Seit mehr als zehn Jahren ist Aleksandar Vučić nun die alles bestimmende Figur in der Politik Serbiens, erst als Minister und Ministerpräsident, und seit 2017 als Präsident. Am vergangenen Wochenende hat er seine Serbische Fortschrittspartei (SNS) bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen abermals zu einem klaren Sieg in diesem strategisch wichtigsten Balkanland geführt. Ein Erfolg, der auch deshalb möglich war, weil Vučić und die SNS seit Jahren die Medienlandschaft kontrollieren – und Medien ihn bejubeln.
Die von Vučić gegängelte Presse hatte für die Wähler eine Scheinwelt geschaffen, die mit der Realität wenig zu tun hat: Sie beschworen, wie der Präsident, ein „goldenes Zeitalter“ – bei monatlichen Durchschnittslöhnen von umgerechnet 500 Euro. Sie verbreiteten, Russland und China seien die größten Geldgeber und besten Freunde des Landes – obwohl das Land mit der EU zwei Drittel seines Handels abwickelt; zehntausende Arbeitsplätze wurden durch europäische Unternehmen geschaffen, die für mehr als 70 Prozent aller ausländischen Direktinvestionen stehen. Serbien ist für Brüssel auch einer der größten Empfänger nicht rückzahlbarer Finanzhilfen.
Russland und China gut, EU und USA böse
Dass die von Vučić beeinflusste Medienpropaganda wirkt, zeigt sich in allen Umfragen. Die überwältigende Mehrheit der serbischen Bevölkerung sieht die EU und die USA in negativem, Russland und China dagegen in äußerst positivem Licht. Dabei fiele es kaum jemandem ein, gerade unter jüngeren Menschen, in diesen Ländern Arbeit zu suchen oder dorthin zu gehen, um zu studieren. Der jahrelange Massenexodus nicht nur aus Serbien, sondern aus der gesamten Region, hat vor allem Deutschland und Österreich zum Ziel.
Der Autor
Thomas Brey arbeitete fast vier Jahrzehnte für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als Südosteuropa-Korrespondent mit Sitz in Belgrad und Wien. Ende 2018 wurde er pensioniert. Seit 2012 lehrt er Politikwissenschaften an deutschen Universitäten und ist seit 2019 Journalistik-Dozent an der Fachhochschule Wilhelmshaven. Er publiziert regelmäßig zu Südosteuropa-Themen.
Es sind die jungen und gut ausgebildeten Leute, die Reißaus nehmen, weil sie keine Perspektive im Vučić-Land sehen. Denn hier zählen nicht Ausbildung und Know-how, sondern einzig das Parteibuch für die Karriere und das persönliche Auskommen. Rund zehn Prozent der knapp sechs Millionen Einwohner sind deshalb SNS-Mitglied – Europarekord! Vor allem potenzielle Kritiker des Systems wandern aus. Was für Vučić wie ein Ventil wirkt: Sind kritische Stimmen weg, kann der Präsident in Ruhe durchregieren.
Die serbische Medienlandschaft ist weitgehend in Präsidentenhand: Die nationalen TV-Sender, für 65 Prozent der Serben immer noch die wichtigste Informationsquelle, agieren am Gängelband des Präsidenten. Der erscheint mehrmals in der Woche, um in langen Monologen seine Rolle herauszustreichen und die Erfolge seiner Politik zu feiern. Unabhängige Untersuchungen zeigen, dass Vučić im vergangenen Jahr mehr als 100 Stunden in verschiedenen Nachrichtenformaten zu sehen war. Kritik? Konfrontation? Das muss er nicht befürchten. Von den Moderatorinnen und Moderatoren wird er hofiert, Diskussionen mit politischen Gegnern scheut Vučić ohnehin.
Eine aktuelle Untersuchung der Nichtregierungsorganisation BIRODI zeigt, dass Vučić auch die politische Berichterstattung in Printmedien dominiert: Rund 60 Prozent der Artikel handeln von ihm. Während er dort mit großen Worten gelobt wird als bedeutendster und effizientester Politiker aller Zeiten, der von allen politischen Größen der Welt umgarnt werde, erscheinen Oppositionspolitiker nur in diffamierenden, negativen Kontexten. Fotos von ihnen werden oft so nachbearbeitet, dass ihre Gesichter verzerrt wirken und grotesk belichtet sind. Propagandamethoden, die unweigerlich an vergangen geglaubte Zeiten erinnern. Doch wie ist das alles überhaupt möglich?
