Der Krieg und die Wahrheit

In Moskau bleiben oder gehen? Deutsche Reporter reagieren uneins auf das neue russische Zensurgesetz

„Welt“-Schalte zu Christoph Wanner in Moskau (rechts) Screenshot: Welt

Auch heute steht „Welt“-Korrespondent Christoph Wanner wieder in Moskau vor der Kamera und berichtet über die Lage in Russland. Das ist eigentlich nicht bemerkenswert, Wanner macht das seit vielen Jahren und seit Beginn des Krieges fast unentwegt. Doch vergangene Woche hat sich die Situation für Berichterstatter in Moskau grundlegend verändert.

Russland hat am Freitag ein Gesetz verabschiedet, das es unter Strafe stellt, „Fake News“ über das russische Militär zu verbreiten. Geht es nämlich nach Russlands Präsident Wladimir Putin, ist zum Beispiel der Krieg in der Ukraine ausschließlich „Sonderoperation“ zu nennen – und nicht Krieg oder Invasion. Wer das trotzdem sagt, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Das macht wahrheitsgetreues Berichten schwer und sorgte für erhebliche Unruhe in westlichen Redaktionen. Als Reaktion auf das Gesetz stellten etliche internationale Medien wie CNN, BBC oder Bloomberg News ihren Sendebetrieb aus Moskau am Freitag vorläufig ein, teilweise zogen sie sogar ihre Reporter ab. Andere rangen im Fernsehen um Worte, damit sie bloß nichts „Falsches“ sagen, wie ORF-Korrespondentin Carola Schneider.

Um die Berichterstattung nicht zu gefährden, sagte Schneider, und um nicht selbst als kriminell zu gelten, müsse sie ihre Worte „vorsichtig wählen“.

„Richtet sich gegen Blogger und Aktivisten“

Christoph Wanner hingegen beunruhigt das neue Gesetz offenbar nicht so sehr, im Gegenteil. In einer Live-Schalte am Freitag sagte Wanner, er habe nicht den Eindruck, dass sich das Gesetz „gegen uns westliche Journalisten oder auch gegen russische Journalisten“ richte, „die seriöse Arbeit machen“.

Dabei können russische Medien ohnehin nicht frei berichten. Und die letzten unabhängigen Stimmen sind nun auch verstummt, Echo Moskwy zum Beispiel musste seinen Betrieb Anfang des Monats einstellen. Der Radiosender hatte kritisch über den Krieg berichtet. Auch der Fernsehsender Doschd wurde blockiert. Der Chefredakteur verließ daraufhin das Land.

Das Gesetz, sagt Wanner, sei „vielmehr sozusagen ein Schlag gegen diejenigen, die in den Sozialen Medien, in den Augen der russischen Föderation, ‚Fake News‘ verbreiten über die russischen Militärs“. Denn: „Vermeintliche ‚Fake News‘ oder auch ‚Fake News‘“ könnten „zersetzend“ wirken auf die Moral der Soldaten. Gegen Aktivisten oder Blogger, die diese Moral versuchten zu schwächen, sei das Gesetz gerichtet, findet Wanner.

Auch die RTL-Mediengruppe hat ihren Reporter Rainer Munz in Moskau belassen. In einer Schalte am Samstag klang der aber wesentlich vorsichtiger: Es sei „ein mulmiges Gefühl, hier zu arbeiten“. Es sei auch in den vergangenen Wochen „wesentlich härter“ geworden, russische Behörden hätten Kollegen anderer Sender teilweise Stunden lang festgesetzt. Das sei schon ein klares Zeichen, dass man sie beobachte. Er und sein Team würden trotzdem „weiter fundiert, sauber journalistisch berichten über all das, was in Moskau passiert, und wir werden es auch weiterhin kritisch einordnen“.

Schalte zu Rainer Munz nach Moskau (rechts) Screenshot: ntv

Tags zuvor hatte Munz gesagt, dass sich das Gesetz gegen „öffentliche Handlungen“ richte, etwa gegen demonstrierende Menschen, aber eben auch gegen ihn als ausländischen Journalisten. Das habe der Vorsitzende des Ausschusses für Informationspolitik in der russischen Duma ausdrücklich so gesagt. Munz folgert daraus: „Wenn ich das sage, was im Krieg in der Ukraine passiert, dann werden auch wir mit bis zu 15 Jahren Haft bedroht.“

Die Moderatorin im Kölner Studio richtete Munz aus, man bewundere seinen Mut. „Wir machen uns auch große Sorgen um Ihre Sicherheit.“

Was natürlich die Frage aufwirft, ob es also leichtsinnig ist, weiter aus Moskau zu berichten. Oder braucht es einfach Zeit und womöglich Gespräche im Hintergrund, um auszuloten, wen das Gesetz wirklich betrifft?

