Ökologisierung der Gesellschaft

Wenn wir die Welt retten wollen, brauchen wir einen besseren Begriff als „Transformation“

„Transformation ist das Wort“, sagte kürzlich der Bundeskanzler, das „in aller Munde ist“. „Zu recht, weil es um eine Veränderung geht“, fügte er hinzu.

Anlass dieser linguistischen Kurzanalyse des Kanzlers war die Auftaktsitzung der „Allianz für Transformation“, eine Gesprächsreihe der Bundesregierung mit Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Man suche dabei nach einem „gemeinsamen Verständnis von Transformation“, heißt es von Seiten der Regierung. Eine korporatistische Suchbewegung also, bei der offensichtlich auch der Kanzler die richtigen Worte erst noch finden muss. Sprachlich etwas ungelenk sagte er schließlich: „Transformation ist auch mit Wandel verbunden“, und „da gibt es für viele Menschen auch Fragen und Sorgen, ob das für sie gut ausgeht.“

Zu dieser Verunsicherung dürfte zunächst der Kanzler höchstpersönlich durch die Verunklarung des betreffenden Wandels beitragen: Die Scholz’sche Allianz spricht von einem „Umbau unserer Gesellschaft, im Zeichen von Zeitenwende, Klimaneutralität und Digitalisierung“. Damit wirft der Kanzler in den Transformationstopf so viele Zutaten wie sonst niemand. Dass der fossile Ausstieg nun auch als sicherheitspolitische Notwendigkeit gilt, dürfte den Allermeisten mittlerweile zwar einleuchten. Die Digitalisierung verträgt sich aber derzeit kaum mit der Klimaneutralisierung: „Das Internet“ ist ein big polluter, im Jahr 2020 produzierte es mehr CO2-Emissionen als Deutschland.

Trigger für Angsterzählungen

Eigentlich begann die zeitgenössische Karriere des Transformationsbegriffs mit einer klaren klima- und umweltpolitischen Zuordnung: 2011 legte der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen das Gutachten „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ vor. Den Appell zur Großtransformation leitete der Beirat aus den bedrohlichen „Megatrends des Erdsystems“ ab.

Elf Jahre später haben wir Gesellschaft und Wirtschaft längst noch nicht umgebaut, weshalb uns Putin erpressen kann und es nun das Klima ist, das unser Leben mehr und mehr transformiert. Vor allem wissen wir aber noch weniger, worüber wir reden, wenn wir „Transformation“ sagen.

Zwar ist der Begriff bei Journalisten und Politikerinnen tatsächlich in aller Munde, geeignet ist er jedoch nicht, um den Menschen „Fragen und Sorgen“ zu nehmen. Im Gegenteil: In Ostdeutschland aktiviert der Begriff bei nicht Wenigen ein historisches Trauma, man erinnert sich an enttäuschte Versprechen der letzten Transformation, „blühenden Landschaften“ und so. Von einem „neuen 1990“ ist etwa mit Blick auf den Kohleausstieg die Rede. Dann ist der Transformationsbegriff vielmehr dazu geeignet, Trigger für populistische Angsterzählungen zu sein.

Ein Begriff, der kein Ziel kennt

„Transformation“ im Duden

Der Kern des Problems liegt in der Semantik des Begriffs. Transformation ist die Substantivierung des Verbs transformieren, das gleichbedeutend mit umwandeln, umformen, umgestalten ist. Unser Sprachschatz hält diesen Begriff bereit, damit wir ausdrücken können, dass sich etwas in seinem Wesen verändert. Aus A wird B. Nicht vermitteln können wir damit, wie sich etwas verändert. Es ist ein Begriff, der für sich genommen keine Richtung und kein Ziel kennt, ihn interessiert allein die Veränderung. Ob diese für die Menschen „gut ausgeht“, wie Scholz fragt, der Transformationsbegriff würde mit den Schultern zucken.

Semantisch kann der Begriff also vieles, nur keine Stabilität. Genau das wünschen sich aber zunehmend mehr Menschen in einer Zeit der sich aufaddierenden Veränderungen und Verunsicherungen. Kognitiv kann er uns zudem kein mentales Bild liefern, das unserem Verständnis des Gemeinten auf die Sprünge hilft.