Die privaten Staatsmedien
Vučić hat die Medien schon früh in seiner Laufbahn als tragenden Pfeiler seines politischen Systems erkannt und es analog zu seinen Bedürfnissen umgebaut. Zunächst gingen Zeitungen wie die renommierte „Politika“ oder „Novosti“ in Staatsbesitz über. Nach Kritik aus Brüssel – schließlich ist Serbien EU-Beitrittskandidat – wurden diese Blätter dann privatisiert, von der Regierung geförderte und abhängige Oligarchen übernahmen.
Bei den landesweiten Fernsehsendern sieht es ähnlich aus. Ihre privaten Besitzer kommen in den Genuss großzügiger staatsfinanzierter Werbung, enorme Steuerschulden werden gestundet, staatsnahe Banken vergeben üppige Kredite. Im Gegenzug bedanken sich die Eigner mit Sendezeit. Ein Anruf des Präsidenten reicht offenbar – und Vučić wird von jetzt auf gleich ins Programm gehievt. Sogar beliebte Unterhaltungssendungen wurden bereits verschoben oder unterbrochen, damit der Präsident sich ans Volk wenden kann.
Paradebeispiel für einen getreuen Medienmogul ist Igor Zezelj. Der einst unbekannte Unternehmer und SNS-Parteigänger kam durch zwielichtige Finanztransaktionen der staatlichen Telekom zu viel Geld, mit dem er dann 2018 die auflagenstarke Boulevardzeitung „Kurir“ kaufte. Dass die Telekom Zezelj damals völlig überzogene Summen für unbedeutende Unternehmen zahlte, um ihn mit Geld auszustatten, bezeichnet die Opposition als kriminelle Verschwendung von Steuergeldern. Für Vučić aber war es nützlich: Der frühere „Kurir“-Eigentümer Aleksandar Rodic hatte sich zweimal offen mit dem Präsidenten angelegt. Er warf ihm und seinem System private Bereicherung, Lüge und Korruption vor, womit er Serbien runiniere. Zunächst war er von Steuer- und kommunalen Behörden drangsaliert worden. Schließlich willigte er in den Verkauf seines Medienimperiums ein.
Die letzten kritischen Reste
Nur vereinzelt gibt es noch unabhängige, kritische Medien: Die Tageszeitung „Danas“ und die Wochenzeitungen „NIN“ und „Vreme“ zum Beispiel. Auch die Portale des Kabelsenders N1 oder „Nova“ gehören dazu. Doch die Auflagen und Reichweiten dieser Medien sind, verglichen mit auflagenstarken Blättern wie „Informer“, „Kurir“ oder „Novosti“, sehr begrenzt. Zyniker würden sagen, dass die kritischen Blätter „jeden ihrer Leser persönlich“ kennen.
Doch selbst diese wenigen kleinen Medien werden drangsaliert: Besonders der Sender N1, der von der Luxemburger United Group betrieben wird, solle durch die Telekom aus den Kabelnetzen vertrieben werden, vermutet die Opposition. Um ihm zu schaden, habe das Staatsunternehmen gerade auch die attraktiven Fußball-Übertragungsrechte an der englischen Premier League gekauft, die vorher N1 besaß. Die Telekom zahlte einen Wahnsinnspreis, vergleicht man ihn mit den üblichen Tarifen: 600 Millionen Euro für die kommenden sechs Jahre. Das ist zehnmal mehr als N1 bisher auf den Tisch legte.
Ohnehin kommt die serbische Bevölkerung mit den wenigen regierungskritischen Medien nur in Großstädten wie Belgrad, Novi Sad oder Nis in Kontakt. In der Peripherie liegen diese Zeitungen schlicht nicht am Kiosk aus und TV-Sender sind aus technischen Gründen in der Provinz nicht zu empfangen. Untersuchungen zeigen deshalb immer wieder, dass die Menschen auf dem Land – und das ist der weitaus größte Teil – keine Ahnung haben von den vielen Affären in der Spitzenpolitik, die von investigativen Journalisten aufgedeckt wurden. Im Staatsfernsehen RTS oder den beiden regierungstreuen Privatsendern Pink und Prva werden sie verschwiegen oder im Sinne der Mächtigen umgedeutet.
