinem Leben, was sich jetzt bei der Rente natürlich etwas negativ ausdrückt.

Das ist wieder eine typisch Hillenbrand’sche Untertreibung. Nicht nur darf man nicht „sonderlich versessen“ sein auf Geld, man muss es regelrecht verachten – oder eben haben, je nachdem – um hier langfristig Wurzeln schlagen zu können. Früher störte junge Kolleginnen und Kollegen der Umstand der untertariflichen Spaßbezahlung kaum. Die Mieten waren günstig. Und wenn es doch knapp wurde, gab es unbürokratisch aus dem „taz“-Tresor schon mal einen Vorschuss in bar. Symbolisch bezuschusst wurde man überdies mit dem anarchischen Vergnügen, für die „taz“ arbeiten zu dürfen.

Heute gehen bisweilen aber Leute nach mehreren Jahrzehnten bei der „taz“ in eine Rente, die diesen Namen nicht verdient – in manchen Fällen sind das nach lebenslanger Arbeit nicht einmal 1000 Euro. Die „taz“ greift langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immerhin mit einem sogenannten „Marathonfonds“ weiterhin unter die Arme.

Aber?

Natürlich war es im Lauf der Jahre auch eine Hassliebe: „Mein Gott, was laufen denn da für Idioten? Was ist denn das für ein Blödsinn? Das ist doch unfassbar!“ Aber auch der Unwille, selbst zum großen Entscheidungsträger zu werden, war bei mit immer tief verankert. Ich wollte nicht an die Spitze dieser Zeitung geraten. Bei Gott nicht. Ich weiß nicht, wie viele Chefredakteure ich überlebt habe. Mit denen endete es, glaube ich, auch immer ganz furchtbar. Es ist nie jemand aus dem Fenster gefallen. Aber es war jedes Mal ein Abschied im Zorn.

Manche haben sich mit dem Blatt wieder ausgesöhnt.

Wie zum Beispiel Michael Sontheimer, ja. Andere haben das weniger geschafft, und die haben auch mein volles Verständnis. Von der „taz“ haben die nichts mehr gehört, und die „taz“ wollte von ihnen nichts mehr hören.

Foto: Hans-Christian Plambeck

Gab es für Dich so etwas wie eine goldene Ära?

Goldene Ära … was ist denn der Plural von Ära? Gab es einige. Ich würde sowieso drei Phasen unterscheiden. Erstens die Zeit des Aufbruchs ab den Achtzigerjahren, als die „taz“ eine extrem basisdemokratische Zeitung war und es diesen Einheitslohn gab, als jeder über alles zu bestimmen glaubte. Als sogar die Abo-Abteilung mitgeredet hat, was die Redaktion machen sollte, als es keinen richtigen Chefredakteur gab, sondern irgendwann nur die sogenannten „Freigestellten“. Damit man das Wort Chefredakteur nicht in den Mund nehmen musste!

Irgendwann wollte man aber eine „normale Zeitung“ haben, oder?

Damit begann die Professionalisierung, vielleicht nach der Wende. Als man unbedingt mindestens so wichtig werden wollte wie die anderen Berliner Zeitungen zusammen. Man glaubte, eine Zeitung machen zu müssen, die eben auch in hohe Auflagen steigen könnte und nicht in diesem Gefängnis von 20.000 oder 30.000 verkauften Exemplaren stecken bleibt. Eine Zeitung, die wirklich groß wird und die mitreden kann im deutschen Blätterwald. Eben nicht nur in der Nische, wo die „taz“ eigentlich ihr ganzes Leben lang geblieben ist. Ja, eben auf Augenhöhe.

Diese Hoffnungen haben sich nicht lange gehalten.

Leider, ja. Inzwischen sind wir wieder zurückgekommen. Es wird wieder aktivistischer, seit etwa vier oder fünf Jahren, insbesondere beim Thema Klimawandel, wo viele der Kollegen sich wieder mehr auch als berufen fühlen. Weil das Leben, weil die Zukunft der Gesellschaft davon abhängt und bisweilen, mal vorsichtig gesagt, journalistische Kriterien weniger Beachtung finden.

Das sagst du mit dem Gleichmut desjenigen, der im Maschinenraum tätig ist?