Sprachbilder können in der politischen Kommunikation, insbesondere bei komplexen Themen, der gesellschaftlichen Verständigung dienen. „Infektionskette“ und „Immungedächtnis“ sind Metaphern, die das Verständnis von Zusammenhängen in der Pandemie erleichtert haben. „Transformation“ dürfte jedoch bei niemandem ein sinnstiftendes Bild in die Hirnwindungen projizieren.

Gibt man den Begriff in die Google-Bildersuche ein, die (wenn man sie algorithmisch entpersonalisiert) ein guter Indikator für die Bebilderung eines Themas in der öffentlichen Kommunikation ist, stiften die Top-Treffer eher visuelle Verwirrung: Es erscheinen technische Motive mit Zahnrädern, Maschinen, Netzwerken, aber nichts, was auch nur ansatzweise an den Schutz unserer Lebensgrundlagen denken lässt. Kurzum: Mit dem Wörtchen „Transformation“ können wir uns kein Bild und kein Begriff von der Mammutaufgabe machen, die wir in wenigen Jahren leisten müssen.

Unser Klima-Standardvokabular

Mittlerweile hat es schon Tradition, dass das Klima in der Klimadebatte benachteiligt wird. Der Diskurs pendelt seit Jahren zwischen Verzichts-, Verbots- und Kostenunterstellungen auf der einen und defätistischer Untergangsrhetorik auf der anderen Seite. Nichts davon vermittelt Handlungsfähigkeit, geschweige denn die Chance auf mehr Lebensqualität, neue Wertschöpfung und eine gerechtere Gesellschaft.

Zudem bagatellisiert unser Klima-Standardvokabular, was auf dem Spiel steht. Wir reden noch immer vom „Klimaschutz“, als sei Klimapolitik eine Charity-Veranstaltung für ein uns nicht betreffendes System. Der Begriff steht symptomatisch für die Entfremdung in der Mensch-Natur-Beziehung. Letztlich geht es aber um nichts weniger als Menschheitsschutz.

Ohne Begriff kein Begreifen

Klar: Begriffskritik ist einfach, Begriffsfindung deutlich komplizierter. Doch wir kennen immerhin das finale Ziel, vereinbart und gesellschaftlich akzeptiert dank Pariser Abkommen, Europäischem Green Deal, nationalen Klimazielen. Nur wie nennen wir den Weg, den wir zu Klimaneutralität, 1,5 Grad, Nachhaltigkeit und so weiter gehen müssen? Und warum brauchen wir dafür überhaupt einen knackigen Begriff?

Ein Schlüsselbegriff hat die Funktion, die gesellschaftliche Verständigung über das gemeinsam Angestrebte zu erleichtern. Zumal wir uns über komplizierte Angelegenheiten unter den Bedingungen einer Schlagwort-Öffentlichkeit verständigen müssen, die nicht zuletzt durch Social Media auf Verkürzung von Kommunikation beruht. Es gilt: ohne Begriff kein Begreifen.

Gesucht wird somit ein Ausdruck, der die Transformation in jene Richtung lenkt, in der unsere Klima- und Nachhaltigkeitsziele verortet sind. Schnell fällt einem das Wort „Dekarbonisierung“ ein, also die kontinuierliche Reduzierung des CO2-Austoßes. Doch zum einen ist das ein zu technischer Begriff, zum anderen greift er inhaltlich zu kurz. Schließlich lässt sich der Verlust von Biodiversität, ebenfalls Thema des Green Deals und auch eines neuen UN-Rahmenabkommens, nicht allein mit weniger CO2 lösen. Nötig ist auch ein Ende der Übernutzung und Verschmutzung von Böden, Wäldern, Meeren, also vom Lebensraum von Pflanz- und Tierarten.

Achtung und Abhängigkeit

Einen überaus interessanten Ansatz für die Begriffssuche liefert der historische Bezugspunkt, den der Beirat der Bundesregierung für das Wording von der „großen Transformation“ wählte. Diesen Ausdruck prägte 1944 der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi in einer Analyse der industriellen Revolution, die er während des Zweiten Weltkriegs schrieb. Eine zentrale These ist darin, dass das Paradigma des selbstregulierenden Marktes die Wirtschaft aus ihrer Einbettung in die Gesellschaft herauslöse. Nach ihrer „Entbettung“ habe die Ökonomie begonnen, der Gesellschaft ihre Gesetzmäßigkeiten aufzudrücken, was zu politischer Instabilität und sozialen Unruhen führte und nur durch eine „Wiedereinbettung“ der Wirtschaft in die Gesellschaft zu reparieren sei.

