Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Das ist mal eine brisante Frage, mit der das „Hamburger Abendblatt“ heute seine Leserinnen und Leser ganz oben auf der ersten Seite überrascht: „Könnte Hamburgs umstrittene NDR-Funkhauschefin Sabine Rossbach noch ganz normal im Amt sein?“ Im Inneren fügt das Blatt noch eine weitere hinzu: „Hat der NDR zu schnell Konsequenzen aus den Vorwürfen gezogen, die in den vergangenen Wochen gegen das Landesfunkhaus in Hamburg erhoben wurden?“
Das „Abendblatt“ meint: „Das sind zwei Fragen, die sich nach einem Urteil des Landgericht Münchens jetzt stellen, das dem Hamburger Abendblatt vorliegt.“
Das Urteil mag der Zeitung vorliegen. Verstanden hat sie es nicht. Und die Fragen stellen sich so auch nicht.
Es geht um einen Artikel des „Business Insider“. Er hatte Anfang September über einen Interessenskonflikt im Landesfunkhaus Hamburg berichtet: Anna Hesse, eine Tochter von Sabine Rossbach, ist Mitinhaberin der PR-Agentur Hesse und Hallermann. Die Agentur habe „zahlreiche Kunden“ in unterschiedlichen Sendungen des NDR „unterbringen“ können – vor allem solchen des Landesfunkhauses Hamburg.
Zwei Tage später untermauerten Recherchen des NDR die Vorwürfe: Rossbach habe Themenangebote der Agentur ihrer Tochter mit Anmerkungen wie „Sollten wir haben“ oder „Mit der Bitte um Berichterstattung“ an die Redaktion des „Hamburg Journals“ weitergeleitet. Redaktionsmitglieder hätten das als klaren Auftrag verstanden. Rossbach selbst sagte: „Sollte in der Redaktion der Eindruck entstanden sein, dass die Kunden meiner Tochter bevorzugt behandelt werden sollen, bedaure ich das.“ Wenige Tage später kündigte sie an, ihre Position aufzugeben.
Die Agentur Hesse und Hallermann sowie Anna Hesse persönlich gingen nun gegen zahlreiche Formulierungen in der Berichterstattung von „Business Insider“ vor, darunter die Überschrift: „‚System Rossbach‘: Wie Ehemann und Töchter der Hamburger Funkhaus-Direktorin vom NDR profitierten.“ Ihre Kundinnen und Kunden hätten es ausschließlich aufgrund der Medienrelevanz der Themen und ihrer Arbeitsleistung in den NDR geschafft, behaupteten sie.
Das Münchner Gericht gab ihnen in mehreren Punkten recht und untersagte tatsächlich die Formulierung vom „System Rossbach“. „Business Insider“ hatte argumentiert, es handele sich dabei um eine „bewertende Zusammenfassung“ und damit um eine zulässige Meinungsäußerung. Das Gericht widersprach: Es handele sich um eine Tatsachenbehauptung. Den Beweis, das sie zutreffe, sei „Business Insider“ aber schuldig geblieben. Es handele sich bislang nur um einen Verdacht. Auch der NDR-Bericht beweise die Vorwürfe nicht, sondern äußere nur einen Verdacht, der einer weiteren Prüfung unterzogen werde.
Das Gericht sagt also nicht, dass die Vorwürfe gegen Rossbach – und die rufschädigende Unterstellung einer Vetternwirtschaft, von der die PR-Agentur profitierte – falsch sind, sondern nur, dass sie nicht bewiesen sind. Wenn ein Medium aber über einen Verdacht berichtet, muss es sich an strenge Regeln halten. Dazu gehört zum Beispiel, nicht einseitig zu berichten und auf jede Vorverurteilung zu verzichten. Diese Bedingungen habe der „Business Insider“-Bericht nicht erfüllt.