Ich habe durchaus mal was gesagt. Wenn zum Beispiel rein aktivistische Rubriken erfunden werden, wenn Leute in bestimmten Bereichen sogar mit aktiv dabei sind und gleichzeitig glauben, nebenbei Journalisten sein zu sollen – das geht einfach nicht. Und das sage ich dann schon. Ganz so still und ruhig bin ich dann doch nicht.

Was macht der Macher der Seite 1? Worauf hast Du geachtet?

Es geht darum, was uns absetzt von allen anderen deutschen Medien, erstens. Zweitens darum, etwas Originelles vorzustellen. Drittens – den Anspruch sollte man schon haben, auch wenn man ihn nicht immer einlösen kann – etwas zu machen, was wirklich überrascht. Und dann sollte es auch etwas sein, das, in welcher Form auch immer, vielleicht zum Nachdenken zwingt.

Was ist das?

Oft ist es die Nachricht hinter der Nachricht, die dann ein zweites Mal hervorgezogen wird. Wenn jetzt ein neuer Bundesverteidigungsminister installiert wird, dann ist die Nachricht nicht: „Pistorius ist der neue Verteidigungsminister“, sondern die Frauenquote.

Kritisches Weiterdrehen, das linke Erbe der „taz“?

Natürlich ist es die linke kritische Arbeit, dass man danach schaut: Was bedeutet denn eine Nachricht wirklich? Nur die nackte Nachricht bringen, das macht in Zeiten des Internets ohnehin kaum mehr Sinn, weil die alle viel schneller sind als wir.

Wann ging denn in der Praxis dein Puls mal in die Höhe?

Ich versuche immer, möglichst gleichmütig zu bleiben. Aber früher gab es schon Tage, wenn ich als CvD die Seite 1 bespielt hatte und merkte, dass ich in eine extreme Zeitnot kam. Dann spürte ich schon, wie der Blutdruck steigt. Das ist nicht unbedingt angenehm, auch wenn zu wenig Zeit zum Bearbeiten eines nicht sonderlich genialen Textes bleibt, die Minuten kürzer werden und der Tag voranschreitet. Dann werde ich schon auch hibbelig. Aber, wie gesagt, ich versuche das in der Öffentlichkeit nicht bekannt zu machen.

Sind Dir auch selbst Katastrophen unterlaufen?

Einmal haben wir den griechischen Ministerpräsidenten für tot erklärt, Andreas Papandreou, obwohl der noch am Leben war. Wir haben die Zeitung noch zurückgezogen, aber, ich glaube, im Verbreitungsgebiet Luxemburg ist bei uns Papandreou tatsächlich gestorben. Das war nicht mein Fehler, aber man ärgert sich trotzdem.

Keine eigenen Katastrophen?

Ich habe mal wunderbarerweise, gar nicht so lange her, ein Interview mit dem Verdi-Chef Frank Bsirske verwechselt. Ich hatte das auf dem Bildschirm und bearbeitet, obwohl es vor drei Jahren schon erschienen war.

Ging das in den Druck?

Ja. Es ist uns – oder mir – einfach nicht aufgefallen. Übrigens auch sonst niemandem. Was einiges über uns erzählt. Oder auch über Verdi.

Das sind aber, mit Verlaub, nur handwerkliche Fehler.

Stimmt. Ich habe niemals eine Gegendarstellung produziert. Darauf bin ich richtig stolz.

Die Höhepunkte überwiegen?

taz-Titelseite: „Es ist ein Mädchen“

Da war natürlich unsere Schlagzeile zum deutschen Papst: „Oh mein Gott“. Oder als Merkel gewählt worden ist: „Es ist ein Mädchen“. Habe ich nicht selber gemacht, das war eine Kollegin, die die Idee hatte. Aber sowas hält sich bis heute. Wird bis heute auch noch kopiert.

Würdest du sagen, dass sich das Ansehen der „taz“ unter Kollegen verändert hat im Laufe der Zeit?

Ich denke schon. Am Anfang hat kein Mensch die „taz“ ernst genommen. Ich erinnere mich, die „taz“ hatte mal exklusiv die Nachricht, dass die Neue Heimat von der Gewerkschaft für eine symbolische Mark an irgendjemanden weiterverkauft worden ist. Uns ist es tatsächlich gelungen, diese exklusive Nachricht so gut zu verstecken, dass niemand davon Notiz genommen hat. Auch am nächsten Tag noch nicht. Heute haben andere Medien einen entspannten Blick auf die „taz“ und nehmen sie wahr als „etwas andere Zeitung“. Hoffentlich eine, bei der man bei den Nachrichten von einer gewissen Verlässlichkeit ausgehen kann, die aber trotzdem sehr überraschend ist. Inzwischen wird die „taz“ sogar von der Springer-Presse als eine relativ normale Zeitung bewertet. Das war früher tatsächlich von Hass geprägt, teilweise. Das ist inzwischen vollkommen verschwunden.