Dieser Dreischritt aus Einbettung-Entbettung-Wiedereinbettung lässt sich heute auf unser Verhältnis zur Umwelt übertragen. Gesellschaft und Wirtschaft, einst in der Agrargesellschaft noch einigermaßen eingebettet in die Umwelt, haben sich aus ihren natürlichen Lebensgrundlagen entbettet. Klima- und Umweltkrisen sind die Folge, die nur durch Wiedereinbettung zu bewältigen sind. Diese soll selbstredend kein Rückschritt in die Deindustralisierung sein, wie Klimaleugner gerne behaupten, sondern ein Fortschritt zu klimaverträglichem Wohlstand. In diesem Ziel-Zustand wäre das Verhältnis von Mensch und Umwelt wieder in einem gesünderen Gleichgewicht, womit wir beim inhaltlichen Kern der Begriffsfindung angekommen wären: der Ökologie.

Die „Ökologie“ definierte der Zoologe Ernst Haeckel 1866 als „Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt“. Diese Beziehungen sollen laut Haeckel aus Achtung und Abhängigkeit bestehen. Später wurde das Ökologieverständnis zu einem ressourcenschonenden und intakt haltenden Umgang mit der Natur weiterentwickelt. Die „Wiedereinbettung“, die wir mit der Transformation anstreben, ist somit die Reintegration von Gesellschaft und der menschengemachten Wirtschaft in die Umwelt. Oder auf einen Begriff gebracht: eine Ökologisierung. Und tatsächlich erscheint die Ökologisierung eine geeignete Begriffsalternative zur unzielgerichteten Transformation zu sein.

Mainstreaming des Ökologiebegriffs

Nun werden manche einwenden, dass man bei „Öko“ doch als erstes den birkenstocktragenden Waldorflehrer vor Augen habe und „ökologisch“ im politischen Diskurs von den Grünen besetzt sei. Doch wer so denkt, hat das beachtliche Mainstreaming des Ökologiebegriffs in den letzten Jahren verpasst: Friedrich Merz sagt, dass man „Ökonomie und Ökologie versöhnen“ müsse, Christian Linder will unsere Volkswirtschaft „auf die Höhe der Zeit einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ bringen. Diese Formulierungen sind mittlerweile, von der AfD absehen, sprachliche Konsense der Parteienlandschaft, in der Begriffskämpfe eine der wichtigsten Disziplin des Wettbewerbs sind.

Und das Neue ist bei diesen politischen Formeln eben das Ökologische. Wenn die soziale Markwirtschaft zu einer sozial-ökologischen werden soll, dann muss sie ökologisiert werden. Im letzten CDU-Wahlprogramm kam der Begriff „ökologisch“ 18 mal vor, im halb so langen FDP-Programm immerhin zehnmal. Auch der griechische Ursprung des Begriffs müsste konservative Herzen eigentlich erwärmen: Oikos (Öko) bedeutet Haus oder auch Heimat. Ökologisierung meint demnach den Schutz unserer Heimat, unseres Hauses, unserer Lebenswelt. Denkbar wären als Begriff natürlich auch gewisse „Öko-„Komposita, beispielsweise „Ökomodernisierung“. Die Stärke der Klarheit gehört aber der Ökologisierung.

Und wer nun noch einwendet, der Durchschnittsdeutsche sei ja aber kein Naturmensch, immerhin leben über 77 Prozent in Städten, der sollte sich den neuen Planetary Health Action Survey (PACE) der Universität Erfurt ansehen: 84 Prozent der Deutschen macht es sehr glücklich, in der Natur zu sein, 68 Prozent halten sich mehrmals pro Woche in der Natur auf, und ebenso viele fühlen sich als Teil der Natur. Die große Mehrheit dürfte die „Wiedereinbettung“, die Ökologisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und persönlicher Lebensführung also durchaus mit allerhand Positivem assoziieren. Für sie wäre die Ökologisierung die bessere Transformation.