Das Gericht untersagte außerdem die Formulierung: „Möglicherweise lag das [dass die Agentur ihre Kunden im NDR erfolgreich zu einem „nachhaltigen Gesprächsthema“ machte] aber auch an ihrem besonders guten Draht in die Spitze des öffentlich-rechtlichen Senders.“ Untersagt wurde auch ein Satz, dass die Agentur „erfolgreich damit war“, eine bestimmte Veranstaltung ihrer Kundin, der TV-Köchin Cornelia Poletto, im NDR-Programm zu platzieren: Die Agentur hatte erklärt, nicht sie, sondern der Veranstalter selbst habe für die Platzierung gesorgt. (Allerdings war die Agentur in den NDR-Unterlagen als Ansprechpartner genannt.)
„Business Insider“-Chefredakteur Kayhan Özgenç sagte zu Übermedien: „Wir finden die Entscheidung absurd und gehen dagegen vor.“ Die untersagten Formulierungen wurden heute aus dem Artikel entfernt.
Mehrere weitere Stellen, die die Agentur verbieten lassen wollte, bleiben vom Gericht unbeanstandet. Überwiegend setzte sich damit „Business Insider“ durch, was sich auch daran ablesen lässt, dass die Kläger drei Viertel der Kosten tragen müssen.
Die Leser des „Hamburger Abendblattes“ müssen aber den Eindruck bekommen, dass durch die Entscheidung des Gerichtes die ganzen Vorwürfe gegen Sabine Rossbach ins Wanken gekommen sind. Der Artikel ist überschrieben:
Das ist grob irreführend: Die Entscheidung entlastet Sabine Rossbach nicht – die Vorwürfe gegen sie sind in keiner Weise widerlegt oder auch nur relativiert. Die Entscheidung bedeutet nur, dass man den Verdacht einstweilig nicht wie „Business Insider“ als bewiesen darstellen und mit dem Wort „System Rossbach“ zusammenfassen darf.
Im „Abendblatt“ heißt es, „Business Insider“ dürfe „mehrere Aussagen, die Rossbach schwer belastet haben und schließlich dazu führten, dass sie ihr Amt zur Verfügung stellte, nicht mehr verbreiten“. Das ist mindestens irreführend – als hätten die jetzt untersagten Formulierungen zum Rücktritt geführt.
Das „Abendblatt“ schreibt, das Gericht habe geurteilt, dass eine Vetternwirtschaft „nicht nachgewiesen werden konnte“. „Man könne, so das Landgericht abschließend, nicht erkennen, dass es beim NDR ein ‚System Rossbach‘ gegeben habe, von dem deren Tochter oder ihre PR-Agentur profitiert habe.“
Das klingt so, als wären die Vorwürfe vom Tisch. Das Gericht hat aber nur festgestellt, dass diese Vorwürfe seiner Meinung nach nicht nachgewiesen sind. Kleiner, wichtiger Unterschied.
Das „Abendblatt“ liest aus dem Urteil außerdem folgende Aussage des Gerichts:
„Die Einschätzung des ‚Business Insiders‘ entspräche eher einer Meinungsäußerung, nicht einem objektiven Tatbestand, das Medium könne keine Beweise für die Richtigkeit der Vorwürfe erbringen.“
Das ist das Gegenteil dessen, was das Gericht tatsächlich entschieden hat: Es sah in den beanstandeten Formulierungen gerade keine Meinungsäußerung.
Doch die falsche Behauptung des „Abendblatts“ macht gerade die Runde. Der Branchendienst „Turi2“ hat sie vom „Abendblatt“ abgeschrieben, und der Branchendienst „Meedia“ wiederum von „Turi2“.
Die Klage von Hesse und Hallermann gegen „Business Insider“ ist nur eine von mehreren juristischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen den NDR. Der NDR selbst hat einstweilige Verfügungen gegen „Business Insider“, „Stern“ und „Bild“ erwirkt. Dabei geht es um andere Vorwürfe der Vetternwirtschaft gegen Sabine Rossbach sowie Behauptungen über einen angeblichen „Maulkorb“ beim Landesfunkhaus in Kiel.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
„Der Branchendienst „Turi2“ hat sie vom „Abendblatt“ abgeschrieben, und der Branchendienst „Meedia“ wiederum von „Turi2“.“
..habe da einen verschmitzt lächelnden Autoren vor Augen.
…ansonsten wieder sehr treffend!