Du hast noch in der Wattstraße gearbeitet, später in der Kochstraße, die auf Betreiben der „taz“ in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt wurde – bevor sie dann um die Ecke in ein eigenes, neues, superökologisches Niedrigenergievorzeigehaus gezogen ist. Fühlst Du Dich dort wohl?

Sehr schön finde ich das. Das neue Haus hat nur einen einzigen Nachteil, der eigentlich ein Vorteil sein sollte. Es hat nämlich jede Etage eine eigene Teeküche, wo man den Kaffee machen kann. Klingt gut, hat aber zur Folge, dass man sich viel weniger begegnet. Dazu kommt natürlich dieses rigide Rauchverbot.

Als der damalige Geschäftsführer Kalle Ruch ein – begrenztes – Rauchverbot durchsetzte, ist die komplette Hauskultur von heute auf morgen gekippt. Da durfte dann ein Helmut Höge1)Wäre die „taz“ ein Spukschloss, würde der Schriftsteller und Redakteur sowie Teilzeithausmeister und Philosoph als Eule unter dem Giebel wohnen nur noch oben im Treppenhaus kiffen, und …

… der Betriebsrat hatte sich gegen uns Raucher verschworen. Ich erinnere mich an mein damaliges Engagement für einen Raucherraum. Keine Chance.

Moderne Zeiten.

Die „taz“ ist inzwischen eher ein Medienunternehmen, mehr als nur eine Zeitung. Und das Unternehmen ist extrem professionell geworden. Das liegt natürlich auch an der – in meinen Augen – sehr fähigen Geschäftsführung.

Läuft?

Ich habe von Jahr zu Jahr weniger auf irgendwelche Zahlen geschaut und darauf, wie wir uns entwickeln. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen, dass die das Kind schon schaukeln. Ja, das war natürlich vor 20 Jahren noch anders, als plötzlich in manchen Monaten nur noch halbe Löhne gezahlt wurden und Rettungskampagnen gefahren werden mussten.

Die „taz“ litt und darbte wirklich sehr lange. Sie zahlt ihren Leuten auch heute weit unter Tarif. Du hast viele Krisen erlebt, und die Zeitung hat sie überlebt. Siehst du denn eine Zukunft für den bezahlten Qualitätsjournalismus generell?

Ich glaube, die Zeitung bleibt als Nische erhalten. Wobei man sich da keine Illusionen machen sollte. Nische heißt, dass die große Masse des Publikums schon eher auf kostenlose Angebote im Internet schielt und die Zeitung ein Spaß für „Besserverdienende“ sein wird. Professioneller Journalismus kostet viel Geld, und das wird eher bei der Elite hängenbleiben. Bei Leuten, die willens und in der Lage sind, immer mehr Geld auszugeben dafür, dass sie sich besonders gut informiert fühlen dürfen.

Die alten Auflagen werden nicht zurückkehren?

Sie werden nicht mehr zurückkehren, sowohl im Print als auch in anderen Bereichen, fürchte ich.

Wie stehst du zu Überlegungen, die gedruckte „taz“ unter der Woche zugunsten einer elektronischen Ausgabe einzustellen?

Das ist wahrscheinlich eine zwangsläufige Entwicklung, die ich persönlich sehr bedauere. Ich bin mit Papier aufgewachsen und kann das nicht mehr ändern. Vermutlich ist das eine Generationenfrage. Aber dass man später mal auf elektronische Weise mit einem Bezahlmodell so viel Geld verdienen kann wie früher mal vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren mit einer gedruckten Zeitungen? Das glaube ich nicht.

Hat denn die „taz“ in dieser Zukunft nicht auch einen Wettbewerbsvorteil, einfach nur durch ihre Originalität und Unterscheidbarkeit?