Auch die Bilder stimmen: Die Google-Bildersuche zeigt für „Ökologisierung“ einen gesunden Planeten. Und siehe da: auch blühende Landschaften.

2 Kommentare

  1. Dass sich offenbar ca. 30% dieser Befragten nicht als Teil der Natur sehen, finde ich schockierend.

    Den Begriff der Transformation finde ich hingegen nicht so problematisch. Ist immerhin wertungsfrei. Die Fossillobby würde sicherlich lieber ein negativer konnotiertes Wording setzen wollen. In meiner Wahrnehmung ist „Transformation“ in der Debatte jetzt auch nicht präsenter als z.B. „Dekarbonisierung“.

    Die Theorie von Herrn Polanyi klingt sehr interessant.

  2. Lieber Johannes,
    vor dem Wort „Ökomodernisierung“ kann ich nur warnen. Das ist bereits besetzt. Die „Ecomodernists“ sind eine amerikanische Bewegung, die seit ein paar Jahren einen deutschen Ableger hat, der sich „Ökomodernisten“ nennt. Diese Leute glauben, dass (nur) mit einem massiven weltweiten AKW-Bauprogramm noch etwas zu retten ist, dass dann aber auch eine schöne neue Welt machbar sei. (Die Anspielung auf Huxley ist beabsichtigt.) In dieser Welt leben die Menschen (alle) in Städten, trinken entsaltztes Meerwasser, essen Nahrung aus intensivster Landwirtschaft, während andere Flächen als Naturreservate für Menschen tabu sind. Es ist eine technokratische Utopie. Je näher man sich mit ihr befasst, desto besser erkennt man die beängstigend totalitären Prämissen.
    http://www.ecomodernism.org/deutsch
    Ich habe das vor zwei Jahren mal aufgeschrieben: „Jetzt werben auch hierzulande Menschen, die noch vor ein paar Jahren begeisterte Anhänger von Wind, Sonne und Biomasse waren, an der Seite atomausstiegsgeschädigter Kerntechniker für einen Rücksturz ins Atomzeitalter. Die neuen Verbündeten nennen sich „Ökomodernisten“. Die Bewegung hat ihre Wurzeln in Kalifornien. Dort erschien 2015 das „Ecomodernist Manifesto“, eine Glaubensbekenntnis zu einem technokratischen Fortschritt, der dank sauberer Nuklearenergie den Menschen Wohlstand schenkt und die geschundene Natur wieder aufblühen lässt. Zum innersten Zirkel gehört der Umweltschutz- und Online-Pionier Stewart Brand, der 1968 den „Whole Earth Catalog“ erfand, ein Magazin, in dem sich die Hippies über Produkte und Lieferanten informieren konnten, die in ihrer antikonsumistischen Gegenkultur angesagt waren.
    Keimzelle der Modernistenszene ist das Breakthrough Institute (BTI) in Oakland. Der 2003 gegründete Thinktank wird finanziert von Familienstiftungen wie der William & Flora Hewlett Foundation und Mäzenen wie Rachel Pritzker, deren Familie mit der Hotelkette Hyatt und der Kreuzfahrtreederei Royal Caribbean zu Reichtum kam. Das bekannteste Gesicht der Bewegung ist aber BTI-Mitgründer Michael Shellenberger, ein eloquenter Politikberater, Campaigner und Bewunderer von Stewart Brand. Bereits 2004 sagte sich der damals 33-Jährige von der kalifornischen Umweltbewegung los und erklärte den „Environmentalism“ – was auf Deutsch etwa dem neurechten Kampfbegriff „Ökologismus“ entspricht – für tot. Im selben Jahr ließ sich der schillernde PR-Unternehmer von Venezuelas sozialistischem Präsidenten Hugo Chávez als Lobbyist anheuern, was ihm den Vorwurf eintrug, sich mit Geld aus der Erdölförderung bezahlen zu lassen. Es gelang ihm jedoch, die Aufmerksamkeit auf sein „New Apollo Project“ zu lenken, eine Kampagne für öffentliche Investitionen in den Klimaschutz, die Spuren in Barack Obamas Wahlprogramm hinterließ.
