Hasskommentare nach Liveschalte

Queer, migrantisch, Perlenkette: Wo ist das Problem?

Atay Küçükler, ein junger Journalist der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (HAZ), berichtet in einer Instagram-Liveschalte über die Landtagswahlen in Niedersachsen. Doch viele Zuschauer kommentieren nicht das Thema des Abends oder die journalistische Arbeit, sie beleidigen Küçükler homofeindlich und rassistisch. Zum schwarzen Sakko trägt er Perlenkette und Ringe. Das stört einige offenbar sehr. Auf seinen Social-Media-Kanälen macht Küçükler die Angriffe zum Thema.

Herr Küçükler, die Reaktionen, die Sie zu ihrem Auftritt bei einer Instagram-Liveschalte zur Wahl in Hannover erhalten haben, waren klare Anfeindungen. Sie schreiben, das habe Sie nicht überrascht – wieso?

Ich bekomme mit, welche Kommentare gerade queere und migrantisch-gelesene Journalist*innen für ihre Auftritte ernten. Daher habe ich damit gerechnet, dass mir das irgendwann auch passiert. Was ich nicht erwartet habe, ist, dass es gleich bei meiner allerersten Liveschalte für die HAZ so weit ist. 

Welche Gedanken haben Sie sich vorab zu Ihrem Outfit gemacht?

Von Seiten der Redaktion wurde mir gesagt, ich dürfe tragen, was ich möchte. Eben dem Anlass entsprechend. Daher habe ich für Landtagswahlen keinen Kapuzenpullover angezogen, sondern Kleidung, die ich als passend empfand und in der ich mich wohl fühle: ein Sakko mit Shirt. Eine Perlenkette trage ich sonst im Alltag auch gerne. Klar ist aber auch: Für mich als migrantische Person ist Kleidung, die Art wie ich mich zeige, auch ein Schlüssel.

Inwiefern?

Dafür, wie selbstbewusst ich in meinem Beruf auftreten kann. Und natürlich kann man mit Kleidung als Journalist*in auch gewisse Stereotype, wie das Bild des sehr geradlinigen „Tagesschau“-Sprechers mit Anzug und Krawatte oder das der Sprecherin mit Bluse und Blazer, aufbrechen. 

Wie nehmen Sie Ihren Auftritt im Nachhinein wahr?

Ich hatte mich sehr auf diese Möglichkeit gefreut. Ich freue mich auch immer noch und stelle mich weiterhin vor die Kamera. Über den Fakt hinaus, dass ich als Mann eine Kette und Ringe trage, ist es aber wichtig zu sagen: Es ist etwas anderes, wenn ich als queere und migrantisch-aussehende Person vor eine Kamera trete. Die deutsche Medienlandschaft ist nicht für ihre Diversität bekannt. Was von der Norm abweicht, löst in manchen Menschen etwas aus, verunsichert sie vielleicht – nett umschrieben. Manche verleitet das dann zu absurden Kommentaren und Anfeindungen. 

Die Kommentare hat Ihre Redaktion mittlerweile gelöscht. Wie ist sie darüber hinaus mit dem Vorfall umgegangen?

Ich war einige Zeit freier Mitarbeiter und mache nun dort ein Pflichtpraktikum für mein Journalistik-Studium. Meine Chef*innen haben das sehr ernst genommen und sofort reagiert. Als ich den Vorfall auf meinem Twitter-Account bekannt gemacht habe, haben meine Kolleg*innen dort auch ihre Solidarität bekundet. Die Chefredaktion hat sich konkret zu meiner Leistung vor der Kamera geäußert und mich gelobt. Ich habe allgemein sehr viel Zuspruch erhalten. Dafür bin ich dankbar. 

Über fünftausend Menschen gefällt Ihr Tweet. Es häufen sich positive Kommentare, darunter etwa Danksagungen für Ihren Mut, sich so zu zeigen.

Der Zuspruch ist gewaltig, ich komme nicht hinterher, alle Nachrichten zu lesen. Gleichzeitig hätte ich gedacht, dass, wenn Kritik kommt, diese eher auf einer konstruktiveren Ebene abläuft. Nun habe ich das Gefühl, dass manche vergessen, dass Social Media ein öffentlicher Raum ist. Würde ich etwa auf der Straße herumlaufen, könnte ich auch nicht jeder x-beliebigen Person ohne Konsequenzen mit solchem Hass begegnen.

Sie sind in einem Ausbildungsverhältnis. Wie hat Ihnen Ihre Redaktion Unterstützung zugesagt?

Noch bevor das alles passiert ist, haben mir die Chef*innen vom Dienst deutlich gemacht, dass ich, wenn ich diskriminiert werde, jederzeit auf sie zukommen kann. Das habe ich jetzt auch getan und werde noch weitere Gespräche suchen.

Was hat Sie an der Debatte bislang besonders überrascht?

Die Empörung darüber, wie es sein kann, dass ich diese Anfeindungen erlebe. Für mich ist es Realität, dass ich mit meinem Partner nicht einfach unbedacht Hand in Hand durch eine Innenstadt laufen kann. Das Risiko, dass es zu Übergriffen kommen kann, ist mir dabei oft zu groß. Bei den Beleidigungen und Anfeindungen, die ich gerade erhalte, geht es aber mehr als nur um Homofeindlichkeit. Hier kommt die intersektionale Ebene der Diskriminierung ins Spiel: In manchen Botschaften werde ich zusätzlich als Türke angegriffen. Diese homofeindlichen und rassistischen Sprüche verstärken den Hass zusätzlich – und Twitter löscht das bisher nicht. Ich muss Nutzer selbst blocken. Auf Diskussionen lasse ich mich nicht ein: Ich bin nicht hier, um ein gratis Anti-Rassismus- oder Anti-Diskriminierungs-Seminar zu geben.

Gibt es etwas, das Sie in Ihrer Position als queerer Journalist mit Migrationsgeschichte hätte besser schützen können?

Ich denke nicht. Um mich besser schützen zu können, hätte ich mich zurückhalten müssen in meiner Kleidung, in meiner Person und in meinem Tun. Und selbst dann hätte es andere Kommentare gegeben. Ein Kommentator stellte die Frage, ob ich versuchen würde, eine Frau zu sein. Ich denke, dabei ging es nicht um einen Angriff auf meinen Schmuck. Sondern auch darauf, wie ich spreche und mich bewege. Das sind Dinge, die ich nicht selbst beeinflussen kann und auch nicht möchte. Es sind tiefere Gründe, die Menschen zu Anfeindungen verleiten, wenn da statt eines Hans Müllers ein Atay Küçükler spricht. Mich selbst einzuschränken für ein paar wenige Menschen, die das nicht verkraften können, sehe ich nicht ein.

Sie haben das Thema fehlende Diversität und Repräsentation in den Medien auf Twitter selbst aufgeworfen. Was bräuchte es für eine positive Entwicklung?

Ich würde es begrüßen, wenn sich mehr junge, queere Menschen mit Migrationsgeschichte in den Journalismus wagen. Ich bin jetzt 25 Jahre alt und habe selbst lange gebraucht, meinen Weg hierher zu finden. Eine bessere Note als ein „befriedigend“ habe ich von meinen Deutschlehrer*innen nie bekommen. Ein Rückhalt in der Schule ist aber später im Leben viel Wert. Und in den Redaktionen bräuchte es – zumindest mittelfristig – eine Quote, um die Gesellschaft auch in Redaktionen und vor der Kamera entsprechend zu repräsentieren.

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