Die BBC, zum Beispiel, berichtet seit Dienstag wieder aus Moskau. Nach „sorgfältiger Überlegung“ habe man entschieden, die Arbeit wieder aufzunehmen. Man werde diesen „entscheidenden Teil der Geschichte unabhängig und unparteiisch erzählen“, nach den eigenen redaktionellen Standards.

„Bild“-Reporter: „Sitze im Kempinski und trinke Bier“

Auch „Bild“-Reporter Peter Tiede bleibt vor Ort. Als der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kürzlich forderte, deutsche Reporter in Sicherheit zu bringen, warf Tiede dem DJV vor, jenen Korrespondenten in den Rücken zu fallen, die „nach Abwägung“ beschlossen hätten, zu bleiben. „Man kann berichten. Eingeschränkt. Aber aus eigenem Augenschein.“

Im Interview mit dem Branchenmagazin „Meedia“ gibt sich Tiede betont locker, was die Situation westlicher Reporter in Moskau betrifft:

„Wir sind nicht in Lebensgefahr. Ich sitze im Kempinski, knabbere Nüsse, trinke ein Bier und fahre morgen wieder durch die Stadt. Gleichzeitig sitzen Leute von uns im Luftschutzbunker in der Ukraine. Da stimmen die Maßstäbe nicht.“

„Bild“ werde bleiben, sagt Tiede: „Wir können von der Stimmung im Land berichten, wir können von der wirtschaftlichen Situation berichten. Wir können berichten, was Experten sagen, wir können es sogar kommentieren.“

Aber mit Einschränkungen: „Richtig ist, dass wir nicht mehr über den russischen Teil des Kriegs berichten können. Aber das ist dann halt so.“ In den Sendungen werde „klar und deutlich“ benannt, was man nicht zeige: „Wenn ich in einer Schalte zu sehen bin, gibt es zum Beispiel keine Kriegsbilder. Das wird erklärt. Dann bin eben nur ich zu sehen.“

Ausweiskontrolle: Russische Polizei und Reporter Tiede Screenshot: Bild / Pixel: Ü

Angesprochen darauf, dass Tiede – bevor das Gesetz verabschiedet wurde – durch Moskau lief, Passanten Kriegsbilder aus der Ukraine zeigte und sie nach ihrer Meinung fragte, sagt der „Bild“-Reporter, dass das heute „so nicht mehr möglich“ wäre. Wobei die Frage ist, ob es nicht auch schon damals gefährlich war – etwa für die russischen Menschen, die Tiede da befragt hat.

„Welt“: „Vertrauen unserem erfahrenen Korrespondenten“

Und Wanner? Wir wollten von ihm wissen, wie er zu der Auffassung kommt, dass sich das Gesetz nicht gegen („seriös“ arbeitende) Journalisten richtet, insbesondere nicht gegen solche aus dem Westen. Und ob auch er nun Kompromisse bei der Berichterstattung eingeht, etwa bestimmte Vokabeln vermeidet. Aber Wanner möchte sich derzeit lieber nicht weiter dazu äußern.

Die Sprecherin der „Welt“ schreibt auf unsere Anfrage:

„Wir vertrauen der Einschätzung unseres erfahrenen Russlandkorrespondenten, haben die Lage gemeinsam beurteilt und dann entschieden zu bleiben.“

Die Berichterstattung von vor Ort würden sie „dann einstellen müssen, wenn unser Reporter seine Beobachtungen und Einschätzungen nicht mehr klar zum Ausdruck bringen könnte“.

Die RTL-Mediengruppe formuliert es ähnlich: Ihre Teams vor Ort entschieden „jederzeit selbst, ob sie die Gegend und/oder das Land verlassen möchten“, teilt der Sender mit. Das sei „oberste Maxime“ und werde auf Wunsch „umgehend umgesetzt“.

„Nachbeten von Propaganda“

Andere bleiben bei ihrer Entscheidung vom Freitag: Das Moskauer Studio der Deutschen Welle zum Beispiel arbeitet künftig von Lettland aus. Und neben ARD und ZDF hat in Deutschland auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) beschlossen, nicht mehr direkt aus Russland zu berichten.

Das Putin-Regime schaffe die „letzten Reste der Pressefreiheit in Russland ab“, schreibt FAZ-Herausgeber Berthold Kohler. Nicht von Strafe bedroht sei dort nur noch „das Nachbeten von Propaganda“. Die FAZ-Korrespondenten sollen deshalb ab sofort von einem Ort aus berichten, „an dem sie frei sprechen und schreiben können, ohne dass ihnen Lagerhaft droht“.

Das ZDF teilt mit, das neue Gesetz gefährde „die Sicherheit von in Russland akkreditierten Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten“. Chefredakteur Peter Frey sagt, die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe „oberste Priorität“; diese sei aber nicht gegeben, wenn das erlassene Gesetz „auch für ausländische Journalisten gilt“.