    Während Shellenberger sich inzwischen ganz seiner 2016 gegründeten Non-Profit-Organisation Environmental Progress widmet, einem Sprachrohr US-amerikanischer AKW-Betreiber und Nuklear-Startups, arbeitet das BTI an der Globalisierung der ökomodernistischen Ideologie. Diese erschöpft sich nicht darin, die Renaissance der Kernkraft zu fordern, sondern verfolgt das Ziel, insgesamt „die menschliche Entwicklung von Umweltauswirkungen zu entkoppeln“. Deshalb soll die Landwirtschaft weiter intensiviert werden, etwa durch noch mehr Kunstdünger. Was bisher als Landflucht bezeichnet wurde – Binnenmigration in wuchernde Megacities – ist für die Ökomodernisten ein erstrebenswertes Ziel; die Großstadt ist ihr Ideal des platzsparenden, umweltschonenden Zusammenlebens. Dieses enge Zusammenrücken der Menschen und die Steigerung der Flächenproduktivität im industriellen Ackerbau sollen Raum schaffen für eine Verwilderung und Renaturierung von Kulturlandschaften. Die Menschheit habe die „Chance, die Erde wieder stärker der Natur zu überlassen“. Das hieße unter anderem Aquakultur statt Fischerei, reichlich sauberes Trinkwasser aus dem Meer und der Kanalisation dank Entsalzungsanlagen und High-Tech-Klärwerken, Stilllegung von Raffinerien und Ende des Abbaus von Bodenschätzen dank hocheffizienter Kreislaufwirtschaft, die alle Kunststoffe und Metalle recycelt. Keine Flächen würden mehr für Solar-Äcker und Windparks „verbraucht“.
    Der Generalschlüssel zu alledem: Atomstrom, und zwar in rauher Menge. So träumt die Vereinsvorsitzende Rachel Pritzker, die schon am Manifest mitgeschrieben hatte, öffentlich von einer „Energy Abundance“, also Energie im Überfluss. Der Begriff steht in der Fachwelt eigentlich für das Überangebot an Erdöl und Erdgas infolge des Fracking-Booms, das dem Ziel der CO2-Vermeidung zuwiderläuft. Pritzker hingegen meint damit eine Vervielfachung der Produktion von sauberem Strom, die jeden Gedanken ans Energiesparen obsolet machen würde; sie sieht darin sogar den Schlüssel zur Entwicklung ärmerer Länder. Ähnlich denkt Carl Page jr., der ältere Bruder von Google-Gründer Larry Page. In seiner Eigenschaft als Inhaber einer obskuren Kleinstfirma namens Anthropocene Institute sponsort er ebenfalls das BTI.
    Page geht mit der Idee einer „One Cent Energy“ hausieren: Die Kilowattstunde werde früher oder später nur noch einen Cent kosten. Eine plausible Erklärung, wie es gelingen sollte, Strom so spottbillig auch nur zu produzieren, geschweige denn zu verkaufen, ist er bislang schuldig geblieben. Dafür widmet er sich jedoch dem Studium esoterischer Konzepte wie „Low Energy Nuclear Reactions“ alias „Lattice Enabled Nuclear Reactions“ (LENR). Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die „Kalte Kernfusion“, die Fachleute längst zusammen mit „Freier Energie“ und dem Perpetuum mobile in der Schublade „Hirngespinste“ abgelegt haben.
    Ökomodernist zu sein, heißt nicht automatisch, die Flausen eines Carl Page ernst zu nehmen. Doch selbst die Kernthese der Community, mit der Kombination aus Kernkraft und technischem Fortschritt lasse sich die Welt retten, klingt zu schön, um wahr zu sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist sie das auch – jedenfalls bezogen auf den Zeitrahmen, den der Klimawandel den Akteuren lässt, und unter der Prämisse, dass die meisten Staaten Demokratien bleiben. Kritiker fühlen sich von dem Manifest, das scheinbar auf jede Frage eine Antwort bietet, ohnehin an Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt“ erinnert. Schließlich ließe sich ein derart geschlossenes System kaum auf freiwilliger Basis realisieren.“

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