Vučić selbst leugnet die Skandale, wischt Kritik als feindlich, landesverräterisch und unlogisch beiseite. Das unabhängige Portal direktno.rs stellte im Januar alle Großaffären zusammen und kam auf nicht weniger als 100 Fälle. Dabei geht es um die Ermordung politischer Gegner, illegalen Waffenhandel, staatlichen Haschischanbau, Geldwäsche des Finanzministers und des Innenministers, die windige Privatuni „Megatrend“ oder nachgewiesene Plagiate in den Dissertationen vieler Spitzenpolitiker – um nur einige zu nennen. Alles wurde von Vučić mit einem Federstrich als irrelevant ad acta gelegt, und die Justiz wurde in den meisten Fällen nicht tätig. Kein Wunder: Es hätte sehr wahrscheinlich bittere Konsequenzen für die Staatsanwälte, denn auch die Justiz ist fest im Griff von Vučić Getreuen.
Russische Desinformation eins zu eins kopiert
Eine zentrale Rolle im serbischen Mediensystem spielt darüber hinaus die russische Staatsagentur „Sputnik“, die in Belgrad einen kostenlosen tagesaktuellen Dienst in serbischer Sprache verteilt. Weil ausnahmslos alle Medien mit wirtschaftlichen Problemen kämpfen und die bei „Sputnik“ verbreitete Moskauer Sicht auf die Welt und ihre Probleme auch ins Bild der politischen Elite Serbiens passt, werden diese Berichte eins zu eins kopiert.
Daher verwundern solche desinformierenden Überschriften nicht, mit denen die serbische Bevölkerung täglich manipuliert wird: „Der Westen startet die Operation Hitler. Die wollen um jeden Preis eine Hölle in Serbien“ („Telegraf“). „Bidens unheimliches Szenario. Der teuflische Plan der Amis. Sie wollen die Macht in Serbien über das Justizsystem“ („Informer“). „Der Verteidigungskrieg Russlands“ („Pecat“). „Russland wird nicht stoppen, bevor die Neonazis (in der Ukraine) besiegt sind“ („Novosti“). „Der Westen verbietet Selenskyj Verhandlungen“ („Novosti“). Und schließlich: „Die Ukraine hat Russland angegriffen“ („Informer“).
Obwohl in Serbien die staatlichen Institutionen durch die Vučić-Partei SNS übernommen wurden, obwohl der Präsident Medien und Justiz kontrolliert, fürchtet die politische Elite jeden Widerstand, und sei er noch so klein. So muss sich die kleine Schar der weiter regierungskritischen Journalisten auf immer neue Schikanen einstellen. Dokumentiert sind etwa regelmäßige Angriffe auf Journalisten, die über Anti-Regierungsdemonstrationen berichten wollen. Spitzenpolitiker erwähnen Namen und teilweise auch Wohnadressen von unliebsamen Journalistinnen und Journalisten, was diese dann in Gefahr bringt. Und auf die Justiz können sie nicht hoffen.
Ein erschreckendes Beispiel: 2021 wurde der Bürgermeister der Gemeinde Grocka verurteilt, weil er drei Jahre zuvor das Wohnhaus des Journalisten Milan Jovanovic hatte in Brand setzen lassen. Jovanovic hatte zuvor über die Affären des Bürgermeisters berichtet, was dem missfiel. Bestraft wird er für den Auftragsbrand offenbar dennoch nicht. Die nächsthöhere Instanz hob das Urteil Ende 2021 wieder auf.