Peter Tiede von „Bild“ übrigens meint, er habe quasi eine Versicherung, wie er „Meedia“ sagte: RTL habe neulich ein Interview mit Pjotr Tolstoi geführt, dem Vizechef der Duma. „Der hat explizit gesagt, die ausländischen Korrespondenten sind willkommen.“ Er habe das als Video bei sich, auch schriftlich auf Russisch. „Wenn die Polizei kommt, können wir vorzeigen, dass der Vize-Chef der Duma sagt, dass wir willkommen sind“, sagt Tiede.

Was womöglich Auslegungssache ist. In dem Video-Interview, das RTL zeigt, sagt Duma-Vizechef Tolstoi, bevor er von „Hysterie“ in westlichen Redaktionen spricht:

„Ich denke, jedem Journalisten sollte klar sein, dass man während eines Militärkonflikts alle Informationen zwei- bis dreimal nachprüfen sollte. Die Arbeit der ausländischen Journalisten ist uns sehr wichtig, damit man die Wahrheit über die Ereignisse auch an das westliche Publikum vermitteln kann.“

Meint Tolstoi mit „Wahrheit“, was Putin mit „Wahrheit“ meint, ist das eher ein schlechtes Zeichen für ausländische Journalistinnen und Journalisten.

Nachtrag, 11.3.2022. ARD und ZDF teilen mit, „in den kommenden Tagen“ die Berichterstattung aus Moskau wieder aufzunehmen. Die „Berichterstattung über die militärische Lage in der Ukraine“ werde aber „von anderen Standorten der beiden öffentlich-rechtlichen Sender“ geleistet:

„Die Moskauer Korrespondentinnen und Korrespondenten von ARD und ZDF werden über die Entscheidungen der russischen Führung, aber auch über zivilgesellschaftliche Reaktionen, zum Beispiel Proteste gegen den Krieg, die Reaktionen der russischen Eliten oder die konkreten Auswirkungen der Sanktionen im Alltag russischer Bürger berichten. Die besonderen Bedingungen der Berichterstattung aus Russland werden dabei transparent gemacht. ARD und ZDF behalten sich vor, die Situation zu jedem Zeitpunkt neu zu bewerten.“

4 Kommentare

  1. Na toll, die Springer-Journaille (und ich meine das so abschätzig, wie ich nur kann) und RTL berichten weiter aus Russland, die Vertreter seriöser Medien aber verlassen das Land. Damit können wir es vergessen, kritisch und umfassend aus Russland informiert zu werden. Da wird mir übel.

  2. Journalisten sind da, um zu sagen, was ist. Deshalb müssen sie vor Ort bleiben. Selbst Putin dürfte es schwer fallen, westliche Reporter wirklich zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilen zu lassen. Mir ist ein Springer- oder RTL-Reporter in Moskau immer noch lieber als gar keiner. Dieser Anti-Springer-Reflex in Kommentar #1 erscheint mir genauso naiv wie die Putin-Verherrlichung rechts und links außen und in Teilen sogar in der Mitte der deutschen Gesellschaft.

  3. Von der Logik her gilt das Gesetz natürlich auch oder gerade für ausländische Korrespondenten.
    Dass man versucht, trotzdem in Russland zu bleiben, ist jetzt sicher ehrenwert, auch wenn man dann gewisse Klimmzüge macht, aber dass da nichts passieren wird, halte ich für naiv.
    Die Zeit, wo man aus Optimimus, Diplomatie oder als Vertrauensvorschuss Putin nicht alles Schlimme unterstellen sollte, ist wohl vorbei.

  4. @Florian Blechschmied: Dem Kommentar von Mycroft füge ich noch hinzu: Mein Post beinhaltet keinen „Anti-Springer-Reflex“, sondern einen Anti-Boulevard-Reflex und einen Anti-Medien-mit-(menschenfeindlicher)-Agenda-Reflex.
    Darüber hinaus halte ich es meinerseits für naiv, absolut nicht vertrauenswürdigen Medien, wie eben u.a. die Springer-Medien, plötzlich implizit das Vertrauen auszusprechen, nur weil sie in einer Dikatur weiterhin Passanten das Mikro unter die Nase halten.

    Und eine Anmerkung noch zum Schluss: Wenn Sie „Putin-Verherrlichung “ links, rechts und in der Mitte finden. Kann es dann sein, dass Ihre Kategorien mindestens in diesem Fall untauglich sind? Oder anders gefragt: In welchem Ihrer definierten Schubladen/Lager/politischen Denkrichtungen sind denn dann keine Putinverherrlicher? Nochmal anders gefragt: In welche sortieren Sie sich selbst ein? Es bleiben noch: vorne, hinten, oben und unten.

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