Ich hoffe es, ich hoffe es. Hinzu kommt, dass wir nie abhängig von Werbeeinnahmen waren. Es stimmt schon, wir sind die Avantgarde. Von daher müssen wie auch die ersten sein, die sagen okay: „Okay, wir machen jetzt Elektro!“

Hast du denn das Gefühl, Klaus, dass die „taz“ auch dich im Laufe dieser Jahre verändert hat?

Ich bin kein orthodoxer Marxist. Aber das Sein bestimmt das Bewusstsein, oder? Hier hat es Bekanntschaften gegeben und Freundschaften, die dann auch das Privatleben geprägt haben. Aber auch das Zeitungmachen selbst. So richtig kann man da auch am Freitag nicht abschalten. Das hat bestimmt, zum Teil, auch mein Denken geprägt. Andererseits ist es zumindest in den letzten 20 Jahren so gewesen, dass ich mich für so viele andere Dinge interessiert habe im Leben, jenseits dieser Zeitung. Es war irgendwann nicht mehr so, dass ich mit der „taz“ ins Bett gegangen und morgens mit ihr aufgestanden bin.

Und jetzt? Wirst du dich selbstständig machen als Publizist?

Ich bin dabei, ein Buch zu recherchieren. Und natürlich werde ich auch für die „taz“ weiterschreiben. Mein Thema war immer die NS-Geschichte. Und ich gedenke, mich weiter um diesen Themenkomplex zu kümmern. Ich habe jetzt nicht vor, irgendwie die halbe Welt mit meinen Texten zu beglücken und berühmt zu werden. Überhaupt nicht. Ich freue mich ausgesprochen darauf, künftig die Konferenzen der Ressortleiter komplett schwänzen zu können.

Wirklich?

Ja. Ich freue mich außerdem darauf, mal länger ausschlafen zu können. Der Zeitdruck, den ich in den letzten Jahren hatte, war schon extrem. Das lag auch an meinen privaten Projekten wie diesen verschiedenen Büchern, die ich geschrieben habe. Das war eigentlich in der Regel eine Sieben-Tage-Woche. Man sollte meine – ich behaupte das mal von mir, weil alle anderen das behaupten – relativ ruhige Ausstrahlung nicht damit verwechseln, dass ich die ganze Zeit immer ruhig geblieben wäre.

Gut, dass ich das jetzt auch mal erfahre. Soll ich Dir dieses Gespräch später noch vorlegen, damit Du es autorisieren kannst?

Damit ich etwas ändere? Das wäre ja noch schöner! Schließlich habe ich mich lange genug mit Autorisierungen beschäftigen müssen, bei denen die Damen und Herren nicht nur ihre Antworten, sondern auch ihre Fragen umgeschrieben haben wollten.

Fußnoten

Fußnoten
1 Wäre die „taz“ ein Spukschloss, würde der Schriftsteller und Redakteur sowie Teilzeithausmeister und Philosoph als Eule unter dem Giebel wohnen

3 Kommentare

  1. Schönes Interview! Aber jetzt will ich es endlich auch mal genau wissen. Überall liest man vom legendär miesen Taz-Gehalt. Aber wie viel isses denn nu?!

  2. @Chinaski:

    Weiß ich auch nicht, aber es gehört, glaube ich, viel Idealismus dazu, auf Dauer dort zu arbeiten. Viele bekannte Leute – wie Ines Pohl oder Deniz Yücel – haben die taz als Sprungbrett für besser bezahlte Posten genutzt. 40 Jahre in dem Job sind schon krass.

    Schaut man auf Journalisten wie Herrn Hillenbrand, ist das die Treue zu einem Projekt, die man nur bewundern kann. Schaut man auf den Laden als ganzes, ist es Selbstausbeutung – ein Modell, dass in der linken Publizistik leider keine Seltenheit ist (aber wie will man das ändern, wenn die Finanzen es nicht hergeben?). Habe in den Nullerjahren als Freier für eine linke Wochenzeitung gearbeitet und bekam für einen langen Artikel (locker zwei Tage Arbeit) 70 Euro. Leben kann man davon nicht.

    Davon ab: Das Interview ist wirklich schön. Ein reflektierter Rückblick in die Geschichte der taz ohne Verklärung auf der einen oder Zorn auf der anderen Seite.

  3. Oft noch witziger als die Titel sind die Bildunterschriften.
    Wer macht die?
    Auf Seite 1 war es bestimmt auch Klaus Hillenbrand. Alles Gute!

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