Vorbild Ungarn
Das Mediensystem Serbiens, man muss es so sagen, ist längst ruiniert. Und dafür gibt es eine Blaupause: das Nachbarland Ungarn. Dessen Ministerpräsident Viktor Orbán, der ebenso wie Aleksandar Vučić am Wochenende seine Machtbasis durch Wahlen stärken konnte, nutzen Medien als Instrument, um ihre Herrschaft zu sichern, das zeigen viele, sehr viele Studien. Die frühere Außenministerin Kroatiens, Vesna Pusic, seit 2013 das jüngste EU-Mitglied, ist nach den Wahlen in beiden Ländern entsetzt: Die EU müsse sich endlich damit beschäftigen, fordert sie, dass die politischen Spitzen in Ungarn und Serbien immer mehr nach Osten abdrifteten, die Bevölkerung sich aber massenhaft in den Westen absetze.
Doch in der EU wird über die erheblichen Demokratiedefizite hinweggesehen, obwohl sie von internationalen Organisationen seit Jahren dokumentiert werden, etwa die Knebelung der Medien. In den jährlichen Fortschrittsberichten klingt zwar leise Kritik an, im Vordergrund stehen aber die behaupteten Reformanstrengungen. Die serbische Zivilgesellschaft kritisiert derweil, Brüssel dulde sogenannte Stabilokraten: Ihnen werde innenpolitisch alles nachgesehen. Im Gegenzug garantierten Spitzenpolitiker wie Vučić, dass es dort keine neuen bewaffneten Konflikte gibt wie zuletzt beim Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates Jugoslawien.
Allerdings dürfte dieses Kalkül nicht aufgehen, argumentiert beispielsweise die prominente serbische Historikerin Dubravka Stojanović. Die Nationalisten in der Region müssten immer neue und größere Konflikte vom Zaun brechen, um ihre eigene Bevölkerung hinter sich zu scharen. Denn zu einer realen Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Misere in praktisch allen Ländern der Balkanhalbinsel, seien sie nicht in der Lage.
2 Kommentare
Traurig. Wahrheit und Wissen scheinen an zu vielen Orten dieser Welt alles andere als im Aufwind.
„Die EU müsse sich endlich damit beschäftigen, fordert sie, dass die politischen Spitzen in Ungarn und Serbien immer mehr nach Osten abdrifteten, die Bevölkerung sich aber massenhaft in den Westen absetze.“
Der EU ist das durchaus auch das zynische Kalkül zuzutrauen, ganz froh zu sein, die Emigranten so als willfährige Arbeitskräfte aufnehmen zu können. Ansonsten kann man sich schon fragen, warum die serbische Regierung eigentlich in die EU will, wenn diese tagtäglich bewusst als das Feindbild plakatiert wird.
ca. 7 Mio Einwohner hat Serbien zzg. 1,2 Mio Serben in der Republika Srpska (wikipedia). Nationalistisch bis zum Anschlag, katholisch orthodox und mit einem für uns Westeuropäer nicht verständlichen Minderwertigkeitskomplex halten sie permanent ihre nationale Utopie einer grossserbischen Republik am Leben und zündeln im Balkan. Ihre Helden sind die Schlächter des Bosnienkrieges. Nicht für alle – aber eben für die, die politische Landschaft bestimmen.
Dem ist nicht beizukommen.
Traurig. Wahrheit und Wissen scheinen an zu vielen Orten dieser Welt alles andere als im Aufwind.
„Die EU müsse sich endlich damit beschäftigen, fordert sie, dass die politischen Spitzen in Ungarn und Serbien immer mehr nach Osten abdrifteten, die Bevölkerung sich aber massenhaft in den Westen absetze.“
Der EU ist das durchaus auch das zynische Kalkül zuzutrauen, ganz froh zu sein, die Emigranten so als willfährige Arbeitskräfte aufnehmen zu können. Ansonsten kann man sich schon fragen, warum die serbische Regierung eigentlich in die EU will, wenn diese tagtäglich bewusst als das Feindbild plakatiert wird.
ca. 7 Mio Einwohner hat Serbien zzg. 1,2 Mio Serben in der Republika Srpska (wikipedia). Nationalistisch bis zum Anschlag, katholisch orthodox und mit einem für uns Westeuropäer nicht verständlichen Minderwertigkeitskomplex halten sie permanent ihre nationale Utopie einer grossserbischen Republik am Leben und zündeln im Balkan. Ihre Helden sind die Schlächter des Bosnienkrieges. Nicht für alle – aber eben für die, die politische Landschaft bestimmen.
Dem ist nicht beizukommen.